Noch einmal hoch zu Ross
Noch einmal hoch zu Ross
Erlebnis einer Ferdoker Lanzerin
Ich möchte den geneigten Lesern von einem Erlebnis berichten, das ich vor einigen Wochen im Ferdoker Lande hatte und das mir durchaus erzählenswert scheint. Man möge mir verzeihen, wenn ich vielleicht nicht die großen Worte finde andere Chronisten, denn als Ferdoker Reiterin führe ich Lanze und Säbel und nur selten die Feder. Doch wohlan: Vor etwas über vier Wochen also waren wir unterwegs gen Nadoret und nahmen gegen Abend Quartier in einem kleinen Gasthof. Bevor wir uns zur Ruhe legten, wollten meine Kameradin Angunde und ich noch einmal nach den Rössern schauen, ob sie auch wohl versorgt waren. Im Stall aber sahen wir eine Gestalt bei Angundes Braunem stehen, die sich dort zu schaffen machen; der Pferdeknecht indessen war es nicht. „Heda, was treibst du da bei dem Pferd?“ rief ich dem Fremden zu, doch der schien nicht zu hören. Als wir uns näherten, sahen wir, daß es eine alte Frau war, gebeugt und mit nur einem Arm – wohl eine Bettlerin und Vagabundin. Sie streichelte den Hals des Tieres und murmelte dabei unverständliche Worte. „Pferdediebin, hm?“ raunzte Angunde und packte sie am Handgelenk. Die Alte war sehr erschrocken und brabbelte etwas, das wir nicht verstanden. Als wir sie fragten, wer sie sei und was sie wolle, schien sie uns gar nicht zu hören.
So lief ich ins Haus, um den Wirt zu holen, ob ihm die Alte vielleicht bekannt sei. Er kam herbei und beruhigte uns sogleich: „Es ist nur meine arme, alte Tante; sie ist taub und manchmal auch ein bißchen wirr. Ihr müßt verzeihen, edle Damen, aber sie war doch früher einmal bei den Lanzerinnen und liebt Pferde über alles. Und als sie Euch heute ankommen sah, da wollte sie wohl einmal wieder ein solches Streitross aus der Nähe sehen.“ Ich fühlte mich sonderbar berührt bei seinen Worten, und auch Angundes Miene wurde weicher. „Wie ist ihr Name, und in welcher Schwadron hat sie gedient?“ fragten wir den Wirt, da uns die Tante ja offenbar nicht verstehen konnte. „Gerlind Folderlin heißt sie, und ich glaube, es war die Dritte Schwadron“, entgegnete der Wirt. „Aber das ist schon eine ganze Weile her, und die jungen Damen waren damals sicher noch nicht in Diensten. Den Arm hat sie verloren, als es gegen eine Bande Orken ging. Das war ihr letzter großer Kampf.“ Und er zeigte uns einen Arbach, eine orksche Klinge, die als Trophäe an einer Wand im Gastraum hing.
Die alte Gerlind zupfte währenddessen ihren Neffen am Ärmel und tauschte mit ihm einige Silben und Handzeichen. „Sie möchte Euch um etwas bitten, edle Damen“, fing er verlegen an. – „Was denn?“ fragten wir. – „Nun, sie möchte einmal noch in ihrem Leben auf einem Schlachtross sitzen, genau wie damals.“
Rondra! Wer hätte ihr diesen Wunsch wohl abschlagen können? Und so führten wir Angundes Braunen vor den Stall, da das Tier der Alten so gut gefallen hatte. Es kostete einige Mühe, die Gevatterin in den Sattel zu heben, aber dann saß sie oben auf dem Pferderücken, und ich reichte ihr meinen Helm und Reitersäbel. Niemals werde ich diesen Blick vergessen! Unter all den Narben und Runzeln ein fast jugendliches Leuchten in den Augen, als wären noch einmal alle Jahre von ihr abgefallen. Bestimmt sah sie sich im Geiste wieder über die Wiesen und Felder reiten, gegen Feinde streiten und durch Ferdoks Straßen traben. Angunde und ich salutierten vor ihr, und sie hob langsam den verbliebenen Arm und grüßte zurück. Dann holten wir sie behutsam wieder von dem Braunen herunter, und ihr Neffe führte sie ins Haus zurück. Am andern Morgen wurden wir von dem freundlichen Mann aufs Herzlichste verabschiedet, und wir zogen froh und nachdenklich zugleich unseres Weges. Als ich vor ein paar Tagen wieder an der Schenke vorüberkam, versäumte ich es nicht, mich nach Frau Gerlind zu erkundigen. Doch ich bekam den traurigen Bescheid, dass sie mittlerweile in Borons Armen ruhe oder vielmehr: in Rondras Hallen an der langen Tafel sitzt. Denn dort, meiner Treu, ist sie gewiss, und wir haben für ihre Seele vor dem Bild der Leuin gebetet.