Heerzug gegen Haffax - Barsch und Eber: Unterschied zwischen den Versionen
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Als [[Hauptdarsteller ist::Nale von Boltansroden]] zu Ohren gekommen war, dass mit den Nordmärkern zusammen auch die restlichen Windhager angekommen waren, wollte sie eigentlich umgehend ihren Pagen, Fernando Núñez von Graytenau, ausschicken. Die Junkerin besann sich dann aber, sie wollte schließlich keinen schlechten Eindruck hinterlassen und ihnen zumindest ein bisschen Zeit geben, um mit dem Aufbau des Lagers zumindest zu beginnen. <br/> | Als [[Hauptdarsteller ist::Nale von Boltansroden]] zu Ohren gekommen war, dass mit den Nordmärkern zusammen auch die restlichen Windhager angekommen waren, wollte sie eigentlich umgehend ihren Pagen, Fernando Núñez von Graytenau, ausschicken. Die Junkerin besann sich dann aber, sie wollte schließlich keinen schlechten Eindruck hinterlassen und ihnen zumindest ein bisschen Zeit geben, um mit dem Aufbau des Lagers zumindest zu beginnen. <br/> | ||
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Entrüstet starrte Fernando dem Junker einige Moment lang nach. Er hatte es doch nur gut gemeint und außerdem würde er ohnehin bald vom Verhalten der Familie der Junkerin erfahren, es war doch für jeden offensichtlich. Aber seine Pagenmutter hatte ihm auch schon öfter nahegelegt, dass er besser über seine Worte und deren Wahl nachdenken sollte und trotzdem... er konnte einfach nicht anders. Dann wandte er seinen Blick wieder zu Thyria. Das hatte er doch nicht wissen können... <br/> | Entrüstet starrte Fernando dem Junker einige Moment lang nach. Er hatte es doch nur gut gemeint und außerdem würde er ohnehin bald vom Verhalten der Familie der Junkerin erfahren, es war doch für jeden offensichtlich. Aber seine Pagenmutter hatte ihm auch schon öfter nahegelegt, dass er besser über seine Worte und deren Wahl nachdenken sollte und trotzdem... er konnte einfach nicht anders. Dann wandte er seinen Blick wieder zu Thyria. Das hatte er doch nicht wissen können... <br/> | ||
Er winkte ihr zum Abschied, auch wenn sie es nicht sah, weil sie noch immer mit dem Wappenrock des Junkers beschäftigt war, trat nach draußen und machte sich auf den Weg. Er wollte erst beim Junker von Eichstein vorbeischauen, dann hatte er nämlich noch ein bisschen mehr Zeit um zu überlegen, was er seiner Pagenmutter genau erzählen musste. | Er winkte ihr zum Abschied, auch wenn sie es nicht sah, weil sie noch immer mit dem Wappenrock des Junkers beschäftigt war, trat nach draußen und machte sich auf den Weg. Er wollte erst beim Junker von Eichstein vorbeischauen, dann hatte er nämlich noch ein bisschen mehr Zeit um zu überlegen, was er seiner Pagenmutter genau erzählen musste. | ||
Aktuelle Version vom 2. April 2022, 15:40 Uhr
◅ | Augenblicke des Grauens |
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Ein koscher Abendmahl | ▻ |
Darpatien, 12. Ingerimm 1039, Heerlager zu Gallys, am Mittag
Als Nale von Boltansroden zu Ohren gekommen war, dass mit den Nordmärkern zusammen auch die restlichen Windhager angekommen waren, wollte sie eigentlich umgehend ihren Pagen, Fernando Núñez von Graytenau, ausschicken. Die Junkerin besann sich dann aber, sie wollte schließlich keinen schlechten Eindruck hinterlassen und ihnen zumindest ein bisschen Zeit geben, um mit dem Aufbau des Lagers zumindest zu beginnen.
Eigentlich stand außer Zweifel, dass Aeladir unter den Neuankömmlingen war. Er hatte ihr geschrieben, dass sie sich in Gallys wiedersehen würden und sie hatte ihm geantwortet, dass sie nach ihm Ausschau halten würde. Da er aber nicht unter dem bereits angekommenen Windhagern gewesen war, musste er zwangsläufig unter den Neuankömmlingen sein. Schließlich schickte sie Fernando los.
Er machte sich sogleich auf ins Lager der Windhager. Dort bahnte er sich seinen Weg zwischen all denen, die gerade eifrig mit dem Aufbau des Lagers beschäftigt waren, musste darauf achten, nicht übersehen zu werden und nicht vollkommen seine Orientierung in dem ganzen Getümmel zu verlieren. Eine geraume Zeit irrte er durch die Neuankömmlinge hindurch und konnte nichts erkennen, was ihm auf irgendeiner Weise bekannt erschien, doch dann sah er die Farben des Waldbachtalers und steuerte zielstrebig darauf zu.
Zugegeben, es war kaum verwunderlich, dass er länger gebraucht hatte, den Gesuchten zu finden – der Windhager schien auch nicht viel Wert auf Präsentation zu legen, da seine Farben nur schmal von der Spitze einer Kriegslanze hingen. Daneben erhob sich bereits ein einfaches und oft geflicktes Zeltdach, das von langem Gebrauch unter widrigen Umständen kündete. Fernando fiel auf, dass viele Flicken erst in jüngster Zeit ordentlich mit neuer Leinwand aufgesetzt waren. Auch die Größe des Zeltes war alles andere als beeindruckend.
Daneben erhob sich eine noch kleine Zeltbahn und ein abgeschnurter Bereich in dem sich drei angepflockte Pferde gerade daran machten, Korn aus einem ledernen Futtertrog zu vertilgen. Fernando fiel neben einem Warunker Fuchs ein besonders ungleiches Paar von Rössern auf: ein recht kleiner Braunfalbe mit Mehlmaul, langer Mähne sowie Fesselbehang und daneben ein mächtiger mausgrauer Tobimorer. Letzterer war eines der größten Pferde, die er bislang hier gesehen hatte – und nervös dazu: energisch verdrängte das Streitross, die kleineren Pferde auf die andere Seite der Futterstelle.
Ein Mädchen von vielleicht 17 Sommern, durchtrainiert mit kurzen braunen Haaren beäugte misstrauisch den Falben. Sie trug eine schlichte Leinencotta und hatte noch immer den Ledereimer vom Zufüttern in der Hand. Dann sah sie auf - als Fernando einige Augenblicke lang das enttäuschende Lager des Waldbachtalers gemustert hatte. Ihre dunklen unergründlichen Augen begegneten seinem Blick und lösten in ihm ein leichtes Unbehagen aus...
Der Knabe schüttelte sich, konnte jedoch sein schlechtes Gefühl dadurch nicht loswerden. Irgendetwas hatte dieses Mädchen an sich, dass ihm ein Gänsehaut bescherte, nur was? Waren es ihre Augen? Die Art und Weise wie sie ihn ansah? Es war keine Angst, das nicht, es war nur... irgendwas war komisch und er hatte vor gar nicht allzu langer Zeit lernen müssen, dass komische Situationen gefährlich sein konnten.
Fernando fasste sich und sprach das Mädchen an: „Ich bin Fernando Núñez von Graytenau, Page der Junkerin von Boltansroden. Sie schickt mich um Euer Wohlgeboren Aeladir von Waldbachtal die besten Grüße auszurichten.“
Ausdruckslos blickte sie ihn an. Für einen nur kurzen Moment dachte er, sie hätte ihn nicht verstanden – bis sie langsam den Kopf leicht schief legte und ihn musterte. Die dunklen Tümpel ihrer Augen schlugen ihn in ihren Bann, dass ein Schauder seinen Rücken hinab lief.
Warum antwortete sie ihm nicht? Dieses Mädchen wurde ihm immer weniger geheuer, irgendetwas stimmte mit ihr doch nicht, ganz und gar stimmte da was nicht. Hatte sie ihn denn nicht verstanden? Musste sie, aber warum nickte sie dann lediglich? Warum keine Antwort?
Dann hängte sie den Ledereimer an die Aufhängung des Futtertrogs und ging an ihm vorbei.
Fassungslos starrte er ihr hinterher. Hatte sie ihn etwa doch nicht verstanden?
In der Gasse zwischen den Zelten drehte sie sich zu ihm um und winkte ihm energisch zu, ihr zu folgen.
Ein wenig unschlüssig starrte er sie an, was sollte er jetzt tun? Ihr folgen? Wider seines schlechten Gefühls? Ob sie überhaupt verstanden hatte, was er wollte? Doch je länger er zögerte desto energischer wurde ihr Winken nur.
‚Hier passiert dir nichts‘, schärfte er sich ein und versuchte sich die Worte der Junkerin ins Gedächtnis zu rufen, ‚innerhalb des Lagers geschieht dir nichts‘. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch folgte er schließlich dem komischen Mädchen, ging ihr hinterher und hoffte bald auf den Waldbachtaler zu stoßen, besser früher als später, damit er tun konnte, wofür er gekommen war, um dann so schnell als möglich wieder von hier zu verschwinden.
Fernando folgte dem Mädchen wieder zurück in den geschäftigsten Bereich des Windhager Lagers.
Von weiter entfernt über einigen größeren Zelten grüßte die silberne Bireme auf Blau. Dort residierte der Markgraf des Windhags und Herzog des Westens, Cusimo Garlischgrötz, inmitten des Kontingents der Goldenen Legion wie der Page von seinem ersten Botengang noch sehr wohl wusste.
Doch hier, zu beiden Seiten des Weges, den das schweigsame Mädchen beschritt, begleiteten die auf Lanzen aufgesteckten Banner mit Figuren von Greif, Hirsch, Fallgitter und Widderkopf das ungleiche Paar. Erst jetzt bemerkte der Page, dass das Mädchen barfuß durch das zertrampelte Gras ging, kaum inne hielt und er zuerst nur mühsam mithalten konnte.
Er musste mehrfach hinsehen bis er glauben konnte, dass das Mädchen tatsächlich keine Schuhe trug. War Aeladir von Waldbachtal etwa zu arm um ihr Schuhe kaufen zu können? Warum sonst sollte sie keine tragen? Er konnte sich wirklich keinen Grund vorstellen... und dann war sie auch noch so flink, vielleicht wäre er genauso flink gewesen, wenn nicht alles um ihn herum seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte.
Vorbei an einem mit Blattwerk geschmückten Zelt, dass wie die Ritterzelte weithin sichtbar mit einem Banner gekennzeichnet war: weniger prachtvoll als die Tinkturen des Adels zeigte sich auf grünem Grund eine einzelne goldene Ähre - das Zeichen der milden Peraine. Eine ansehnliche schlanke Frau in grünem Gewand sah von ihrer Arbeit auf als das Mädchen vorbei ging: sie behandelte gerade den blutigen und dunkel verfärbten Fuß eines Waffenknechts.
Fast schien es Fernando, als wollte die Frau dem Mädchen etwas zurufen, doch sie schloss den Mund wieder. Kurz verweilte der Blick ihrer grünen Augen auf dem Pagen, bevor sie sich wieder dem Verband zuwandte.
Schaudernd wandte er seinen Blick von der Geweihten, dem Verletzten und dem ekelerregenden Bein ab. Aus dem Augenwinkel hatte er geglaubt zu sehen, dass die Geweihte dem Mädchen vor ihre etwas hatte sagen wollen, dann war aber nichts aus ihrem Mund gekommen. Konnte hier denn niemand sprechen?
Und sogleich schien auch das Ziel bereits auf der gegenüberliegenden Seite einer Kreuzung erreicht: ein kleines, betagtes Speichenradzelt aus dessen Inneren ein heimeliger Schein nach außen drang. Ein breites Ritterschild neben dem Eingang des Zelts und das Banner darüber trugen einen schwarzen Drillingssturzsparren auf silbernem Grund.
Obwohl die Zeltplane am Eingang zurück geschlagen war, blieb das Mädchen abrupt davor stehen und der Page lief einfach gegen sie, so sehr war er damit beschäftigt in das Zelt hineinzustarren und zu versuchen den Windhager Junker dort auszumachen. Er und das Mädchen tauschten kurz vielsagende Blicke aus, dann entfernte er sich eilig einig Schritte von ihr – sie war ihm immer weniger geheuer. Was war nur mit ihr los?
Fernando konnte mehrere Gestalten im Licht zweier - von den Speichen hängenden - Abblendlaternen ausmachen: drei Frauen und drei Männer, die sich gedämpft unterhielten. Ein tiefes, volltönendes Lachen erklang, bis es von dem kurzen schrillen Klang einer metallenen Pfeife neben ihm unterbrochen wurde.
Ein wenig erschrocken blickte er zu ihr auf – sie schien wirklich nicht zu sprechen. Und weil er sich keinen anderen Grund dafür vorstellen konnte, schloss er, dass sie ein Schweigegelübte abgelegt haben musste. Komisch war nur, dass sie so gar nicht nach einer Geweihten aussah. Er würde seine zukünftige Schwertmutter dazu befragen, vielleicht wusste sie ja was hier los war.
Das Mädchen nahm die schlanke Pfeife aus dem Mund und ließ sie am Lederband wieder unter ihre Cotta zurückgleiten, während weiter hinten im Zelt eine weibliche Stimme neckend erklang: „Wie haltet ihr das nur aus, Aeladir?“
Ein dunkler Schatten zeigte sich indes im Zeltdurchgang, Kettenglieder klimperten leise und eine junge Ritterin in gelbem Wappenrock duckte sich hindurch nach außen. Fernando blickte in ein scharf geschnittenes Gesicht, gerahmt von glatten braunen Haaren und sah sich von grün-braunen Augen streng gemustert: Der Page war nicht gerade groß für seine zehn Götterläufe. Das schwarze, kurz gelockte Haar fiel ihm in dicken Strähnen ins Gesicht. Mit seinen saphirblauen Augen schaute er die Ritterin an. Mädchen konnte er zwar nicht ausstehen, aber Ritterinnen fand er klasse! Ob sie auch so kämpfen konnte wie die Junkerin? Nicht das er sie je richtig hatte kämpfen sehen, lediglich trainieren, aber er stellte sich zumindest vor, dass sie gut kämpfen konnte, schließlich hatte er sie schon mehrfach auf die Jagd begleiten dürfen.
Gekleidet war er in Wams und schlichter Pluderhose aus Rabenfelser Tuch, welches im Winter auf der Burg der Junkerin gewebt wurde, dazu trug er lange Strümpfe, Lederschuhe und einen kurzen Umhang im Grün seiner zukünftigen Schwertmutter.
Er wiederholte das, was er zuvor bereits an das schweigende Mädchen gerichtete hatte und setzte sicherheitshalber hinzu: „Ist Euer Wohlgeboren Aeladir von Waldbachtal zu sprechen?“
Fernando sah wie sich die fast geraden Augenbrauen kurz hoben - sie blickte ihn forschend an: „Mein Name ist Aillyn Faithûr von Hohenfluh, Ritterin im Aufgebot des Alten Landes – und ja der Ritter ist zu sprechen.“ Nach innen gewandt meinte sie kaum die Stimme hebend: „Aeladir, Thyria hat einen hübschen Pagen angeschleppt.“ Die Ritterin nickte zuerst aufmunternd und freundlich dem schweigenden Mädchen zu und hob dann grüßend die Hand in Richtung der Peraine-Geweihten.
„Du kannst eintreten, wir besprechen keine Geheimnisse“, wies ihm die junge Ritterin mit der Hand einladend den Weg. Damit wandte sie sich zu Thyria um und begann etwas aus ihrer Gürteltasche zu nesteln...
Langsam trat Fernando ein, blieb jedoch in der Nähe des Zelteinganges sogleich wieder stehen. Das alles hier erschien ihm höchst merkwürdig – ein Mädchen das nicht redete, keine Schuhe trug, dann die Geweihte, die auch nicht zu sprechen schien und jetzt diese komische Wortwahl der Ritterin, als wäre er hier um sie auszuspionieren!
Rasch hatten sich die Augen des Pagen an das warme Dämmerlicht gewöhnt und sein Blick erfasste in dem spartanisch ausgestatteten Zelt, das noch von einem unvollendeten Aufbau kündete, die Runde der Versammelten - sämtlich Ritter, doch von unterschiedlichem Alter und Geschlecht. Eines hatten allerdings alle gemeinsam: sie musterten ihn.
Der Page fühlte sich nicht wohl. So viele Blicke, die auf ihm lagen, zu viele wie er fand. Scharfe Blicke noch dazu. Blicke, denen er nicht ausweichen konnte und auch nicht sollte. Und obwohl Aillyn Faithûr von Hohenfluh ihm gesagt hatte, dass sie dort keine Geheimnisse besprächen, so fühlte er sich doch so, zumindest aber fühlte er sich, als würde er stören und da alle inne hielten und ihn anschauten, musste er auch stören.
Außer der Ritterin vor dem Zelteingang saß eine andere, ähnlich junge, aber blonde Streiterin neben einem vierschrötigen Mann mit kurzem grauen Haupthaar und Bart. Der Mann im schwarzen Wappenrock sah Fernando aus traurigen, tiefliegenden Augen an, saß auf einem einfachen Scherenstuhl und hatte seine rechte Pranke aufs Knie gelegt.
Neben ihm hatte ein hochgewachsener Mann in mittleren Jahren auf einer kleinen Kiste Platz gefunden. Direkt daneben saß eine fast gleich alte Ritterin in einem Kettenmantel und neben ihr wiederum stand der jüngste der Männer: Aeladir von Waldbachtal. Jedenfalls erkannte Fernando den schlanken Ritter im geflickten Gambeson als den Gesuchten. Gerade noch in der Blüte seiner Jahre schien sich der Windhager allerdings hier ähnlich wenig aus seinem Erscheinungsbild zu machen, wie seine Waffenmagd. Sowohl Haupthaar als auch sein Bart gehörten geschnitten und geschabt. Einen Augenblick hatte Fernando tatsächlich gerätselt, ob es sich wirklich um Aeladir von Waldbachtal handelte, dann jedoch war er sich sicher, auch wenn er ihn wesentlich gepflegter in Erinnerung hatte. Vielleicht mochte es aber auch einfach daran liegen, dass es bereits schon einige Zeit zurück lag und er damals auch nicht so wirklich viel mit dem Windhager zu tun gehabt hatte.
Auch Aeladir erkannte den jungen Pagen. „Die Sturmbringerin mit Dir, junger Graytenau. Ihre Wohlgeboren Nale von Boltansroden schickt Dich?“, fragte er recht formell.
Fernando nickte: „Die Junkerin von Boltansroden lässt Euch die besten Grüße ausrichten und hofft, dass Ihr gut in Gallys angekommen seid. Sie lässt auch nachfragen, ob Ihr Ihren Brief noch rechtzeitig erhalten habt, bevor Ihr Euch auf Heerzug begeben habt.“
„Was ist das für ein Name Aeladir: Fernando Núñez? Ist er etwa Almadaner wie der Waffenmeister vom Reichsvogt?“, fragte der Älteste in der Runde den Waldbachtaler mit rauhem Bass. Im nächsten Moment wandte er sich jedoch direkt an den Pagen: „Also Junge?“ Der Ritter stemmte sich aus seinem Stuhl in den Stand und überragte Fernando wohl einen halben Schritt. Auf seiner schwarzen Brust war nun deutlich das Wappen mit dem Drillingssturzsparren auszumachen.
„Ja“, bestätigte der Page und schluckte den Kloß in seinem Hals herunter, den der Älteste der Runde ihm beschert hatte. Fernando wandte seinen Blick zu ihm und führte weiter aus: „Ich bin Almadaner. Mein werter Oheim, Reto von Graytenau, ist Baron von Valpokrug.“
Fernando hatte keinen blassen Schimmer wer da gerade zu ihm sprach oder auch nur von welchem Waffenmeister die Rede war. Er versuchte, das Beste aus dieser Situation zu machen, auch wenn er sie als sehr unangenehm empfand.
„Das vorletzte Mal als ich einen Almadaner traf, war dies mit meinem Schwert. Ich habe Dom Vigos Banner wohl gesehen, als wir eingeritten sind“, brummte der Windhager und fuhr sogleich seufzend fort: „Aber unsere Sünden in der Vergangenheit sollen nicht das Erbe der Jugend sein, denn heißen uns nicht die Tugenden der milden Schwestern Güte zu üben und Hoffnung auf einen Neubeginn zu hegen? So sei mir willkommen in meinem Zelt, Fernando Núñez von Graytenau! Mein Name ist Sigman von Karrenstein, Wehrvogt von Greifenklamm und Edler zu Raulsborn.“
„Es ehrt mich Eure Bekanntschaft machen zu dürfen, zumal Ihr der Bruder der Schwertmutter meiner Pagenmutter seid. Auch Euch soll ich von ihr die besten Grüße ausrichten. Ihre Wohlgeboren Nale von Boltansroden hofft, dass Euer Weg von so wenig unangenehmen Vorkommnissen gesäumt war, wie nur möglich und ihr gut hier in Gallys angekommen seid.“, erwiderte Fernando äußerst höflich, war sich allerdings nicht sicher, was er von einem Ritter denken sollte, der sich sich damit brüstete, einen Almadaner gerichtet zu haben. Zwar lebte er mittlerweile im Kosch, aber er würde immer ein Almadaner bleiben.
„Falls ich ungelegen komme, so bitte ich dies zu entschuldigen...“, hob Fernando an und wurde sogleich durch eine Handbewegung des erfahrenen Ritters zum Schweigen gebracht: „Dies ist nicht der Fall und es gibt nichts zu entschuldigen, wenn ich in der Vergangenheit die Klingen mit Landsleuten von dir gekreuzt habe. Aber alte Erinnerungen können mich die Gegenwart und Etikette vergessen machen!“ Er wies auf den älteren Ritter zu seiner Linken: „Dies ist der Junker zu Rautengrub, Rodram von Widdernhall und Ritterin Junivera von Rudeneck für Baron Gringulf in seinem Gefolge. An meiner Seite steht Ritterin Quelina von Hardt zu Grötzenhall – als ehemalige Knappin ebenso wie Ritterin Aillyn Faithûr, die sich mit Dir vor dem Zelt bekannt gemacht hat. Und Aeladir von Waldbachtal scheinst du bereits zu kennen“, schloss der Edle und verwies auf den Ritter.
Diesem wandte der Page nun wieder seinen Blick zu, „Die Junkerin wollte mich lieber früher als später ausschicken, schließlich möchte sie nicht, dass Euer Wohlgeboren glaubt, sie hätte ihn vergessen!“ Da der Junge den Faden wieder aufgenommen hatte, setzte sich der beeindruckende Ritter wieder. Neben ihm zeigte das Gesicht der jungen blonden Ritterin ein breites Grinsen, doch bevor sie etwas einwerfen konnte, kam ihr Aeladir zuvor: „Du kannst der Junkerin ausrichten, dass dies nicht der Fall ist und ich ihren Brief dankbar erhalten habe.“ Er öffnete rasch den Knebel seiner Gürteltasche und förderte einen gefalteten Brief hervor, der schon etwas abgestoßen wirkte. „Von Kyndoch am Großen Fluss aus habe ich diesen Brief nicht mehr abgeschickt, da man mir abgeraten hat. Wenn Du ihn Ihrer Wohlgeboren bitte nun überbringst? Ich werde Sie baldmöglichst besuchen, wenn es Ihr recht ist.“
Fernando nahm den Brief entgegen und noch während er ihn von Aeladir überreicht bekam, fiel ihm auf, dass das Siegel gebrochen war. Ungläubig starrte er das Siegel einige Augenblicke lang vollkommen fassungslos an und strich, um sicher zu gehen, mit dem Daumen darüber, spürte die Unebenheiten und konnte einfach nicht begreifen, warum jemand das Siegel eines Briefes brach, den er seiner Herrin schicken wollte, noch dazu, wenn er ihn selbst geschrieben hatte.
Sehr irritiert, noch immer auf das Siegel starrend, erklärte er recht verwirrt: „Ich soll Euch auch... also auch die besten Grüße von ihrem werten Vetter, dem Junker von Eichstein... ähm... ausrichten. Er würde... ja also er würde sich freuen Euch in seinem Lager willkommen... begrüßen... also Ihr sollt Ihn besuchen, sobald es Eure Zeit erlaubt und... und die Junkerin wird auch zugegen sein... Ja, also... schickt doch einfach jemand zu ihm, wenn Ihr Zeit... habt.“
Fernando wurde klar, dass er gerade wie ein richtiger Idiot wirken musste, aber das alles hier brachte ihn vollkommen aus dem Konzept – was kam als nächstes?
Bevor jemand das verstörte Verhalten des Pagen kommentieren konnte, merkte der Karrensteiner auf: „Von Eichstein? Sag mir Junge, weißt du, ob dieser Junker von Eichstein der Sohn der Josmene von Hardt ist?“
„Die werte Frau Mutter des Junkers von Eichstein hört auf den Namen Josmene. Ich weiß, dass sie keine Koscherin ist, sondern aus dem Windhag stammt...“, dachte Fernando laut nach. Sie hatte es ihm gesagt, daran konnte er sich erinnern, das war damals gewesen als er mit der Junkerin zum ersten mal auf der Wasserburg Eichstein gewesen war. Aber was hatte sie genau gesagt?
„Hardt?“, hakte er nach, doch als er es aussprach nickte er sogleich und erinnerte sich.
„Ja“, bestätigte er und nickte nur noch energischer, „Sie sagte, sie stamme aus dem Haus Hardt.“
Sigman nickte lächelnd: „Dann überbringe seiner Wohlgeboren Baduar - nicht wahr? - bitte die besten Grüße von mir, da ich seit langen Götterläufen dem Neffen Josmenes diene, dem Pfalzgrafen Udilbert von Hardt dem Jüngeren.“
„Das will ich gerne tun!“, entgegnete der Page eifrig. Aber das kurze Gespräch hatte ihn nicht wirklich von dem Problem mit dem Brief abgelenkt.
Aeladir nahm den losen Faden des jungen verwirrten Almadaners wieder auf, um seine Fragen nun zu beantworten: „Ich werde Seiner Wohlgeboren gerne heute Abend meine Aufwartung machen, wenn dies genehm ist?“
„Der Junker wird sich über Euren Besuch sehr freuen und da weder er noch seine Base am heutigen Abend etwas vor haben, wird es ihnen gewiss recht sein“, erwiderte Fernando.
Dem Ritter war indes nicht verborgen geblieben, dass der Knappe unsicher war und ungläubig das gebrochene Siegel des Briefes gemustert hatte und wieder zu ihm aufgeblickt hatte. Fernando schluckte tatsächlich schwer. Wenn er diesen Brief der Junkerin brachte, würde das richtig Ärger geben, da war er sich sicher!
„Verzeiht, Aeladir von Waldbachtal“, hob er an und nahm all seinen Mut zusammen, „Aber die Junkerin ist sehr darauf bedacht, dass ihre private Korrespondenz auch privat bleibt. Sie nimmt generell keinerlei Briefe entgegen, deren Siegel beschädigt oder gar gebrochen wurde, da sie sich nicht sicher darüber sein kann, dass der Inhalt dem entspricht, was der Verfasser ursprünglich schrieb, ganz abgesehen davon das sie nicht möchte, das Dritte mitlesen können. Aber in diesem Fall... Habt Ihr Euch versichert, dass der Text unverändert ist?“
„Du scheinst Dich gut mit der Korrespondenz und den Befindlichkeiten deiner Pagenmutter auszukennen, junger Mann. Und um Deine Frage zu beantworten: Ja, ich bin mir vollkommen sicher, dass der Text unverändert ist, da ich ihn stets bei mir getragen habe“, Aeladir blickte den Pagen forschend an.
„Hört, hört“, warf nun doch die Quelina von Hardt ein, während von außen Aillyn Faithûr zurückkehrte und dicht hinter Fernando stehen blieb. Er konnte deutlich ihren Geruch nach Pferd, frischem Schweiß, Waffenöl und … Honigspezereien wahrnehmen, den sie mit zurück in die nun drückende Enge des Zeltes brachte.
Er wandte sich kurz zu ihr um und musterte sie einen Moment lang. Es gefiel ihm nicht, dass sie hinter ihm stand, da kam er sich so... beobachtet vor und zwar von allen Seiten!
„Außerdem werde ich der Junkerin gegenüber erklären müssen, wie es dazu kommen konnte“, fuhr er fort und wusste sehr wohl, dass es ihn eigentlich überhaupt nichts anging, „Wenn Ihr in selbst verfasst habt, warum solltet Ihr dann Euer eigenes Siegel gebrochen haben? Ihr wisst doch, was Ihr geschrieben habt! Er geriet doch hoffentlich nicht in die Hände von... Dritten?“
Fragend blickte er den Waldbachtaler an. Es war ihm unangenehm, den Junker so auszufragen, zumal unter den Augen der anderen Anwesenden, aber es war die einzige Möglichkeit, schließlich wollte er keinen Ärger mit seiner zukünftigen Schwertmutter bekommen und das würde er, wenn er keine stichhaltige Erklärung dafür lieferte.
Seine Rede löste unterschiedliche Reaktionen aus: offene Belustigung bei Quelina und zumindest ein Lächeln bei den beiden Widdernhaller Rittern. Sigmans Miene war so unbewegt, wie Aillyn hinter Fernando stehen blieb.
„Du scheinst mir sehr gewissenhaft zu sein, aber überspanne den Bogen nicht“, ergriff Aeladir nun entschiedener und mit schärferem Ton das Wort. „Das Siegel wurde durch eigene Unachtsamkeit hier in der Tasche gebrochen, also werde ich es erneuern, damit Du es in angemessener Form überbringen kannst“.
Erschrocken blickte Fernando Aeladir an. Verstand dieser denn nicht, dass die Junkerin ihn danach fragen würde und wenn er keine Erklärung dafür hatte, er Ärger bekam? Und dann noch die Schelte des Waldbachtalers? Was konnte denn der Page dafür, dass das Siegel gebrochen und seine Herrin eben so war, wie sie war? Und selbst wenn er es erneuerte, dann musste er es ihr dennoch sagen, denn wenn er es nicht tat und es herauskam und solche Dinge kamen immer heraus, dann würde das noch viel größeren Ärger bedeuten. Erneut schluckte der Knabe. Ob es wirklich möglich war, dass ein Siegel in der Tasche brechen konnte? Er war sich nicht sicher. Was die Junkerin wohl dazu sagen würde?
Er fühlte sich immer unwohler. Von Augenblick zu Augenblick schien die ganzen Situation immer schlimmer zu werden. Wo war er hier nur gelandet?
Der Waldbachtaler wandte sich kurz an Sigman: „Verzeiht, dass ich mich zurückziehen werde. Habt dank für Eure Gastfreundschaft.“
„Nicht dafür, Euer Wohlgeboren“, Sigman winkte ab und fügte hinzu: „Kehrt zurück, sobald Ihr könnt.“
Verunsichert schaute Fernando zu Aeladir. Einen Augenblick dachte er darüber nach, ihm zu erklären, dass er seiner zukünftigen Schwertmutter ohnehin vom Bruch des Siegels berichten würde müssen, aber dann verwarf er jenen Gedanken wieder. Er glaubte, die Situation war so schon unangenehm genug. Wenn der Junker glaubte, er müsse den Brief mit einem neuen Siegel versehen, dann sollte er doch und je schneller er dies tat, desto schneller konnte er zurück sein.
Aufgrund der Enge im Zelt trat Aillyn Faithûr wieder ins Freie und machte Platz damit auch Fernando und Aeladir hinaustreten konnten.
„Die Götter seien mit Euch allen!“, verabschiedete sich der Page höflich und ging hinaus.
„Tapfer und wohlerzogen bist Du“, sie reichte dem jungen Pagen ein frisch duftendes Honiggebäck von dem hügelzwergischen Stand im koscher Lager, dass auch er gut kannte.
„Aber bedenke, dass all das schön beschrieben Papier und die geschliffenen Worte keine Bedeutung mehr haben, wenn du dereinst vor einem Gegner stehst, der dein Blut sehen will und zu allem entschlossen ist. Denke an meine Worte und übe dich mit der Klinge, denn es wird bald gegen einen fürchterlichen Gegner gehen“, ernst blickte sie ihn an.
„Ich bin Page und erst zehn“, brachte er ihr geradezu vorwurfsvoll entgegen. Er schaute sie mit seinen saphirblauen Augen an und für einen kurzen Moment entstand eine eigentümliche Verbindung zwischen ihm und der jungen Ritterin.
Fernando war, als könne sie auf den Grund seiner Seele blicken und ihn nehmen wie er war. Er spürte eine Geborgenheit, die nur ein großes Herz zu geben im Stande war. Doch dann erkannte er, dass hinter der aufrichtigen Wärme, die er spürte, ein Kampf tobte - gegen den Abgrund von Trauer und Verzweiflung.
Er kannte diese Gegensätze nur zu gut, in den Augen der Junkerin sah er sie oft. Die letzte Zeit, seit dem sie auf Heerzug war, sogar noch öfter, was allerdings auch daran liegen mochte, dass er mehr Zeit in ihrer Gegenwart verbrachte und sie zudem dem Leben im Heerlager nur wenig abgewinnen konnte. Und doch war da noch etwas anderes, etwas das er auch in den Augen der Ritterin zu sehen glaubte. Die Junkerin sagte stets, dass es die Nähe des Todes sei, die sie alle herausfordere und die Dinge zutage brächte, die besser für immer im Verborgenen geblieben wären. Über die Sorge, nicht zurückzukehren, sprach sie jedoch niemals, ob es Aillyn Faithûr wohl so erging wie seiner Pagenmutter?
„Darin sind wir glücklicherweise einer Meinung, auch wenn das sonst kaum der Fall ist“, riss Aeladir den Pagen aus seinen Gedanken und doch ging ihm der Blick der Ritterin nicht aus den Kopf, vielleicht gerade weil er ihn so sehr an den der Junkerin erinnerte.
„Einen Ritter macht mehr aus als die bloße Fähigkeit mit Schwert und Schild in die Schlacht zu ziehen. Das was ihn von den anderen Kämpfern unterscheidet, sind die zwölf Tugenden und ganz besonders jene, die im Kampf meist kaum von nutzen sind“, erwiderte er nun und klang eindeutig nach seiner zukünftigen Schwertmutter, „Die Götter sind auf unserer Seite und ich werde dafür beten, dass sie ganz besonders auch auf Euch acht geben!“
Damit stecke er sich das duftende Stück Honiggebäck in den Mund, denn damit ging er einer weiteren Unterhaltung erst mal aus dem Weg.
„Auf dich ebenfalls!“, schloss Aillyn. Dann dankte ihm die junge albernische Ritterin wortlos mit dem Rondragruß, da es nichts mehr zu sagen gab und kehrte mit einem flüchtigen Nicken zu Aeladir ins Zelt zurück.
Der Page nickte ihr nur zum Abschied zu, im Mund hatte er noch immer das Stück Honiggebäck, sagen konnte er also nichts. Irgendwie mochte er die Ritterin und das nicht nur weil sie ihm etwas vom Gebäck abgegeben hatte.
„Dann lass uns rasch zurück gehen“, meinte der Ritter und schlug den Weg ein, den Fernando gekommen war. Im Vorbeigehen rief er der Geweihten zu, die gerade blutige Bandagen zusammensammelte zu: „Das Abendmahl muss ich aufschieben Base, wegen einer Einladung, aber wir sehen uns morgen früh.“ Die hübsche Frau bedachte ihn mit einem milden Lächeln: „Die Säerin mit Dir, deinem Begleiter und deinen Gastgebern.“
„Die Götter ebenso mit Dir.“ Damit passierten Aeladir und Nales Page das Zelt der Geweihten und kehrten nach einigen Augenblicken zum Ausgangspunkt von Fernandos kleinem Abenteuer zurück: wieder standen sie vor dem Zelt des Windhagers, der unverzüglich die Zeltplane zurückschlug. Fernando konnte gerade noch feststellen, dass die Pferde bereits gefüttert, separiert und angeleint waren!
„Tritt ein“, warf Aeladir nach hinten und duckte sich in das niedrige Zelt. Fernando folgte ihm und hoffte, dass das Zelt von innen besser aussah als von außen und auch besser als der Ritters selbst.
Zuallererst sah er sich jedoch erneut dem schweigsamen Mädchen Thyria gegenüber, die auf einem leichten Klapphocker kauerte und den grünen Wappenrock ihres Herrn ausbürstete. Sie sah nur kurz zu ihm auf und führte dann ungerührt ihre Arbeit fort. Dann bemerkte Fernando neben dem Geruch nach frisch geschorenen Gras und Waffenöl auch den feinen Duft von Spezereien in der Luft, der auch Aeladir nicht verborgen blieb: „Hat dich Aillyn wieder verwöhnt? Sie gibt sich wirklich alle Mühe, dich mir abspenstig zu machen.“ Er schnürte seinen Waffengurt auf und legte seine Waffen und Wasserflasche griffbereit unter die linke Zeltschräge.
Dann begann er seinen Gambeson auf zu nesteln und wies auf das Mädchen: „Dies ist Thyria, meine Waffenmagd...“ Eine kurze Geste in Richtung Fernando folgte: „… und dies ist Fernando Núñez von Graytenau, der Page von Nale von Boltansroden. Erinnerst du dich? Ich habe dir von ihr erzählt.“ Einige beredte Gesten unterstützten die Rede des Ritters, doch Thyria nickte nur.
Aeladir schälte sich aus dem wattierten Rock und enthüllte ein durchgeschwitztes Leinenhemd darunter. Den Gambeson legte er auf eine grobe Matte aus Schilf unter der rechten Zeltschräge. Hier lag neben einem Kettenzeug und einem schlichten Helm noch eine zusammengebundene Bettrolle: „Du kannst dort Platz nehmen, Fernando.“ Er wies auf die Bettrolle.
Aber er setzte sich nicht, sondern betrachtete das Rüstzeug, das dort lag. Er erkannte einen einfachen Helm von stabiler Machart, schwarzgebrannt mit Leinöl, der auf einer Kettenhaube lag und daneben, als Kontrast, ein Kettenhemd – hervorragend gearbeitet und feingewirkt. Immerhin war sein Rüstzeug ganz in Ordnung. Das seiner Pagenmutter hielt er zwar für besser, allerdings hatte er schon schlimmeres im koscher Lager gesehen. An die Junkerin kam eben niemand so leicht heran...
Der Windhager beugte sich derweil zur kleineren von zwei Kisten, die neben zwei Säcken aus geölter Leinwand am Ende des Zeltes standen. Rasch öffnete er den Deckel und förderte aus dem Halbdunkel ein kleines Kästchen und einen Beutel zu Tage, schloss die Kiste wieder und stellte beides obenauf. Aus dem Beutel nahm er eine kleine abgestoßene Messingschale, die er in das kurzgeschorene Gras des Zeltbodens legte. Rasch füllte er eine kleine Handvoll von fedrigem Rohrkolbenzunder hinein und legte ein sorgsames geschnürtes Bündel, kaum handtellergroß, als Anzündholz bereit. Der Page verfolgte wie der Ritter mit geübten Handgriffen mit einem Feuereisen schon im zweiten Schlag einen Funken auf den Zunder schlug und während er schon blies, geschickt das Anzündholz bereitete. Rasch fraß sich eine kleine Flamme durch Zunder und Holz - würziger Brandgeruch erfüllte das Zelt und überdeckte die Ausdünstungen einer langen Reise.
Aeladir öffnete nun das Kästchen und nahm eine Stange mit Siegelwachs hervor, die er am Rand der Messingschale in die Flamme legte. Aus seinem Hemdenkragen zog er einen Lederriemen über den Kopf: im durch die Zeltbahn gedämpften Licht blinkte ein schwerer Siegelring, den er nun ins Gras legte.
Während er das Siegelwachs nun direkt in die Flamme hielt, wandte sich Aeladir zu dem Pagen um: „Der Brief, bitte“
Fernando hielt dem Junker den Brief entgegen, aber anstatt ihm diesen wortlos zu überlassen fühlte er sich verpflichtet zu erkläre: „Es ist nicht so, dass die Junkerin Euch misstraut, es ist viel mehr so, dass... Ach, Ihr kennt ihren Vater nicht!“
Der Page schüttelte ein wenig verzweifelt seinen Kopf, warf einen Blick zu der noch immer schweigenden Waffenmagd hinüber und führte weiter aus: „Hättet Ihr diesen Brief nach Burg Rabenfels geschickt und die Junkerin wäre bereits auf dem Heerzug gewesen, selbst wenn sie erst gerade in Steinbrücken angekommen wäre oder sich auch auch nur auf dem Weg dorthin befunden hätte, dann hätte er sicherlich keinen Augenblick gezögert und ihn selbst geöffnet. Nicht weil er es böse meint oder irgendwelche schlimmen Absichten hegt, aber zu gerne würde er selbst lesen, was Ihr seiner Tochter so wichtiges zu sagen habt, gerade weil sie sich darüber ausschweigt. Eigentlich ist es also ganz gut, dass Ihr es nicht getan habt. Und weil ihr Vater stets so unglaublich neugierig ist, ist sie eben ein bisschen vorsichtig geworden, was ihre Korrespondenz betrifft, gerade wenn sie von durchaus privater Natur ist...“
Fernando verstand selbst nicht so recht, warum seine Pagenmutter ihrem Vater nicht einfach über den Inhalt der Briefe aufklärte, so weit er wusste, schrieben die beiden Junker sich ohnehin nur Belanglosigkeiten, warum also darüber schweigen?
Aeladir runzelte die Stirn über diesen seltsamen Pagen, der anfangs überaus selbstbewusst und fordernd aufgetreten war, als es gelte unbedingt Fehler zu vermeiden.
„..und seit dem ihr werter Vetter, der Junker von Eichstein, ein bisschen mehr als üblich auf sie Acht gibt, ist sie natürlich noch vorsichtiger geworden“, fühlte er sich genötigt hinzuzufügen, wieder wanderte sein Blick zu der Schuhlosen hinüber. Wie schafft sie das nur die ganze Zeit über den Mund zu halten? Er konnte das nicht, es war für ihn eines der schlimmsten Dinge, wenn seine Pagenmutter ihm das Reden untersagte...
„Von ihren werten Brüdern ganz zu schweigen. Als könnte sie nicht selbst auf sich aufpassen!“, energisch schüttelte der Page seinen Kopf.
Mittlerweile belustigt träufelte Aeladir großzügig Wachs auf das alte Siegel und setzte sein Wappen darauf. Wortlos reichte er den Brief an Fernando weiter und angelte nach der Wasserflasche an seinem Waffengurt, die er entkorkte und ebenfalls dem jungen Almadaner reichte.
„Danke“, sagte der Page ein wenig steif, nahm einen Schluck – aus Höflichkeit – und gab sie dem Windhager zurück. Dann blickte er erneut zu Thyria hinüber – ob er versuchen sollte, sie zum Reden zu bekommen?
Nun wandte er sich wieder Aeladir vom Waldbachtal zu und wollte wissen: „Dann kann ich also dem werten Junker von Eichstein ausrichten, dass er Euch zum Abendessen erwarten kann?“
„Ich komme gerne, meinen Dank an den Gastgeber. Bis zur zweiten Hesinde sind es vermutlich nur noch zwei Stunden“, stellte Aeladir fest. „Ich benötige nicht viel, um der traviagefälligen Gastfreundschaft genüge zu tun. Dies kannst du gerne dem Junker ausrichten. Meine besten Wünsche an die Junkerin.“
„Ich werde es beiden ausrichten und sie werden sich gewiss freuen, Euch wiederzusehen“, er nickte dem Windhager zu und wedelte ein bisschen aufgewühlt mit dem Brief in seiner Hand herum. Nicht das er dies sonst etwa tat, aber in ihm stritt da doch noch etwas über die Frage, ob er ihr von dem Missgeschick des Junkers etwas erzählen sollte, „Und den Brief werde ich meiner Pagenmutter sogleich überbringen.“
„Tu dies“, meinte Aeladir und überlegte unentschieden, ob er dem Pagen noch einen Rat mit auf den Weg geben sollte oder nicht.
Er verabschiedete sich: „Die Götter seien mit Euch Euer Wohlgeboren und auch mit Eurer schweigenden Waffenmagd.“
Und damit war es entschieden: „Sie ist nicht schweigsam, Fernando. Schwarze Ritter des Dunklen Herzogs haben sie gefoltert und ihr die Zunge herausgeschnitten“, meinte Aeladir absichtlich so beiläufig als würde er Belanglosigkeiten erzählen. Dass Thyria weiterhin den Wappenrock bürstete, würde die Wirkung auf Fernando hoffentlich noch erhöhen.
Instinktiv wanderte Fernandos Hand an seinen Mund. Er bewegte seine Zunge hin und her, immer und immer wieder, dann schluckte er, schaute zu Thyria, die nach wie vor ihrer Arbeit nachging und dann wieder zu Aeladir, der ihm das Schicksal seiner jungen Waffenmagd erklärt hatte, als wäre es das Normalste überhaupt. Jetzt machte das natürlich irgendwie alles Sinn, aber irgendwie auch nicht...
„Warum tut denn jemand so was?“, fragte er ziemlich entsetzt, immer noch seine Hand vor seinem Mund, was seine Stimme dämpfte, „Ich meine, warum macht jemand so was? Was hat er denn davon? Wieso?“
Fassungslos schüttelte er seinen Kopf. Vom Grauen des Heerzugs hatte er noch nicht all zu viel mitbekommen, was seiner Pagenmutter geschuldet war.
„Versteh‘ mich nicht falsch: Du bist jung an Jahren, unerfahren und behütet. Du wirst auf diesem Feldzug schreckliche Dinge sehen und auch selbst erleben. Vermutlich wirst Du sie auch tun müssen, um zu überleben – es sei denn die Götter sind gnädig mit Dir.
Und ich sage das nicht, um Dir Angst zu machen, sondern weil es einfach so ist und mir etwas an Dir liegt, da Du der Schutzbefohlene Nales bist. Deshalb musst Du dich innerlich wappnen und disziplinieren, für dich selbst und deine spätere Schwertmutter.
Und eine gute Möglichkeit für dich, um Disziplin zu üben, wird sein, weniger zu reden: Du kennst doch sicherlich das Sprichwort ‚Reden ist Silber und Schweigen ist Gold‘? Schwer vorstellbar, dass Du es nicht kennst, betet doch Nale zum Dunklen...
Und ich will Dir auch kurz sagen, warum ich vorschlage, dich auch im Schweigen zu üben: alleine in Deinen letzten Worten, habe ich durch Deine Indiskretion mehr über die Familie der Junkerin erfahren, als ihr vermutlich lieb sein kann, wenn sie so darauf bedacht ist, ihre private Korrespondenz zu schützen.
Denk‘ darüber nach, was ich gesagt habe. Es ist nur ein Rat und Du entscheidest selbst darüber, ob Du ihm folgst oder nicht. Die Götter mit Dir, Fernando.“ Damit schlug Aeladir die Zeltbahn am Eingang wieder zur Seite und trat in die Sonne hinaus.
Entrüstet starrte Fernando dem Junker einige Moment lang nach. Er hatte es doch nur gut gemeint und außerdem würde er ohnehin bald vom Verhalten der Familie der Junkerin erfahren, es war doch für jeden offensichtlich. Aber seine Pagenmutter hatte ihm auch schon öfter nahegelegt, dass er besser über seine Worte und deren Wahl nachdenken sollte und trotzdem... er konnte einfach nicht anders. Dann wandte er seinen Blick wieder zu Thyria. Das hatte er doch nicht wissen können...
Er winkte ihr zum Abschied, auch wenn sie es nicht sah, weil sie noch immer mit dem Wappenrock des Junkers beschäftigt war, trat nach draußen und machte sich auf den Weg. Er wollte erst beim Junker von Eichstein vorbeischauen, dann hatte er nämlich noch ein bisschen mehr Zeit um zu überlegen, was er seiner Pagenmutter genau erzählen musste.