Zwei Bolzen und ein Boronrad - Das Brückenfest an der Sindel

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15. Tra 1040 BF am Mittag
Das Brückenfest an der Sindel


Kapitel 1

Die gestohlene Armbrust
Autor: Geron

Hügelsaum, 15. Travia 1040 BF

Gamsbart lief der Schweiß in Strömen ins Gesicht. Das lag weniger an den Temperaturen, immerhin war es ein angenehmer Herbsttag, sondern vielmehr an den Menschenmengen, die zum alljährlichen Brückenfest unterwegs waren. Die Leute waren aus dem Umland zu Hunderten herbeigeströmt, um die Auslagen der ortsansässigen und fremden Händler und Handwerker zu bestaunen, die ihre Stände auf dem Marktplatz und auch auf der Festwiese aufgebaut hatten.
Gamsbart hatte Mühe, sich einen Weg zu bahnen, freilich machte man ihm Platz, wenn Leute ihn erkannten oder das Dachswappen des Barons erblickten, aber in dem großen Gedränge war trotzdem kaum ein Vorankommen. Endlich hatte er sich einen Weg nach vorne gebahnt. Dort standen zwei seiner Leute, unterstützt von einigen Bewaffneten der barönlichen Garde, und hielten die ungeduldige Menge zurück. Zu Hunderten waren die Leute gekommen, um die Vorstellung der Schausteller zu sehen, die ihre Tribüne hier am Rand der Hügelsaumer Festwiese aufgebaut hatten. Noch aber mussten sie warten, denn der Baron selbst und einige weitere Edle hatten sich angekündigt.
Schließlich bildete sich eine Gasse in der Menge und Baron Erlan, seine Gattin Alvide und auch der Edle Thalian Has und seine Gattin sowie einige andere adlige Gäste und Gefolgsleute schritten hindurch. Gamsbart und seine Leute ließen den Baron natürlich sofort passieren und hatten dann alle Hände voll damit zu tun, wenigstens den Anschein von Ordnung aufrechtzuerhalten, als die Menschenmenge den adligen Gästen hinterherdrängte.
Ein Stundenglas später aber hatte Gamsbart alle Anstrengungen bereits wieder vergessen. Die Sindelsaumer, Hügelsaumer und all die anderen saßen andächtig auf den Bänken und dem Gras und verfolgten gebannt die Vorstellung der Schausteller. Gamsbart ging es nicht anders, denn die Vorstellung war wirklich gut. Gerade eben noch hatte ein Feuerspucker die Menge in Atem gehalten und nun balancierte ein kleiner Hund gekonnt auf einem rollenden Fass. Gamsbart hatte den drückenden Gürtel gelockert und hatte sich selbst auf eine der letzten Bänke gesetzt, um das Spektakel zu verfolgen. Dabei ließ er sich den Inhalt des kleinen Proviantkörbchens schmecken, den seine Alma ihm mitgebracht hatte. Seine Gattin saß weiter unten in Begleitung des schmierigen Schreiberlings Wilfing Haubenschreier. Gamsbart hätte sich nur zu gerne zwischen die beiden gedrängt, aber er war ja im Dienst, musste also wenigstens so tun, als würde er hier manchmal arbeiten. Gerade fiel ihm die Arbeit natürlich eher leicht, das mochte wohl auch an dem Lauchkuchen liegen, den er sich gerade in den Mund stopfte, während er die Vorstellung genoss.

Zwei weitere Stundengläser später nahm die Vorstellung unter dem donnernden Applaus der Gäste ihr Ende. Langsam zerstreute sich die Menge. Alma und der Schmierfinke Wilfing hielten dabei geradewegs auf Gamsbart zu. „Hast du denn was sehen können, Schatz, oder musstest du die ganze Zeit schaffen?“, fragte ihn seine Gattin.
„Es ging schon. Aber Dienst ist halt Dienst.“, antwortete Gamsbart. Wenn er hier richtig vorging, würde Alma mit ihm Mitleid haben und heute Abend etwas besonders leckeres kochen. „Ein paar Mal musste ich schon für Ordnung sorgen.“, setzte er daher hinterdrein. Alma nickte verständig, während sich Wilfing den Korb griff, den Alma ihm vorhin mitgegeben haben. Ein kurzer Blick genügte dem Halunken. „Hier im Korb hast du aber auch ganz schön für Ordnung gesorgt, nicht wahr?“ Dabei tätschelte er Gamsbart den Bauch. Der lief purpurrot an und wollte zu einer Entgegnung ansetzten, als Wilfing Alma bereits den Korb in den Arm drückte und sich aufmachte. „Ich muss noch was Berufliches erledigen. Der Magister Eulrich von Bärenstieg hat noch was Dringliches bei mir in Auftrag gegeben gehabt.“ Sprach's und weg war er.
Gamsbarts Gesichtsfarbe normalisierte sich langsam wieder. „So dringend kann's nicht gewesen sein, wenn er sich erst die Vorstellung angeschaut hat.“, nörgelte er.
„Ach komm, jetzt sei nicht so.“, sagte Alma und gab ihrem Gatten einen Klaps auf den Arm, „ist doch nett, dass er mir Gesellschaft geleistet hat, obwohl er doch so viel wichtiges zu tun hat.“
Gamsbart nickte resigniert. Auf ihren Bruder ließ Alma nichts kommen und das, obwohl er selten eine Gelegenheit ausließ, um Gamsbart das Leben schwer zu machen. Er war Wilfing nie gut genug gewesen für seine kleine Schwester.
„Also schaff's gut.“, sagte Alma, drückte ihrem Gatten einen Kuss auf die Wange und eilte davon.
Gamsbart seufzte resigniert und überwachte dann mit wichtiger Miene, wie sich die Menge zerstreute. Einer der Waffenknechte des Barons, Marbold Eschengrunder, schlenderte betont langsam zu Gamsbart herüber. „Und, gibt’s noch was?“, fragte der Waffenknecht, ohne Gamsbart richtig anzusehen. Es brauchte keine feine Spürnase um zu merken, dass es dem Soldaten nicht passte, sich für die Tage des Brückenfestes von Gamsbart herumkommandieren zu lassen, aber so hatte es der Baron eben beschlossen und daran konnte auch Marbold nichts rütteln. Er, Gamsbart, war der Dorfwaibel und der Baron hatte ihm ein Dutzend seiner Waffenknechte unterstellt, damit sie ihm halfen, hier beim alljährlichen Brückenfest die Ordnung aufrechtzuerhalten. Der Dienst war bei den Waffenknechten unbeliebt, hatten doch die, die Gamsbart nicht helfen mussten, frei und konnten sich auf dem Markt vergnügen. Der Rest musste sich für die drei Tage des Festes von einem Dorftrottel sagen lassen, wo es langging. Gamsbart wusste das alles und die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Die Waffenknechte hielten sich einfach für etwas Besseres und das, obwohl der Knilch hier nicht mal Koscher war und erst seit ein paar Jahren hier lebte.
„Ja, allerdings gibt’s noch was zu tun.“, sagte Gamsbart daher mit wichtiger Miene. „Du machst jetzt noch einen Rundgang um die Weiden, nicht dass uns noch jemand ein paar Kühe oder Schafe klaut.“
Marbolds Gesicht war deutlich abzulesen, was er von dieser Aufgabe hielt, aber er trollte sich.
Nachdem sich die Menge endlich wieder zerstreut hatte, machte Gamsbart sich daran, die Essensauslagen der Markstände zu inspizieren. Er hatte zwar eigentlich keinen Hunger mehr, aber so ein kleiner Nachtisch wäre sicher nicht verkehrt. Immerhin hatte er sich eine gefühlte Ewigkeit die Beine in den Bauch gestanden. Gerade überlegte er, ob er sich für ein Himbeertörtchen oder doch lieber den Käsekuchen entscheiden sollte, als ihm jemand recht kräftig am Ärmel zog. „Du, Gamsbart.“ Genervt verdrehte der Angesprochene die Augen. Was wollte Wilfing denn nun schon wieder? Unwillig drehte der Dorfwaibel sich um und stutzte. Der sonst so aufschneiderische Schreiber war ganz weiß um die Nase.
„Was ist denn mit dir? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“
Wilfing schluckte. „Komm mit, das musst du dir ansehen.“ Mehr sagte er nicht, sondern machte sich eilig Richtung Norden auf. Gamsbart hatte Mühe, mit dem Schreiber Schritt zu halten. Immer mehr breitete sich in Gamsbarts Magengegend ein flaues Gefühl aus. Ihr Marsch dauerte kein halbes Stundenglas, dann kam das kleine Haus am Sindelufer in Sicht, welches der Magier Eulrich von Bärenstieg vor ein paar Jahren bezogen hatte.
Wilfing führte ihn nicht in das Haus herein, sondern schnurgerade darum herum. Und deutete auf die Gestalt, die zusammengesackt auf dem Boden des Kräutergartens lag. Zwei Armbrustbolzen ragten ihm aus dem Rücken heraus. Gamsbart war mit einem Mal ganz schwindelig. All die Details stürmten auf ihn ein. Die Blutlache, die Fliegen, die vielen Gerüche des Kräutergartens. Er musste sich setzen. Es blieb in seiner Tätigkeit nicht aus, dass er ab und an mal Tote sah, aber jemanden, der kaltblütig ermordet worden war, so etwas hatte es hier noch nie gegeben.
Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder soweit im Griff hatte, dass er glaubte, wieder sprechen zu können. „Geh wieder nach Sindelsaum zurück und mach beim Dachsbau Meldung“, ordnete er mit belegter Stimme an. Wilfing widersprach ihm diesmal nicht und machte sich sogleich wieder auf den Weg.

Es kam Gamsbart wie eine Ewigkeit vor, bis Baron Erlan Höchstselbst begleitet von seiner Gattin und dem Edlen Thalian Has sowie einer ganzen Reihe von Bewaffneten eintraf. Bis dahin hatte sich Gamsbart bereits wieder etwas erholt und sich schon etwas im Haus des Magiers umgesehen, aber da schien nichts zu fehlen. Einen Raubmord konnte man also ausschließen.
Betreten standen die frisch Eingetroffenen im Kräutergarten des ermordeten Magiers und hörten noch einmal Wilfing bei seinem kurzen Bericht zu. Nach der Vorstellung der Schausteller hatte er noch schnell eine dringliche Auftragsarbeit beim Magier abgeben wollen und ihn dann so vorgefunden.
Die Baronin Alvide von Eichental hatte ihre Fassung am schnellsten wiedergefunden und ließ ihre Leute auf Spurensuche ausschwärmen.
Gamsbart betrachtete dabei weiterhin gedankenversunken die Leiche. Der Magier hatte keine Gegenwehr gleistet, soviel stand fest. Entweder hatte er zu fliehen versucht oder der oder die Mörder hatten ihn einfach hinterrücks erschossen.
Baron Erlan von Sindelsaum war dazugetreten und betrachtete den toten Magier mit traurigen Augen. „So eine brutale Bluttat hier in meiner Baronie. Das darf nicht sein. Der Schuldige dafür muss schnellstens dingfest gemacht werden, Gamsbart. Ich habe da vollstes Vertrauen in dich.“
Gamsbart musste schlucken. Na toll! Die hohe Erwartungshaltung des Barons machte ihn sogleich wieder nervös, trieb ihn aber auch an, sich vom Anblick des Toten zu lösen und nach Spuren umzusehen.
„Hier sind Fußspuren.“, rief da der Edle Thalian Has und deutete auf einige Abdrücke im Erdreich des Gartens. Gamsbart betrachtete die Abdrücke genau. Irgendetwas stimmte hier nicht, aber er war sich noch nicht klar darüber, was es war. „Seltsam ungelenk.“, murmelte Thalian und Gamsbart nickte. Vielleicht hatte der Täter ja versucht, sich möglichst leise durch die Beete anzuschleichen.
Sie suchten noch eine ganze Weile nach weiteren Spuren, fanden aber keine.
Am frühen Abend machte sich die ganze Gruppe dann wieder auf den Heimweg. Die Baronin war bereits aufgebrochen, um weitere Bewaffnete aus Barabein herbeizubringen, denn alleine die Befragung der vielen Hundert Anwesenden würde vieler Personen bedürfen. Obwohl Gamsbart dabei gar nicht wohl war, hatte Baron Erlan ihn an die Spitze der Untersuchung gesetzt. Immerhin hatte er in der Vergangenheit bereits einige Verbrechen aufgeklärt. Dass es sich dabei eher um gestohlene Hühner als ermordete Magier gehandelt hatte, schien den Baron nicht weiter zu stören.
Am Dachsbau angekommen trafen sie auf die Waffenmagd Lana Lindgrün, die vermeldete, dass ein zwergischer Söldner seine Armbrust als gestohlen gemeldet hatte.
Erlan warf Gamsbart einen vielsagenden Blick zu und der Dorfwaibel machte sich gemeinsam mit Lana zu dem Zwergen auf, während das übrige Gefolge des Barons ausschwärmte, um weitere Erkundigungen einzuholen. Der Zwerg war gemeinsam mit zwei weiteren Erzzwergen in einer Scheune untergekommen, in der auch ein Wagen stand. Er stellte sich als Hamosch Sohn des Hagrim vor und erklärte kurz angebunden, seine Armbrust in der Scheune gelassen zu haben, als sie auf den Markt gegangen waren, um sich etwas umzusehen. Er und sein Bruder Harosch würden den Händler Angralosch begleiten, immerhin verkaufte dieser sehr wertvolle Schmiedewaren aus Koschim. Ihre Armbrüste hatten sie auf den Markt nicht mitnehmen wollen, denn sie hatten nicht gedacht, dass es hier im ruhigen Hügelland Probleme mit Dieben gäbe. Der Händler Angralosch ergänzte, dass ansonsten außer ein paar Bolzen rein gar nichts gestohlen worden sei. Die drei Zwerge waren äußerst aufgebracht. So etwas wäre daheim unter der Erde nie passiert, erklärten sie dem überforderten Gamsbart. Mit den strengen Erzzwergen hatte er in der Vergangenheit wenig zu tun gehabt, aber nachdem er sich von Harosch seine baugleiche Armbrust hatte zeigen lassen, versprach er, sich um den Diebstahl zu kümmern.