Der Willen der Götter - Vom Gerufen werden

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Schloss Libellensee, 20. Rondra 1043

„Ich werde nun wieder aufbrechen“, verabschiedete sich die Rondra-Geweihte Olja von Pul von den beiden Knaben, „Meine Herrin schickt mich wieder hinaus.“

„Es war gut, dass Ihr da wart. Bei der Totenwacht“, erwiderte der Almadaner nickend, „Es war gut, dass wir nicht alleine waren...“

Sie schenkte ihm ein sanftes Lächeln: „Ich kenne ihn leider zu gut, den Bruder meiner Herrin. Er ist in Schlachten ein ständiger Begleiter.“ Einen Moment hielt sie inne. „Rondra möge Euch stets auf Euren Wegen begleiten, Junge Herren. Ich bin mir sicher, dass aus Euch eines Tages anständige und tapfere Ritter werden.“ Damit stieg sie auf ihr Pferd und ritt aus dem Hof des Schloss hinaus.

„Wartet!“, rief Zoran da plötzlich, „Wartet, Euer Gnaden. Bitte!“

Sie brachte ihr Pferd zum Stehen. Der Knabe schloss eilig zu ihr auf.

„Was kann ich für Dich tun, Junger Herr?“, fragte die Geweihte geduldig.

„Ich... ich...“, stammelte er, „Kann ich Euch... etwas fragen?“

Sie nickte. Ihr Pferd schnaubte.

„Als der Braniborier dieses Untier mit der Kraft seines Herren getötet hat, da... das war alles so hell um mich herum. Es war so hell, ich konnte gar nichts mehr sehen. Und dann... dann war da plötzlich jemand. Jemand neben mir. Aber... aber Fernando sagt, da war niemand. Und ich bin mir auch sicher, dass... dass da niemand gewesen sein kann, weil... weil...“

Sanftmütig blickte sie ihn an.

„Weil... weil... nachher war er verschwunden. Und... und er war riesig. Ein Hüne! Und in voller Rüstung. Jemand müsste ihn doch gesehen haben. Versteht Ihr? Aber nur ich habe ihn gesehen, nur ich allein und wie... wie kann es denn sein, dass... dass nur ich ihn sehe?“ Er hielt einen Moment inne. „Und trotzdem... trotzdem habe ich ganz deutlich gespürt, wie er meine Hand genommen hat. Es hat sich ganz seltsam angefühlt. Er hat auch gesprochen. Er hat gesagt, dass meine Herrin mich bräuchte und es vor allem ihr zu verdanken sei, dass ich damals vor dem Scheiterhaufen bewahrt wurde. Ihr und den Göttern.“ Er blickte hilfesuchend zur Geweihte auf.

„Welche Waffe hat er geführt?“, fragte Olja jedoch nur und ging nicht auf die zwischen ihnen hängende Frage ein.

„Einen Speer“, erwiderte der Knabe, „Aber so einen... so einen hab ich noch nie gesehen.“

Die Geweihte schüttelte sich, als müsste sie eine ausbreitende Gänsehaut abschütteln: „Dann scheint es mir, als hätten Dir die Götter eine Aufgabe gestellt: Finde diesen Fremden.“

Sprachlos blickte Zoran zur Dienerin der Sturmherrin auf.

„Ich erwarte, dass du diese Queste löst, bis meine Herrin mich wieder hierher schickt.“

„Und... und... und wann wird das sein?“

„Das weiß nur die Sturmherrin allein“, entgegnete sie ihm schlicht, „Doch bis dahin möchte ich Dir etwas... hm... ausleihen.“ Sie zog aus ihrer Gürteltasche ein in rotes Leder gebundenes Büchlein hervor, streckte es dem Knaben entgegen, der es instinktiv ergriff. Ein seltsames Kribbeln ergriff seine Finger.

„Was... ?“, wollte er wissen und betrachtete das Buch in seinen Händen. Auf dem Einband prangt das Symbol der Herrin Rondra. „Was... ist das?“

„Mein Vademecum“, erwiderte die Geweihte da nur lächelnd, „Bei Dir weiß ich es in guten Händen.“