Veränderungen - Räuberhatz
Schnell ritten sie durch den Wald nach Eikenhorst, wo schieres Chaos herrschte. Die Pforten der Palisade hingen lose in ihren Angeln, einige der Eikenhorster waren verwundert und die weitaus meisten kauerten um den Leichnam des Zinsherren Jorge Forsthauer. Der alte Zinsherr hatte sich tapfer den Banditen in den Weg gestellt, doch er allein konnte nicht gegen diese fähigen Kämpfer bestehen. Und nun war er in Rondras Hallen eingekehrt. Roklan und Hlûthard stiegen von ihren Pferden ab und übersahen geflissentlich, dass niemand herbei geeilt kam, ihnen die Arbeit abzunehmen.
„Eikenhorster!“
Roklan verschaffte sich nach einem kurzen Räuspern gehört und seine Stimme knallte durch die Ortschaft.
„Ich bin Roklan Boromar von Leihenhof, Baronet vom Galebquell und …“ sofort brandete Unruhe auf, die Bauern und Förster fingen an zu schnattern, bedrängten den Baronet, baten um Hilfe, flehten ihn und die Götter an.
„Beruhigt euch!“ rief Roklan, und Hlûthard bemerkte mit einem verschmitzten Grinsen, dass die ganze Bauernschar sofort verstummte. Der Baronet fuhr sich energisch durch das lange dunkelbraune Haar und schien einen
Moment nachzudenken. Er entdeckte den schon alten, aber immer noch rüstigen Waldbauern Ugdalf Rappen.
„Er da!“
Roklan deutete mit einer ruckartigen Handbewegung auf Rappen.
„Er kümmert sich hier um alles. Sorge für den armen Zinsherrn …“ der Baronet schlug das Boronsrad.
„Und sorge er hier auch für Ruhe! Wer sind die besten Jäger und Schützen hier?“
Rappen stapfte mit einem leicht unterwürfigen Blick vorwärts und sein Blick flackerte über die Menge. Dann blaffte er ein paar Namen.
„Alrik, Hagen, Firunia, Thalia!“ und sofort traten einige junge Burschen und Maiden vor, kräftig und sehnig. Zwar immer noch Waldbauern, doch sicherlich geschult im Umgang mit dem Bogen. Die Barone vom Galebquell hatten den Waldbauern von Eikenhorst das Recht verliehen, im näheren Umkreis auf die Jagd gehen zu dürfen. Aber jedes Stück Hochwild und jeder Wolf musste abgegeben werden, Niederwild durften sie behalten. Roklan konnte ihre Fähigkeiten so nicht abschätzen, aber er musste damit zufrieden sein.
„Holt euch genug Pfeile und euren Bogen. Wir werden sofort aufbrechen – und vorher werdet ihr mir auf meine Fragen antworten.“
Die vier Jäger kamen den Anweisungen sofort nach und nicht einmal eine halbe Stunde später waren sie mit den beiden Rittern aufgebrochen. Roklan und Hlûthard brachten in Erfahrung, dass die Räuber gen Osten aufgebrochen waren – natürlich, in die Berge hinein. Es waren wirklich nur drei Rechtlose gewesen, aber gut bewaffnet und gerüstet. Sie trugen gute Schwerter, feste Lederrüstungen und doppelt gekrümmte Bogen. Das ließ die beiden Ritter stutzen. Die Banditen schienen erstaunlich gut ausgerüstet zu sein – sie mahnten sich zur Vorsicht.
Die vier Eikenhorster stellten sich als erfahrene Waldkundige heraus. Zwar waren die Räuber sicherlich ebenso gewandt im Wald, doch die Eikenhorster lebten vom und mit dem Wald. Sie kannten ihn wie ihre eigene Stube. Insbesondere die hagere Firunia stellte sich als exzellente Fährtensucherin heraus, die sogar die undeutlichsten Spuren deuten und verfolgen konnte. Wie ein Bluthund setzte sie sich auf die Spur der Rechtlosen. Roklan war schier beeindruckt von ihren Fähigkeiten und beschloss, seinem Vater die ruhige und besonnene Firunia für eine Anstellung als Forstmeisterin zu empfehlen.
Unbeirrt schlug sie sich durch den Wald und ebenso unbeirrt folgten sowohl die anderen drei Eikenhorster wie auch die beiden Ritter der Führerin.
Doch nach einer guten halben Stunde, die sie in einem Zickzack-Kurs durch den Wald gestapft waren, hielt Firunia plötzlich inne. Die junge Frau löste ruhig ihr Haarband und band sich den kurzen knotigen Zopf neu. Roklan sah sich um – sie standen auf einer kleinen Lichtung mitten im Wald über die nur ein kleiner Bach floss. Es war mehr ein Rinnsaal und einzig eine kleine Familie Wühlmäuse hatte an ihm getrunken – bis die Menschen kamen und die kleinen Nagetiere schnellsten Reißaus genommen hatten. Etwas außer Atem fragte Roklan Firunia:
„Weshalb hält sie an?“
Die Angesprochene zuckte mit den Achseln und schien sich zu orientieren.
„Hoher Herr, ich möchte die Spur nicht verlieren“, entgegnete sie mit einer Demut, unter der Ungeduld klang. Mit einer Handbewegung ließ Roklan sie gewähren und nach wenigen Minuten hatte sie auf der anderen Seite des Rinnsaals die Spur wieder aufgenommen.
„Hier haben sie sich mit einer weiteren Person vereint. Aber ....“
Firunia starrte etwas überrascht auf den Boden und begann weiterzusuchen. Sie bekam nicht mit, wie Roklan sich warnend umsah. Er hörte wieder diese Klänge in seinem Kopf. Kaum hörbar waren sie diesmal, doch sie klangen sphärisch, nicht wie von derischen Instrumenten gespielt.
Sie spielten eine seltsame, ihm unbekannte Melodie. Unruhig sah er sich wieder um, starrte in die Schatten. Niemand außer ihm konnte die Melodie hören, denn sie war in seinem Kopf. Er wusste nicht, woher sie kam
– doch er wusste, worauf sie hinwies. Früher hatte er Angst davor gehabt, wusste nicht, was dies zu bedeuten hatte – doch insbesondere Seneschall Ynbaht von Lichtenberg hatte ihn auf die Bedeutung dieser Gabe hingewiesen.
Und nun lauschte Roklan diesen Melodien. Wann immer er diese ätherischen Klänge hörte, wusste er, hier war irgendwo Magie im Spiel. Immer noch sah er sich um – wie ein Fink, der das Rauschen von Falkenflügeln hört. Eine Hand legte sich auf seine Schulter – und Roklan merkte zu seinem Ärger, wie er zurückzuckte.
„Ruhig“, raunte Hlûthard ihm ins Ohr.
„Roklan, was ist mit dir?“ sprach er leise. Roklan zögerte. Sollte er
es ihm sagen? Würde Hlûthard ihn verstehen? Doch dann schüttelte Roklan nur den Kopf. Hlûthard ließ es dabei beruhen. Roklan war mit wenigen Schritten bei Firunia.
„Was ist?“ sprach er nur kurz, „...die Person war schon hier. Ich sehe keine Spuren, die hierher führen. Aber sie lief mit den anderen fort. Weiter zu den Bergen.“
Roklan sah in die Richtung, die sie wies. Irgendwo über den Baumkronen erhoben sich die Koschberge – und auch die Ruinen der Burg Wolfenzahn. Roklan erschauderte. Dann sah er zur Baumkrone hinauf.
„Vielleicht hat die Person lediglich hier gewartet?“
„Möglich.“
„Dann lasst uns keine Zeit verlieren.“
Roklan schulterte wieder seine Habe und ordnete den Aufbruch an. Er wusste nicht was ihm sein Gespür sagte. Es konnte alles Mögliche sein, was
Zauberei hinterlassen hatte. Er war mitnichten abergläubisch, aber Magie machte ihn doch fürchten.
Die kleine Truppe marschierte wieder voran. Der Wald wurde dichter, hierher waren die Eikenhorster noch nicht vorgedrungen. Auch stieg das Gelände weiter an. Immer näher rückten nun die Kämme der Berge und Roklan wusste, irgendwo in diesem östlichen Hügelland verbargen sich in den Schatten einige Höhleneingänge. Dort mussten sich auch die Räuber verborgen halten. Dies wurde bei einer kleinen Rast auch von den Eikenhorstern bestätigt.
„Dort finden wir einige nicht sehr tiefe Höhlen. Da können sich Vogelfreie sicherlich verbergen“, meinte Alrik, der untersetzte Jäger. Während die Eikenhorster sich ausruhten, rückte Roklan an Hlûthard heran.
Doch er zögerte – und nervös fuhr er sich mit seinen großen Händen durch die arg von den Anstrengungen mitgenommenen Haare. Das an sich weiche dunkelbraune Haar wurde durch ein
kräftiges Band zu einem Zopf zusammengehalten. Sollte der Baronet ihm seine Eindrücke erzählen? Wie sollte er sie Hlûthard erzählen?
'Hallo Hlûthard, ich weiß da was, was du nicht weißt – und zwar, da gibt es wohl einen Zauberer in der Gruppe!'
Eine tolle Taktik – und wieder einmal verfluchte Roklan seine zweischneidige Gabe. Ynbaht hatte ihm gesagt, es sei ein Geschenk von Nandus und Hesinde – denn die Gabe, Magie zu spüren, besaßen nicht viele. Doch wenn ihm, Roklan ohnehin keiner Glauben schenken würde? Was hatte dann solche ein Geschenk für einen Sinn? Nervös stieß er Luft aus und Hlûthard fuhr herum.
„Ist etwas?“
Doch Roklan schüttelte nur den Kopf. Hlûthard versuchte zuversichtlich zu lächeln.
„Mach dir keine Gedanken. Wir werden
schon sehen, ob wir mit den Räubern fertig werden.“
Roklan nickte und gemeinsam stapften sie voran, den Bergen entgegen.