Alagrimm 6: Nach Süden, nach Angbar

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Ausgabe Nummer 38 - Notausgabe Praios 1028 BF

Nach Süden, nach Angbar

Vom Schicksal Oberangbars und weiterer Orte

Boltsa, Bäuerin des Magerhofes bei Wengerich

Die Harschenheide brannte — ein einziges Flammenmeer. Kleinere Brände gibt es in derart trockenen Sommermonden ja immer mal; nicht umsonst nennt der zwergische Schmied von Wengerich den Mond vom Herrn Ingerimm auch Feuermond, aber so schlimm war es noch nie. Sogar die alte Mora konnte sich nicht an so etwas nicht erinnern. Aber erst als wir in der Ferne dieses Ungetüm am Himmel sahen, ahnten wir, dass dies kein gewöhnliches Sommerfeuer war. Das Wesen, ich weiß nicht, was es war, sog die Flammen geradezu gierig in sich auf… und mein Sohn Angbart schwört Stein und Bein, dass er das Biest dabei lachen hörte.

Er floh Hals über Kopf aus Oberangbar und ist seither verschollen: Baron Tradan von Unterangen © BB

Wern Brotil, Büttel zu Oberangbar

Das Verhalten des Herrn Baron war alles andere als koscher und eines Fürstlichen Schlachtreiters würdig. Schon dass er sich geweigert hatte, dem Ruf zu folgen und nach Angbar aufzubrechen, sorgte bei vielen für Stirnrunzeln. Er habe doch dafür zu sorgen, dass seiner Stadt und Baronie kein Schaden zustoße, ließ er verkünden — aber das hielten viele nur für eine Ausrede. Auch hofften wir ja alle insgeheim, dass das Flammenwesen nicht nach Oberangbar kommen, sondern sich vorher nach Südwesten abwenden würde.

Der Baron aber traf insgeheim Vorkehrungen für seine Flucht — wie anders ist es sonst zu deuten, dass er den Stallknechten befahl, die Rösser stets bereit zu halten. Und eine der Mägde erzählte mir, sie habe allerlei Schmuck und Münzen in den Reisemantel des Herrn einnähen müssen.

In der Stadt waren alle wie gelähmt, keiner wollte seinem Tagwerk nachgehen, und wer es tat, sah immer wieder auf zum Himmel, ob sich dort nicht das Flammenwesen zeigte. In der Nacht schlief kaum einer, wir standen Stunde um Stunde auf den Zinnen und hielten Ausschau, bis dann — ich hatte mich gerade in die Wachstube begeben — vom Turm das Hornsignal ertönte. Der Alagrimm erschien am Horizont! Schon sahen wir in einiger Entfernung zwei Heidehöfe in Flammen aufgehen, schon überlegten wir, was besser sei: Flucht ins Freie, wo wir dem Feind ausgeliefert waren, oder Schutz in den Kellern der Burg zu suchen, wo wir ersticken und erschlagen werden konnten — beides erschien uns eine tödliche Falle.

Da hörte ich von unten im Hof eine laute Stimme — es war der Baron, der den Wächtern befahl, das Tor zu öffnen. Er saß im Sattel seines Schlachtrosses, aber nicht, um uns zum Kampf zu führen... Mit einem gut beladenen Packpferd am Zügel preschte er aus dem Burgtor und zur Stadt hinaus, wir konnten ihn von den Mauern aus noch lange sehen und es nicht glauben... Ob er entkam? — Ich weiß es nicht, wir haben nichts mehr von ihm gehört. Doch seine Flucht war unnötig gewesen, denn aus irgendeinem Grund bog der Alagrimm nach Süden ab, ohne Oberangbar anzugreifen. Vielleicht lag es daran, dass es gerade zu regnen begann und diese Efferdsgabe das Wesen schwächte, vielleicht wollten die Feinde sich nicht mit unserer Stadt aufhalten, sondern gleich nach Angbar weiterziehen. Wie dem auch sei — wir danken den Göttern für diese glückliche Fügung!

Gilia Schwarzthann, Scholarin der Draconiter zu Leuwensteyn

Als wir hörten, dass der Unterwald brannte, war uns klar, dass wir schnell handeln mussten. Eilig ließen wir eine Schneise zwischen Kloster Leuwensteyn und dem Forst roden, brachten die wichtigsten Schätze in die steinernen Kellergewölbe, die unter den Priesterkaisern noch als Kerker gedient hatten. Flüchtlinge aus der Umgebung warnten uns, dass die Wesenheit auf uns zukäme. Schnell riefen wir alle hinein, verbargen uns in den Katakomben und warteten.

Dann kam er, der Alagrimm! Bedrohlich dicht schwebte er über uns nach Süden, groß wie ein Lindwurm. Doch Hesinde sei Dank, er beachtete uns ebensowenig, wie die eine Meile von uns entfernt vorbeiziehenden Schergen des Jergenquell. Unser Kloster schien ihnen wohl keine lohnende Beute zu sein — denn fromme Scheu war es gewiss nicht, die sie abhielt. Weiter in den Süden zogen sie, hinab ins nahe Angbar. Die Reichsstadt, das Heiligtum Ingerimms, war also, wie vom Hohen Lehrmeister vermutet, ihr Ziel... Wir beteten zu den Zwölfen, sie möchten den Angbarern beistehen in diesen Stunden, die über das Schicksal einer 1600-jährigen Stadt entscheiden würden.