Auersbrücker Fehde - Hinterhalt im Borrewald - Prolog
◅ | Belagerung mit schlechtem Gewissen |
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Aug um Auge, Salm um Salm | ▻ |
Irgendwo im Borrewald, Firun 1047 BF
Leise rieselte der Schnee auf den großen Mann herab. Unbeweglich stand er da auf der Lichtung und hätte er nicht immer wieder ruhig geatmet, dann wäre er durchaus mit einer Statue zu verwechseln gewesen. Die rechte Hand des Mannes lag auf dem Griff seines wuchtigen Streitkolbens, während die Linke den Griff seines Rundschilds umfasste, welchen er eng vor seinem Körper hielt. Zwar rechnete Hildrik Kares nicht mit einem Angriff, aber sicher war er sich nicht. Schließlich konnte man in diesem dunklen Borrewald einigem begegnen, sei es kulturschaffender oder tierischer Natur. Er starrte ins dichte Unterholz und dachte über seinen Auftrag nach. Die ganze Angelegenheit war äußerst anrüchig, wenn nicht sogar ehrlos. Daher hatte sein Lehnsherr auch ihn geschickt. Er wurde immer geschickt, wenn sein Herr einen zuverlässigen, aber schweigsamen Mann brauchte, um Angelegenheiten zu regeln, mit denen sich jemand von Stand nicht direkt befassen wollte. So war es schon immer gewesen, seit dem Tag vor ungefähr 40 Jahren, als sie sich beide am Fuße des Finsterkamms in der Markgrafschaft Greifenfurt getroffen hatten. Hildrik verzog etwas das Gesicht, als er daran zurückdachte. Als fröhliche, abenteuerlustige Burschen mit klarem Ehrgefühl waren sie ausgezogen und als verbrauchte und gezeichnete Männer zurückgekommen. Wenn sein altes Ich ihn jetzt sehen könnte, was würde er wohl zu sich sagen?
Nach diesem Moment des Nachdenkens schüttelte der Hüne seinen Kopf und konzentrierte sich wieder. Jetzt war nicht die Zeit, über so etwas zu philosophieren. Ungefähr einen Augenblick später bewegte sich etwas im Unterholz und Hildrik zog seinen Streitkolben mit geübter Hand. Doch es war kein Angreifer, stattdessen blickte er in das ihm bekannte Gesicht von Kundro Grasmeier, der von einem weiteren Mann begleitet wurde. „Ganz ruhig, mein Lieber, ich bin es nur“, meinte der junge Jäger und hob abwehrend beide Hände. „Und ich hab den Gesuchten mitgebracht.“ Hildriks Blick war auch sofort, als er Kundro erkannt hatte, zu der zweiten Gestalt gewandert. Zwei Schwertlängen entfernt stand vor ihm ein kräftiger Mann, der zum Schutz gegen die Kälte in dicke Gewänder gehüllt war. Auch seinen Mund, bis über die Nase, hatte er bedeckt. Dieser Kerl wirkte etwas hager und seine Gesichtszüge ein wenig eingefallen, doch sein Blick war hellwach, als er die Umgebung genau musterte. Die Rechte des Mannes umfasste ein Langschwert, welches früher wohl eine herrliche Klinge gewesen sein musste. Nun wirkte die Waffe jedoch wie sein Besitzer etwas abgenutzt und matt, doch ohne jeden Zweifel noch tödlich.
„Ich präsentiere Alphak aus dem Haus Steinklos“, meinte Kundro und ging dann eine Armlänge zwischen den beiden in die Hocke. Hildrik steckte seinen Streitkolben wieder zurück und Alphak musterte den Krieger vor sich genau. Anschließend meinte er ungehalten: „Wenn wir uns zukünftig treffen, wählt einen besseren Ort aus. Hier ist es mir mit dem Wind zu kalt. Und sagt diesem Jäger, er soll sich nicht so an unser Lager anschleichen. Wir hätten ihn fast erschossen deswegen.“ Kundro hob eine Augenbraue, so als würde er diese Aussage doch sehr in Frage stellen, erwiderte aber nichts. Auch Hildrik gab keinen Laut von sich, so dass der ehemalige Ritter nachhakte. „Nicht sehr gesprächig, oder? Sagt also, weshalb Ihr mich hergebeten habt, bevor uns dreien hier draußen noch die Nasen abfrieren. Wer seid Ihr eigentlich?“
Hildrik brummte, griff an seinen Gürtel und machte eine schnelle Wurfbewegung. Geübt pflückte Alphak den Gegenstand aus der Luft. Er betrachtete seine Hand und erkannte, dass es sich dabei um einen dicken Lederbeutel handelte, der angenehm klimperte. Er öffnete ihn rasch und erblickte einige goldene Eber. „Oho!“, meinte der frühere Herr von Nimmertrutz angenehm erfreut und sah dann wieder fragend zu Hildrik. Der Hüne ergriff nun zum ersten Mal das Wort. „Unsere Namen sind unwichtig. Aber wir sprechen für wichtige Männer. Hier habt Ihr eine Anzahlung, wenn Ihr einen Auftrag für sie übernehmt. Interessiert?“ Der gesetzlose Adlige befestigte den Beutel an seinem Gürtel. „Durchaus, bei einer so freundlichen Einladung. Aber für so viel Geld ist der Auftrag wohl äußerst …“ Er unterbrach sich kurz und suchte das richtige Wort, „Delikat.“ Als Antwort bekam er nur einen weiteren Gegenstand zu fangen, dieses Mal ein zusammengerolltes Pergament. „Ihr wisst sicherlich von den Vorratswagen, die hier immer durch den Wald fahren und zur Ernährung der fürstlichen Truppen vor Burg Bärenstieg bestimmt sind?“ Der Blick von Alphak sagte alles aus, schließlich konnte man diese nicht wirklich übersehen. „Ich denke, ich verstehe, was Ihr andeuten wollt, dies haben meine Leute auch schon vorgeschlagen, dass wir die Wagen überfallen sollen. Daher sag ich Euch dasselbe wie ihnen, diese Transporte werden gut beschützt und sind das Risiko wohl nicht wert.“ Hildrik nickte knapp, meinte dann: „Dieser, von dem ich spreche, den wir Euch hier aufgezeichnet haben, aber durchaus. Er enthält Dinge, an denen Ihr Interesse haben könntet. Doch das ist nicht der springende Punkt. Dieser beschriebene Transport wird von der Sendschaft Auersbrück bewacht. Wenn es Euch gelingt, die Auersbrücker schlecht dastehen zu lassen, wartet ein weiterer, größerer Beutel auf Euch. Sollte der Anführerin der Sendschaft, Daria Hangklos, dabei ein Unglück passieren, wird ein dritter Beutel den Weg zu euch finden.“
Alphak riss erstaunt die Augen auf und Hildrik glaubte kurz, die Gier in diesem Blick zu erkennen. „Oha, dann sprecht Ihr nicht nur für wichtige, sondern auch für sehr wohlhabende Leute. Die gute Dame scheint Euch ja richtig an den Eiern gepackt zu haben, wenn Ihr eine solche Belohnung auf ihren Kopf zu zahlen bereit seid." Hildrik zuckte mit den Achseln. „Das zu beurteilen obliegt mir nicht. In erster Linie geht es nur um das Ansehen ihrer Sendschaft in den Augen des Fürsten. Seid Ihr also dabei oder nicht?“ Alphak dachte kurz nach. Die Angelegenheit nahm eine interessante Wendung, doch er wusste zu gut, dass die Leute, welche hinter diesem Boten standen, nur die Seinen für deren Drecksarbeit benutzen wollten, ohne sich selbst die edlen Hände schmutzig zu machen. „Welche Truppen der Sendschaft werden uns denn bei dem Transport erwarten?“ Jetzt antwortete Kundro, jedoch ohne dem früheren Ritter in die Augen zu sehen, während er mit dem Finger in den Schnee malte. „Wohl an die zwei Dutzend Kämpfer. Keine schwere Infanterie oder gar Ritter. Eher einfache Landwehr und gewöhnliche Schützen. Aber sie werden mit Hellebarden und Armbrüsten gut ausgerüstet sein. Außerdem war die erwähnte Daria bei den fürstlichen Truppen. Falls Euch das vor ein Problem stellen sollte …“ Doch weiter kam er nicht, denn Alphak spuckte zur Antwort nur in den Schnee. „Auch wenn ich jetzt rechtlos bin, so bin ich immer noch ein ausgebildeter Ritter. Ich weiß durchaus Männer anzuführen und so sehr die Dame auch geübt sein mag, nichts schlägt eine ritterliche Ausbildung im Namen der Göttin Rondra.“ Kundro schien davon nicht so ganz überzeugt zu sein, doch er biss sich auf die Zunge. „Wenn wir die Wagen haben, was sollen wir mit dem Inhalt machen?“, wollte Alphak wissen. Zur Antwort zuckte der Greifenfurter mit den Achseln. „Plündert alles oder verbrennt es, dies ist meinen Auftraggebern egal. Ihr könnt es auch da lassen, Hauptsache ist …“ Der Uztrutzer winkte ab. „Ja ja, ich weiß, die Sendschaft soll blamiert werden, schon klar. Sonst noch was?“ „Wenn Ihr erfolgreich seid, treffen wir uns zwei Tage nach Eurem Überfall wieder hier und Ihr bekommt das restliche Geld. Ansonsten braucht Ihr gar nicht mehr aufzutauchen.“ Alphaks schiefes Grinsen sagte, dass er verstanden hatte, und ohne ein Wort des Abschieds machte er sich dann wieder in Richtung des Unterholzes auf.
Kaum hatte der frühere Ritter die Lichtung weit genug hinter sich gelassen, da schossen ihm auch schon einige Gedanken durch den Kopf. Das Geld war auf jeden Fall sehr willkommen. Damit könnte er einige Mietkämpfer anwerben, Vorräte besorgen und sogar noch den einen oder anderen Tag in einem guten Bett schlafen. Allerdings nicht hier, dafür waren sein Name und die Belohnung auf seinen Kopf im ganzen Kosch doch zu bekannt. Aber nördlich der Grenzen des Fürstentums lag eine Stadt, in der er und die Seinen mit Geld immer willkommen waren. Dort würde er auch sicherlich genug Leute für solch ein riskantes Abenteuer finden, schließlich trieben sich an diesem Ort genug zwielichtige Gestalten für schnellen Reichtum herum. Mit Gold in der Tasche war dort jeder dein Freund und wenn er noch mehr bekommen sollte, um so länger würde er sich Treue und Schutz leisten können. Ein Vogelruf ertönte über den Bäumen und Alphak stoppte kurz, weil er dachte, jemand wäre hier. Doch da war nichts, also straffte er sich nach einem Moment des Zögerns wieder und stapfte weiter durch den Schnee. Morgen würde es losgehen, ab mit seinen Leuten über die Grenze ins Königreich Andergast. In die Stadt Alt-Albumin und dann weiter, um seine Aufgabe zu erfüllen!