Heerzug gegen Haffax - Ein düsterer Morgen

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Darpatien, 13. Ingerimm 1039, Heerlager zu Gallys

Am Tiefpunkt?

Der Frühnebel über der Baernfarnebene hatte sich gehoben und die Rauchwolken über dem Koscher Lager waren abgetrieben. Eine gespannte Ruhe lag über dem kaiserlichen Heerlager nachdem sich ab dem frühen Morgen die Ereignisse überschlagen hatten: zuerst waren in mehreren Lagern der Provinzen Streitrösser an den Tränken vergiftet worden, dann war nach einem Mord an einer koscher Bierwache ein mutmaßlicher Spion von Haffax‘ Gnaden verfolgt worden – ohne Erfolg.
Die Aufräumarbeiten und das Leben im Feldlager fanden im Verlauf des Vormittags eigentümlich gedämpft statt, nachdem nun klar geworden war, dass der Feind nicht daran dachte, die Etikette des Schlachtfeldes abzuwarten, sondern bereits hier in Gallys einen Vorgeschmack des Kriegs unter sie getragen hatte.

Verstärkt hatten die Heerführer Wachen aufstellen lassen, die nun einen größeren Teil der Streiter in dieser Aufgabe banden. Der Austausch zwischen den verschiedenen Feldlagern war dadurch nicht einfacher geworden, wie der Page Fernando von Graytenau erfahren hatte, als er eine einfache Nachricht in das Lager der Windhager hatte bringen wollen. Nicht nur, dass er mehrere Male aufgehalten worden war, auch auf den Empfänger seiner Nachricht hatte er warten müssen, da der Windhager unmittelbar dem albernischen Stab unter Cuanu ui Morfais berichtet hatte, wie er später erfuhr.
Dafür hatte Fernando mit dem Waffenknecht von Aeladir Bekanntschaft gemacht: ein stämmiger nicht allzu groß gewachsener Mann in den mittleren Jahren, der eine saubere Bundhaube nebst Wappenrock trug. Deutlich wies die gestürzte gelbe Spitze auf dem groben grünen Leinen den Kämpen als Gefolgsmann Aeladirs aus. Tatsächlich wirkte Ulfert, so hatte er sich gegenüber Fernando vorgestellt, zuvorkommend und verhalten freundlich – er hatte dem Pagen einen Platz auf einer kleinen Kiste vor dem leeren, abgeschnurten Bereich der Pferde gewiesen und ihm etwas Wasser gereicht.
Der Page der Boltansrodenerin hatte natürlich artig gewartet, er hatte ohnehin nichts besseres zu tun, war seine Pagenmutter doch erst einmal mehr außer Gefecht gesetzt worden – ein Zustand, der ihm durchaus bekannt war, gab es doch immer mal wieder Unpässlichkeiten, wenngleich diese auch meist vollkommen anderer Natur waren.
Da angebotene Wasser hatte er dankend angenommen, obgleich er nicht durstig war, einfach der Höflichkeit wegen und dann den Waffenknecht aufmerksam beobachtet, so lange er eben warten musste. Ganz schön beschäftigt ist der Winhager, dachte Fernando bei sich, gestern beim gemeinsamen Abendmahl hatte sich das irgendwie anders angehört.
Schließlich hatte das Warten ein Ende und der Ritter und seine merkwürdige Waffenmagd kamen mit dem kleinen Braunfalben, einem Tragejoch und Eimern auf dem Pfad zwischen den Zelten heran: Thyria sah furchtbar aus - blutüberströmt – das einfache Hemd und die Hose vollkommen besudelt.
Erschrocken sprang der Knabe auf. Noch bevor er überhaupt jemand hatte erkennen können, war ihm dieser süßliche, metallische Geruch in die Nase gestiegen und ein kalter Schauder hatte ihn gepackt – Blut. Wie lange hatte er gebraucht, bis er sich einigermaßen an diesen Geruch gewöhnt hatte? Selbst jetzt wenn er mit seiner Pagenmutter auf der Jagd war und sie es ihm überließ das erlegte Wild aufzubrechen, dann schüttelte er sich noch manchmal... Und dann erst das Stück rohe Leber, dass er da immer essen musste – Igitt!
Auch der Erb-Junker machte einen erschöpften Eindruck. Er trug nur Cotte, Lederhose und leichte Stiefel und wirkte, obwohl er unbewaffnet war, als habe er eine Schlacht durchlebt. Wie selbstverständlich führte Thyria das Packpferd in das improvisierte Gatter.
„Ulfert!“, stieß er atemlos hervor. „Bring Wasser und Essen für Thyria und geh‘ danach in die Stadt hinauf. Eisenhuf und der Fuchs sind tot und müssen dringend ersetzt werden. Hör‘ dich auf dem Markt um, ob und wer Pferde verkauft. Frage bei unserem Trossmeister und auch dem albernischen an, ob die vielleicht Rat wissen. Und sprich auch mit Richild, wenn du wieder zurück bist, da sie gerade noch bei den Alberniern ist.“
Und Fernando versuchte sich aufgrund der Worte eben zusammenzureimen, was vorgefallen sein musste – zwei Pferde des Windhagers waren tot, Thyria voller Blut und Aeladir von Waldbachtal sah wirklich erbärmlich aus und das dieses mal nicht, weil er sich nicht gewaschen, gebürstet oder gut gekleidet hatte, nein, es war sein Gesicht und nicht zuletzt seine Augen, sodass Fernando nicht recht nachfragen wollte, was genau vorgefallen war. Arme Thyria, dachte er, für ein Mädchen ist sie gar nicht so übel und hoffentlich ist sie nicht verletzt bei dem ganzen Blut.
Dann wandte sich der Ritter seinem Gast zu: „Ich habe nicht viel Zeit, wie du siehst! Hast du Nachricht aus dem koscher Lager? Ich habe Rauch über den Zelten gesehen...“. Offenbar blieb Fernando selbst nach der langen Wartezeit nun kaum Zeit, seine Nachricht zu überbringen:
„Ihre Wohlgeboren, Nale von Boltansroden, lässt Euch ausrichten, also eigentlich eher ihre Bannerträgerin, denn die Junkerin ist derzeit... ähm... unpässlich, ja genau, also ich soll euch ausrichten, dass sie in die Ereignisse im koscher Lager verwickelt war und auch verletzt wurde, aber nicht sonderlich schwer - kurz: Der Junkerin geht es soweit gut!“
Erneut schien er Aeladir von Waldbachtal bei etwas Wichtigem gestört zu haben. Erwartungsvoll schaute Fernando den Erb-Junker mit seinen saphirblauen Augen an.
„Meine besten perainegefälligen Wünsche an die Junkerin, ich werde später vorbeikommen und sie kurz besuchen“, nickte Aeladir knapp Fernando zu und verschwand kurz in seinem bescheidenen Zelt. Sogleich kam er mit einer frischen Cotte wieder hervor, zog sich die verschwitzte über den Kopf und warf sie eilig auf das Zelt. Während er sich noch die frische Kleidung überstreifte, schälte sich auch Thyria aus dem schon steifen Leinen und stand unversehens nackt neben dem Zelt und Fernando. Dieser war sich unsicher ob er nun hinsehen durfte oder wegsehen musste, gefangen zwischen einer Entscheidung, die er nicht recht zu treffen in der Lage war, musterte er eben ihren nackten Körper; es war ja nicht so, als hätte er noch nie ein nacktes Mädchen gesehen.
Ulfert stellte einen Eimer Wasser neben sie und legte Handtuch, Badebürste sowie Kernseife bereit. Dann zog er sich bedächtig seinen Wappenrock aus, den säuberlich faltete und ebenfalls auf das Zelt legte: „Hock dich nieder“, meinte er fast sanft zu Thyria und begann dann ihre kurzen braunen Haare langsam mit Wasser zu übergießen...
Gebannt schaute er den beiden einen winzigen Augenblick lang interessiert zu, dann wandte er sich zu Aeladir von Waldbachtal um und sagte, weil er ja nicht so recht wusste, was er nun sagen sollte: „Euren Verlust bedauere ich wirklich sehr!“
„Danke“, kam sparsam vom Ritter zurück und es machte auch nicht den Eindruck, als wollte er noch etwas hinzufügen.
Fernando nickte, ließ seinen Blick von seinem Gegenüber schweifen, weil er kein weiteres Wort darüber verlieren wollte und leitete zur Verabschiedung über. Dabei hörte er sich an, wie die Junkerin selbst: „Die Götter seien mich Euch und den Euren, ganz besonders in jener Stunde, da Ihr sie am meisten an Eurer Seite braucht!“
„Und mit dir… Hab‘ dank“, brummte Aeladir und richtete seine nächsten Worte an Thyria: „Beginne schon damit Eisenhuf zu begraben. Und nimm den Falben mit – du wirst ihn brauchen.“ Da die Aufmerksamkeit des Erb-Junkers bereits auf anderen Dingen lag, wandte sich Fernando um und ging. Doch warf er noch einen neugierigen Blick zu Thyria hinüber. ‚Das war doch mal ein Mädchen – nicht so wie diese dumme Ira!‘

Nach dem Morgen

Es war schon nach der Praiosstunde als Aeladir schließlich seinen Weg in das Lager der Koscher fand. Da ihm mittlerweile einige wilde Gerüchte den Leumund des Junkers zu Eichstein betreffend zu Ohren gekommen waren, führte ihn zuerst der Weg zu Baduar: der Windhager konnte sich nicht vorstellen, dass der Eichsteiner sich mit Haffax gemein gemacht hatte und wollte diesen Dingen auf den Grund gehen, bevor er Nale besuchte.
Als der Windhager in die Nähe des Eichsteiner Lagers kam, lag der Duft nach Fäulnis, Verwesung und Kot noch immer in der Luft, auch wenn er nicht mehr so intensiv war wie am Morgen.
Hadomar und ein Großteil der Waffenknechte des Eichsteiners saßen an dem großen Tisch, der frisch geschrubt wirkte und waren noch mit dem Reinigen von Kleidungs- und Ausrüstungsgegenständen beschäftigt, an denen der Geruch noch immer anhaftete. Der Eichsteiner selber und drei seiner Leute – eine Waffenmagd, die Aeladir als Sirala Hopfbauer kennengelernt hatte, Yeobdan Tannhaus, der erfahrenste Waffenknecht des Junkers sowie sein Knappe Aedin Jendar von Eschenquell – waren anscheinend kurz vor ihm beim Lager angelangt und an den großen Tisch getreten.
„...mit seiner Hochwohlgeboren besprochen, das wir die Wachen anders aufteilen werden. Leider hat sich von dem Saboteur keine weitere Spur mehr ergeben, das können wir wohl abhaken. Heute Abend werde ich mich gemeinsam mit dem Wengenholmer beim Feldlager der Praioskirche einfinden – ich will, dass Klarheit besteht. Diese Genugtuung gewähren wir unserem Feind nicht, bei Praios!“ war der Eichsteiner zu vernehmen, als Aeladir das Lager erreichte und von dem eher wortkargen Yeomar Bonninger, der als Wache eingeteilt war, mit einem Nicken begrüßt wurde. Die anderen am Tisch hatten den Windhager noch nicht bemerkt.
„Seid gegrüßt, Yeomar. Ist jedermann sonst wohlauf? Ich habe gehört die Junkerin Nale sei verletzt worden?“
Der Angesprochene nickte zur Bestätigung: „Die Götter mit euch, Herr. Da habt Ihr richtig gehört, aber geht am besten rüber zum Tisch, der Junker und die anderen sind gerade zurückgekommen“ brummelte er etwas unverständlich in Richtung des Windhagers und deutete hinter sich zum Tisch. „Die Götter zum Gruße und an diesem Praioslauf der Segen der Gütigen Säerin auf Euch“, trat Aeladir ohne Umschweife hinzu. „Mir sind einige wilde Gerüchte zu Ohren gekommen, neben der Tatsache, dass Ihr wohl übergegangen seid zum Feind, hörte ich auch, dass die Junkerin von Boltansroden verletzt sei?“ Der Windhager schnupperte in die Luft und fügte sofort noch hinzu: „Wie mir scheint, seid Ihr glücklicherweise unverletzt, zumindest äußerlich, Euer Wohlgeboren?“ „Ah, Aeladir, Sei mir gegrüßt und der Götter Segen auch für Euch“ wurde er vom Junker empfangen, der ob der Erwähnung der Gerüchte missmutig dreinschaute.
„Ja, ich bin seit Neuestem wohl oberster Überläufer, Geheimnisverräter und so manches mehr, wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf. Aber abgesehen von meinem Leumund bin ich nicht zu Schaden gekommen, von wenigen kleinen, oberflächlichen Schrammen abgesehen. Meine Base hat sich bei der Verfolgung des Saboteurs am Kopf verletzt, ist aber soweit wohlauf. Wenn ich richtig informiert bin, solltet Ihr sie in ihrem Lager anfinden. Aber sagt, was ist dran an den Gerüchten, die man vernahm, es wurden Pferde vergiftet?“
Düster antwortete Aeladir: „Das ist leider nur allzu wahr. Eisenhuf und mein warunker Fuchs wurden gemeinsam mit bestimmt 20-30 Rössern der Albernier und Nordmarken am Wiesenbach vergiftet und sind qualvoll zu Tode gekommen. Wie ich hörte, sind auch die Tränken der Greifenfurter betroffen. Glücklicherweise gab es unter den Knappen nur Verwundete und keine Toten, wiewohl einer nur durch eine nordmärker Boroni ins Leben zurückfand.“
„Das ist wahrlich bedauernswert und es tut mir leid, dass zu hören, speziell auch wegen Eurem treuen Ross, von dem Ihr mir noch in Angbar so viel Gutes erzählt habt“ erwiderte der Eichsteiner ruhig und schüttelte traurig den Kopf.
„Wenn der Feind so weiter macht, dann ist das Heer bis zum Augenblick der Schlacht soweit zerrüttet, dass es keines großen Gegners mehr braucht. Haffax, der alte Haudegen, er versucht es mit allen Mitteln. Bitter für uns ist, dass er auch noch sehr gut darin ist. Und er weiß ganz genau, dass wir die gleichen Mittel nicht nutzen können, ja, nicht nutzen dürfen, treten wir doch an, um gegen das Böse, das Verderbte anzutreten. Manchmal ist es fürwahr nicht so einfach, auf der Seite der Guten zu stehen und die Moral und Göttergefälligkeit hoch zuhalten, wenn man gegen solch Gegner antritt.“ sagte er düster und hielt einen Augenblick inne. Dann schaute er Aeladir fest an. „Aber dafür sind wir angetreten, nicht wahr? Weil wir tun, was getan werden muss. Und das ist auch gut so. Kommt, wir wollen einmal nach meiner Base sehen und schauen, ob sie sich schon wieder erholt hat“.
Aeladir nickte langsam: „Ich habe gehört, es hatte zuvor einen Toten gegeben? Was ist Euch genau passiert und besonders Nale, da Ihr, Baduar, ja unverletzt seid?“
„Einer Bierwache wurde der Hals durchgeschnitten, einige der Bierfässer zerschlagen und obendrein einen Humpen mit einem schmierigen Pergament in die toten Hände gedrückt, um mich und meine Leute für diesen ungeheuerlichen Zwischenfall verantwortlich zu machen. Daraufhin sammelte sich hier ein Mob, der diesem offensichtlichen Blödsinn auch noch Glauben schenkte. Und noch während wir damit beschäftigt waren, diesen Mob aufzulösen, tauchte ein Saboteur auf, der eine Stinkbombe in die Menge warf und sich dann verdrückte. Leider konnte er fliehen, da alle, die ihn hätten verfolgen können, durch die Auswirkungen der Bombe nicht in der Lage waren, die Verfolgung rechtzeitig aufzunehmen. Als wir uns schließlich doch aufraffen konnten, bemühten wir uns, ihn zu stellen. Doch schließlich, als wir schon dachten, das wir ihn in einem Zelt gefangen setzen könnten, verschwand er auf magische Art und Weise. Ich habe außer den üblen Auswirkungen der Stinkbombe den Göttern sei Dank kaum etwas abbekommen, aber meine Base wurde Opfer eines magischen Artefaktes des Attentäters, das sich erst in ihren Handschuh einbrannte und Verbrennungen an ihrer Hand zur Folge hatte und dann explodierte. Den Göttern sei dank hatte sie den Ring mitsamt ihres Handschuhs weit von sich geschleudert und wurde durch die Explosion nur von den Beinen gerissen. Wäre der Ring direkt bei ihr, gar noch in ihrer Hand explodiert, dann hätte sie das glatt töten können.“ schilderte Baduar daraufhin die Ereignisse.
„Unglaublich...“, entfuhr es Aeladir ungläubig nach dieser zuletzt schon fast etwas fantastisch anmutenden Erzählung Baduars, doch da der Windhager den Junker als praiosgläubigen Edelmann kannte, war nicht davon auszugehen, dass hier übertrieben worden war.
So schüttelte der Jüngere den Kopf und fuhr dann nachdenklich fort: „… also ist Nale jetzt durch die Ereignisse gezeichnet?“
Kurz verfiel er wieder in Schweigen und setzte dann nochmals an: „Wart Ihr Zeuge von diesem Verschwinden und ist dies bereits untersucht worden: ich verstehe nicht viel von diesen Dingen, aber konnte zumindest festgestellt werden, ob der Spion von Haffax unsichtbar wurde oder sich sogar magisch entrückt hat?“
Baduar hielt einen Augenblick inne und rief sich die Geschehnisse am Morgen in Erinnerung, bevor er antwortete: „Er floh in ein Zelt, wir mehr oder weniger hinterher. Einen Hund hatte er bei sich, das Zelt, selber ließ sich aufgrund fehlender Wappen oder Farben nicht einordnen. Ich bin mir sicher, dass sich die Zeltplane nicht mehr bewegte, bis wir dort ankamen, doch war außer einem alchemistischen Chaoshaufen dort kein Lebewesen mehr, weder Mann noch Hund. Daher vermuten wir magisches Verschwinden, aber wie immer, wenn man man einen braucht, ist keiner dieser Magier zur Stelle. Aufgrund dessen, was ich von meiner Frau zwischenzeitlich über Magie gelernt habe, war er wohl nicht unsichtbar, dann hätte sich immer noch die Zeltplane bewegt, ich tippe also eher auf magisches Verschwinden, einen Teleportzauber oder ähnliches.“
Aeladir nickte, hatte er doch dies bereits befürchtet, da es den Schmieden von Yol-Ghurmak ein Leichtes sein musste, ein entsprechendes Kleinod zu fertigen. Oder dieser verfluchten Zauberschule des Schattenmarschalls in Mendena: „Warum, glaubt Ihr, war es dem Spion wichtig, ausgerechnet auf Euch den Verdacht zu lenken?“
„Gute Frage, Aeladir. Diese Gerüchte verfolgen mich seit dem Geburtstag des Fürsten in Angbar im letzten Travia, dabei habe ich im Kosch nun nicht unbedingt viel Einfluss oder eine herausragende Position, so dass es unserem Gegner viel nützen würde. Die Auswahl scheint mir ziemlich wahllos zu sein, Hauptsache es entsteht Verwirrung, Misstrauen und Unsicherheit in unseren Reihen. Dass ich tatsächlich im Stab vom Wengenholmer landen würde, wusste zum damaligen Zeitpunkt noch niemand, das hat sich erst in Steinbrücken ergeben.“, erwiderte Baduar und schien nachdenklich. Einen rechten Reim konnte er sich auf die Gerüchte nicht machen, aber dem Feind war alles recht, um die Kampfkraft des kaiserlichen Heeresaufgebotes zu schwächen.
„Das habt Ihr beim gestrigen Mahl gar nicht erwähnt, oder? Ich meine, Eure Berufung in den Stab, Baduar. Glückwunsch! Wie hat sich das zugetragen?“
„Ich bin auch noch nicht ganz sicher, was ich von der Berufung halten soll. Der Grund, warum ich gestern davon noch nichts berichten konnte ist, dass sich dies erst heute Morgen ergeben hat, als ich über die Vorkommnisse berichtete. Über die genaue Zusammensetzung des Stabes macht man sich seit Steinbrücken Gedanken. Ich werde Graf Jallik von Wengenholm unterstützen, die eine oder andere Schlacht habe ich in der Vergangenheit ja schon erleben dürfen. Das hat wohl auch jemand im Stab gedacht und gemeint, dass meine Erfahrung auf dem Feld eine gute Ergänzung ist. Also werde ich mich dieser Aufgabe stellen...“.
Aeladir nutzte eine kurze Pause von Baduar, als dieser in einen neuen Pfad einbog, um erstaunt einzuwerfen: „Ihr wisst nicht wer für Euch Fürsprache genommen hat? Ist dann die Berufung in den Stab nicht noch gefährlicher, als sie es schon eh schon ist? Immerhin ist zu befürchten, dass Ihr das Ziel von Ränken seid, Baduar.“ Zuletzt hatte der Windhager seine Stimme etwas gesenkt.
„Mein Bruder hat schon dem Haus Wengenholm treu gedient. Wenn ich nun gebeten werde, meine Erfahrung im Stab einzubringen, wer wäre ich, diese Bitte abzulehnen? Natürlich birgt dies Gefahr, aber das tut auch der gesamte Heerzug,“ antwortete der Eichsteiner und in seiner Stimme schwang eine gewisse Fatalität mit.
„Aber wer waren Eure Fürsprecher? Ist Euch das bekannt?“, setzte der Jüngere nochmals nach. Baduar hielt einen Augenblick inne, bevor er auf die Frage antwortete. „Mein Bruder diente dem Haus Wengenholm schon treu – wer bin ich, der diesen Ruf nicht erhört. Ich habe meinen Teil an Schlachtenerfahrung gesammelt in den vergangen Jahren – unter anderem damals auf den vallusanischen Weiden und in der dritten Dämonenschlacht. Als der Graf mich fragte, ob ich meinen Teil dazu beitragen werde, die Koscher durch den Heerzug zu führen, war die Antwort klar. Denn unserer Verantwortung können wir nicht entrinnen, Aeladir. Aber jetzt bin ich doch neugierig geworden: Würdet Ihr mir berichten, was sich bei euch genau zugetragen hat? Konnte man den Täter in Eurem Lager fassen?“
Aeladir hatte zwar noch eine andere Frage auf den Lippen, stellte diese aber zurück. Als er wieder gezwungen war an Eisenhuf zu denken, begann er mit schwerem Herzen rasch zusammenzufassen: „Richild und ich kamen bereits zu spät, als wir von einem Knappen die Nachricht erfuhren. Ihre Hochwürden Ivetta hatte die Kunde sofort weitergeleitet. Sodann nahm ich meine treue Langmähne und brachte Richild zum Ort des Geschehens, da auch Thyria an der Tränke weilte. Die Tränke selbst war ein Ort des Schreckens: als wir ankamen, waren sämtliche Pferde bis auf eines tot. Nur einige albernische Knappen hatten Glück im Unglück, da sich eines ihrer Pferde losgerissen hatte und erst zu Pferde eingefangen werden musste. Alle anderen lagen schrecklich entstellt…,“ Aeladir schluckte kurz, „...wohl wegen der Schmerzen dieses verfluchten Gifts – um die Tränke herum. Der gütigen Mutter sei Dank, dass Thyria unversehrt bliebt, da ein albernischer Knappe nicht so viel Glück hatte: er hatte versucht, mit einem Ross Hilfe zu holen und wurde nach kaum drei Dutzend Schritten unter dem zusammenbrechenden Tier begraben... Auch der Knappe des Barons von Rabenstein war wohl versehrt.
Wie sich später herausstellte, hatte aber eine Knappin einen Mann mit einem Hund gesehen, der früh morgens von der Tränke kam. Ira von Plötzbogen drängte darauf - ohne Sinn und Verstand - den Mann zu verfolgen: gerade erst war einer der nordmärkischen Knappen wohl durch ein Wunder des Boron ins Leben zurück gebracht worden und Ardan Falkraun, der verletzte Albernier, war in Richilds Obhut. Hochwürden Ivetta schien kaum ansprechbar. Zudem war mein Pferd eines von Zweien, das den Knappen rasch zurückbringen konnte. Darüber geriet ich mit der jungen Plötzbogen fast in Streit, da sie ohne Rücksicht – ein Viertel einer Wegstunde nach Beginn der Vergiftung - sofort die Verfolgung aufnehmen wollte. Und während wir stritten, sahen wir Rauchwolken über dem Heerlager aufsteigen, über den Zelten der Koscher wie mir schien“, schloss Aeladir.
„Ein Mann mit Hund – das könnte der gleiche Halunke gewesen sein, denn kurz nachdem dieser üble Anschlag bei uns geschah, sahen wir ebenfalls einen Mann mit Hund, der sich schnell zwischen den Zelten hindurch aus dem Staub zu machen versuchte – was ihm ja schließlich auch gelang.“, grübelte Baduar vor sich hin, während sie die letzten Schritte zum Lager der Boltansrodener hinter sich brachten.
Vor ihnen tauchten die beiden ovalen Zweimastzelte und das Sonnensegel des Lagers der Junkerin auf, dazwischen Personen, die sich hin und herbewegten und die zumindest Baduar alle bekannt waren. In einem abgetrennten Bereich standen die Pferde, im Übrigen allesamt Rappen, wobei ein ganz besonders schönes Tier unter ihnen war.
Aeladir hielt Ausschau nach Fernando, ließ aber Baduar den Vortritt, sie beide anzukündigen. Sie konnten den kleinen Almadaner bereits ausmachen, aber er sah sie nicht. Derzeit war er ganz in sein Waffentraining vertieft und wuselte mit seinem Speere, der ihn um einiges überragte, um Runkel, einen der Waffenknechte der Boltansrodenerin, der ebenfalls mit einem Speer bewaffnet war, herum und die beiden kreisten wiederum um das in der Mitte des Lagers aufgestellte Sonnensegel. Beide versuchten, den jeweils anderen entweder auf Abstand zu halten oder aber im richtigen Augenblick einen Angriff auszuführen, welchen der andere natürlich zu parieren und für einen erneuten Angriff zu nutzen versuchte.
Der Windhager hielt kurz inne und beobachtete die Beinarbeit der beiden so unterschiedlichen Streiter. Mit einem Speer konnte Fernando den größeren, weniger behänden Runkel natürlich besser kontrollieren als mit den meisten effektiven einhändigen Waffen, die heute das Schlachtfeld beherrschten, aber zu schwer waren, um lange von einem nicht mal Halbwüchsigen eingesetzt zu werden. Es war nicht so, dass Fernando einem erprobten Kämpfer wirklich etwas entgegenzusetzen gehabt hätte, doch erkannte man bereits die gute Haltung, auf die die Junkerin sehr viel Wert legte und auch durchaus die Anlage für einen mindestens passablen Speerkämpfer. Natürlich waren seine Fähigkeiten noch nicht sonderlich ausgeprägt und seine Züge eher einfacher Natur, viel zu vorhersehbar für den erfahrenen Waffenknecht und dennoch waren alle zufrieden mit ihm, hatte er doch bereits ein recht gutes Gefühl für Distanz. Immer öfter gelang es ihm zumindest die Kontrolle über die Mitte nicht vollständig zu verlieren und kam damit der Kontrolle der Mitte stetig näher, auch wenn es noch Götterläufe dauern würde bis er auch nur die annähernde Chance hatte, sie wirklich zu erringen, und was sagte nicht seine Pagenmutter immer: „Wer die Mitte kontrolliert, der kontrolliert den Kampf.“ Es war ein Spiel das man mit dem Knaben spielte und in dem man ihn auch durchaus mal gewinnen ließ.
Auch Baduar hielt inne und betrachtete den kleinen Almadaner und seinen Übungsgegner aufmerksam. Für sein Alter schlug sich der Junge schon ganz gut, das musste man ihm lassen. Er hoffte, dass Fernando ein ernsthafter Einsatz seiner Waffe erspart bleiben würde, dann dachte er an Quendan, was er wohl gerade tat? Sein Erstgeborener war seit etwas über einem Jahr beim Baron von Sindelsaum in der Ausbildung zum Pagen und es waren Augenblicke wie diese, in denen sich Baduar fragte, warum er sein eigenes Kind so lange aus dem Haus geben musste, bis es erwachsen war, stattdessen aber die Kinder anderer Adeliger aufzog. Mit einem kurzen Kopfschütteln vertrieb er die dunklen Gedanken und wandte sich wieder dem Übungskampf zu.
Gerade ließ sich Runkel 'tödlich' getroffen zu Boden fallen – durchaus wohlverdient wie man es dem Pagen zugestehen musste, in Anbetracht seines Alters und seiner wenigen Götterläufe, die er lediglich Zeit gehabt hatte, sich an der Waffe zu erproben. Ein triumphierendes Grinsen breitete sich auf Fernandos Gesicht aus, da bemerkte er die beiden Gäste. Eilig half er dem am Boden Liegenden auf und lief dann zu den beiden Rittern hinüber, noch immer seinen Speer bei sich.
„Den Zwölfen zum Gruße“, hob er höflich an, wollte dann aber sogleich voller Elan wissen: „Habt Ihr gesehen, wie ich meinem Gegenüber zugesetzt habe?“
„Das haben wir...“, nickte Aeladir und fügte ernst hinzu: „...aber sei dir bei dem was vor dir liegt nie zu selbstsicher und lass dich nicht zu Übermut hinreißen. Es gibt immer einen Gegner, der dem Ersten folgt und für den du dir ebenfalls Kräfte aufheben musst. Und bedenke: all dies hier ist kein Spiel!“
Der Windhager löste sich mit einem Seitschritt von Baduar und zog herausfordernd sein Essmesser. Der Almadaner blickte ein wenig verwirrt auf das Messer, ging einige Schritte zurück bis er die richtige Distanz zu dem Ritter hatte, brachte seinen Speer schützend vor sich und sagte: „Die Junkerin hat mir untersagt, mich mit Personen zu messen, die mir unbekannt sind. Sie sagt, es sei zu gefährlich, außerdem darf ich ohnehin nicht mit in die Schlacht ziehen. Ihre Wohlgeboren behauptet, ich sei dazu noch viel zu jung und auch zu klein...“
Aeladir steckte mit einer fließenden Bewegung sein Messer wieder in die Scheide zurück, ohne den Pagen aus den Augen zu lassen und entspannte sich wieder. „Dann wollen wir hoffen, dass sich alle Streiter von Haffax an diese Regeln halten und sich dir vorstellen, bevor du dein Leben verteidigen musst,“ schloss er bitter.
Den Speer nahm Fernando aus der Angriffshaltung und lehnte dessen Schaft gegen seine rechte Schulter, wobei man jetzt deutlich erkannte wie groß die Waffe für den kleinen Almadaner eigentlich war.
„Warum sollten die sich mir vorstellen? Ihre Namen würden mir ja doch nichts sagen!“, er zuckte verwirrt mit den Schultern und blickte verunsichert zwischen den beiden Rittern umher. Manchmal verstand er einfach nicht, was die Großen von ihm wollten.
Baduar lachte kurz, als der junge Almadaner trocken und ohne jedes Verständnis für die Worte des Windhagers reagierte, dann trat er einen Schritt nach vorn. „Da hast du auch wieder recht. Aber sag: Wo ist denn meine Base? Kannst du sie holen?“
„Ihre Wohlgeboren ist natürlich hier“, entgegnete der Knabe, nickte energisch und deutete mit seiner linken Hand auf eines der beiden Zelte, „Aber holen kann ich sie nicht. Sie hat sich am Kopf verletzt und immer wenn sie aufsteht, dann wird ihr schrecklich schwindlig...“
Der Knabe seufzte ernst, dann schniefte er mitgenommen: „Als ein Boroni sie hier her gebracht hat, auch wenn es einer ihrer Brüder war, haben wir schon das Schlimmste angenommen... Ich werde sehen, ob sie wach ist und Besuch empfangen möchte.“
Er wandte sich um, lieferte seinen Speer bei einem der Waffenknechte unter dem Sonnensegel ab und verschwand in einem der Zelte.
Aeladir blickte dem Pagen nach und verfluchte sich für seine Idee hierher zu kommen. Niemand mochte es am Krankenlager besucht zu werden, besonders da er nicht zur Familie gehörte und keine gegenseitigen Ansprüche bestanden. Ganz im Gegenteil, wenn er an ihre heutige Einladung dachte. Zögerlich brachte er an Baduar hervor: „Ich denke, ich komme ungelegen... Ich möchte mich nicht aufdrängen.“ Rasch sprach er nun weiter: „Seid also so gut und bestellt Eurer Base die besten Wünsche zur Genesung. Ich komme besser morgen wieder.“
Baduar hörte zu, doch bei den letzten Worten senkte sich seine linke Hand auf die Schulter des Freundes – und Aeladir merkte, dass er einen deutlich kräftigeren Druck in der Hand hatte, als er ihm zugetraut hätte, während Baduar ihn dezent daran hinderte, zu gehen. „Wir drängen uns sicher nicht auf, Aeladir. Ich denke, Nale wird sich sicher freuen, uns zu sehen. Und sie freut sich sicher auch mehr, wenn Ihr ihr die Genesungswünsche persönlich aussprecht. Heute ist genauso gut wie morgen. Ein Ritter muss sich auf allen Schlachtfeldern behaupten, mein Freund.“
‚Aber dies hier ist nicht eines der Liebe...‘, ergänzte der Jüngere in Gedanken die Worte des Junkers: ‚...oder?‘
„Also wenn Ihr Euch sicher seid, Baduar“, fügte Aeladir dann hinzu gerade als Fernando zurückkehrte.
„Ihr könnt zu ihr“, erklärte er pflichtbewusst, setzte allerdings rasch hinzu: „Aber nicht so lange, sagt Alvide, sie braucht nämlich Ruhe. Und wenn sie wegen einem von euch aufsteht, dann bekommt ihr Ärger mit Alvide und glaubt mir, niemand will Ärger mit Alvide, wirklich niemand!“ Er untermalte das ganze mit energischen, überdeutlichem Nicken. Wie zur Bestätigung trat hinter ihm besagte Waffenmagd aus dem Zelt und bedachte die beiden Herren mit einem strengen Blick. Fernando führte Aeladir und Baduar in das Zelt, an dessen Eingang sowohl die Dschadra der Junkerin, von der mehrere, lange bunte Bänder herabhingen, als auch deren Reiterschild, schwarzer Rabe auf silbernem Grund, lehnte.
Baduar nickte Alvide kurz zu, dann setzte er an, das Zelt zu betreten, wobei er Aeladir sacht, aber bestimmt vor sich her schob. „Ja, ich bin mir sicher – und Nale wird es dir sicher gleich bestätigen, dass sie sich über Euren Besuch freut“, sagte er leise zu Aeladir, während sie das Zelt betraten. Gegenüber des Eingangs stand ein niederes Bett auf dem die Boltansrodenerin saß, davor lag ein dunkelbraunes Stierfell, links und rechts von ihr erkannte man weitere, wenn auch viel einfacherer Lager auf dem Boden, sowie einige unterschiedlich große Truhe, zwei davon standen in unmittelbarer Nähe des Bettes, auf einer lag der Ringelpanzer der Junkerin, auf der anderen stand eine Laterne und daneben lag ein bereits recht abgegriffenes Buch, dessen Titel sie allerdings aus der Ferne nicht erkennen konnten.
Nale wirkte sehr blass. Sie versuchte, sich an einem Lächeln als sie die beiden Besucher erblickte, was ihr allerdings nicht sonderlich gut gelang und begrüßte sie mit den Worten: „Den Zwölfen zum Gruße. Es ist schön ein paar bekannte Gesichter an meinem Krankenbett zu sehen und gut zu wissen, dass meine Freunde sich um mich sorgen.“
Aeladir musterte Nale aufmerksam: Eine leichte, sehr oberflächliche Schürfwunde zierte ihre rechte Wange und an ihrer rechten Stirn hatte sie eine Platzwunde davongetragen, welche man allerdings, da sie verbunden worden war und der Verband nur ein winziges Stück unter ihrer Haube hervorlugte, nur erahnen konnte. Schwerer hatte es jedoch ihre rechte Hand erwischt, was man deutlich an dem dicken Verband, welcher Finger und Daumen jedoch frei ließ, erkannte.
Baduar ergriff die Initiative, wandte sich an seine Base und begrüßte sie mit einer kurzen, vorsichtigen Umarmung. „Peraines Segen mit Dir, liebe Base. Aeladir und ich dachten, Du würdest dich sicher über etwas Gesellschaft freuen“, sagte er dann und trat zur Seite, damit auch Aeladir Nale begrüßen konnte. Als die Boltansrodenerin den Windhager sah, breitete sich ein verhaltenes Lächeln in ihrem Gesicht aus und in ihre Augen trat ein merkwürdiger Glanz. Seltsam, dachte sie und fühlte sich augenblicklich etwas besser.
Während der Page zwei der Truhen herbeischaffte, damit die Gäste sich der Junkerin gegenübersetzen konnten, ergriff Aeladir sorgsam - fast zärtlich - Nales linke Hand: „Es freut mich, dass Ihr recht unversehrt seid, Nale.“
„Recht unversehrt“, erwiderte Nale ein wenig kehlig und war irgendwie froh, dass Aeladir nicht wirklich viel von ihr wusste. Aber unversehrt? Nein, unversehrt war sie nun wirklich nicht. Aber die Wunden, die die Ereignisse in ihre Seele wieder aufgerissen hatten, konnte man natürlich nicht sehen.
„Setzt euch doch kurz zu mir“, forderte die Koscherin ihre Besucher auf, „und schenkt mir ein paar Minuten eurer kostbaren Zeit.“
Der Windhager setzte sich auf die vom Pagen herbeigebrachte Truhe und überließ wiederum Nales Vetter die Initiative, um das Gespräch aufzunehmen.
Aeladir dauerte Nale und seine aufkommenden Sorgen irritierten ihn, da sie weder schwer verletzt war, noch tot. Dass er trotz seiner ungewissen eigenen Situation als Ritter ohne Streitross trotzdem so für sie fühlte, kam ihm ungelegen. Rahjagefällige Ablenkungen ernsthafter Natur konnte er auf diesem Heerzug nicht gebrauchen. Und auch wenn er sich bereits vorher zu Nale hingezogen gefühlt hatte, so mochten seine mitunter abschweifenden Gedanken dereinst die ihm anvertrauten Leben von Thyria und Ulfert gefährden, überlegte er bitter und ließ Nales Hand langsam wieder los. Baduar setzte sich ebenfalls auf die zweite Truhe und musterte seine Base. „Aber gerne doch, dazu sind wir ja schließlich hier. Wie geht es deiner Hand und deinem Kopf?“ fragte er und Nale hörte seine Sorge in den Worten mitschwingen.
„Immer die Schwerthand“, murrte Nale etwas verstimmt und zeigte auf den dicken Verband um ihre Rechte, „Da haben die Götter uns zwei Hände gegeben und ich schaffe es immer wieder nur die eine in Mitleidenschaft zu ziehen und mein Kopf? Ach der wird auch wieder...“
Der Page brachte jedem der beiden Gäste einen Becher Wasser und verschwand dann.
„Immerhin lebe ich noch!“, fügte sie geradezu sarkastisch hinzu, „Den Göttern sei Dank, dass ich so gut mit dem Wurfspeer umgehen kann. Hätte ich das Ding nicht so weit wegwerfen können, dann wäre der Heerzug für mich wohl gelaufen...“ Und nicht nur der, setzte sie in Gedanken hinzu.
„Baduar meinte, es sei ein Ring gewesen – ein wohl magisches Artefakt?“, hakte Aeladir nochmals nach.
„Woher Baduar das nur schon wieder weiß?“, Nale versuchte sich an einem Lächeln, „Ich gehe davon aus, dass es ein selbiges war, auch wenn ich mich damit nicht auskenne. Bedauerlich, dass man den Schuldigen nicht dingfest machen konnte...“
„Na, ich bin doch der üble Haffaxagent, schon vergessen?“, antwortete Baduar mit einem traurigen Grinsen im Gesicht, das eher genervt denn fröhlich wirkte. „Ernsthaft: der Rückschluss, dass es sich bei dem Gegenstand um ein Artefakt gehandelt haben mag, liegt nahe bei den Auswirkungen. Das es ein Ring war, sagtest Du ja selbst, geschätzte Base – und die Auswirkung ist doch für einen profanen Ring etwas … ungewöhnlich, um es vorsichtig auszudrücken. Das eine oder andere habe ich von Aldare aufgeschnappt dazu, bisweilen ganz nützliches Wissen. Und ja, dass mit dem Schuldigen ärgert mich ebenfalls maßlos – wir hatten ihn fast, da entzieht er sich der Festsetzung durch Magie. Ihr wollt nicht wissen, wie sauer, wütend und enttäuscht ich in dem Augenblick war.“, erwiderte Baduar und Ärger schwang vor allem bei den letzten Worten in seiner Stimme mit.
„Die Verdächtigung wiegt wohl schwer auf Dir“, hob Nale da nickend an und wirkte selbst sehr bedrückt, „und dennoch habe ich von Deiner Berufung gehört. Meinst Du es ist ein Zeichen, welches man gegen jenen Verdacht setzte? Ein Zeichen, des inneren Zusammenhalts? Während andere alles und jeden zu verdächtigen scheinen, hält man im Kosch zusammen, steht zusammen, wir kennen einander, wir wissen, dass die anderen uns Halt und Schutz geben und ist es auch nicht so gefügt? Ist es nicht das, was uns ausmacht? Wir sind nicht für besonders mutige Taten bekannt, nicht dafür bekannt, dass wir mit roher Gewalt in die Schlacht ziehen und alles vernichten, was sich uns in den Weg stellt, dafür ist unser Zusammenhalt eben groß. Ich glaube, so oder so, dass es erst der Anfang sein wird. Viele Prüfungen werden uns erwarten und dies wird Deine erste sein, Baduar. Sieh es als Beginn von etwas großem, denn Großes wird uns erwarten!"
Nales Blick wanderte von Baduar zu Aeladir und kehrte auch erst einmal nicht zu ihrem Vetter zurück.
Er fing ihren Blick auf und war sich unsicher, ob ein Mensch zugleich weise und naiv sein konnte: es stand außer Frage, das ein jeder in den nächsten Monden geprüft werden würde – bis aufs Blut. Doch er würde es nicht derart verheißungsvoll bezeichnen wie Nale, nicht da sein eigenes Überleben mit diesem Morgen eher ungewiss geworden war und er befürchten musste seine Nächsten zu verlieren: „Zumindest werden wir es mit Haffax‘ Besten zu tun bekommen, das steht außer Frage. Sie werden uns nicht schonen, kein Mitleid entgegen bringen ...und unsere Entlohnung wird das eigene Überleben und die Gewissheit sein, das Richtige getan zu haben.“ Kurz hielt er inne und fuhr dann fort: „Aber Ihr habt recht, nur wenn wir zusammenstehen, werden wir den Schrecknissen, die uns erwarten, trotzen können. Deshalb hoffe ich, dass ihr bald wieder auf den Beinen seid. Was haben die Feldscher gesagt?“
„Seid unbesorgt, Aeladir, das wird schon wieder!“, versicherte sie ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen, „Bedauerlicherweise kann man das nicht von allen Ereignissen des Tages behaupten. Fernando hat mir erzählt, was Euch und den Euren widerfahren ist und seid versichert, dass Ihr Euch meiner Unterstützung gewiss sein könnt und gewiss doch auch der Deinen, nicht wahr Baduar?“
Baduar nickte, während er antwortete: „Wenn ich helfen kann, dann gerne jederzeit.“ „Ich danke Euch beiden“, brachte Aeladir hervor. Es war einer der seltenen Momente in denen er seine übliche Förmlichkeit vergaß und das hatte seinen Grund. Doch er überspielte den Augenblick und erhob sich: „Ich hoffe Euer Verständnis, da ich mich um viele Dinge kümmern muss. Ist Euch nach wie vor das Treffen übermorgen recht, Nale?.. Schickt am besten Euren Pagen.“
„Ihr habt mein Verständnis“, erklärte Nale und setzte mit einem verhaltenen Lächeln hinzu: „Es bleibt bei unserem Treffen, so leicht kommt Ihr mir nicht davon! Im Übrigen ist es bereits am morgigen Abend, gewiss waren es die Ereignisse, die die Grenzen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschwimmen ließen. Sorgt Euch nicht, das geht vorbei, Ihr müsst Euch jetzt erst einmal um Euch und die Euren kümmern. Ich werde Euch Fernando schicken, damit braucht Ihr Euch nicht zu sorgen, dass Ihr es vielleicht dennoch vergesst. Habt Dank, dass Ihr nach mir gesehen habt, ich weiß das zu schätzen.“
„Die Alte Säerin mit Euch!“, nickte er Nale zu und wandte sich an Baduar: „Alles Gute für die nächsten Tage, Baduar.“
„Das gleiche für Euch, Aeladir. Lasst uns, was immer auch geschieht in den nächsten Tagen, nicht vergessen, für was wir dies hier tun. Und das es Freunde gibt, die uns beistehen.“ erwiderte Baduar und erhob sich dann ebenfalls. An seine Base gewandt: „Brauchst du aktuell noch was, Nale? Ansonsten schick Fernando, wenn noch was sein sollte. Ich werde dann auch mal wieder.“
„Sorge Dich nicht, Baduar“, versicherte sie nun ihrem Vetter, „Wenn ich etwas oder jemanden brauche, dann lass ich es Dich wissen. Nun solltet ihr beide wirklich gehen, ein jeder von euch hat wichtige Dinge zu klären und besseres zu tun als an meinem Krankenlager zu sitzen und sich des Müßiggangs hinzugeben. Ich wünsche euch beiden viel Glück, mögen die Götter mit euch und eurem Tun sein und euch gerade in solch schweren Tagen ein Stütze sein!“