Der Ruf des Friedwanger Raben 1032 BF: Teil 4

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Texte der Hauptreihe:
K1. Prolog
K2. Teil 1
K3. Teil 2
K4. Teil 3
K5. Teil 4
K6. Teil 5
K7. Teil 6
K8. Teil 7
K9. Teil 8
K10. Teil 9
K11. Teil 10
K12. Teil 11
K13. Teil 12
K14. Teil 13
K15. Teil 14
K16. Teil 15
K17. Teil 16
K18. Teil 17
K19. Teil 18
K20. Teil 19
K21. Teil 20
K22. Teil 21
K23. Teil 22
K24. Teil 23
K25. Teil 24
Autor: ?

Briefspielgeschichte der Golgariten

Wildermark/Burg Friedstein, zur gleichen Zeit

Alrik zuckte zusammen, gab sich eine schallende Ohrfeige. Erwischt - die Mücke hatte er erschlagen, bevor sie ihm in die Wange stechen konnte. Der kleine Verrecker - wagte es doch tatsächlich, Seine Hochgeboren Alrik Tsalind Halreto von Friedwang-Baernfarn-Glimmerdieck, Baron zu Friedwang, zu attackieren. Er schnippte ihre Reste über die Brüstung, in den Orckenschrund hinein, der die Vorburg als natürlicher Graben schützte. Phex sei Dank waren es nur noch solche kleinen Blutsauger, unter denen seine Ländereien heute litten - nicht mehr der Erzfrevler und Vampir Merwan, der Friedwang so lange gepeinigt hatte. Und auch nicht mehr dessen Buhle Oleana, Gernots missatene Tochter... Der Baron ruckte seine Schaube zurecht, verschränkte die Arme, fächerte sich dann mit dem straußenfedergeschmückten Barett etwas Luft zu und genoss den sommerlichen Ausblick von den Zinnen der Burg. Das Leben war gut, das Leben war schön - so konnte es eigentlich weitergehen. Keine lästigen Steuereintreiber aus Rommilys oder gar Gareth, sein depperter Bruder auf den Senkenthaler Boronanger abgeschoben (diese marbide Gruftassel), auch mit seinem mühsam erschlichenen Hab und Gut ging es wieder aufwärts.... An Tagen wie diesem gefiel ihm selbst der güldene Glanz der Sankt-Alborans-Siegesbasilika, unten in Markt Friedwang - auch wenn er wusste, dass die meisten Praioten ihn ebenso wenig leiden konnten wie er sie. Von seinem Gönner Neibhard einmal abgesehen, der als Hochwürden seine schützenden Hände über ihn hielt. Der Prätor wusste halt, dass es keine Alternative zu Alrik Tsalind gab - Alrik, dem Fuchs von Friedwang. Für die Wildermark war dieser, von einem niedrigen Mäuerchen umgebene Marktflecken, mit seinen prachtvollen Tortürmen gen Gallys und Oppstein hin, aber auch ein echtes Schmuckstück. Die Äcker und Felder im Friedwanger Tal, im Schatten des Schratenwaldes wie der Sichelberge, standen in voller Pracht, es versprach eine gute Ernte zu werden. Auch hier oben, auf dem Friedstein, ging es unter seiner Herrschaft wieder aufwärts. Am Hang gedieh der Wein, etwas weiter oben waren seine Unfreien damit beschäftigt, eine Palisade zu ziehen, dem Schutz der Feste wegen. Noch etwas weiter Richtung Burgtor, auf der anderen Seite der Schlucht, mauerten sie gerade ein steinernes Vorwerk, wegen seiner halbkreisförmigen Form im Volksmund bereits der "Drachenkopp" genannt - eine Befestigung, die es Feinden künftig erschweren würde, die Burg im Handstreich zu nehmen (wie es diesem answinistischen Gesocks um Hauptmann Kosch-Eberstamm leider gelungen war). Alrik legte seinen Federhut Vinsalter Machart auf eine der Zinnen, zündete sich eine Pfeife an, paffte genüsslich und grüßte huldvoll in Richtung der Baugerüste. Ah, es tat gut, von einem dankbaren Volk geliebt zu werden. Das Bauwerk - Brabakane nannten es die Kriegskundler - wuchs und gedieh, bis zum Winter würde es wohl fertig werden. Er griff in die Hosentasche, zog den Bernstein hervor, den die Fronknechte und -Mägde bei den Ausschachtungsarbeiten gefunden hatten: Ein honigfarbenes Kleinod, das in der Mittagssonne glühte - und in das eine kundige Hand einen stilisierten Greifen geschnitten hatte. Der heilige Stein des Praios...wer auch immer ihn dort verloren hatte...womöglich aus der Zeit der Pfaffenkaiser stammend...Alrik wog ihn in der Hand und ließ ihn dann wieder in der Tasche verschwinden. ..Er hatte dafür gesorgt, dass sich dieses gute Omen in Windeseile herumsprechen würde - schien es doch zu belegen, dass er wider Erwarten doch in der Gunst des Götterfürsten stand. Zumindest bei den Zwölflern - für die Altgläubigen, die Anhänger der Hexenkulte und der Sokramor, zählte so etwas wenig. Der Baron spielte mit dem Gedanken, die Burg nach der Erweiterung in "Greifenbärnstein" umzubenennen, um seine Frömmigkeit gebührend herauszustellen (und den "Trutzbund von Greif und Bär", die brachliegende Allianz mit den Nachbarbaronien, zu ehren). Aber vermutlich würden das den Sokramoriern, die ihn mit ihrem Aufstand wieder zurück an die Macht gebracht hatten, wenig goutieren. Entscheidungen, immer diese Entscheidungen und Abwägungen... Eine Machtgruppe gegen die andere ausspielen, eine Erpressung hier, eine kleine Vorteilsname dort - die spießigen Praiospfaffen, die sich über diese "Korruption" aufregten, hatten ja keine Ahnung, wie schwer ein solches Gaukelspiel mit unzähligen Bällen, nein, lichterloh brennenden Fackeln war...

Das Tröten eines Kuhhorns lenkte ihn ab. Er blickte hinauf zum wuchtigen, mit Efeu überwucherten Bergfried... Kein Wölkchen am Himmel darüber...Lutina, die Türmerin, hatte gerade eben auf der Balustrade Signal gegeben - wie üblich, wenn sich eine größere Zahl Bewaffneter auf dem Karrenweg näherte, der unten im Tal von Gallys her über Nordenheim nach Marktfriedwang und weiter Richtung Rübenscholl, Gießenborn und schließlich Oppstein führte (im Nordosten).. .oder weiter von Rübenscholl aus gen Efferd, nach Senkenthal und Prähnskaten, schließlich ins Wutzenwaldische. .. Tatsächlich, nun sah auch er, von seinem niedrigeren Standpunkt aus, die Staubwolke. Von Praios, also (scheinbar widersinnigerweise) von Nordenheim her. Kein allzu großer Trupp, schätzte er, aber in diesen Zeiten war Vorsicht ratsam. Serwa, seine Gemahlin, trat mit grüner Tunika auf den Vorhof der Burg, hielt ihr Fernrohr zusammengeschoben in Händen und eilte zu ihm hinauf auf die äußere Ringmauer. Serwa...für ihre mehr als vierzig Götterläufe hatte sie sich wirklich nicht schlecht gehalten...woran allerdings auch einige hexische Mittelchen ihren Anteil hatten, wie man munkelte ...Nun, e r wusste, dass es so war... Frau Baronin warf ihre zu einem Zopf gebundenen blonden Haare über die Schulter. "Es wurde Alarm gegeben", sagte Serwa, eher gelassen. Nur eine steile Falte auf der hohen, vornehm blassen Stirn drückte Besorgnis aus. "Noch nicht. Das Hornsignal heißt nur, dass sich Kriegsvolk nähert...Nicht ungewöhnlich in diesen Zeiten..." "Wir müssen uns nicht schon wieder zanken...Nicht um Worte..." Die gebürtige Baernfarn, eine Schwester des verbannten Barons Deggen von Gallys, zog ihr "Zauberglas" auseinander und nahm die Neu-Ankömmlinge ins Visier. "Pack diesen neumodischen horasischen Kram am besten wieder ein" spöttelte Alrik und rauchte weiter. "Mit solchen Kostbarkeiten lockst du doch Plünderer und Strauchdiebe regelrecht an. Und, wer ist es? Sag bloß nicht, die Steuereintreiber unserer geliebten Kaiserin Rohaja-Popaia, wie mein Bruderherz sie zu nennen pflegt..." "Ich kann nichts sehen, wenn du hier alles vollqualmst. .." "Ach ja? Wer schimpft denn immer, wenn ich im Pallas rauche? Wer schickt mich denn immer raus auf die Mauer und macht mich damit vor dem Gesinde unmöglich?" Alrik lachte. "Überhaupt, du solltest nicht solange in der Sonne stehen, dein vornehm blasser Teint..." "Wenn man vom Namenlosen spricht..." murmelte Serwa. "Ich spreche von dir, nicht vom Praiosseibeiuns. Auch wenn das für einige..." "Wenn du mal kurz zu schwafeln aufhören würdest, könnte ich dir sagen, dass da ein ganzer Trupp Freunde von deinem großen Bruder anrückt..." "Wie?" Serwa blickte ihren Mann spöttisch an. "Zu Pferde", antwortete sie trocken. "Es sind Golgariten.. ." "Lösen die sich bei hellem Praiosschein nicht in Staub auf?" Alrik ballte die Faust. Er mochte diesen Orden nicht wirklich - keinesfalls nur, weil der ihn an ...an...an den anderen Alrik erinnerte. Bishdarielon hatte ihn bequasselt, sie hier in der Baronie anzusiedeln und Handel mit der Rabenmark zu treiben...Auch wenn er halbherzig ja gesagt hatte, war ihm immer noch nicht wohl bei der Sache. Glück hatten ihm diese düsteren Gesellen jedenfalls noch nie gebracht. "Möchtest du doch Alarm geben?" Serwa schob das Fernrohr wieder zusammen. "Geschäftlich ..." brummte Alrik. "Sie sind geschäftlich hier...nehme ich an..." "Was haben wir ihnen denn schon anzubieten - Leichen?" "Sehr witzig, Serwa. Nuuun, ich denke da per exemplum an Wolle...für die Mäntel des Ordens...und die Karrermühle müsste auch wieder aufgebaut werden...und da gibt es einige heruntergekommene Güter bei Senkenthal, die..." Serwa sah ihn pikiert an: "Und warum erfahre ich nichts davon? Dass du uns diese Unglücksraben ins Haus holst...?" "Ach...haben dir deine allwissenden Hexen- und Drudnerfreunde etwa noch nichts davon erzählt?" Alrik klopfte die Pfeife über die Brüstung hinweg aus. "Die mögen doch ebenfalls Raben. Ich bin sicher, die Golgariten wollen zu uns auf die Burg. Machen wir uns bereit, sie gebührend zu empfangen... Der Orden ist reich, schon allein deswegen sollten wir uns mit ihm gut stellen, beim Heimlichen." Der Baron rieb sich die Hände.


Alwina Perchthold, die Torwächterin, ruckte, von ihrem eigenen Schnarchen geweckt hoch – und hielt sich im letzten Moment am Kampfstab fest, bevor sie umfallen konnte. Gütige Mutter Travia, war das heiß heute….Und hatte nicht gerade eben Lutis Kuhhorn getrötet, oben auf der Burg? Sie lüpfte ihre Gugelkapuze etwas und trat aus dem breiten Durchgang des Gallyser Tors hervor – in dessen Schatten sie sich zurückgezogen hatte. Markt Friedwang döste hinter ihr weiter. Einmal Hornsignal, das hieß, eine kleinere Gruppe Bewaffneter war im Anmarsch, zweimal, dass es sich um eine größere Meute handelte. Dreimal oder mehr bedeutete Alarm. Wenn, ja wenn sie es in ihrem Dämmerzustand gerade eben richtig mitbekommen hatte, dann hatte Lutina Burgwartin nur einmal Signal gegeben. Oder? Die Perchthold seufzte, trat zwischen den geöffneten äußeren Torflügeln hindurch ins sonnenüberflutete Freie. Die Vögel zwitscherten, Bienen und Hummeln summten, in der Nähe rupften Schafe Gras auf einer Weide, rochen streng, hin und wieder blökte eines der Tiere. Schläfrige Gelassenheit schien über dem ganzen Tal zu liegen – wie auch sonst die meiste Zeit des Jahres über. Auch wenn das Leben schon gefährlicher geworden war als früher – wann hatte man das letzte Mal Wachen an den beiden großen Fachwerktürmen aufstellen müssen, die den Ein- wie Ausgang des Marktfleckens bildeten? Im Erbfolgekrieg vermutlich, der unseligen Kaiserlosen Zeit. Tatsächlich, von Süden, dem Nachbardorf Nordenheim her, näherten sich Reiter - nicht allzu viel, vier, nein, fünf, schätzte sie auf die Entfernung. Ein gelegentliches Blinken von Stahl, die Schwerfälligkeit der Bewegungen und die Massigkeit der Reittiere deuteten daraufhin, dass es sich dabei um Schwergerüstete handelte…Zu deren Rechten erstreckte sich das dunkle, hügelige Grün des Schratenwalds, linkerhand, jenseits der Äcker und Weiden, ragten die ersten schroffen Felsen der Sichelberge auf. Bei den Tatzen der Himmelsleuin… Alwina kratzte sich am Hinterkopf. Außer ihrem nicht mal eisenverstärkten Kampfstab und dem Essmesser hatte sie keine Waffe, und die meisten Bauern befanden sich um diese Tageszeit draußen auf ihren Feldern, die ersten Erntearbeiten hatten begonnen und würden sich bis Ende Rondra hinziehen. Auf die Schnelle würde ihr niemand zur Hilfe kommen können. Früher, ja früher, da hatten die Dorfbüttel Ochsenziemer mit sich geführt – ungemein wirkungsvolle, fast schrittlange Schlaggerten aus verdrillter Darpatbullenhaut. Um eine aufsässige Meute Bauern oder ein Rudel diebischer Rotpelze auseinanderzutreiben gab es einfach nichts Besseres. Bis irgendjemand Hochwürden Jadwina schonend mitgeteilt hatte, von welchem Körperteil des Ochsen g e n a u die Haut stammte. Die empörte Traviahochgeweihte hatte beim Baron erwirkt, dass der Ochsenziemer nicht mehr von den Bütteln verwendet werden durfte - das sei ja eine selemitische, nein, eine geradezu oronische Waffe, beim Heiligen Travinian! Also hatte man die schönen Gerten mirnichts, dirnichts an die Hunde verfüttert, für die sie immerhin eine ebenso schmack- wie nahrhafte Leckerei gewesen waren. Alwina kicherte. Genauso wie damals Yandrade, die Kaplanin des Rondraschreins oben auf der Burg, sämtliche Armbrüste der Friedwanger Gebirgsschützen hatte zerstören lassen wollen. Wunderbar – es war schon ein böser Witz – genau in dem Moment, wo die Baronie Friedwang der unter dem unseligen Baron Gernot (diesem Verräters) angehäuften Waffen bedurft hätte, standen sie nicht mehr zur Verfügung…Was zählte ein „Gebirgsschütze“ eigentlich noch ohne etwas Ordentliches zu schießen? Mit ihren Kurzbögen kamen die „Steinböcke“ der Baronsgarde jedenfalls mehr schlecht als recht zurecht…Nur gut, dass die rondraeifernde junge Firunslicht heute hier, morgen dort, jedenfalls höchst selten auf der Burg weilte – und einige der schönen alten Geißfuss-Armbrüste aus der Zeit Retos das Zerstörungswerk überstanden hatten, gut versteckt in Fehlböden, in Dachkammern und unter großen Strohhaufen…

Egal, sie hatte eben nur diesen Kampfstecken – und von der Schreckfratze über dem Torbogen, einem feisten Ogergesicht, das gen Praios, in Richtung Gallys und der Trollpforte seine Zunge herausbleckte, würden sich Neuankömmlinge schwerlich einschüchtern lassen. Selbst mit einer Ogerschelle oder einem Rondrakamm in der Hand hätte sie sich kaum des Trupps zu erwehren vermocht: Es waren – ihr stockte der Odem ob der Erkenntnis - Rabenmärker, die sich entlang des von Getreidefeldern, Steinmäuerchen und den Gattern der Viehweiden gesäumten Karrenwegs näherten. Zwar waren die Rüstungen unter der dicken Staubschicht auf den Mänteln und hitzegebeugten Köpfen kaum zu erkennen, aber das Wappenhemd des Ordens, mit schwarzen Schwingen über einem gebrochenen Rad, sprach eine deutliche Sprache… Alwina schluckte. Sie teilte den weit verbreiteten Aberglauben nicht, dass Golgariten fahle, unglücksbringende Gespensterreiter wären – dafür hatte sie einfach schon zu viele von diesen schweigsamen, harten, irgendwie bewundernswerten Kämpfern gesehen. Die Streiter Golgaris…Gerade in Marktfriedwang hatte man es nicht vergessen, dass sich weiland, im Jahr des Feuers, ein Trupp Ordenskrieger an der Verteidigung des Dorfes beteiligt hatte, gegen die Horden dieses schauerlichen Blutsaugers Merwan und seines Spießgesellen, des Totenbeschwörers Ludeger…Leichen-Ludeger….Von Burg Boronia her waren die tapferen Streiter herbeigeeilt, und wie ihre Feste oben in den Rammholzer Bergen kämpfend untergegangen…nicht ohne zuvor selbst manchen Feind, sei er nun lebend oder untot, dem Schiedsspruch ihres düsteren Gottes überantwortet zu haben. Nein, Alwina fürchtete sich nicht vor den Schwarz-Weißen: Der Tod und der Krieg gehörten eben untrennbar zusammen. Das hatte ihr Vater immer gesagt, der einst in der Ogerschlacht gefochten hatte und sicher wusste, wovon er sprach. Bevor er mit feucht schimmernden Augen ins Leere geblickt, die Hand zur Faust geballt und sie sehr, sehr lange nicht mehr geöffnet hatte. Alwina versuchte wieder an die Gegenwart zu denken. Kein Zweifel: Diese furchtlosen Streiter überbrachten Borons Geschenk allein den Feinden der Unsterblichen Zwölfe, nicht irgendwelchen abergläubischen Bauern, die allzeit Golgaris Schwingen hinter ihnen rauschen zu hören glaubten. Es gab sogar Friedwangen wie der weitgereiste Storko, die sich lobend über das Leben des Landvolks in der Rabenmark äußerten - das weitaus sicherer, ja, auch sonst annehmlicher sei als hierzulande in der Wildermark. Oder in Friedwang, wo ihr Baron Alrik doch eher nostrianische Dörfer als wirklichen Wohlstand errichtete: aufgehübschte Fassaden, nebst schönen, selbstgefälligen Reden und wenig dahinter….Zur Zeit hatte der Fuchs sich in seinen Bau zurückgezogen, mauerte sich regelrecht in seiner Burg ein, schien dem eigenen Volk zu misstrauen…Das hatte ihn mit einem blutigen Aufruhr gegen die Kriegsherrin Oleana, vor fast genau drei Götterlaufen auf dem Friedwanger Marktplatz, zurück an die Macht gebracht – es konnte ihn jederzeit auch wieder stürzen. Manche knurrten gar, Alrik wäre längst dem grausamen Gernot ähnlich geworden, mit seinem finsteren Humor und Hochmut – sowie einer wenig ruhmvollen Herkunft. Alwina hieß solche Hetzreden nicht gut, nicht nur wegen ihrem Amt als Dorfbüttelin. Respekt vor der Obrigkeit war dünn gesät – und wurzelte flach - in diesen Tagen. Gerade ihr guter alter Vater hätte so etwas bedauert – das Haus Friedwang, zur Zeit von Alriks Mutter Tsalinde, war für ihn fast schon etwas Praiosheiliges gewesen, und nun… Aber man konnte sich die Zeiten nicht aussuchen, in denen man lebte. Wohl aber den Ort. Alwina spielte schon lange mit dem Gedanken, in die Rabenmark zu gehen, als Waffenmagd: Wenn der Orden dort für Dienste auch nur halb so gut zahlte, wie man sich erzählte, und man unter seiner Obhut so ruhig schlummerte wie in Borons Schlafhalle, frei von Hunger, Angst und Schmerz… dann war das sicher eine Überlegung wert. Gewiss, die Schwarzkutten des Tempels (geschweige denn der nahe Todeswall) waren auch ihr nicht geheuer, aber der Orden …. Hufgeklapper von der anderen Seite des Tors, von der Straße Richtung Alboransplatz und Gänsebrunnen her, lenkte sie ab. Steenbock – der Friedwanger Herold, eine der vielen Eitelkeiten, die Seine Hochgeboren von der gestürzten Oleana übernommen hatten. Ein hagerer, ergrauter Spitzbart im farbenprächtigen Wappenrock der Baronie, das den goldenen Steinbockkopf auf blau rotem Grund zeigte, ergänzt um silberne Weintrauben. Alwina erinnerte der Herold irgendwie an dieses almadanische Märchen vom Ritter in der traurigen Gestalt - ein vornehmes, leicht schwermütiges Überbleibsel aus besseren Jahrzehnten. „Kunbert…Ihr seid wegen der Golgariten hier? So schnell?“. Der Herold lüpfte knapp sein Barett. „So ist es. Ich soll Ihnen das Ehrengeleit hinauf zur Burg gewähren, sagt der Herr Baron...“ Und die kämpfenden Mönche gehörig beeindrucken mit deinem bunten Wams, dachte Alwina. Reichtum und Macht vorgaukeln, wo wenig bis nichts davon übrig geblieben ist, mitten im wankelmütigen Herz der Wildermark. Aber der Orden war nicht dafür bekannt, vor derischer Pracht in Ehrfurcht zu erstarren. Sie wandte sich wieder den Reitern zu. Sie zählte jetzt eindeutig fünf von ihnen, die sich in leichtem Trab dem Tor näherten – und anhielten. Alwinas scheuer, vom Praiosschein geblendeter Blick ging über die Reiter hinweg: drahtige Leiber, verschlossene Gesichter, auf Anhieb fiel ihr nur ein ungemein stolz wirkender Kahlschädel ins Auge. Der erste Reiter, womöglich der Anführer, wirkte irgendwie südländisch. Sie sehen aus wie Raubtiere, die sich selbst gezähmt haben, dachte die Büttelin. Es war gut, dass sie ihnen nicht allein entgegen treten musste. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Kunbert Steenbock verneigte sich exakt. „Die guten Zwölfe zum Gruße. Willkommen in Markt Friedwang, dem Residenzort Seiner Hochgeboren Alrik Tsalind von Friedwang-Baernfarn-Glimmerdieck. Ich nehme an, die werten Herrschaften wollen zum Herrn Baron - der, äh, Geschäfte wegen?“

Golgariten.gif

Gregorius ließ seinen Blick über die ansteigenden Bergflanken schweifen, die sich in beeindruckender Weise zu seiner Seite erhoben. Doch hatte er keinen Sinn für die schroffe Schönheit der darpatischen Natur. Er hielt nach Feinden Ausschau. Froh, endlich der Enge Burg Mersingens und dessen eintönigen Tagesablauf entkommen zu sein, zog er zufrieden die kalte Luft ein. Dampfende Rauchschwaden entflohen seinem Mund als der Atem geräuschvoll seine Lungen verließ. Das Geräusch wurde von dem Geklapper der Pferde übertönt, riss ihn aber aus seinen Gedanken. Die meiste Zeit hatten die Reiter schweigend ihren Weg zurückgelegt, und so hatten alle viel Zeit sich auszumalen, was sie erwarten würde.

In der Ferne ertönte ein Hornsignal, wie ihn die Hirten auf den Weiden verwendeten, und als der Weg um eine kleine Schneise bog, sah er in der Ferne einen kleinen Torturm, aus dem soeben zwei Personen traten. Die Gruppe zügelte das Tempo, und kam vor dem Gebäude zum stehen. Die beiden Personen waren so unterschiedlich wie sie nur konnten. Der eine, ein Knecht, der sein Erstaunen kaum verhehlen konnte, der andere ein ausstaffierter Geck mit Kappe.

Gregorius trieb sein Pferd einen Schritt vorwärts und wollte das Wort erheben, als ihn der harte Blick des Schwingenführers traf. Gregorius schluckte schwer, und blickte stumm über die Köpfe der beiden Fremden, um seinem Vorgesetzten das Wort zu überlassen.

Erst jetzt merkte er, dass der vermeintliche Knecht eine (ziemlich grobschlächtig) geratene Frau war. Ein echtes Mannweib von Büttelin…

Es war nicht das erste Mal, das sich Dschelef aufgrund einer schmucklosen Eingebung aufmachte. Es war auch nicht das erste Mal, das er dabei nicht nur sich, sondern auch ihm treu ergebene Ritter anführte. Es war jedoch das erste Mal, das er nicht genau wusste, warum er nun hier, in einem ihm fremden Landstrich unterwegs war. Doch bisher hatte ihn der Rabengott nie in die Irre geführt. Auch deswegen ritt Schwingenführer Dschelef mit eherner Entschlossenheit seinem Bruder in Friedwang zur Hilfe. Für ihn gab es keinen Zweifel, dass es Boron selbst war der ihn hier her befahl.

Drei Brüder hatten sich ihm angeschlossen, darunter einer der ewigen Knappen, zumindest war er ihm so in Erinnerung geblieben. Er hatte zuvor nie wirklich mit diesem Gregorius zu tun gehabt, umso mehr war er gespannt wo der Antrieb des Knappen lag sich dem Zug anzuschließen! Doch dazu würde sich wohl noch genug Zeit finden.

Es missfiel ihm nicht, das Gregorius so überzeugt von sich war, vorzupreschen. Ein Wesenszug wie ihn nur wahre Krieger in sich trugen. Doch bis sie am Ziel angekommen wären, musste auch er sich noch unterordnen, so wie es die Lex Boronia befiehlt.

Mit strenger Hand zeichnete Bruder Dschelef das Boronsrad zum Gruß und richtete seine kargen Worte an die hühnehafte Person vor ihm: „Man erwartet uns!“