Das Turnier zu Hungersteg - Begrüßung
Wieland von Trauerbrück, der Kastellan von Burg Dryholt, schritt nachdenklich zur Mitte des Platzes, der für das bevorstehende Ereignis bereitet worden war. Er trug einen weiten, schweren Wappenrock in den Farben des Hauses Mersingen. Penibel prüften seine Augen mit ernster Miene einige Flecken auf dem Feld.
Die Knechte und Handwerker hatten getan, was man ihnen aufgetragen hatte. Die Turnierschranken waren akkurat ausgerichtet worden, der Platz war geebnet worden und weitergehend von Unkraut befreit. Dennoch, unfähig wie sie waren, befand er, hatte sie sein Maß an Perfektion nicht erreichen können. Doch nun war jeder Rutenhieb vergebens, jede Korrektur verspätet.
Wieland blickte auf. Es war soweit. Der Tag des Turniers war gekommen. Die Gäste seines Herrn hatten sich versammelt. Edle Ritter, Hohen des Adels bisweilen, waren aus etlichen Teilen des Reiches angereist um seinen Herrn zu ehren. Manche aus Verbundenheit, manche aus Ruhmessucht oder nur um das Spektakel von der Tribüne aus zu beobachten. Und manch einer aus ganz
eigenen Motiven.
Unruhig waren die Turnierpferde, ahnten bereits, wussten was bevorstand. Und auch manch einer der Recken konnte es kaum erwarten sich im Gestech und mit dem Schwert zu messen.
Es würde kein Turnier sein, wie man es in Albenhus oder Elenvina nur zu oft erlebte. Sein Herr war aus anderem Holz
geschnitzt. Wer im Rahja des Reiches gestritten hatte, mochte einem solch seichten Kräftemessen wenig abgewinnen können.
Mit den Lakaien würde sich Wieland jedenfalls zu einem späteren Zeitpunkt noch befassen können, wollen. Nun sollte er seinen Herrn Welfert von Mersingen nicht enttäuschen und noch weniger warten lassen.
"Seid willkommen auf Hungersteg! Seid willkommen auf dieser Turney zu Ehren Seiner Prinzlichen Erlaucht, Welfert Anachârsis Ephilion von Mersingen
älteren Hauses, Baron zu Aschenfeld, Edler zu Hungersteg, Ritter zu Weidleth und Heermeister der Rabenmark!" womit der Kastellan und Turnierherold des Gastgebers seinen Herrn knapp zur Bestätigung erblickte.
Er trug eine Pergamentrolle bei sich, doch würde er sie kaum bedürfen um auch die Namen der Gäste aufzurufen.
Das Turnier würde nach Pervalschen Regeln erfolgen, so wünschte es Welfert, und so sollte es geschehen. Die Götter mochten entscheiden, wie viel Blut fließen würde.
Doch es hatte auch dazu geführt, dass tatsächlich nur die mutigsten Recken erschienen waren, nur jene die es wirklich wert waren sich derart zu messen. Manch andere hatten sich versucht auf dem Pergament zu messen, doch nicht den Schneid besessen ihre Auffassungen in Persona zu
verteidigen.
Wieland hatte zudem davon abgesehen die Ritter derart streng zu prüfen, wie es auf den nordmärkischen Turnieren bisweilen üblich war. Streng auf Stammbaum und Schild zu messen, auf das sich ja keiner unterschmuggeln, dessen Urgroßeltern nicht von Adel sei. Doch seines Herrn Gäste waren seines Herrn Gäste und derart sollten sie auch Behandlung erfahre.
Das Wetter war ausgezeichnet. Nicht eine Wolke trübte Praios' Blick auf das Geläuf. Der Götterfürst mochte sich gerne daran erfreuen. Auch an
neugierigem Volk mangelte es nicht und ausgewählte Spielleute würden das Geschehen untermalen.
"Ein jeder Ritter, den Los zum Reizer bestimmet, möge sich in der Reihenfolge seines Stand den Schild eines jener Recken, die zu Trutzern bestimmt sind, als Gegner erwählen!"
Den Knappen der Streiter war es zu Teil gewesen, die Rolle ihrer Herrn und Damen über ein gezogenes Los zu bestimmen.
"Bis zu drei Mal werden diese sodann im Tjost auf aufeinander treffen, und sich folgend mit der, bis einer sich als Sieger beweist!"
Wieland machte eine kurze Pause.
"Ritter, deren Schild von ihren Knappen über die anderen gehängt werden, haben schon in der laufenden Runde gestritten und dürfen nicht erneut gefordert werden. Die Schilde der Unterlegenen werden gänzlich abgehängt."
Wieder machte der Herold eine kurze Pause.
"Als Waffen zugelassen sind die Lanzen für das Gefecht, jegliche ritterliche Waffe für den Handwaffenkampf. Die Lanzenlänge der verwendeten Lanzen wird jeweils vor dem Lanzengang von mir geprüft. Heben sich beide Ritter gegenseitig aus dem Sattel gehoben oder gibt sich der Sieger des Gestechs mit einem allzu einfach errungen Sieg nicht zufrieden, so darf im Kampf zu Fuß mit einer Waffe ihrer Wahl weiter gestritten werden. Ebenso wird verfahren, wenn der unterlegene Tjoster nicht Willens ist, die Waffen zu strecken. Gekämpft wird bis sich einer der Streiter ergibt oder nicht mehr des Kampfes fähig ist!"
Wieder machte er eine Pause, dann fuhr er mit weit hin hörbarer Stimme fort: "Nun begrüßt die furchtlosen Streiter dieses Turniers!"
Baron Welfert, der gerade in eine Unterhaltung mit seiner Gemahlin Grisella Greifax von Gratenfels vertieft war, zuckte fast unmerklich zusammen, als er die Anrede als Prinzlein seines in höchste Würden aufgestiegenen Bruders vernahm.
Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, zwang sich Welfert, auch um seines Bruders Willen, zu einem höflichen Lächeln. Unwillkürlich musste er an Ludalf von Wertlingen, den Marschall der Wildermark, denken, der vor nicht all zu langer Zeit eben jene Würde von ihrer Kaiserlichen Majestät verliehen bekam.
Die Mundwinkel des sonst so machtversessenen Mersingers verzogen sich in höhnischem Spott, denn als Anhängesel wollte er beileibe nicht gelten. Sich im Schein seiner hochgestellten Verwandtschaft zu baden war ihm dagegen nur recht und billig. Seinen Kastellan würde er sich noch vorknöpfen, auch wenn ihm bewusst war, dass der pedantische Verwalter nur den Gepflogenheiten des Erbrechts folgte, fühlte er sich unwohl in dieser Position. Und das würde er seinen Untergebenen spüren lassen.
Stumm und mit einer mehr als versteinerten Miene nahm Gilborn von und zu Tannenhain die Worte des Herolds zur Kenntnis. Jeder der ihn kannte, wusste, was er dachte, auch sein junger Begleiter Vecanio Salvian. Alle anderen Anfragen um Begleitung hatte er abgelehnt, in der Heimat gab es wahrlich wichtigeres als solch triviale Festigkeiten, aber man sollte seinen Lehnsherrn nicht verärgern.
Vecanio konnte den inneren Kampf seines Herrn sehen. Wie dieser voller Spott, Hohn und Abscheu am liebsten einfach wieder umgekehrt wäre und trotzdem in Erfüllung seiner Pflicht nicht einmal eine Miene verzog. Stolz war er und so würde er auf dem Schlachtfeld der Ehre streiten, wie auf dem Schlachtfeld des Lebens.
Eilhart war nur mit kleinem Gefolge angereist. Sein Knappe, eine weitere Pagin aus dem Haushalt Walderias, drei einfache Reitpferde zwei Packtiere und natürlich das ritterliche Streitross komplettierten die kleine Reisegesellschaft. Aufgrund ihrer kleinen Zahl hatten sie sich immer wieder anderen Reisenden oder, zum Missfallen Eilharts, gar den Handelszügen irgendeines Pfeffersacks. Des Nachts hatte man die Gastfreundschaft anderer Adliger wahrgenommen, so dass die Reise sich nicht allzu unangenehm gestaltete. So hatte man auch die Möglichkeit genutzt die letzte Station nicht allzu weit vom Austragungsort selbst zu machen, um frisch und sauber zum höfischen Treiben der Turney zu erscheinen.
Langsam ließ der weidener Ritter seinen Blick über Geschehen um den Turnierplatz gleiten. Er hatte eine größere Beteiligung erwartet. Eine Turney, welche sogar in Weiden angepriesen wurde, hatte bei ihm wohl größere Erwartungen geweckt, als bei anderen. Auch Eilhart hatte, ob der langen Anreise, lange mit sich gehadert. Auch die Berufung auf pervalschen Regeln hatte ihn nicht gleich seine Sachen packen lassen, besonders da sein alter Waffenbruder Lanzelund von Weiden-Harlburg-Streitzig sich nicht für eine solch lange Zeit von den seinen Geschäften losreiten konnte.Es war lange her, dass beide zusammen auf einem Turnier stritten. Zum Schluss hatte er beschlossen, dass dieses Turnier trotz allem ein guter Grund sei, endlich einmal auch in den Süden zu kommen. Außerdem würde es bei den Südländern in den Nordmarken schon nicht zu einem blutigen Gemetzel kommen.
Ein Räuspern seines Knappen rief den Ritter wieder in die Wirklichkeit zurück und so trieb er sein Pferd an. Er wollte seinen Gastgeber nicht länger warten lassen. Es wurde Zeit...
Während Eilhart zu Welfert eilte, um sich dem Gastgeber geziemlich vorzustellen, stellte sein Gefolge das Zelt am Rande des Turnierplatzes auf. Ein kleines Zelt aus einfachem, nicht ganz neuen Stoff, vor welchem alsbald Lanze, Ogerschelle und Schwert neben seinem Wappenschild aufgebaut wurden.