Zur Ehre Grimsaus - Ein Reh ohne Namen

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Etwas nördlich von Grimsaus Ehr, 2. Tag des Namenlosen 1034 BF

"Jetzt komm schon!" Xerber zischte leise in Richtung der Dunkelheit, in der er Dorlen wusste. "Oder hast du etwa Angst?"
"Ja, die habe ich. Mir geben fast die Beine nach deswegen." Dorlen blickte unsicher und fast etwas gehetzt hinter sich. "Bist du dir sicher, dass hier im Wald nichts geschehen kann?"
Xerber lachte. "Dann halt dich an mir fest, damit du nicht umfällst, du verschrecktes Reh. Und ich hoffe doch, dass heute Nacht noch etwas geschieht!" Er zog Dorlen an sich und küsste sie inbrünstig. Nach kurzer Gegenwehr erwiderte Dorlen den Kuss.
"Du bist ein dummer Mann, Xerber Korber. Aber durchaus attraktiv." Dorlen musste lächeln. "Auf jeden Fall nicht so langweilig und mit zwei linken Händen gesegnet wie Kalman."
"Ich werde dir gleich beweisen, wie geschickt meine Finger sein können." Er drehte Dorlen um, und begann ihr Mieder aufzuschnüren.
"Bist du dir sicher, dass uns niemand hören kann?" Dorlen verschränkte die Arme vor der Brust und blickte über ihre Schulter.
"So weit, wie wir von der Palisade weg sind, bin ich mir sicher, sie werden nichts hören. Egal wie laut du wirst, Dorlen Hullheimer."
Xerber streifte Dorlens Mieder herab und seine Augen verrieten, dass seine Beherrschung nicht mehr allzu lang halten würde. Dorlen drehte sich zu ihm hin, und drückte Xerber an sich. Sanft glitten sie zu Boden.


"Was war das?" Dorlen zuckte zusammen, richtete sich auf und griff nach ihrem Leinenhemd.
Xerber, noch schweißnass und im Überschwang der Gefühle nach dem gerade vollendeten Akt blieb liegen und lauschte. "Ich höre nichts. Du musst dir etwas einbilden. Deine Sinne spielen wohl noch etwas verrückt. So verrückt, wie ich nach dir bin." Er umarmte Dorlen und begann, ihren Nacken mit Küssen zu bedecken.
"Lass das. Ich habe etwas gehört." Dorlen löste sich aus der Umarmung. "Da! Da war es wieder!" Diesmal hatte auch Xerber das Knacken gehört.
"Du hast Recht. Wird wohl ein Tier sein, das nachts herumstreift." Xerber stand auf und kleidete sich schnell an, ebenso wie Dorlen.
"So lange es nur ein kleines Tier ist, und kein Untoter! Ich wusste doch, dass es eine dumme Idee war, in den Wald zu gehen!" Dorlen begann zu zittern.
"Die Untoten treiben sich nur im Süden der Siedlung herum, nicht so weit nördlich! Und wäre es dir lieber gewesen, wir hätten das im Dorf gemacht, vor dem Rahjaschrein?" Xerber blickte sie verärgert an. "Vielleicht hätte unsere Geweihte das ja sogar gut gefunden."
Es knackte erneut. "Lass uns gehen, Xerber. Ich habe wirklich Angst."
"Du kannst ja gehen. Ich will wissen, was das ist. Zum Schluss ist es der perverse Erzian, der uns hier beobachtet hat." Xerber wandte sich in Richtung des Geräusches. Dorlen folgte langsam.
Nur wenige Schritte weiter gab der Boden unter Xerber nach. Er stürzte tief, ein scharfer Schmerz fuhr ihm durch die linke Wade und ein Schrei entrang sich seiner Kehle.
"Xerber!" Dorlen eilte an den Rand des Loches, das sich unter dem Korbflechter aufgetan hatte und blickte nach unten. Xerber lag in einer Falle, das linke Bein von einem ellenlangen Spieß durchbohrt. "Oh, Götter!" Erschrocken zuckte sie zurück.
"Reich mir deine Hand und hilf mir hier raus!" Xerber konnte vor Schmerzen kaum klar denken. Dorlen legte sich neben die Fallgrube und streckte ihre Hand zu Xerber, der danach griff. Doch gleich, wie sehr sich Dorlen auch anstrengte, ihre Kraft reichte nicht, den Verletzten aus der Grube zu ziehen.
"Ich schaffe es nicht!" Tränen liefen aus rehbraunen Augen. Tränen der Anstrengung und Verzweiflung.
"Dann lauf ins Dorf und hole Hilfe!" Xerber biss auf die Zähne.
Dorlen stand auf und trat einen Schritt zurück. "Und wie soll ich erklären, was du hier gemacht hast und woher ich weiß, dass du hier unten liegst?" Sie schüttelte den Kopf. "Dann kann ich gleich im Dorf verkünden, dass ich Travias Eid gebrochen habe." Sie ging einen weiteren Schritt zurück. "Es tut mir leid, aber das kann ich nicht machen." Sie drehte sich um. "Halte die Nacht durch. Morgen wird deine Frau dich wohl vermissen. Dann werde ich die Suche in deine Richtung leiten." Und sie begann schluchzend in Richtung des Dorfes zu laufen.
"Dorlen! Wage es nicht! Ich bin verletzt!" Xerber begann zu schreien. "Dorlen!"
Doch Dorlen hörte ihn nicht mehr, wollte ihn nicht mehr hören.
Nach einigen Minuten des Rufens übermannte Xerber die Erschöpfung und er fiel in einen fiebrigen Traum.


Xerber schreckte wieder hoch, ein erneutes, sehr lautes Knacken hatte ihn aus seiner Ohnmacht gerissen. "Dorlen? Bist du das?"
Er hörte Schritte auf dem Waldboden näher kommen. Doch statt Dorlens liebreizendem Gesicht mit den rehbraunen Augen blickte er in ein rotbepelztes Gesicht mit blutunterlaufenen Augen, das von einer Laterne erleuchtet wurde.
"Du!" Xerber bemühte sich, seinen Zorn zurückzuhalten. "Das ist doch eine deiner Fallen! Ich hab doch Recht, oder? Hilf mir hier raus!"
Die Knopfaugen musterten ihn. Die Gestalt griff in den kleine Käfig, den er neben sich abgestellt hatte.
"Du kein Freund! Warum ich dir helfen?" Eine weiße Ratte war jetzt auf dem Arm, der wie der Rest des Körpers von dichtem roten Pelz bedeckt war.
"Ich kann dein Freund sein. Wenn du mich hier rausholst!" Xerbers Kräfte ließen langsam nach und er fühlte erneut eine Ohnmacht kommen.
"Nein! Du nix Freund! Ich auch nicht brauchen neue Freunde. Ich haben genug." Seine freie Hand streichelte die Ratte, und Xerber fiel auf, dass diese wunderschön golden glänzende Augen hatte. Das in Mark und Bein dringende Fiepen der Ratte schreckte ihn wieder aus seinem Delirium auf.
Xerber konnte das Trippeln kleiner Füße hören, das immer näher zu kommen schien. Und dann blickte ein weiteres Augenpaar in die Grube. Kleine schwarze Knopfaugen musterten ihn interessiert. Immer mehr Augenpaare gesellten sich zu dem ersten dazu, immer mehr Füße trippelten über den Waldboden. Egal, wohin Xerber auch sah, er blickte in zig Augen.
"Das sein meine Freunde. Und ich mich erst um sie kümmern muss. Meine Freunde hungrig sind! Und ich glaube, sie sagen, du schmackhaft riechen."
Die erste Ratte hüpfte in das Loch. Xerber schlug nach ihr und warf sie an die Grubenwand. Da war auch schon der nächste Nager nach unten gesprungen, landete auf Xerbers Schulter und biss zu.
"Nein! Nicht! Nimm das Vieh runter von mir! Nein! Nein!" Immer mehr Ratten sprangen in die Fallgrube. Als Xerbers Schreie sich in ein Gurgeln verwandelten und schließlich ganz verstummten, hörte man nur noch das glucksende Lachen des Rotpelzes und das schabende Geräusch von scharfen Zähnen auf harten Knochen.


Als der Suchtrupp, geführt von Erzian Schinders Hunden, am nächsten Morgen an die Fallgrube kam, fanden sie nur noch das sauber abgenagte Skelett Xerbers. Nur an der Kleidung und der kleinen Brosche, die sich in der Hosentasche fand, konnten sie erkennen, dass es sich bei den Überresten um den verstorbenen Korbflechter handelte. Xerbers Frau Quenja, die mit der Gruppe gegangen war, fiel beim Anblick der sauber abgenagten Knochen in Ohnmacht.
Und in Grimsaus Ehr liefen im Stillen Tränen aus rehbraunen Augen. Tränen der Trauer und der Hoffnung, dass ihr Name nie mit dem Todesfall in Verbindung gebracht würde...