Panoptikum - Eine Bestie für den Baron 2

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Burg Zwietrutz, 06. Praios 1043 BF

Beim zügellosen Levthan, hab ich vielleicht Kohldampf!

Ich könnt das ganze Spanferkel verdrücken, dass dort gemütlich über dem Feuer rotiert. Mhm wie das duftet. So muss sich ein hungriger Oger fühlen, wenn er ein Menschendorf wittert.

Ob Menschen für Oger wohl genauso duften, wie dieses Spanferkel für mich?

Zu dumm nur, dass ich mir hier seit fast ner halben Stunden die Beine in den Bauch stehe und das nur, weil die Leute hier zu blöd sind, eine vernünftige Schlange zu bilden – Idioten.

Drängen wie blöde an die Theke und machen überhaupt keine Anstalten eine Schlange zu bilden. Ist doch ganz einfach! An der Theke teilen zwei Mägde Portionen aus und kassieren das Geld. Wann ist die durchschnittliche Wartezeit am kürzesten, wenn sich die Leute an jeweils einer Schlange vor den beiden Mägden drängen, oder wenn sie zunächst nur eine Schlange bilden und der Reihe nach zur jeweils freien Magd gehen? – Natürlich bei nur einer Schlange!

Gibt’s ja nicht, dachte ich. Die kennen dieses wunderbare System nicht. Na dann wollen wirs ihnen mal zeigen, und stellte mich in einigen Abstand zur Theke, mittig zwischen die beiden Mägde. Aber trotz meines demonstrativen Körpereinsatzes, stellten sich die Leute nicht hinter mir an, sondern strömten weiter an mir vorbei und knubbelten sich an der Theke. Schließlich rempelte mich so ein Bauer unverschämter Weise von hinten an und maulte „Du stehst im Weg.“ bevor er sich, wie die ganzen anderen Idioten zur Theke drängte. Hat dieser Lümmel mich gerade geduzt?

Unverschämtheit. Normalerweise wäre ein demütiges entschuldigt vielmals meine Ungeschicktheit, mein edler Herr angebracht. Aber diese Bärenfänger Bergschrate hatten die Manieren einer Goblinsippe. Dass fiel mir schon vorhin, beim Panoptikum auf. Da hielt doch so eine Trulla einen Berglöwen tatsächlich für einen Waldlöwen. Schaut doch nur Kinder!

Die schrecklichen Reißzähne des Waldlöwen! – Schrie sie mit gekünstelter Aufregung vor dem Käfig des Viehs. Als ich ihr, ob ihrer Unwissenheit zur Hilfe eilte und berichtigte, dass sie wohl Fangzähne meinte, da Reißzähne sich relativ weit hinten im Maul befänden und daher schlecht zu sehen seien und Reißzähne auch weit weniger spektakulär als Fangzähne seien und es sich überhaupt um einen Berglöwen und keinen Waldlöwen – was ja wohl jeder am Fell sofort erkennen musste – handelte, sah die Trulla mich nur entgeistert an, keifte mischt euch nicht ein! und schob ihre Kinderschar zum nächsten Käfig.

Kein Wort des Dankes. Nix!

Aber diesmal nicht! Diesen rempelnden Bauern werd ich zurechtstutzen!

Ich gab also „Na hör mal, … Schelm!“ von mir. Aber es kam ohne Schwung, viel zu leise und noch dazu zu einem idiotischen Zeitpunkt, denn es waren schon einige Augenblicke verstrichen, seit dem der Bauer an mir vorbei drängte. Meine Nerven flatterten. Aber glücklicher Weise schien der Lümmel nichts gehört zu haben. Zumindest machte er keine Anstalten sich zu entschuldigen oder mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Kein Anzeichen, dass er mich komisch fand. Reicht ja schon, dass mich diese Thalessia von Eberstamm einen verrückten Kautz nannte, diese alte Schreckschaube! Muss mich ja nicht jeder Bauer für komisch halten.

Vielleicht hat er mich nicht gesehen? Immerhin dämmerte es bereits.

Im folgenden Augenblick hörte ich das Kreischen mehrerer Leute vom Panoptikum herüber. Eine Abendvorstellung? Die armen Viecher, dachte ich.

Kurz darauf strömte eine Menschenmenge aus dem Panoptikum Richtung Markt, also auf mich zu. Die hatten es richtig eilig, einige fielen zu Boden, andere drängten sich rücksichtslos durch die Menge und natürlich schrien sie wie verrückt.

Wie die Tiere, dachte ich Kopfschüttelnd.

Hatte der Stinkmarder sein Kunststück vorgeführt?

Bekommen die ersten zehn eine gratis Ration Spanferkel?

Doch dann sah ich, wie sich im Dunklen was großes bewegte. Über den dunklen Boden glitt etwas den Leuten hinterher, in meine Richtung.

Als es sich dem Lichtschein eines Feuers näherte, erkannte ich mit einem Schauder des Entsetzten, dass es ein glattschuppiger, grüner, gut drei Meter lange Drache war, den ich vor gerade einer Stunde noch durch die Gitterstäbe seines Käfigs beäugt hatte.

Arbordracus – Der Baumdrache, murmelte ich mit zittriger Stimme.

Mein Herz führte einen Veitstanz auf, rutschte mir in die Hose und drohte im nächsten Augenblick aus meiner Brust zu springen, während meine Glieder taub und wie Gelähmt waren. – Ein seltsames Gefühl.

Versteinert vor Angst, starrte ich auf das Tier, dass sich in weit ausladenden Wellenlinien über den Boden bewegte und immer näherkam. Was tun? Flüchten, totstellen, oder etwa kämpfen?

Der bösartig aussehende Drachen stellte sich schnaubend auf die Hinterbeine. Aus seinem weit aufgerissenen, mir Fangzähnen bespickten Maul, schoss eine pilzförmige Feuerwolke in den Abendhimmel.

Wenn ich stehenbleibe wird er mich gewiss töten, dachte ich. Doch bevor ich mich entschieden hatte was ich tun sollte, spannte der Drache seine Flügel auf und stieg mit wenigen, kräftigen Schlägen in den Himmel, dass es nur so staubte.

Ich atmete schwer. Ich fühlte mich, als ob ich zuhause vom Keller des Schlosses bis in meine Turmkammer gerannt wäre. Immer drei Stufen auf einmal. Dabei hatte ich mich seit einer halben Stunde nicht vom Fleck gerührt. Der Drache drehte eine Runde über den Markt. Plötzlich stürzte er Pfeilschnell senkrecht nach unten. Aus seinem offenem Maul schoss eine Stichflamme hervor und traf das Dach eines Marktstandes, der augenblicklich in Flammen aufging. Mit einigen Flügelschlägen gewann das Biest wieder rasch an Höhe nur um sich ein weiteres Mal in die Tiefe, direkt in eine, auseinanderlaufende Menschenmenge zu stürzen.

Ich sah zu, wie die Bestie auf einen regungslosen Körper hockend, seine Pranken tief in dessen Leib bohrte. Mit seinem Maul packte es den Kopf des Menschen und drehte ihn, durch wilde Bewegungen seines kräftigen Nackens in alle Richtungen. Als es endlich davon abließ, ragte der entstellt zerbissene Kopf unnatürlich vom Körper weg. Ist das nicht der Bauernlümmel von vorhin? Meine Augen weiteten sich. Bei Boron. Der ist hinüber, dachte ich und schluckte schwer.

Plötzlich packte mich eine Hand an der Schulter. Ich wirbelte erschrocken herum und starte in das Gesicht von Bergunde von Thûrau, der Jagdmeisterin von Drift, mit der zusammen ich unseren Baron Brumil Wackerstock hierher begleitetet hatte.

Sindian von Hirschingen, hier steckst du! Wolltest du dich nicht nur kurz am Markt umsehen?

Ich machte den Mund auf, und suchte nach Worten um meiner Empörung gegenüber der gegenwärtigen Situation Ausdruck zu verleihen. Da ich aber nur unzusammenhängendes Zeug stammelte unterbrach mit Bergunde nach wenigen Augenblicken.

Komm, wir machen dem Biest den Garaus, bevor es flieht oder noch mehr Schaden anrichtet.

Mit diesen Worten drückte sie mir ein riesiges Schild in die Hand.

Du schirmst mich vor dem Drachen ab, während ich ihm mit Pfeil und Bogen zusetze.

Ich nickte wiederwillig und umklammerte den Griff des Schildes, hinter dem wir uns verbargen. So näherten wir uns langsam dem Drachen.

Eigentlich hätte ich kaum ein Fuß vor den anderen gebracht, so weich wie meine Knie waren. Aber Bergunde trieb mich durch derbe Flüche und indem sie mir fortwährend ihren Ellenbogen in den Rücken bohrte, in Richtung des Untiers. Der Drache fixierte mich mit seinen kalten, katzenförmigen Augen und schlug mit seinem bedornten Schwanz wild um sich. Mit einem grauenhaft, grimmigen Gebrüll erhob sich das schuppige Ungetier in die Lüfte. Ich spürte Bergundes Atem in meinem Nacken und hörte das Ächzen ihres sich spannenden Bogens. Plötzlich zischte ein Pfeil an mir vorbei.

Daneben! Du hast ihn verfehlt! Schrie ich panisc h. Die Chance wird er sich nicht entgehen lassen, er wird uns töten, dachte ich.

Sei kein Jammerlappen, das ist nur ein Baumdrache, fauchte Bergunde. Und halt den Schild gerade. Der nächste Pfeil sitzt, raunte sie weiter.

Der Baron hat mich nicht umsonst zu seiner Jagdmeisterin gemacht. In ganz Drift gibt es keine bessere Schützin. Die hat Nerven, dachte ich. Wenn ihre Pfeile so tödlich waren wie ihr Selbstbewusstsein groß, kann nichts schiefgehen.

Das Ungeheuer schraubte sich derweilen mit flinken Flügelschlägen in den Himmel und zog um uns Kreise. Der Drache änderte im Bruchteil eines Augenblicks seine Flugbahn und ging abermals in einen Sturzflug über, wie ein Bussard auf dem Kornfelde, stürze das Untier beinahe senkrecht direkt auf seine Beute nieder. Abermals ächzte der Bogen Bergundes und abermals zischte ein Pfeil direkt an mir vorbei, Richtung Drache. Diesmal aber traf er das Untier direkt in die Achsel seines linken Flügels! Brüllend und schnaubend stürzte das Vieh gen Dere und schlug hart am Boden auf.

Kaum einen Augenblick später sprang Bergunder hinter mir vorbei und rannte wie eine Irre auf den Drachen zu. Während sie rannte, zückte sie einen langen, dünnen Dolch, warf sich auf den benommenen Drachen und stach den Dolch mit dem Eifer einer wallwütigen Thorwalerin zigfach in das Tier, bis mit einem grollenden, langgezogenen Seufzer, das Leben daraus entwich.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich die Besucher des Panoptikums rund um den toten Drachen und uns sammelten und uns anerkennend auf die Schultern klopften. Jubelstimmung kam freilich keine auf. Der tote Bauer lag ja nur wenige Schritt entfernt.

Kurze Zeit später war auch der Burgherr, Grimm zu Zwietrutz und Brumil Sohn des Burgom zugegen, die bereits auf der Burg waren als der Drache ausbrach und für Unruhe sorgte und dementsprechend länger brauchten um am Ort des Geschehens einzutreffen.

Wer eine Reise tut, der hat viel zu erzählen – lautet eine alte Weisheit. Hätte nicht gedacht, dass ein Panoptikumsbesuch dermaßen nervenaufreibend sein würde. Da lob ich schon unser Panoptikum in Mirkagarten. Da sind all die Viecher ausgestopft und unschädlich gemacht.