Unter dem Schleier - Marbolieb

Aus KoschWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Burg Rabenwacht, 27. Ingerimm 1042

Eira ni Rían lachte. Sie konnte nicht anders. „Was für ein Unfug“, sie schüttelte energisch den Kopf, „Sie hätte nie... nie... und schon gar nicht mit einem... Mann.“ Das letzte Wort spie sie regelrecht hervor. „Ja, bist Du denn nicht mehr bei Sinnen? Weißt Du eigentlich was Du da redest? Sie hätte nie... nie... Zu groß ihre Angst. Der Fluch! Wie kannst Du das nicht wissen? Was für ein Unfug. Unfug!“

Doch Líadáin schüttelte nur ihren Kopf: „Es war so. Das magst Du glauben oder nicht, die Götter wissen das es wahr ist. Sanja hat eine Tochter geboren. Deswegen war sie einen halben Götterlauf nicht bei Dir, sondern im Tempel in Angbar bei mir. Dort hat sie ihre Tochter...“

„Unfug!“, brüllte die Ritterin da, „Absoluter Unfug!“

„Nein, blutige Distel“, schüttelte die Boroni ihren Kopf, „Ich war dabei. Ich...“

„Du lügst! Selbst jetzt, da sie tot ist, müsst ihr sie noch in den Schmutz ziehen. Könnt ihr sie denn nicht einmal im Tod in Ruhe lassen? Hat sie etwa keine verdient? Warum lügst Du nur? Du bist meine Schwester...“

„Und deswegen muss ich Dir die Wahrheit sagen, auch wenn Du sie nicht hören willst...“

„DAS ist nicht die Wahrheit. Sie hätte das nie getan. Hätte nie... nie... niemals!“

„Sie heißt Marbolieb.“

Eira lachte kehlig.

„Und ist in meiner Obhut im Schutze meiner Kirche aufgewachsen. Sie ist eine...“

„Genug!“, brüllte die Junkerin, sprang wütend auf und stapfte auf ihre Schwester zu, „Es ist... genug. Endgültig!“

Líadáin blickte auf: „Sie glaubte, dass Du ihr das nie verzeihen könntest...“

„Alles“, zischte sie, „Alles hätte ich ihr verziehen. ALLES!“

„Auch wenn sie eine Liebschaft mit einem Mann gehabt hätte und daraus ein Kind entsprungen wäre?“

Darauf antworte die Ritterin freilich nicht, stattdessen sagte sie: „Ich habe sie geliebt! GELIEBT!“

„Ihre größte Angst war, Dich zu verlieren, blutige Distel“, erinnerte sich die Geweihte, „Das fürchtete sie noch mehr, als diesen unsäglichen Fluch.“

„Ich hab sie geliebt“, wiederholte Eira, ihre Hände zu Fäusten geballt, „So sehr. So sehr!“

„Und deswegen hättest Du es ihr nie wirklich verzeihen können.“

Die Junkerin schüttelte energisch ihren Kopf.

„Da magst Du Deinen Kopf schütteln so viel Du willst, blutige Distel. Es ist die Wahrheit. Sie kam erst zu mir als sie Marbolieb bereits erwartete...“

Nun lachte Eira: „Ich hätte doch wohl gemerkt, wenn sie...“

„Wir Menschen sehen nur das, was wir sehen wollen“, hob ihre Schwester da an, „Und wenn etwas unserer Meinung nach nicht sein kann, dann ziehen wir es auch nicht in Betracht.“

Unruhig begann die Ritterin in der Kapelle auf- und abzugehen. Immer wieder. Dabei schüttelte sie unablässig den Kopf.

„Ich war an ihrer Seite, hielt ihre Hand, als sie das Mädchen zur Welt brachte. Ich selbst habe für das Kind den Geburtssegen gesprochen, sie in meine Obhut im Schutze des Tempels genommen und ich war es auch, die sie stets von Dir ferngehalten hat, so dass Du niemals im Tempel auf sie getroffen bist, obwohl sie mindestens einmal Deinen Weg gekreuzt haben muss“, Líadáin hielt einen Moment inne, „Damals dachte ich, dass dieses Versteckspiel endlich vorbei sein würde, aber das war es nicht.“ Sie schien sehr nachdenklich. „Sie ist wie...“

Nun blieb Eira abrupt stehen. In ihrem Gesicht stand eine Mischung aus Entsetzen und Erkenntnis. „Da... da... da war ein... ein Mädchen“, entfuhr es ihr, „Ein Mädchen!“ Sie schluckte. „Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, sie hatte es verhüllte, aber...“ Nun hielt sie inne. „Aber... aber... ihr Gang und... und ihre...“ Sie fröstelte stark. „... ihre Stimme.“ Ihre eigene war nur noch ein leises Wispern. „Ihre Stimme! Sie kam mir so... so... so...“ Die Ritterin rang nach Worten. „... so vertraut vor. So schrecklich... vertraut.“

Líadáin nickte und erwiderte: „Das war sie. Das war Marbolieb. Ihre Tochter.“ Über ihren ganzen Körper breitete sich eine schmerzhafte Gänsehaut aus. „Jedes Mal, wenn ich ihr in die Augen blicke, dann blickt Sanja mich an...“

Eira presste ihre Augenlider fest aufeinander. Ihr ganzer Körper zitterte.