Neues aus Hohentrutz - Lichter im Dunkel

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Siedlung Hohentrutz in Moorbrück, am Vormittag, 1033

Der Stahl grub sich in den Morast wie ein scharfer Zahn in fauliges Fleisch, riss morastige Brocken heraus, die nur Sekunden später von einem Spaten aus dem Graben hinaus befördert wurden.
Dazu erklang ein dumpf brummelndes Lied, dessen Rhythmus den Takt der Arbeit vorgab.
Roban schwitzte wie ein Braten in der Backröhre. Mücken umschwirrten ihn und versuchten, in der Schlammschicht, mit der er sich vor den Plagegeistern schützte, eine Lücke zu finden, um ihn doch noch stechen zu können, wie Belagerer nach einem Loch in einer Festungsmauer suchten.
Neben ihm schwang Thurescha, die Tochter der Tantalla, ihren Spaten und fluchte zugleich in der wergensprache auf den Sumpf, die Mücken, die Sonne und natürlich auf die Magierin Danja Salderken, die abseits der Siedlung nach irgendwelchen Dingen suchte, von denen die anderen Bewohner von Hohentrutz nichts wissen wollten.
Überhaupt hatte man in den letzten drei Wochen wenig Zeit gehabt, sich Gedanken um das zu machen, was die Magierin den ganzen Tag trieb.
Es war mühselig genug gewesen, das erste Bauholz von Hammerschlag aus hierher zu bringen, drei schlichte Blockhäuser zu errichten, die sich jetzt im Dreieck um die Weide auf der Hügelkuppe gruppierten, und auf halber Höhe einen Brunnen zu graben, der ausreichend genießbares Trinkwasser für alle lieferte.
Den Versuch, in der näheren Umgebung Wasser zu finden, dass nicht faulig roch und vermutlich noch schlimmer schmeckte, hatte man nach einigen Stunden gleich wieder aufgegeben.
Roban konnte mit dem Fortgang der Arbeit ganz zufrieden sein.
Mittlerweile grub er den vierten Tag gemeinsam mit Thurescha an einem Graben, der sowohl der Entwässerung wie auch später einmal der Fortbewegung dienen sollte. Zwei Schritt breit und eineinhalb Schritt tief gruben sie, und die Grabensohle füllte sich stets binnen kürzester Zeit mit dem muffig riechenden Sumpfwasser, dass aus den umliegenden Feuchtwiesen einsickerte.
Den getrockneten Abraum verwendeten sie auf einen Rat der Magierin hin als Dünger auf den kleinen Feldern, die man ebenfalls auf dem Hügel angelegt hatte. Was verfaulendes Grünzeug mit dem Wachstum neuer Pflanzen zu tun hatte, hatte Roban zwar nicht verstanden, aber sich zumindest darauf eingelassen, diese Methode mal auszuprobieren, allen Vorbehalten seiner Koscher zum Trotze.
Die Felder noch einmal umgraben und die Magierin mit Schimpf und Schande davon jagen konnte man ja immer noch, falls es nicht klappte.
„Drodda, Blutsauger!“ knurrte Thurescha und erledigte eine Mücke mit der flachen Hand.
Sie hatte es abgelehnt, sich mit einer Schlammschicht gegen die Plagegeister zu schützen, und benutzte statt dessen die bei Angroschim beliebte Kohlenpaste, die eine pechschwarze Kruste auf ihrer Haut bildete.
Jetzt ließ sie den Spaten für einen Moment sinken und reckte sich ein wenig, um über den Grabenrand blicken zu können.
Roban folgte ihrem Blick, der größtes Missfallen ausdrückte. Zweihundert Schritt von ihnen entfernt kauerte Danja Salderken auf dem Boden und schien im Boden zu graben.
„Die Draxgroscha scheint etwas gefunden zu haben!“ knurrte die Angroschna.
„Zumindest scharrt sie im Morast wie ein Köter, der einen Knochen gefunden hat!“
Roban grinste breit.
Als „Drachentochter“ bezeichnet zu werden, war aus dem Mund einer Zwergin nicht gerade ein Lob, aber Thurescha beäugte alles, was irgendwie nach Zauberei roch, mit größtem Misstrauen, gar regelrechter Angst, da blieb es nicht aus, dass ihr die Anwesenheit der Magierin nicht sonderlich behagte, und daraus machte sie auch keinen Hehl.
Danja hingegen hatte sich bemüht, das ihr auch von den anderen Siedlern entgegen schlagende Misstrauen nach besten Kräften zu ignorieren und sich ein wenig nützlich zu machen, aber Roban wusste, dass es mehr als guten Willen und ein paar Wochen Einsatz brauchen würde, um „seine“ Koscher zu überzeugen.
Mit einem Ruck stieg er aus dem Graben, legte die Hacke ab, klopfte sich die schlammbespritzten Beinkleider ab, auch wenn das nicht viel brachte, und marschierte zu der Maga hinüber, die ihren Fund gerade in die lederne Umhängetasche stopfte und sich wieder erhob.
Auch ihr Reisegewand war bis auf Hüfthöhe mehr braun als grau, doch so sah Danja eigentlich immer aus, wenn sie ihrer Arbeit nachging und widernatürliche Sümpfe untersuchte.
„Und, mal wieder fündig geworden?“ rief er, als er sich näherte.
„Ein Donfstengel“, erklärte Danja, ohne ihre Arbeit seinetwegen zu unterbrechen.
„Ein heilkräftiges Kraut, dass als Mittel gegen mancherlei Sieche fungieren kann“, fügte sie dann noch hinzu.
„Prima“, urteilte Roban und ließ den Blick über sein Land schweifen.
Wirklich viel gab es nicht zu sehen.
Den Hügel mit den drei Hütten und der Weide, die Bewohner der Hütten, die sich um die frisch angelegten kleinen Felder bemühten, und ansonsten nur flaches Land voller Schilf und dürren Gräsern.
„Und – hat die Zwergin wieder gegen mich gewettert?“ fragte Danja beiläufig, während sie ihre Kräutersuche fortsetzte.
„Sicher. Thurescha wettert immer gegen dich“, antwortete Roban frei heraus.
„Sie mag eben keine Magier. Die meisten Koscher mögen keine Magier. Aber tröste dich – Inquisitoren mögen wir auch nicht!“
Die Magierin stieß einen tiefen Seufzer aus.
„Dass man als Maga hier nicht unbedingt wohlgelitten ist, habe ich bereits gemerkt“, gestand sie.
„Und dann bin ich auch noch – wie nennt ihr Koscher das?“
„Außerkoscher“, erklärte Roban.
„Ergo bist du nicht koscher. Und vermutlich wirst du es niemals sein!“
„Vermutlich!“ stimmte Danja ihm zu.
Das helle Scheppern von Metall auf Metall unterbrach das Gespräch.
Auf der Hügelkuppe schlug ein einarmiger Mann mit einer Schöpfkelle auf eine alte Blechkanne.
„Alarm?“ fragte Danja sofort, denn der einarmige Rondred Brotbäck war dort mit dieser improvisierten „Alarmglocke“ und einem Handbeil als Wachposten aufgestellt worden, eine Aufgabe, der er mit großem Pflichtbewusstsein nachging.
„Nein!“ Roban schirmte die Augen mit der flachen Hand an und schüttelte den Kopf.
„Mittagessen!“

am gleichen Tag, Abends

Die Nacht fiel auf Hohentrutz.
Wie fast jeden Abend stieg Nebel aus den zahllosen Tümpeln, Sumpflöchern und Teichen, die den Hügel umgaben.
Roban machte noch eine letzte Runde um die Hügelkuppe, spähte in das Zwielicht hinaus und suchte nach möglichen Anzeichen einer Gefahr – und nach den Irrlichtern. Bei seinem ersten Besuch an diesem Ort waren sie zu Dutzenden, wenn nicht zu Hunderten erschienen, doch seit seiner Ankunft hier hatten sie sich kein einziges Mal gezeigt, was ihm schon einige skeptische Blicke seiner Untertanen und spöttische Bemerkungen von Danja eingetragen hatte, aber er war absolut sicher, dass die Irrlichter hier gewesen waren – immerhin war er ja nicht der Einzige gewesen, der sie gesehen hatte.
Auf halbem Weg entdeckte er eine Gestalt, die am Hang auf einem Stein saß und anscheinend Schilfrohr, Weidenruten oder etwas ähnliches zusammen flocht, und war nicht besonders überrascht, Danja Salderken zu erkennen, als er näher trat.
„Bist du unter die Korbflechter gegangen?“ schmunzelte er, denn die Maga flocht tatsächlich Schilfrohr zu flachen, ovalen Matten zusammen.
„Mitnichten, Hochgeboren“, gab sie ungerührt zurück.
„Ich verfolge vielmehr eine Idee, die ich schon länger gehegt habe, und da ich in der seltenen und überaus willkommenen Situation bin, mich dem Sumpf nicht allein stellen zu müssen, werde ich diese jetzt verfolgen!“
Roban nickte, während er den Inhalt des Satzes in Gedanken noch einmal durchging.
„Und was ist das für eine Idee?“ fragte er schließlich.
„Warte es ab“, neckte sie ihn.
„Aber wenn alles klappt, wirst du mir noch sehr dankbar sein!“
Roban hob skeptisch die Brauen. Danjas Ideen waren bisweilen etwas merkwürdig, und er hoffte nur, dass sie keine neue Zauberei ausprobieren wollte.
Zumindest nicht in Sichtweite der Siedlung.
„Keine Bange – nichts Magisches“, erriet sie seine Sorge.
„Dann ist ja gut“, brummte der Ritter und blickte wieder auf das Moor.
Plötzlich stutzte er, kniff die Augen zusammen, dann tippte er der Maga auf die Schulter.
„Da!“ Er deutete in den Nebel hinaus.
„Da! Siehst du sie?“
Danja Salderken blickte von ihrer Arbeit auf und starrte ebenfalls ins Moor. Sekundenlang sprach niemand, bis die Magierin sich langsam erhob.
„Irrlichter“, stellte sie mit belegter Stimme fest.
„Jede Menge Irrlichter. Du hast dich also doch nicht getäuscht!“
„Sagte ich doch! Wir müssen die Siedler warnen, ehe einer von ihnen ins Moor torkelt!“
Roban wollte bereits loslaufen, doch Danja hielt ihn zurück.
„Nicht so eilig“, beschwichtigte sie ihn.
„Irrlichter können sich nicht besonders weit bewegen, angeblich nur einige Schritte weit vom Ort ihres Todes. Und ihr Einfluss reicht auch nicht besonders weit.“
„Für Girte hätte es beinahe gereicht!“ schimpfte Roban und riss sich los, um zu den drei Hütten zurück zu hetzen. Wecken würde er niemanden, aber zumindest acht geben, dass nicht jemand plötzlich aus einem der Gebäude kam und ins Moor lief.
Danja folgte ihm, mit weniger Eile, und holte ihn schließlich ein, als er zwischen den Hütten halt machte.
„Siehst du – alles in Ordnung. Aber zugegeben, ein überaus beklemmender Anblick!“
Sie blickte wieder ins Moor, wo jetzt zahllose Irrlichter eine Art skurrilen Tanz aufzuführen schienen.
„Was meintest du eigentlich damit – dem Ort ihres Todes?“ fragte Roban, noch immer etwas atemlos. Danja blickte ihn ernst an.
„Roban, glaubt man den Quellen, die sich intensiv mit der Natur von Irrlichtern befasst haben, dann ist jedes Irrlicht die Seele eines im Sumpf versunkenen Menschen“, erklärte sie.
Dann deutete sie in die Nacht hinaus.
„Eine derartige Zahl von Irrlichtern auf einem Fleck würde bedeuten...“
„...dass da unten eine ganze Armee im Sumpf verreckt ist“, vollendete Roban den Satz, und sie konnte trotz der Dunkelheit sehen, wie er blass wurde.
„Eine Armee, eine Dörflerschaft, auf jeden Fall eine große Gruppe denkenden Wesen, deren Seelen jetzt an diesem Ort gefangen sind.“
Ihre Finger spielten nachdenklich am Holz ihres Magierstabes herum.
„Weißt du, wie schnell dieser Sumpf entstanden ist?“ fragte sie schließlich.
„Ich meine, dauerte es Tage, Stunden oder vielleicht gar nur Minuten, bis das Land morastig wurde?“
„Keinen Schimmer!“ gestand Roban, doch dann hellte sich seine Miene auf.
„Oder? Bolzer hat da was erzählt – Bolzer Spatenschwingh, der Torfstecher, der uns auf der Erkundung geführt hat. Nicht von der Entstehung des Sumpfes, aber aus den Tagen, als er durch schwarze Magie noch größer wurde. Angeblich wuchs er so schnell, dass die Wagen auf der Flussstraße versanken. Sie hatten also keine Möglichkeit, ihm auszuweichen oder einfach davon zu fahren!“
Danja nickte vielsagend.
„Also vermutlich Stunden, möglicherweise sogar nur wenige Minuten, um dieses ganze Land zu vergiften“, folgerte sie.
„Eine überaus wertvolle Information. Schlagartige Kulmination astraler Energie statt lang einwirkender Kontamination durch heptasphärische Mächte wie in Tobrien. Dann könnte hier tatsächlich eine größere Menschengruppe vom Sumpf, nun ja, überrascht worden sein. Das würde die große Zahl von Irrlichtern erklären, die jetzt hier gebunden sind. Ihre sporadische Anwesenheit könnte mit den Madamal-Phasen zu tun haben“, sie blickte kurz zum Firmament, wo man das halbvolle Madamal hinter den Wolken erahnen konnte.
„Wie zeigte sich Mada bei eurer Erkundung?“
„Halbvoll, so wie jetzt“, antwortete Roban.
„Spekulativ könnten sich die Irrlichter immer zu diesem Zeitpunkt manifestieren“, murmelte Danja mehr zu sich selbst als zu Roban.
„Vielleicht entspricht dieser Zeitpunkt auch jenem ihres Ablebens, oder ein anderer Parameter führt zu dieser sporadischen Präsenz.“ Weiter murmelnd schritt sie auf und ab, schien Roban völlig vergessen zu haben.
„Und was machen wir jetzt?“ fragte der Ritter schließlich.
Danja blickte überrascht auf.
„Was wir machen?“ Für einen Moment überlegte sie.
„Nun, angesichts der Tatsache, dass Irrlichter ruhelose Seelen sind, wäre es wohl nicht verkehrt, die Kirche des Boron zu Rate zu ziehen. Womöglich hilft auch deren Symbolik rings um die Siedlung. Vorsichtshalber sollten wir morgen ein paar gebrochene Räder flechten und aufstellen. Ansonsten werden wir mit unseren begrenzten Mitteln wohl wenig tun können, aber wie gesagt, die Reichweite der Irrlichter ist begrenzt, und solange niemand in solchen Nächten den Hügel verlässt, dürfte nichts passieren. Das müssen wir den Leuten aber einschärfen, Roban, ehe wirklich noch jemand in den Sumpf gelockt wird! Aus der Ferne betrachtet sind Irrlichter einfach nur unheimlich, aber aus der Nähe sind sie lebensgefährlich – nicht nur für Pferde!“
Roban nickte mit bitterer Miene.
Halb hatte er gehofft, die Irrlichter würden nicht mehr wiederkehren.
Jetzt waren sie wieder gekehrt, und er war nicht sicher, ob seine Siedler ihm unter diesen Umständen die Treue halten würden.
Und zu seinem Ärger musste er sich eingestehen, dass er dafür vollstes Verständnis haben würde.