„Seid Ihr der Schutz des Reiches!“

BURG RUDES SCHILD / GARETIEN. Welche Ehre für das altehrwürdige Haus Eberstamm, das Geschlecht des Heiligen Baduar, dem Großen Hoftag im Götterlaufe 1028 nach Bosparans Fall Herberge bieten zu dürfen! Denn jenes Treffen der Hohen und Höchsten unseres Reiches fand in den alten Hallen der Feste Rudes Schild im garetischen Ochsenblut statt, wo noch kürzlich die Reichsinsignien in der Obhut des treuen und alten Burgvogts Ardo vom Eberstamm ruhten.

Kaum können wir heute schon ermessen, welch weitreichende Entscheidungen für das Schicksal des Mittelreiches auf diesem Hoftage getroffen wurden. Doch das Urteil des Herzogs Jast Gorsam vom Großen Fluss (der als Reichsregent den Hoftag einberufen hatte), dass Rohaja von Gareth die legitime Thronfolgerin sei und sein müsse, war sicher nicht der geringste Schiedsspruch unter ihnen. Eine leichte Entscheidung war dies freilich nicht gewesen, galt doch für tausend Jahre das Gesetz Rauls des Großen, dass nie und nimmer eine Frau den Thron des Neuen Reiches besteigen dürfe — ein Gesetz, das freilich schon mit der Krönung der Zwillingskaiser Bardo und Cella missachtet wurde.

So kam es, dass Königin Rohaja in der Kapitale Gareth zur Kaiserin des Neuen Reiches gekrönt wurde; und auch bei dieser festlichen Zeremonie sollte einem Eberstamm große Ehre zuteil werden — jene nämlich, die neue Kaiserin in den Mantel des Reiches zu hüllen. Kein Geringerer als unser Fürst Blasius legte der jungen Tochter Brins das in unverbrauchtem Blau strahlende1 Krönungsinsignium um die Schultern mit den Worten: „Dieser Mantel sei Euer Schutz, seid Ihr der Schutz des Reiches!“

Fürwahr schwang Rührung in der Stimme Seiner Durchlaucht mit, als er dies sprach — denn er wusste, dass diese Stunde das Schicksal des Raulschen Reiches zum Besseren wenden würde. Großmut und Weisheit jedenfalls hatte die junge Herrscherin bereits bewiesen, indem sie den Greifenfurtern und Koschern ihr Streiten an Seiten Answins verzieh. Mehr noch, sie erkannte dies mit der Erhebung von Fürst Blasius in den Gleichrang mit den Herzögen als treue Tat für das Reich in Zeiten der Ungewissheit und Not an.2

Von jenem 1. Praios 1029 nach dem Falle des hunderttürmigen Bosparan an sollen all die Götterläufe des Zweifels und der Kriege vorüber sein. Mit Kaiserin Rohaja weht die Hoffnung auf eine bessere Zeit durch die Berge und Täler, Wälder und Wiesen, Städte und Länder. Wir jedenfalls wünschen Ihrer Kaiserlichen Majestät allzeit den Segen der Zwölfe! Mögen sie ihrer Regentschaft eine lange Dauer, Glück und Frieden schenken!

Zwölffach hoch Rohaja von Gareth, unsere geliebte Kaiserin!

1 Tatsächlich ließ man für die Krönung Kaiserin Rohajas einen neuen Krönungsmantel fertigen — zum Zeichen für eine neue, bessere Zeit — war doch der alte Umhang, gleich der Grenzen des Reiches, brüchig geworden. Jenen alten Mantel nutzte zwei Wochen danach Selindian-Hal, der jüngere Bruder der Kaiserin, um sich zu Punin seinerseits zum Kaiser erheben zu lassen. Denn er sieht das tausendjährige Recht Rauls, dass nach den Schandtaten der Hela-Horas keine Frau mehr den höchsten Thron besteigen solle, noch immer für gültig an... und man munkelt, dass insgeheim auch mancher im Kosch diese Ansicht vertritt. Mögen die Zwölfe weiteren Zwist verhüten — denn davon hatten wir wahrlich mehr als reichlich! Wir im Kosch tun jedenfalls gut daran uns diesen Streit nicht zu sehr zu eigen zu machen.

2 Tatsächlich galt Rohaja als tot, als der Rabenmunder Greifenfurt vor den Orken rettete und zunächst unzweifelhaft tapfer zum Wohle des Reiches stritt.

Ritter Trest von Vardock