Dreister Einbruch in Steenback - Der Knappe und der Ritter

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Zwischenwasser, 1033

Ruhig ritt Halmar von Sindelsaum seines Weges.
Er kam gerade aus Gôrmel und hatte dort einige Erledigungen für seinen Knappenvater, den Ritter Thalian Has von Hügelsaum erledigt. Gemächlich hatte er sich an den Heimweg gemacht. Er hatte derzeit nicht viel zu tun. Ab und an brach sein Herr auf, um dem Zorn seiner Gattin zu entfliehen und ihrem Ehrgeiz zu genügen, doch die letzten Wochen hatten sie friedlich in der Heimat zugebracht. Lange war es ohnehin nicht mehr hin, bis Halmar seinen Ritterschlag empfangen würde und dann würde er längst nicht so untätig bleiben.
Sein Vater sah für ihn sicher irgendein Gut vor, dass er verwalten sollte, doch Halmar stand eher der Sinn nach Heldentaten. Immerhin galt es seine Verlobte, die liebliche Perainhild von Leihenhof zu beeindrucken, wenngleich er vermutete, dass sie ihn lieber an ihrer Seite wusste und sich vor Sorge verzehren würde, wenn er in die Fremde reiten würde.
Mit solchen Gedanken beschäftigt sah er den Reiter fast zu spät. Erschrocken parierten beide Reiter ihre Pferde und Halmar wollte gerade zu einer wütenden Rüge ansetzen, als der Mann auch schon lossprudelte.
„Mein Herr, der gute Ritter von Steenback ist überfallen worden. Er liegt wund in seinem Blute danieder und sein Augapfel, seine Waffensammlung ist von den Schurken entwendet worden.”
Sprach's und sprengte davon. Zurück ließ der Reiter einen überrumpelten Knappen.
Kurz überlegte der junge Mann, doch dann stand sein Entschluss fest. Sein Herr konnte ein wenig warten und hätte sicherlich nichts dagegen einzuwenden, wenn er einem befreundeten Ritter zur Seite stehen würde.
Mit frischem Elan trieb er sein Pferd gen Steenback. Ein wenig mit Sorge erfüllte ihn jedoch der Umstand, dass er abgesehen von Schwert und Dolch kein Waffen- und Rüstzeug mit sich führte, aber das würde gegen eine Bande von Strauchdieben schon genügen.

Streitbald Grobhand von Koschtal schwitzte.
Gen Efferd, über den fernen Koschbergen, waren bereits die ersten dunklen Wolken zu sehen. Rondra spannte wohl den Donnersturm an, um mit Blitz und Donner über die Koscher Lande zu rasen, doch bis die Kriegsgöttin losfuhr und damit auch den Regen mit sich bringen würde, um dem in der Gluthitze daliegenden Land Erleichterung zu verschaffen, würde es wohl noch einige Stunden dauern.
Zum Glück waren es nur noch ein paar Dutzend Schritte bis zum Gut der Familie Steenback. Er würde dem alten Ritter Stordan die Nachricht seines Großneffen Kerling Steener von Steenback überbringen, möglicherweise die schriftliche Antwort des Alten abwarten und dann weiterziehen. Länger als einen Tag hoffte er, nicht hier zu verweilen – nach den langen Monden in der Wildermark drängte es ihn, das heimatliche Drakfold wieder zu sehen.
Doch als er das Tor passierte und sein Pferd gerade zur Tränke führen wollte, wurde er einer Frau in der Tracht der Hesinde-Geweihtenschaft ansichtig, die auf den Stufen des Herrenhauses saß, das Gesicht in den Händen vergraben, der Körper von krampfhaften Schluchzern geschüttelt.
Was mochte hier geschehen sein, eine Geweihte der Zwölfgötter derart aus der Fassung zu bringen?
Rasch blickte er sich um. Niemand sonst war zu sehen, auch kein Hinweis auf ein mögliches Unglück, von dem das Rittergut möglicherweise betroffen war. Da blieb wohl nur, sich direkt Gewissheit zu verschaffen.
Er klopfte sich ein wenig von dem Straßenstaub von den Kleidern, auch wenn das nicht viel half, und näherte sich langsam der Weinenden.
„Verzeiht, Euer Gnaden“, sagte er halblaut, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Geweihte zuckte erschrocken zusammen, ihr Kopf ruckte hoch und sie starrte ihn an wie den wiedergekehrten Rohal.
„Wer seid...wie...”, stammelte sie, die Augen hinter den dicken Augengläsern vom Weinen gerötet, das aschblonde Haar in wirren Strähnen im Gesicht. Erst nach einigen Momenten fand sie wieder zu sich, räusperte sich vernehmlich und stand auf.
„Den Zwölfen zum Gruße“, sagte sie gepresst. „Darf ich erfahren, wer Ihr seid und was Euch zum Gut Steenback führt?“
Streitbald stellte sich kurz vor und erklärte, dass er den Ritter Stordan zu sprechen wünsche.
„Das...geht im Moment nicht”,sagte die Geweihte und schien erneut mit den Tränen zu kämpfen.
„Ist er...zu Boron gegangen?“ fragte Streitbald leise. Kerling hatte ihm erzählt, dass sein Großonkel schon über siebzig Sommer zählte, da konnte es durchaus passieren, dass Golgari schneller gewesen war als der Brief des Großneffen.
„Nein!” sagte die Geweihte aber rasch. „Nein, er...lebt.”
Sie schniefte leise, schien dann ihren Mut zusammen zu nehmen und berichtete dem Fremden in der angemessenen Kürze, was sich auf dem Gut zugetragen hatte.
Streitbald hörte schweigend und mit Unglauben in der Miene zu. Ein Überfall auf einen Adligen, sein Besitz gestohlen, sein Leben wohl nur durch das Eingreifen eines zufällig des Weges kommenden Magiers gerettet – derlei Geschichten hörte man in der Wildermark oft genug, aber hier, in den Koscher Landen?
„Wir müssen die Diebe stellen!“ verlangte er nach kurzer Überlegung. „Sie müssen für diese Tat zur Rechenschaft gezogen werden. Und natürlich muss das Hab und Gut des Ritters Stordan wieder beschafft werden!“
Gidiane nahm die Brille ab und wischte sich über die Augen.
„Natürlich”, pflichtete sie Streitbald bei. „Habt Ihr auch eine Idee, wo man das Diebesgesindel suchen muss?”
Streitbald öffnete den Mund, schloss ihn wieder, überlegte kurz.
„Noch nicht!“ gestand er. „Aber falls Ihr gestattet, würde ich nach Spuren suchen. Ein Diebstahl in dieser Größenordnung muss Spuren hinterlassen haben!“

Als Rijk am Gut Steenback ankam, sah er einen Mann das Gut verlassen. Dieser ging in die entgegengesetzte Richtung. Langsam. Dies konnte keiner der Angreifer sein.
Mutig und zu allem entschlossen, stürzte sich Rijk durch das Tor und schaute sich um. Auf der Eingangstreppe sah er eine junge Frau sitzen. Offenkundig gekleidet wie eine Geweihte der Zwölfe. Ein kräftiger, junger Mann kniete neben ihr. Er räusperte sich so, dass die beiden seiner Anwesenheit gewahr wurden.
„Den Zwölfen zum Gruße. Rijk van Kacheleen, Handelsreisender aus Sewamund. Kann ich Euch helfen ?“
Streitbald war so mit der Geweihten beschäftigt gewesen, dass er den Neuankömmling erst im letzten Moment bemerkte.
„Ein Handelsreisender?“ wiederholte und musterte den gut gekleideten Mann abschätzend. Man sah ihm an, dass er nicht aus der Gegend stammte, nicht einmal ein Koscher war, aber das Gesicht wirkte offen und ehrlich.
„Ich fürchte, es geht Euch wie mir, Herr von Kacheln“, Streitbald erhob sich langsam. „Ihr kommt zu spät, denn auch ich beabsichtigte, den Ritter von Steenback aufzusuchen. Doch im Moment liegt er verwundet danieder, von einem feigen Hieb eines ruchlosen Schurken getroffen. Vorläufig wird er sich also weder Eures noch meines Anliegens widmen können.“
„Van Kacheleen“, korrigierte der Händler mit einem Lächeln, und Streitbald murmelte eine Entschuldigung, während Rijk sich jetzt auch mit der Geweihten bekannt machte und sein Hilfsangebot noch einmal wiederholte. Man sah Gidiane an, dass sie von so viel Hilfsbereitschaft auf einmal etwas überfordert war.
„Vielen, also, nun ja, Dank!“ Gidiane murmelte die Worte wie zu sich selbst. Nervös nestelte sie an ihrem Augenglass herum und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von den Wangen, die rot glühten.
„Ich bin so froh, dass, also, dass ihr hier seid! Wir brauchen, glaube ich, Hilfe.“
Mit umständlichen Worten fasste die Geweihte der Hesinde die Geschehnisse des Vormittags für die zwei Neuankömmlinge zusammen. Der alte Ritter konnte kaum eine Hilfe sein bei der Suche, aber vielleicht könnte man ihn heute abend zum Tathergang befragen. Bis dahin mussten sich die tapferen Ermittler wohl selbst ein Bild vom Tatort machen.
„Ehrenwerte Gidiane, ein van Kacheleen wird Ihnen sowie den hier Anwesenden Streitern gerne zur Seite stehen. Ihr müsst wissen, ich handele mit kostbaren wie seltenen Antiquiarien, auch Waffen, da sollte mein Fachverstand doch gebraucht werden.“
Derweil hatte auch Halmar den Hof erreicht und blickte auf das Geschehen. Ein Rittersmann stand dort und unterhielt sich angeregt mit einer Hesindegeweihten und einem Händler. Das war ja eine heitere Versammlung.
Schnell ordnete er den Ritter als einen Grobhand von Koschtal ein. Ein tapferes Geschlecht, wenngleich sie der alten Grafschaft Schetzeneck nachtrauerten.
Halmar konnte solche Gefühle gut verstehen, wenngleich er sie nicht teilte. Schwungvoll stieg er vom Pferd ab und bewegte sich auf die drei Personen zu.
„Mein Name ist Halmar von Sindelsaum. Ich bin Knappe des ehrenwerten Thalian Has von Hügelsaum und möchte euch mein Schwert für die Suche nach der Diebesbande anbieten.”
Schnell war auch Halmar ins Bild gesetzt worden und der junge Mann ergriff das Wort.
”Sind denn schon Suchtrupps ausgesandt worden, um Spuren zu finden? Der Abtransport von derart vielen Waffen muss doch Spuren hinterlassen haben. Vermutlich geschah er sogar mit einem Karren und so können wir der Bande leicht zu Pferde nachsetzen”, sprach der Knappe ein wenig unüberlegt und bedachte dabei die zahlenmäßige Überlegenheit der Bande nicht.
„Herr von Sindelsaum, vielleicht helfen Euch meine Beobachtungen ein wenig weiter. Mein Weg führte mich aus Richtung Ferdok kommend bis hierhin. In einem Gasthof, welcher etwas den Weg hinunter liegt, rastete ich. Der Wirt erzählte mir von einem Fremden den er für wesentlich mehr Silber als üblich sein Fuhrwerk lieh. Dies störte den Fremden nicht im geringsten. Er prahlte mit einem guten Verdienst. Dabei bemerkte der Narr nicht, dass er meine Rechnung falsch abrechnete.” Rijk schüttelte den Kopf.
Streitbald musste angesichts von so viel jugendlichem Eifer unwillkürlich lächeln. Wie sehr erinnerte ihn das an die eigene Verwandtschaft – Anglinde Grobhand von Koschtal eiferte ebenfalls sehr dem von Bänkelsängern beschworenen Ritterbild nach, und Roban war ebenfalls kein Mann, der lange überlegte, sondern lieber sofort handelte, auch wenn man sich dabei bisweilen eine blutige Nase holte.
„Der Abtransport hat mit Sicherheit Spuren hinterlassen. Wie Ihro Gnaden uns bereits berichtete, gab es einen Augenzeugen, der sowohl das Geschehen wie auch das Fuhrwerk gesehen hat, und eine Frau aus dem Dorf berichtete, dass am frühen Morgen ein schwerer Karren Richtung Gormel rollte.”
Für einen Moment blickte Streitbald in den wolkenlosen Himmel.
„Leider hat es in der letzten Zeit nicht geregnet. Falls der Wagen die Straße verlassen hat, dürfte es schwierig sein, die passende Stelle auf trockenem Boden auszumachen. Aber glücklicherweise ist die Gegend dicht besiedelt, und das Diebespack war am hellen Tage unterwegs, da wird sie gewiss der ein oder andere Bauer oder Wanderer gesehen haben. Wir sollten unser Augenmerk also ebenfalls auf die Straße gen Gormel richten – allerdings wäre ich einer kleinen Mahlzeit und einem Schluck Wasser zuvor nicht abgeneigt, sofern es nicht allzu viel Mühe macht!”
Gidiane brauchte einige Sekunden, ehe sie verstand. Solange der Ritter Stordan ohne Bewusstsein war, musste sie die Rolle der Hausherrin – und damit auch der Gastgeberin – ausfüllen. So nickte sie rasch und rief den Verwalter Korsten, um das Entsprechende in die Wege zu leiten.
Rijk schaute sich Streitbald genauer an. Ein Mann des Schwertes sicherlich. Es war gut, nach so einem Überfall kampfeserprobte Recken um sich zu wissen. Gerade wenn eine so große Waffensammlung gestohlen wurde. So sprach er zu ihm gewandt:
„Die Sammlung wird überaus kostbar gewesen sein. Es sollte schwer sein, diese hier weiter zu verkaufen. Vielleicht sollten wir in der Tat zügig handeln.”
„Dem will ich nicht widersprechen!” Streitbald kratzte sich etwas verlegen im Nacken. „Naja, dann nehme ich die Mahlzeit halt auf dem Marsch ein. Ich will nicht das Risiko eingehen, den Vorsprung der Schurken noch zu vergrößern, nur weil mir der Magen knurrte! Und wenn sich einer der Diebe tatsächlich das Fuhrwerk besagten Wirtes gemietet hat, sollten wir dort mit unseren Nachforschungen anfangen. Womöglich kann der Wirt uns eine brauchbare Beschreibung des Fremden geben, die uns weiterhilft, und vielleicht findet sich sogar am Karren selbst ein Hinweis darauf, wohin man damit gefahren ist!”