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Aktuelle Version vom 11. April 2024, 19:51 Uhr
Auf Flussvaters Rücken
Ein Reisebericht Seiner Hochwürden Grimo Steinklaue
Im Herbst anno 1030 BF hatte ich die Ehre, in Gerrun Hochwürden Grimo Steinklaue von Orgils Grab zu treffen, einen Geweihten der Rondra, der inzwischen einen Tempel im Hinterkosch leitet. Er war es auch gewesen, der mir von dem neuerlichen Ding in Donken berichtet hatte (siehe KK 45, S.9). Daneben waren Seine Hochwürden so freundlich, mir auch einen Reisebericht zur Fahrt von Nadoret den Großen Fluss hinunter zu überlassen, um ihn der geneigten Leserschaft zugänglich zu machen. Begleitet wurden Hochwürden Steinklaue von seiner Gefährtin Marsilea (welche ganz und gar keine Rondrianerin ist!), seiner kleinen Tochter Iris Melixa sowie der Pelzhändlerin Frau Rothenloh. Ich habe mir erlaubt, den Bericht hier und da etwas zu straffen und da und dort erklärende Worte einzufügen. Es ist sehr zu hoffen, dass sich auch für die vielen Meilen oberhalb Nadorets noch eine Beschreibung für den Großen Fluss finden wird! Leider konnte ich bislang auch nicht in den Besitz einer solchen Flusskarte kommen, wie sie Hochwürden erwähnt.
Gerrun und die Suche nach einem Schiff
Bis heute weiß ich nicht, ob Gerrun so etwas wie einen Hafenmeister hat. Der „Hafen“ ist jedenfalls mehr eine befestigte Treidelstation und Anlegestelle für die Flussfischer. Eine kleine Bastion mit kräftigen Mauern und einem gedrungenen Turm lassen ihn größer und bedeutender erscheinen, als er ist. Bis heute kann der Große Fluss hier durch eine Kette gesperrt werden.
Unsere Suche nach einer Mitfahrgelegenheit hatte sich schon am Tag unserer Ankunft herumgesprochen. Kleine Versprechen Meisterin Rothenlohs sorgten dafür, dass man uns sofort benachrichtigen wollte, wenn sich eine finden sollte. Ein großes Floß, das die Bodrin heruntergekommen war, hätte uns bis Drift mitgenommen (die Flößer hatten vor Gerrun anhalten müssen, um einem Segelschiff flussauf die Fahrtrinne freizumachen), aber das hatte Meisterin Rothenloh dann doch abgelehnt. Andernfalls hätte wahrscheinlich ich das getan. Ein Floß aus kräftigen Stämmen kann zwar durchaus Vieh oder Wagen mitnehmen, aber wer einmal auf so einem knirschenden, schwankenden Treibgut mitgefahren ist, das an Strudeln manchmal eine Handbreit unter Wasser abtaucht, der verzichtet gern auf ein weiteres Vergnügen dieser Art.
Am zweiten Morgen nach unserem Besuch auf der Wacht kam ein Mädchen angerannt: Ihr Vater wüsste ein Schiff, auf dem wir mitfahren könnten, wir sollten uns aber eilen! Ich nutzte die Gelegenheit, um meinem Hengst Rapunzel (und mir) etwas Spaß und Bewegung zu verschaffen, und ritt — ohne Sattel, das Mädchen vor mir — schleunigst zum Hafen. Dort fand ich aber wirklich nur den Vater des Mädchens vor, einen Fischer aus Drakfold auf der anderen Flussseite, der mir in der gemütlichen Koscher Art geruhsamst mitteilte, er habe gehört, dass wir ein Schiff suchten, das uns (usw. usf.), und wie er nun in Nadoret gewesen sei, habe er dort gehört... — Ich versuche gar nicht erst, den Bericht des baven Mannes — EFFerd schenke ihm noch viele Fische! — in seiner epischen Breite hier zu wiederholen, sonst werde ich bis zum Abendessen nicht fertig, oder meine Feder galoppiert vor Ungeduld davon. Jedenfalls erfuhr ich, dass — nein, nicht in Gerrun, sondern in Nadoret ein Schiff aus Ferdok liege, das bis „in den Hinterkosch und wohl weiter“ fahren sollte. Der Schiffer wolle kurz nach der PRAiosstunde ablegen. Selbigen Tags, versteht sich. — Ich verlor kostbare Zeit, um herauszufinden, dass das Schiff keineswegs in Gerrun anlegen würde und dass es bis Nadoret „so an die drei, vier Stunden wohl“ wären. Wenn wir Glück hatten, galt das zu Fuß oder gegen die Strömung gerudert, wenn nicht, besorgte ich Meisterin Rothenloh am besten einen Streitwagen und unserem Maultier Funiquatsch... Räder unter den Hufen? Diesmal ritt ich zum Bunten Ross im Galopp zurück (es war auch kaum jemand auf der Straße, und ein paar Hühner gingen rechtzeitig zur Seite). Wir packten und zahlten in solcher Hast, dass Frau Rothenloh nicht einmal zum Feilschen mit dem Wirt kam (was nichts machte, weil sie das längst getan hatte). Durch Gerrun fuhren und ritten wir noch in einigermaßen anständigem Trab, dahinter trieb sogar Meisterin Rothenloh ihre beiden Zugrösser in Galopp — ein beeindruckender Anblick! (Den wir allerdings schon von einigen früheren, weniger beabsichtigten Gelegenheiten her kannten, worüber ich allerdings versprochen habe zu schweigen. — Leider!)
Versteht sich, dass wir nicht die ganze Zeit galoppierten. Aber wir brauchten, glaube ich, keine drei Stunden bis Nadoret. Wir kamen etwa zur ersten RAHjastunde an, was sich als gut erwies, da die Ferdoker Gild-Fasz (in der Tat ein Schiff der Ferdoker Brauergilde und bauchig genug, dass der Name passte) schon vor (und nicht nach) der PRAiosstunde ablegen sollte.
Wir wurden sehr höflich, geradezu erfreut empfangen, was uns stutzig machte. Mit einer Mischung aus Schlitzohrigkeit und Treuherzigkeit, die uns völlig entwaffnete, erklärten uns Sibil Arbsenstroh, der Schiffer, und Effemera Krüsenpolt, eine mitfahrende Vertreterin der Gilde, warum sie uns mitzunehmen gewillt, ja, überhaupt ermächtigt wären: Beim Abladen einiger Fässer habe es ein bedauerliches Unglück gegeben, und nun benötige man noch ein kräftiges Zugpferd, um im nächsten Hafen die Winde des Schiffskrans betätigen zu können. (Sie hatten tatsächlich einen auf dem Schiff eingebaut; offenbar traut die Gilde den Trägern und Hebevorrichtungen in den angelaufenen Häfen nicht so ganz.) Wegen des Unglücks sei auch ein Wagen ausgefallen, weshalb man jetzt Platz für einen anderen habe. Und von meiner Ehrwürdigkeit (ich berichtigte natürlich gleich und frage mich bis heute, ob Knappen der RONdra so selten reisen oder so oft unter falschem Titel?!) insbesondere erhoffe man sich Beistand, im Falle, dass es, wie in letter Zeit zuweilen geschehen, zu Versuchen komme, sich unrechtmäßig in den Besitz etlicher Fässer guten Ferdoker Bräus zu bringen. (Frau Krüsenpolt redete noch ein bisschen geschraubter, das bekomme ich aber nicht mehr hin. Um einen früheren Lehrer von mir in Rotenzenn zu zitieren: „Pff! Pfeffersäcke und Bierfasskutscher!“) Es gab noch ein bisschen Hin und Her, was die Mitnahme der zusätzlichen Pferde (vor allem des Maultiers) und der „zusätzlichen Personen“ anging, aber Ersteres regelte Meisterin Rothenloh, Letzteres ich. Ich schätze, Meisterin Rothenloh (die Platz und Tragkraft von Schiffen ganz gut einschätzen kann) stellte die Gild-Fässler schlicht vor die Wahl, mehrere oder gar keine Pferde an Bord (und an der Kranwinde) zu haben. Ich für meinen Teil brauchte nur anzumerken, dass die „zusätzlichen Personen“ meine Gemahlin und meine Tochter seien. Danach wurden die Fahrtentgelt-Forderungen durch weit respektvollere Bemerkungen abgelöst. Na also!
Von Nadoret nach Grantelweiher
Viel schneller als auf der Hinfahrt zogen die Ufer jetzt in umgekehrter Richtung an uns vorbei. Wir passierten Borking, einen kleinen Ort, den wir auf der eiligen Fahrt nach Nadoret kaum wahrgenommen hatten, dann wieder Gerrun. Ich grüßte mit meinem Schwert Steinklaue hinauf zur Wacht. Um die kümmerten sich die Schiffsleute nicht weiter, dafür umso mehr um eine kleine bebuschte Felseninsel gegenüber von Gerrun, vor der sie Schutzzeichen schlugen. Das sei die Namenlose Insel, sagte man uns, als wir fragten, und erzählte gleich noch ein paar schaurige Geschichten. Herr Arbsenstroh, der ganz begeistert war, dass ich mehr über sein Land wissen wollte, benannte mir die vorüberziehenden Dörfer und zeigte mir vieles auch noch einmal auf einer Fluss-Karte, die er in seiner Schifferstube hängen hat. Alle Orte, wichtigen Stationen, Inselchen und Klippen sind darauf verzeichnet. Das muss eine enorme Arbeit gewesen sein, das alles zusammenzutragen!
In einem ziemlich heruntergekommenen Ort namens Grantelweiher, der einen nicht viel größeren „Hafen“ als Gerrun hat, legten wir zur Nacht an. Da es hieß, es sei für diese Nacht keine bequeme Herberge zu bekommen, und auch Herr Arbsenstroh auf der Gild-Fasz nächtigte, blieben auch wir einfach an Bord. Immerhin gab es zum Abendessen frischen Fisch. Der Ort ist eigentlich sogar Stammsitz des dortigen Barons, aber überall hat sich dieser verfluchte Sumpf ausgebreitet, kein Wunder, dass der Ort verarmt.
Von Grantelweiher zur Heroldswacht
Früh am andern Morgen weckte mich Brüllen, Kläffen und Keifen von Rindern, Menschen und einem Hund. Zwei oder drei Treidler und die Leute eines Flusskahns waren in Streit geraten und beschimpften und prügelten einander und ihre Tiere. Bevor ich überlegt hatte, ob, wie und für wen ich eingreifen sollte, kamen schon Hellebardenträger an und trennten die Streithähne (und -hennen). Wir legten kurz darauf ab, ich hoffe, es hat sich jemand um die Zugochsen und den Hund gekümmert! (Marsilea lag mir noch eine halbe Stunde danach in den Ohren, dass wir wenigstens für die armen Tiere was hätten tun sollen. Was, konnte sie mir allerdings auch nicht sagen.)
Unterhalb von Grantelweiher kamen wir an eine große Flussbiegung mit Felsen und Sandbänken, fast noch schlimmer als die vom Darpat beim Gluckenhang|er Rabensberg. Von Südost mündet dort die Warna in den Großen Fluss, im Westen erhebt sich auf einer hohen Klippe, dem „Schetzeneck“, die Burg Herolds Wacht. Ich hielt sie erst für eine Ruine, sah dann aber doch Fahnen, Rauch und Leute.
Auch zur Heroldswacht erzählte mir Herr Arbsenstroh einiges. Dass sie eigentlich gräflich, aber von einem Baron Uztrutz besetzt sei, und noch eine Sage von einem Burgsassensohn, der sich aus Liebe zu einer Fischerstochter die Klippe hinuntergestürzt hatte und bis heute manchmal als Geist im Wasser erscheint. Eigentlich müsse ihn nur eine junge Fischerstochter ins Boot ziehen, dann sei er erlöst, aber wer sei schon so verrückt, sein Boot in die Strudel bei der „Haiflosse“ am Fuß dieses Felsens zu lenken? Einmal, „vor vielen hundert Jahren“, habe es eine junge Fischerin versucht, doch ihr Schiff zerschellte an den Felsen. — Ich glaube, Herr Arbsenstroh meinte am Ende, mir gingen diese Geschichten zu Herzen, weil er mich so seltsam ansah und gleich versicherte, es gäbe auch lustigere Mären. Dabei musste ich bloß an meinen Vater denken und wie lebhaft er diese Sagen erzählt hätte!
Der Bericht Hochwürden Steinklaues wird im Kosch-Kurier Nr. 47 fortgesetzt.