Ein neuer Zweig an des Ebers Stamm
Ein neuer Zweig an des Ebers Stamm
Hesine vom See als Tochter Prinz Idamils anerkannt
ANGBAR, Travia 1043 BF. Nicht oft kommt ein Fürstenhaus über Nacht zu einem neuen Mitglied im heiratsfähigen Alter, doch genau so ist es dem Stamm des Ebers am Tag der Heimkehr ergangen. Vernehmt, liebe Leser, was mir zugetragen wurde aus dem Kreise jener, die dabei waren.
Gute Sitte ist es, zum 1. Travia die Verwandten um sich zu sammeln, um der Göttin zu danken für Heim und Familienbande. So hält man es auch seit langem im Hause Eberstamm. Dieses Jahr rief Fürst Anshold aber auch die Tafel Baduars hinzu und gar einige Recken, die sich kürzlich um das Haus vom See verdient gemacht hatten. Die Einladung dieser Gäste, angeführt übrigens von den illustren Baronen von Oberangbar und Lûr, verriet den Eingeweihten sogleich den Grund der erweiterten Versammlung. Hatten sie doch einige Tage zuvor Ihre Gnaden Sephira vom See nebst Tochter aus der Hand von Räubern befreit – und über diese Tochter, mit dem klangvollen Namen Hesine Idamilia, pfiffen es bereits die Angbarer Spatzen von den Dächern: Prinz Idamil selig wie aus dem Gesicht geschnitten!
Das blieb auch keinem der auf Schloss Thalessia Versammelten verborgen, als Fürst Anshold die schüchterne Maid in den Thronsaal führte und mit leuchtenden Augen vorstellte: „Diese junge Dame an meiner Seite trägt heute den Namen Hesine vom See nach dem Haus ihrer Mutter. Ihr Vater galt bisher als unbekannt, doch gewiss kann für keinen, der ihn kannte, ein Zweifel bestehen: Dies ist das Kind meines Bruders, Idamils vom Eberstamm. Gezeugt außerhalb des Traviabunds, doch in der festen Absicht, diesen noch vor der Geburt zu schließen. Beides hat Hesine vom See unter praiosgefälligem Schwur bestätigt, und nichts anderes lässt sich von meinem seligen Bruder denken. Es war nur Delikatesse, Rücksicht sowohl auf den Ruf Idamils als auch auf das trauernde Herz unseres fürstlichen Vaters, das die Mutter seinerzeit schweigen ließ, als sie uns – bereits mit dem Kind unter dem Herzen – die Nachricht von Idamils Tod brachte, und Hesine fern von unserem Hofe aufziehen ließ. Heute aber bin ich entschlossen, es aller Welt kundzutun, dass diese Dame dem Hause Eberstamm entspringt. Doch will ich hören, ob jemand aus der Familie oder dem Hofstaate Einwände oder Bedenken vorzubringen weiß.“
Eine Weile herrschte Schweigen im Saal, keiner schien vorpreschen zu mögen mit seinen Gedanken. Da platzte das Stimmchen der kleinen Prinzessin Efferdane in die Stille: „Heißt das, ich bekomme ein großes Schwesterchen?“ Die Unschuld des Mädchens löste die Anspannung, und rundum hob Murmeln und Plappern an. „Eine Base, liebe Effi, eine Base“, korrigierte Seneschalk Kuniswart vom Eberstamm. Dann ergriff Reichsschatzmeisterin Thalia von Eberstamm-Weidenhag das Wort: „Durchlauchter Bruder, wohl müsste einer ein selten kaltes Herz besitzen, um etwas anderes zu empfinden als lautere Freude über dieses wiedergefundene Kind. Doch lasst mich fragen: Soll sie künftig auch den Namen vom Eberstamm tragen?“ – „In der Tat“, antwortete der Fürst, „wir wollen, dass Hesine als legitime, eheliche Tochter Idamils anerkannt wird. Dazu werden wir den Permiss der Traviakirche erbitten. Noch in den nächsten Tagen wird Mutter Berngundis als unsere Gesandte nach Rommilys aufbrechen.“
Nachdem alle Fragen geklärt waren, schritt man zum Traviamahl im Königssaal. Hesine vom See erhielt den Ehrenplatz zur Rechten des Fürsten. Der Stuhl zu ihrer Rechten aber wechselte fleißig den Inhaber, denn jeder wollte wohl wenigstens einige Worte mit der neuen Fürstenverwandten wechseln. Unbestrittener Höhepunkt des frohen Festes war aber nach einhelliger Meinung das Lied, das Baron Wolfhart zu Oberangbar eigens zum Anlass komponiert hatte.
Mit einer Entscheidung der Traviakirche konnte nicht innert Wochen, sondern bestenfalls innert Monden gerechnet werden. Um so erfreuter war der ganze Hof, als Ihre Gnaden Berngundis bereits Ende Tsa aus Rommilys zurückkehrte mit der frohen Kunde, dass die Gütige Mutter ihre Zustimmung gegeben habe. Zwar sollen sich unter den Priestern manche Gegner gefunden haben, denen außerehelicher Verkehr immer außerehelicher Verkehr blieb. Doch das Heilige Paar selbst zeigte sich sehr gerührt vom Familiensinn des Hauses Eberstamm. Am Ende entschied ein Gänseorakel im Sinne des Fürsten.
Mittlerweile hat Hofherold Hernobert von Falkenhag angekündigt, dass im Peraine ein großes Fest für Hesine Idamilia vom Eberstamm auf Schloss Thalessia stattfinden soll, an dem die junge Prinzessin dem Koscher Adel vorgestellt wird. Das wird ohne Zweifel ein Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens dieses Jahres. Schneider und Juweliere in Angbar, Ferdok, Koschtal und anderswo berichten schon von vollen Auftragsbüchern. Langfristig denkende Baroninnen und Barone werden vor allem ihren Nachwuchs als mögliche Traviabundskandidaten präsentieren wollen, auch wenn Prinzessin Hesine erst 15 Jahre zählt.
Irdischer Hinweis: Im Kurier war als Autor irrtümlich Rahjadan von Cellastein angegeben. Dieser ist jedoch bereits 1027 BF verstorben.