Bewährungsprobe am Trolleck - Rat auf Burg Kystral 02

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Burg Kystral bei Rhôndur, Baronie Metenar im Ingerimm 1033 nach Bosparans Fall

Von außerhalb des Rittersaals konnte mal aufgeregte Rufe der Burgwachen vernehmen. Laute Schritte näherten sich schnell der Pforte zum Saal. Kurz darauf wurde diese aufgestoßen. Balinor von Drabenburg, der Baron zu Bärenfang stand in der Tür.
”Euer Hochwohlgeboren! Verzeiht meine Verspätung.”
Das plötzliche Auftauchen des Barons sorgte für erstaunte Ausrufe und Flüstern. Der Neffe Geros vom Kargen Land, Boronar, welcher bisher nur schweigend die Versammlung mit ernstem Gesicht verfolgt hatte, nickte dem Neuankömmling zufrieden zu, sichtlich erfreut über diese unerwartete Neuigkeit.
"Euer Hochgeboren!", rief Gero, der wie die anderen völlig überrascht war. Doch dann fing er sich, bedenkend, dass es eigentlich am Grafen gewesen wäre, zu sprechen. "Wir schätzen uns dreifach glücklich, Euch hier begrüßen zu dürfen! Erstens, weil Ihr wohlauf seid; zweitens, weil Ihr unsere Reihen verstärkt; und drittens, weil wir durch Euch aus erster Hand mehr über dieses Räubergesindel erfahren können, gegen das seine Hochwohlgeboren und wir, seine treuen Vasallen, vorzugehen gedenken!"
Die Anwesenden konnten sehen, wie der Baron zu Bärenfang nach dem letzten Satz erstaunt die Augenbrauen hochzog. Dann drehte er seinen Blick von Gero vom Kargen Land ab und wandte sich Graf Wilbur zu. Man konnte im Fackelschein jetzt gut erkennen, dass der Baron sehr geschwächt aussah. Tiefe Falten durchzogen das alternde Gesicht.
”Euer Hochwohlgeboren! Wir danken Euch für Euer herzliches Willkommen. Es ist uns eine Ehre Euch zu unterstützen und zu begleiten. Verzeiht jedoch - wir können Euch bisher leider keine näheren Informationen über das Gesindel geben. Wir waren schon lange nicht mehr auf Burg Zwietrutz ob‘n am Trolleck.”
Er setzte zu einer Atempause an, holte tief Luft und wurde dann von einem Hustenanfall geschüttelt.

Graf Wilbur hielt nichts mehr in seinem Stuhl, als er sah, wie sich sein Vasall krümmte. Mit einigen wenigen Schritten war Wilbur bei seinem Lehnsmann und half ihm in einen Stuhl, den Diener eilig herbei getragen hatten. Mit eigenen Händen füllte er Baron Balinor einen Becher mit gutem Ferdoker Bier ab und hielt ihn dem Drabenburger hin.
Balinor griff dankbar zu. Sein Hustenanfall schien überwunden zu sein, doch der Zustand des Barons war alles andere als gut, zwar war Balinor unverletzt, doch die Kleidung des Barons war dreckig und wirkte so, als wäre sie lange getragen worden.
Wo war der Bärenfanger die vergangenen Wochen nur gewesen?
Manche hatten ihn schon mitsamt aller seiner Gefolgsleute für tot erklärt.
Graf Wilbur konnte seine Neugier nicht mehr bezwingen.
”So sprecht doch, was ist euch am Trolleck wiederfahren. Wir erhielten Berichte, dass euer Aufgebot in einen Hinterhalt geraten und zerschlagen worden ist und diese Nachricht ist einige Wochen alt.”
Während sich die anderen sehr um den Baron bemühten, lehnte sich Roban ein wenig zur Seite.
”Immerhin wissen wir jetzt, wo wir das Saupack suchen müssen”, raunte er so leise, dass wohl keiner außer dem Geweihten ihn verstand. ”Wenn man nach Zwietrutz gehen muss, um Informationen über den Gegner zu bekommen, dann wird der ja wohl dort hocken!”
”Wenig erfreulich!” knurrte Answein zurück. ”Eine anständige Feldschlacht wäre mir lieber als eine Burg zu belagern. Außerdem stellt sich die Frage, wo der Ritter Angwart von Zwietrutz steckt, dem die Burg rechtmässig gehört. Und natürlich, was Baron Balinor zugestossen ist, dass er erst jetzt und in diesem Zustand hier auftaucht!”
”Lass Hochgeboren erst mal ein Bier trinken, dann geht es ihm gewiss gleich besser!” schmunzelte Roban, und tatsächlich schien der Schwächeanfall des Barons vorüber zu sein. Zwar war sein Antlitz noch immer leichenblass, doch er saß mittlerweile einigermaßen aufrecht und schien seine Gedanken zu ordnen, um berichten zu können.

Reto stand ein wenig wie ein begossener Aranier da. Aus einer Räuberhatz schien sich eine Burgbelagerung zu entwickeln, wenn dem so war konnte dies leicht einige Monde dauern, doch solange konnte er auf keinen Fall an diesem Feldzug teilnehmen, der zweite Wengenholmische Feldzug war nicht fern. Hätte er doch eben nicht so die Klappe aufgerissen, dann hätte er sich viel einfacher aus diesem Feldzug zurückziehen können. Nun hieß es sich in hesindegefälliger Geduld zu üben und zu sehen, was tatsächlich auf die hier Versammelten zukam.
Der Baron von Bärenfang setzte sich dankbar in den dargebotenen Stuhl. Er nahm einen ersten, kleinen Schluck aus dem Becher, um seinen Hustenanfall zu bekämpfen. Als dies gelungen war, nahm er einen zweiten Schluck und leerte damit das gute Ferdoker in einem Zuge aus. Er bekam wieder leicht Farbe ins Gesicht und schien sich von den Strapazen der Anreise etwas zu erholen.
”Seid nochmals bedankt, Euer Hochwohlgeboren. Und entschuldigt, dass wir Euch so unstandesgemäß unter die Augen treten. Wir wollten Euch und diesen Rat so schnell als möglich erreichen und informieren.”
In einem knappen, militärischen Tonfall erstattet er dann Bericht: ”Zunächst müssen wir Euch mitteilen, dass wir Euch über die Lage am Trolleck nicht viel berichten können, da wir selbst nicht dort waren. Wir kommen gerade von einer Reise aus dem Hinterkosch zurück. Auf meiner Rückreise eilte mir Wohlgeboren Wulfhelm Rondrian Burkherdall, Junker von Schwertschluchtswacht entgegen und unterrichtete mich über den Vorfall am Trolleck und den von Euch einberufenen Rat. Laut ihm ist wohl mein Sohn Bernwart vor einigen Wochen von der :Drabenburg aus in Richtung Trolleck aufgebrochen, um die Lage dort zu klären. Als ihn keine Nachrichten mehr von Ritter Angwart Idamir von Zwietrutz erreicht haben, muss er mit der 3. Rotte des Bärenfanger Bergbanners losgezogen sein. Seitdem gibt es keine Nachricht mehr von ihm.
Wir selbst haben uns daraufhin unmittelbar in einem Eilmarsch mit der 1. Rotte Bärenfanger Bergbanner auf den Weg zu Euch gemacht. Hochgeboren von Schwertschluchtswacht wurde angewiesen die 2. Rotte einzuberufen und in Richtung Trolleck vorauszuschicken, um dort aufzuklären und auf uns zu warten.”
Der Baron zu Bärenfang machte eine kurze Pause, um Luft zu holen.
”Überaus umsichtig von Euch, Hochgeboren”, lobte Answein Grobhand von Koschtal. ”Damit habt Ihr einige Vorschläge, die in dieser Runde vor Eurem Eintreffen gemacht wurden, bereits in die Tat umgesetzt und uns damit einen kostbaren Zeitvorteil verschafft. Wenn der Junker von Schwertschluchtswacht Eure Anweisungen umgesetzt hat, dürfte er Trolleck mittlerweile erreicht und damit wohl auch den Anmarschweg leidlich gesichert haben. Zudem wird er wohl bereits erste Späher ausgesandt haben, mit ein wenig Glück also Informationen über die Stärke des Gegners und den Verbleib Eures Sohnes aufwarten können.”
Der Geweihte erhob sich, was angesichts seines Alters nicht mehr ganz so flüssig ging, wie er es gerne gehabt hätte, und wandte sich direkt an Graf Wilbur.
”Ich schlage also vor, Hochwohlgeboren, möglichst umgehend ebenfalls in Richtung Trolleck aufzubrechen, um Bernwart von Drabenburg Verstärkung zukommen zu lassen. Wir könnten den Troß mit geringer Bedeckung über Koschtal senden, während unsere Streiter zu Pferde auf dem kürzeren Rittersteig gen Trolleck ziehen, um schnellstmöglich die 2. Rotte zu erreichen.”
Answein blickte den Grafen fest an, dem es unter dem strengen Blick des kampfeslustigen Geweihten sichtlich unbehaglich wurde.

”…gen Trolleck ziehen, um schnellstmöglich die 2. Rotte zu erreichen.”
Korisande hörte die Worte durch die geschlossene Tür des Besprechungsraumes, während sie, so schnell sie eben konnte, darauf zuging. Es sah ganz so aus, als wäre die Besprechung schon im vollen Gange. Wieso hatte sich auch das phexverfluchte Hufeisen ihres Pferdes ausgerechnet heute lösen müssen? Jetzt kam sie zu spät!
”So ein verdammter Mist…”, murmelte sie leise vor sich hin.
Nach ihrer letzten Begegnung mit Graf Wilbur, die unter anderem damit geendet hatte, dass sie ihn mitsamt zwei Weinbechern zu Boden gerissen hatte, wollte sie eigentlich einen guten Eindruck machen. Aber damit war es wohl jetzt schon vorbei.
”Und jetzt, gehn wir rein?”
Korisande seufzte.
Richtig – wenn sie selbst es schaffte, sich nicht zu blamieren, würde es dieser Söldner tun. Leider war ihr in Ermangelung anderer fähiger Kämpfer nur die Wahl geblieben, allein am Feldzug teilzunehmen oder aber Kunhag mitzunehmen, der zwar ein guter Kämpfer war, aber so etwa wie Manieren gar nicht zu besitzen schien. Ihr Haushofmeister hatte sie bedrängt, ihn zu entlassen, aber am Ende war er doch in Lutzenstrand untergekommen. Dann war die Nachricht gekommen, es gebe einen Feldzug und sie hatte beschlossen, ihn mitzunehmen.
Korisande wandte sich an den Söldner: ”Ich gehe rein. Du bleibst hier und wartest, bis die Besprechung vorbei ist. Und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du es in der kurzen Zeit schaffen würdest, nicht schon wieder irgendwen zu beleidigen oder sonst einen Unsinn zu veranstalten.”
”Von mir aus.” Kunhag hob die Schultern und blieb im Gang stehen.
”Na dann…” Korisande klopfe an die Tür und öffnete sie dann. Die Anwesenden, darunter auch Graf Wilbur, sahen ihr entgegen. Sie verbeugte sich.
”Hochwohlgeboren, edle Herren und Damen, Rondra zum Gruße und verzeiht bitte meine Verspätung.”
Gero vom Kargen Land ging augenblicklich auf die ehemalige Ferdoker Lanzerin zu, um sie zu stützen, bis sie an einem freien Platz angelangt war. Graf Wilbur war sichtlich erfreut, dass seine Lebensretterin zu der Runde gestoßen war, und hieß sie herzlich willkommen.
Während Gero zu seinem Platz zurückkehrte, ging ihm Zweierlei durch den Kopf. Zum einen war es zu begrüßen, dass Korisande da war. Sie hatte sich als treue Vasallin des Grafen erwiesen und Wilbur vom See hatte jeden, der ihm den Rücken stärkte, bitter nötig.
Zum anderen war es jedoch ärgerlich, dass sie zu spät gekommen war, denn gerade auf der Hausmacht des Grafen würden besonders strenge Blicke liegen.
Boronar vom Kargen Land hob nun zu sprechen an.
"Verzeiht, wenn ich Euren Vorschlag in Frage stelle", wandte er sich an den Geweihten, "aber er scheint mir einige entscheidende Nachteile mit sich zu bringen. Erstens ist unsere Streitmacht verwundbarer, wenn sie während des Anmarsches getrennt wird. Immerhin haben diese Gesetzlosen bereits ein Banner in Gefahr gebracht! Zweitens müssen sich Fußvolk und Reiterei rechtzeitig vorher wieder zusammenfinden. Ich will ganz offen sprechen: Selbst in dieser Runde der Ratgeber und Befehlshaber sind nicht alle pünktlich erschienen. Wie wollen wir also darauf hoffen, dass dies vor der Schlacht geschieht? Ich gebe zu bedenken, dass nicht jeder, sei er auch ein guter Kämpfer, so diszipliniert wie der Geweihte der Leuin auftritt. Außerdem fehlt so mancher gute Krieger, weil seine Durchlaucht und Graf Jallik gen Wengenholm zu den Waffen riefen. Unser Ratschluss muss jedoch mit den Leuten funktionieren, die wir haben."
"Was schlägst Du also vor?", fragte Gero seinen Neffen. Er musste anerkennen, dass Boronars Einwände bedenkenswert waren, selbst wenn er mit seiner Kritik allzu offen gewesen war. Aber alles Gerede war unnütz, wenn daraus kein besserer Plan erwuchs!
"Lasst uns mit allem, was uns zur Verfügung steht, über den Rittersteig gen Trolleck ziehen.", fasste sich Boronar diesmal kurz. Die beiden Verwandten vom Kargen Land warteten ab, was die anderen Anwesenden zu diesen Argumenten und dem Gegenvorschlag erwidern würden.
”Klingt vernünftig”, brummte Roban gerade so laut, dass alle Anwesenden es hören konnten, und tat so, als würde er den finsteren Blick, der ihn von seinem Verwandten geschickt wurde, nicht bemerken.
”Erst recht, wenn man an das Gelände am Trolleck denkt. Mit Reiterei gewinnt man dort wohl keinen Blumentopf, dass Gelände ist bergig, dicht bewaldet und schon für Fussvolk schwer passierbar. Es wäre also ziemlich...unüberlegt”, gerade noch rechtzeitig vermied Roban das Wort ‚dämlich‘, ”unsere ohnehin geringen Kräfte aufzusplittern und anschließend die Pferde am nächstbesten Waldrand oder Berghang zurück lassen zu müssen, weil man nur noch zu Fuß weiterkommt. Ergo pflichte ich seiner Wohlgeboren vom Kargen Land zu.”
Roban schmunzelte ein wenig. ”Auch wenn die Gesetzlosen bislang noch kein ganzes Banner in Gefahr gebracht haben, sondern erst eine oder zwei Rotten.”
Answein nahm wieder Platz und gab ein geringschätziges Schnauben von sich. Man sah ihm an, wie sehr ihn der Widerspruch der zwei Ritter ärgerte – und jener Robans vermutlich ganz besonders!
Graf Wilbur hatte den Ausführungen seiner Gefolgsleute gebannt zugehört. Der Graf war unerfahren in den Dingen des Krieges und konnte allen Rat gebrauchen, den er bekommen konnte. Er schwieg die meiste Zeit, doch man konnte ihm ansehen, wie es in seinem Gehirn arbeitete. Es schien nun, als hätten alle Anwesenden ihre Ratschläge unterbreitet. Es war nun also an ihm eine Entscheidung zu fällen.
Mit ruhiger Stimme ergriff der Graf das Wort und sprach zögerlich: ”Auch mir erscheint es klug unsere Truppen nicht zu entzweien. Gegen den direkten Weg nach Trolleck spricht eigentlich nichts, einmal davon abgesehen, dass der Weg nicht so gut ausgebaut ist, aber er ist ja immer noch für Kutschen passierbar, daher werden wir mit vereinten Kräften auf direktem Wege marschieren. Mir erscheint es wichtig eine starke berittene Vorhut zu formen, damit wir nicht einem Hinterhalt zum Opfer fallen.”
Bei diesen Ausführungen ruckten die Augenbrauen von Polter von Pirkensee hoch. Der Graf war anscheinend nicht ganz so unvorbereitet, wie er gedacht hatte. Er musste vor dem Aufbruch des Heeres ein wenig ”Nachhilfe” im Kriegshandwerk bekommen haben.
”Den Hauptteil unseres Heeres bildet dann der Tross mit den übrigen Truppen, während einige Späher ein Auge auf unseren Rücken haben. Wer immer sich berufen fühlt, mag sich der Vorhut anschließen.”, sprach der Graf, während er zu einigen der Freiwilligen blickte. Es war klar, dass es dem Grafen wichtig war, dass fähige Leute in der Vorhut ritten.
”Heute Abend wollen wir noch einmal schmausen, doch morgen werden wir mit dem Sonnenaufgang aufbrechen und endlich für Ruhe und Ordnung in unseren Landen sorgen.”
Der Rondra-Geweihte würgte seinen Ärger hinunter, der durch die Ankündigung des Festbanketts nicht kleiner wurde.
”Mich drängt es zum Aufbruch”, erklärte er mit mühsam beherrschter Stimme. ”Daher melde ich mich freiwillig für die Vorhut, Hochwohlgeboren. Und falls es beliebt, würde ich mich gern für den Abendschmaus entschuldigen und die Zeit im Gebet an die Herrin Rondra verbringen, um Ihren Segen für das Unternehmen zu erflehen!”
Answein blickte nach rechts. Zwei Sekunden des Schweigens vergingen, ehe Roban begriff, was dieser Blick zu bedeuten hatte.
”Äh, ich melde mich ebenfalls für die Vorhut!” sagte er dann eilig.
Der Geweihte lächelte knapp. Das Roban sich nicht vor Eifer überschlagen würde, war ihm bewusst, ein Grund mehr, den Burschen in seiner Nähe zu halten. So konnte er ihn auf Trab bringen, wenn er allzu bequem wurde.
Gero vom Kargen Land war erleichtert darüber, dass der Graf nicht nur eine Entscheidung getroffen, sondern sie auch gut begründet hatte. Außerdem hatte Answein, dessen Vorschlag letzten Endes nicht angenommen worden war, den Entschluss ohne zu murren hingenommen und sich sogar dafür gemeldet, bei dessen Ausführung an wichtiger Stelle mitzuwirken. Einen Rondrageweihten konnte sich Gero beim besten Willen nicht als Ränkeschmied vorstellen. Daher gab es wohl kaum eine Person, die besser geeignet wäre, auch ohne den Grafen in ihrer Nähe andere in Wilburs Sinn zu führen.
Blieb jedoch die Frage, ob er als Oberhaupt des Hauses vom Kargen Land Teil der Vorhut wurde oder lieber nahe bei Wilbur blieb.
Um das Ansinnen des Grafen zu unterstützen, wäre Ersteres richtig. Aber er war nicht mehr der jüngste und es wäre ebenso wichtig, dass Wilbur um sich herum treue Leute hätte, die ihm in kritischen Situationen beiseite ständen. Doch da wurde Gero die Entscheidung abgenommen.
"Euer Hochwohlgeboren, da Ihr letzten Endes auf den Vorschlag zurückgekommen seid, den ich befürwortete, werde ich nun auch nicht zurückstehen, sondern mit der Vorhut reiten", sprach Boronar ruhig und ernst. Damit war der Weg für Gero frei, um in der Nähe Wilburs zu bleiben.
Reto fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut, nun war zwar eine Entscheidung getroffen worden, wie es weiter gehen würde, aber er wusste eigentlich immer noch nicht was ihn erwarten würde. Auch konnte er weiterhin nicht abschätzen, wie viel Zeit das Vorhaben in Anspruch nehmen würde.
Sollte er sich der Vorhut anschließen, dann wüsste er wohl mit als erstes was sie erwarten würde, allerdings war Jolande nicht gerade das passende Pferd für eine Vorhut auf schlechtem bergigem Terrain.
”Verzeiht mir die Frage, Graf Wilbur, aber die Vorhut wird doch eine Berittene sein? Ich würde mich ihr ebenfalls gerne anschließen, doch meine Tralloper Riesin erscheint mir dazu wenig geeignet. So ihr mir ein passenderes Pferd leihen könntet, würde ich mich der Vorhut anschließen, ” sprach Reto und harrte gespannt auf die Antwort.
Während Reto seine Bitte nach einem – vermutlich kleineren Pferd – an den Grafen richtete, stopfte Roban seine Pfeife und machte sich Gedanken darum, was ihn auf dieser Vorhut wohl erwarten mochte. Bestenfalls gar nichts außer gefährlicher Langeweile, man fand Bernwart von Drabenburg samt seinen Leuten und wartete auf die Hauptstreitmacht. Womöglich konnte man gar auf der Straße bleiben, dann waren Retos Bedenken bezüglich seiner Jolande, die kaum kleiner als seine eigene Girte war, völlig überflüssig.
Schlimmstenfalls musste man das bewaldete Gelände absuchen, dann würde man selbst auf einem Ork-Pony kaum noch vorankommen, ohne ein Regiment Holzfäller, dass vorneweg lief, musste sich den Weg durch einen Belagerungsring aus Wegelagerern freikämpfen oder fand am Ende nur noch die sterblichen Überreste der Bergbanner-Rotte.
Ihn beschäftigte mehr die Frage, wo er Girte lassen konnte, wenn sie wirklich absatteln und zu Fuss weiter ziehen mussten. In der Hinsicht war Retos Idee des Leihpferdes gar nicht schlecht! Einen geliehenen Gaul band man wohl eher leichten Herzens unbewacht am nächsten Baum fest als das eigene treue Ross. Vielleicht sollte er Hochwohlgeboren auch noch um ein kleineres Pferd ersuchen.
Er grinste unwillkürlich.
Dann würden er und Reto als Moorbrücker Pony-Reiterei in die Geschichte des Kosch eingehen!
Zuerst war Etilian erleichtert, dass Gero vom Kargen Land scheinbar nicht vorhatte, sich der Vorhut anzuschließen, wie sein Verwandter.
Er wäre nicht von der Seite des Mannes gewichen, der ihn und seine Schwester so freundlich aufgenommen hatte, doch war er kein Krieger: Keine schwere Rüstung würde ihn im Falle eines Hinterhaltes schützen.
Auf der anderen Seite würde man gerade in der Vorhut einen Heiler bitter nötig haben, wenn es zu einem Übergriff durch die Banditen kommen sollte. War Gero nicht wesentlich besser geschützt - hier in der Nähe des Grafen - auch ohne sein Zutun, als die Vorhut es war?
Wenn es zum Schlimmsten kommen sollte... würde er sich nicht immer fragen müssen, ob er den Tod von Vielen hätte vermeiden können? Der Graf würde sicherlich von mindestens einem Heilkundigen begleitet werden, der sich möglicher Verwundeter annehmen konnte.
Schließlich rang sich der Adlige zu einer Entscheidung durch und trat ein wenig vor: "Euer Hochwohlgeboren, mit Eurer Erlaubnis würde ich mich ebenfalls zu jenen gesellen, die die Vorhut bilden wollen."
Graf Wilbur nahm erleichtert wahr, dass seine Befehle auf keinen Widerspruch gestoßen waren und sich genug Freiwillige für die Vorhut gemeldet hatten.
Die Anfrage Reto von Tarnelfurts überraschte ihn jedoch. Hilfesuchend blickte er seine Getreuen an.
Vogt Hernobert von Falkenhag lächelte ihm aufmunternd zu, doch ergriff der Falkenhager nicht das Wort.
Polter von Pirkensee blickte konzentriert auf die Karte und schien in Gedanken schon am Trolleck zu sein. Er wirkte düster, wie eigentlich schon die ganze Zeit, die er hier gewesen war. Man merkte dem Anführer der Hügelländer Spießgesellen durchaus an, dass es ihm wenig schmeckte, sein Blut für Graf Wilbur vergießen zu müssen.
Die Anführerin von Wilburs Leibgarde Dorinde von Cellastein blickte Wilbur ebenfalls freundlich an, aber sie schien nicht verstanden zu haben, dass der Graf ihre Hilfe brauchte. Dorinde war manchmal nicht die hellste, konstatierte Wilbur nüchtern.
Sein Blick wanderte weiter und traf den von Baronin Ina Lacara zu Metenar.
Die Baronin begriff und antwortet für den Grafen: ”Wohlgeboren ihr unterschätzt die Qualität des Weges. Der Weg sollte vollkommen ausreichen, um dort mit einer Schwadron Schlachtreiter durchzuziehen. Abseits des Weges sieht das natürlich anders aus, aber im Gehölz ist mit keinem Pferd ein Durchkommen. Euer Tralloper Riese ist damit genau die richtige Wahl.”
Wohlwollend lächelte sie den Tarnelfurter an.
Nachdem sich noch einige andere Anwesende zur Vorhut gemeldet hatten hob Graf Wilbur die Versammlung auf. Die Truppenführer machten sich daran ihre Kontingente für den morgigen Marsch zu instruieren. Der kleine Schmaus am Abend fiel dementsprechend kurz aus. Die meisten Anwesenden zogen sich früh ins Bett zurück, um für den morgigen Tag ausgeruht zu sein.