Zwergenwerk - Ratten im Gemäuer
Mirkagarten, Mitte Tsa 1044
„Hat das nicht Zeit bis nach dem Essen?“ verwunderte sich Brumil, als sein Baumeister Gromnasch sich anschickte, Baupläne über die große Tafel der Dürnitz von Mirkagarten auszurollen.
Aber das allgemeine Gemurmel und Stühlerücken von der anderen Seite der Tafel verriet, dass die Schlossbewohner die neuen Pläne für den Umbau Mirkagartens wohl gerade interessanter fanden, als Buboda Minzhollers Pilzragout. Auch Brumils Frau Gascha schob Teller und Bierkrug zu Seite um sich einen besseren Überblick zu verschaffen: „Lass ihn doch mal zeigen Brumil! – Wie ein Rose sagtest du Gromnasch?“
Gromnasch nickte stolz: „Ja. Schön und zugleich wehrhaft wie eine Rose soll Mirkagarten werden. Am äußeren Bild wird sich kaum etwas ändern, während wir die wehrhaften Teile auf Zwergenweise unterhalb des Schlosses anlegen werden. Die ersten Arbeiten in den Kellergewölben sind vielversprechend, aber die alten Baupläne wären eine große Hilfe!“
Raunen ging durch die Dürnitz.
Brumil wandte sich an Sindian von Hirschingen, der sich bisher teilnahmslos seinem Pilzragout widmete: „Sindian? Hast du die Pläne auftreiben können?“
Aus seinen Tagträumen gerissen blickte Sindian orientierungslos um sich: „Wie? Äh … nein Väterchen. Leider konnte ich keine alten Baupläne finden. Auch im Ferdoker Hesindetempel konnte man mir nicht weiterhelfen – bis auf ein paar alte Schriftstücke die belegen, dass die damalige Burg in der Priesterkaiserzeit um einen unterirdischen Kerkertrakt erweitert wurde.
Ich konnte aber etwas über eine frühere Besitzerin erfahren! Wusstet ihr, dass die Grafinquisitorin Prailucata von Drift in zeitgenössischen Quellen als Blutgräfin tituliert wurde? Angeblich sind hier, an diesem Ort, hunderte ihrer Opfer durch grausame Folter zu Tode gekommen. Laut den Aufzeichnungen hat die Blutgräfin hierzu eigens ein Folterinstrument bauen lassen. Eine eiserne Jungfrau in Gestalt des greifenköpfigen und geflügelten Herrn Praios. Wer die Umarmung Praios´ überlebte, galt der Gräfin als unschuldig. – Was nicht allzu oft passiert sein dürfte!“ Sindian lachte glucksend: „Wäre dieses Folterwerkzeug kein hervorragendes Stück für unser Panoptikum?“
Noch während der Kustos lachte, schoben mehrere Schlossbewohner angewidert ihre Teller von sich und blickten den Baron hilfesuchend an.
Brumil schien nach Sindians Erläuterungen noch etwas bleicher als sonst zu sein. Nachdem er sich von dem Gedanken an die Blutgräfin erholt hatte, erhob er sich: „Danke Buboder, es war köstlich.“ Kaum hatte er diese Worte gesprochen und die Mahlzeit damit für beendet erklärt, erhob sich die Mittagsgesellschaft und zerstreute sich augenblicklich in alle Winde.
Am nächsten Tag suchte Ilma die Kammerherrin von Mirkagarten, den Baron in seiner Schreibstube auf. Aufgelöst und sichtlich verärgert schlug sie die schwere Eichentür hinter sich zu: „Beim Rabatzmann! – Nach der Geschichte mit der Blutgräfin gestern haben zwei weitere Mägde gekündigt. - Das sind schon vier diesen Monat!“
Erst jetzt merkte sie, dass Brumil nicht an seinem Schreibpult stand, sondern seine Ohren gegen die Wandvertäfelung presste und konzentriert lauschte. „Was machst du da Väterchen?“ frug sie entgeistert.
Brumil murrte: „Ratten. Den ganzen Tag schon knistert und scharrt es hinter der Wandvertäfelung. So finde ich keine Ruhe für meine Arbeit.“ Brumil kehrte zurück zu seinem Pult und blickte Ilma aus müden Augen an. „Ja … seit der Sache mit diesem … Tempel, ist es schwer Personal zu finden.“
„Zu finden, aber auch zu halten.“ ergänzte Ilma. „Du solltest mal eine Nacht bei uns im Dienstbotentrakt verbringen Väterchen. Da rappelt und kracht es im Gebälk das man meinen könnte, das Schloss selbst ist in Bewegung geraten. Deine Ratten sind nichts gegen die verfluchte Baronin!
Brumil winkte ab: „Wieder die Geschichte von Mirkas Geist der angeblich durch das Schloss spukt?“
Ilma stemmte ihre Arme in die Hüften: „Der alte Alrik ist sich sicher sie gesehen zu haben, als er des Nächtens den langen Flur zum Abort entlangging. Seitdem schließt er sich abends mit dem Nachttopf in seinem Alkoven ein!
Und das Schlossgesinde ist sich sicher, dass deine Umbaupläne Mirka erzürnt. Du solltest nicht in den alten Gewölben herumgraben Brumil. Wer weiß, was für schreckliche Dinge dort unten noch verborgen sind?“
Brumil strich sich durch den Bart: „Die alten Geschichten über dieses Schloss beflügeln den Aberglauben der einfachen Leute. In alten Gemäuern gibt es immer irgendwelche Geräusche. Selbst in Zwergenstädten tief in Sumus Leib, grummelt und ächzt der Berg manchmal. Denk an das alte Sprichwort: Alles Gute kommt von unten! Ich schlafe jedenfalls gut, aber Zwerge haben von Natur aus einen tiefen Schlaf.“
Ilma rollte mit den Augen: „Dann ist ja alles gut. Aber eines sage ich dir! Wenn dieser Verrückte Hirschingen noch so eine Anekdote über das Schloss loslässt, oder wiedermal irgendetwas seltsames passiert, dann können wir den Laden hier dichtmachen. Dann läuft und selbst das unfreie Hofgesinde davon.“
Brumil nickte: „Ich werde mit dem Kustos reden. Er wird tatsächlich immer eigener. Das sind wohl die vielen Bücher die er liest.“ Brumil hob lehrend den Zeigefinger: „Bücher können eine sehr gefährliche Sache sein und eine unbedarfte Seele um ihren Verstand bringen. Wir können Sindian dankbar sein, dass er sich dieser Gefahr aussetzt um unser Wissen zu mähren.“
Ilma schnaubte: „Bei dem ist Hopfen und Malz verloren. Der ist längst hinüber! Erst unlängst habe ich ihn erwischt, als er im Panoptikum mit einer grässlichen Holzmaske tuschelte, als wär’s seine Liebschaft.“
Brumil strich sich erneut durch den Bart und nickte: „Ich werde ihn sein Essen in Zukunft in seine Kammer bringen lassen, sodass er die Knechte und Mägde mit seinen Geschichten nichtmehr erschrecken kann."
Ilma nickte: „Und was ist mit dem nächtlichen Poltern aus den Untiefen dieses alten Kastens?“
Brumil schnaufte erschöpft: „Ich werde Gromnasch um Rat fragen. Vielleicht muss ein alter Holzbalken getauscht werden oder etwas in der Art. Er soll sich das heute Abend mal anschauen und die Quelle des Lärms genau lokalisieren. Nicht hinter jedem nächtlichen Geräusch steckt gleich ein Spukgespenst.“
In der folgenden Nach zog ein heftiger Schneesturm vom Gebirge her über das Schloss. Der Wind pfiff durch die kalten Gänge und fuhr –mal laut heulend, mal leise säuselnd – durch die Kamine. Selbst Brumil konnte nur schwer Schlaf finden. Gegen Ende der Nacht, als sich die Dämmerung durch kaltes, fahles Licht ankündigte, dass dünn durch die Fensterläden in Brumils Zimmer eindrang und große Schatten an die Wände malte, wurde der Baron durch lautes Klopfen aus seinen unruhigen Schlaf gerissen.
Brumil hatte kaum seine Pantoffel angezogen, da kam Ilma, mit einem brennenden Kienspan in der Hand hereingestürmt: „Jetzt ist es geschehen! Der Namenlose hat den armen Kerl geholt!“ Sie packte Brumil am Arm und zog ihn durch die Gänge, hinab in die Kellergewölbe, wo sich bereits einige Schlossbewohner versammelt hatten. In ihrer Mitte lag, in der Eingangstür zum Bierlager, der tote Gromnasch rücklings am Boden. Seine trüben Augen im bleichen, blutleeren Gesicht waren weit aufgerissen. Am Kopf klaffte eine große Wunde. Daneben lag ein großer, würfelförmiger Stein.“
Ilma deutete nach oben: „Der Schlussstein ist aus der Tür gebrochen und hat ihn erschlagen, den kleinen Kerl. Gestern am Abend habe ich ihn noch gesehen, als er durch das Schloss lief und sich überall umsah, auf der Suche nach schlechten Balken.“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf.
Igrima, die Beraterin des Barons und Wahrerin der Glut, beugte sich zu Brumil und raunte ihm ins Ohr: „Schlusssteine sind einer der stabilsten Stellen eines Hauses. Die fallen nicht von alleine aus ihrem Platz. Manche Totengeister so sagt man hingegen, können Dinge mit enormer Kraft bewegen. Dies ist kein Ort für die Lebenden. Zu ungeheuerlich sind die Geschichten die sich hier ereigneten.“
Brumil nickte nur langsam, während er sich den Schlafsand aus den Augen wischte und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Die umherstehenden Schlossbewohner murmelnden verschwörerisch. Immer wieder fielen die Namen der längst verstorbenen Baronin Mirka und der Blutgräfin.
Brumil räusperte sich schließlich: „Ein großes Unglück ist geschehen. Das Schloss ist leider baufälliger als erahnt. Es wird das Beste sein, wenn wir die Residenz vorerst in den Waldhof verlegen. Sagt es allen und beginnt mit den Vorbereitungen.“
Zu Igrima gewandt sagte er: „bereite alles für eine rituelle Einäscherung vor. Gromnasch, der Sohn des Robax soll noch heute in allen Ehren bestattet werden.“
So schloss sich eine weitere Seite im Koscher Totenbuch.