Zur Ehre Grimsaus - Wenn Totes wandelt und Leben handelt

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16. Phe 1033 BF
Wenn Totes wandelt und Leben handelt
Gut Stein will Weile haben


Kapitel 3

Ein Reh ohne Namen
Autor: Rainfried

Grimsaus Ehr, 16. Tsa 1033 BF

Tjolme Immenstein stütze sich auf die Auflage des knapp drei Schritt hohen kleinen Hochsitzes, der als Aussichtspunkt über die Gegend südlich von Grimsaus Ehr diente, und spielte mit den Fingern an der faustgroßen Glocke, die Gilborn angefertigt hatte. Bis heute zur Mitternachtsstunde war es seine Pflicht, die Augen offenzuhalten und die kleine Siedlung im Sumpf vor nahender Gefahr zu warnen. Danach würde er vom Zwerg Rambox abgelöst werden, der den zweiten Teil der Nacht auf dem Hochsitz verbringen musste.
Die Nebelschwaden machten es dem Imker nicht leicht, etwas zu erkennen, doch er war sich dem in seinen Augen viel zu nahe gelegenen, bereits seit langen Jahren verfallenen Boronanger durchaus bewusst. Und ebenso der Tatsache, dass der Palisadenwall um die Siedlung noch immer viele Löcher aufwies.
Doch nicht nur deswegen war Tjolme nervös. In den letzten Nächten hatten die Nachtwachen häufiger von Schemen berichtet, die um Grimsaus Ehr schlichen. Doch waren das wohl nicht die Rotaugen, die des öfteren um die Siedlung streiften und stets mit den anschlagenden Hunden und dem einen oder anderen Pfeil und Bolzen vertrieben werden konnten. Genau beschreiben konnte es allerdings keiner der Nachtposten.
Und zusätzlich zu all dem hatte sich Tjolmes Frau Hannafrid wohl in dem götterverlassenen Sumpf eine Krankheit eingefangen, die sie unleidig werden ließ. Nicht einmal der Honig schien sie noch besänftigen zu können.
Tjolme stopfte sich seine kleine Pfeife, entzündete sie an der Laterne, die er neben sich gestellt hatte, und gönnte sich einen tiefen Zug. Und so wanderte sein Blick gedankenverloren in die Ferne, über die Spitze der unvollständigen Palisade und das dahinterliegende Waldstückchen.
Kurz stutzte Tjolme. War dort nicht etwas gewesen? Nein, wohl nur der Nebel, der ihm etwas vorgaukelte.
Die Nebelfetzen wurden immer dichter und das fahle Madamal, obwohl voll erwacht im Rad, spendete auch nur ein diffuses Licht, und die Augen des Imkers begannen bereits zu tränen. Die stete Anstrengung, wenigstens etwas in dem Nebel erkennen zu können, forderte ihren Tribut.
‚Nur ein kleines bisschen die Augen schließen,‘ dachte sich Tjolme, ‚nur damit ich das Wasser herausbekomme.‘
Ein schabendes Geräusch ließ ihn hochschrecken.
‚Hab ich geschlafen? Wie spät ist es?‘ schoss ihm durch den Kopf.
Leise fragte er „Rambox, bist du das?“ und blickte die Leiter nach unten.
Seine Augen sahen in ein völlig zerstörtes Gesicht, geprägt durch Verwesung und den Fraß von Insekten. Das Schaben, das ihn geweckt hatte wurde durch ebenso verfallene Hände erzeugt, die an der Leiter kratzten und wohl versuchten, einen Weg nach oben zu finden, zu Tjolme. Ein schreckliches Stöhnen entrang sich einer nur noch in Fetzen vorhandenen Kehle, eine Mischung aus Gurgeln und Schmatzen. Ein weiterer Körper schälte sich unter ihm aus den Dunstschwaden, nicht minder schrecklich anzusehen als der erste.
Panik erfasste Tjolme und völlig starr krampften sich seine Hände in den Sitzbalken. Kein Wort kam ihm über die Lippen, die Luft wie abgeschnürt. Der Gestank der Verwesung, der nach oben drang, ließ in schwindelig werden. Immer mehr Gestalten versammelten sich unter dem Holzverschlag, Tjolme zählte ein halbes Dutzend. Jeder der wandelnden Leichname reckte seine Hände nach oben und versuchte nach der Leiter zu fassen. Doch hatten die Hände wohl nicht mehr die Beweglichkeit, die einzelnen Sprossen zu greifen. Doch Kraft schien noch genügend ihn ihnen zu sein, denn die Holzkonstruktion begann zu schaukeln, stärker und immer stärker.
Übelkeit erfasste den Imker und er übergab sich in dem engen Verschlag, die eigene Kleidung beschmutzend.
Der Hochsitz begann bereits bedrohlich zu knirschen, als Tjolme neben sich den leisen Klang der Glocke vernahm, die durch das Schaukeln leicht geschlagen wurde. Mit aufflammender Hoffnung sah er die Messingglocke an.
‚Herr Ingerimm, steh mir bei!‘ betete Tjolme, löste die verkrampfte Hand von der Sitzbank, griff nach der Glocke und schlug sie so fest er konnte.
Und auch seine Stimme fand sich wieder. Unnatürlich laut in der Nacht schallte sein Alarmgeschrei über die Siedlung. Schon öffneten sich die ersten Türen, und mit Erleichterung sah er den Zwerg Rambox mit seiner Axt auf die Untoten zustürmen, ebenso den Schmied Hufmacher mit seinem Schmiedehammer und den Ritter von Grimsau im Nachthemd dicht dahinter.
Sogar seine Frau Hannafrid erkannte er, die mit schreckgeweiteten Augen in seine Richtung blickte. Seine wunderschöne Hannafrid.
Dann barsten die Holzstreben und der Hochsitz stürzte zusammen, Tjolme unter sich begrabend.

Hannafrid saß neben dem Bett ihres Mannes. Die Untoten waren in der Nacht bereits zu Boron geschickt worden, dorthin, wo sie eigentlich von Anfang an hätten sein sollen.
Wie erleichtert war sie, als der Schmied ihren Mann aus den Trümmern gezogen hatte, lebend. Und wie erschrocken, als sie gesehen hatte, wie unnatürlich sein Bein abgewinkelt war.
Zwei Tage war das nun her, das Bein geschient. Es würde wohl nie mehr so standfest sein wie vor dem Sturz, doch das war ihre geringste Sorge. Denn Tjolme hatte seitdem noch nicht die Augen geöffnet.
„Du musst wieder wach werden, hörst du mich?“
Trotzig wischte sich Hannafrid die Tränen aus dem Gesicht.
„Oder muss ich mir demnächst die Haut selber einreiben? Oder einen anderen Mann fragen, dass er das an deiner Statt macht?“
Sie lachte ein leises, verzweifeltes Lachen.
„Wir haben schon schlimmeres überstanden, oder? Zwei stolze Töchter zusammen großgezogen. Und sie zwei fürsorglichen Männern zur Frau gegeben.“
Erneut wischte sie sich die Augen aus.
„Willst du denn nicht demnächst deine Enkel sehen? Ihnen zusehen, wie sie miteinander spielen? Die bewundernden Augen spüren, die dich beobachten, wenn du den Honig aus den Waben der Bienenvölker holst und Kerzen aus dem Wachs ziehst?“
Hannafrid holte tief Luft, wischte sich erneut mit dem Hemdsärmel über die Wangen und versuchte sich etwas zu fassen.
„Wir alle werden dich brauchen und beobachten, ich, deine Enkel... und unser drittes Kind.“
Diesmal ließ sie den Tränen freien Lauf.


Eine Fortführung der Geschichte findet sich in Kaltes Moor.