Ankunft in Moorbrück - 15. Phex 1032 BF
Immer wieder schienen sich in dieser Nacht unter das unaufhörliche Quaken der Frösche geflüsterte Sprachfetzen zu mischen. Ein Wispern, das den Rittern erst jetzt, nach dem Erlebnis mit dem Ross, auffiel - und das erst mit den ersten Sonnenstrahlen zu Enden schien. Mit dem neuen Morgen waren die Lichter verschwunden, jedoch stieg auch der Nebel wieder aus dem Moor empor.
Das Frühstück fiel dementsprechend bedrückt aus. Keiner hatte besonders gut geschlafen nach den Vorkommnissen der letzten Nacht. Immerhin aber würde man heute den vierten Standort erreichen. Dennoch stand die Frage im Raum, wer diesen Siedlungsplatz übernehmen wollte. Ob man ihn am Ende Grimm Goldmund von Koschtal geben würde, der bis jetzt nicht eingetroffen war und der deswegen nehmen musste, was übrig blieb?
Auch wenn sich keiner der Anwesenden richtig frischmachen konnte, war im Grunde niemand traurig darüber, bald aufzubrechen. Schnell stellte sich heraus, dass man die Augenbinden der Pferde am Tag abnehmen sollte, weil die Tiere so Gefahr liefen, vom Weg abzukommen und in den Sumpf zu laufen. Da die Moorlichter nicht mehr zu sehen waren, waren die Binden vorerst ohnehin nicht mehr nötig. Als sie sich auf dem Weg befanden, setzte bei Bolzer Spatenschwingh wieder so etwas wie gute Laune ein. Der Mann war ein Phänomen!
In Richtung des vierten Standorts gab es einen schmalen Streifen Boden, der etwas fester war und nur selten von Pfützen unterbrochen wurde. Morwald Gerling freute sich, dass der Weg angenehmer zu sein schien als derjenige von Standort II zu Standort III. Eine Freude, die bald getrübt wurde, als der Nebel sich zur Mittagszeit lichtete und die Sicht auf einen sich bedrohlich verfinsternden Himmel freigab. Dicker Regen setzte ein.
Narehals Wald war in der Ferne zu erahnen, doch viel zu weit weg, um Unterschlupf zu gewähren, zumal auch der Boden sich zunehmend aufzuweichen begann. Selbst die Laune Bolzers wurde zusehends trüber, denn immer wieder musste er nach sorgfältiger Prüfung mit seinem Stab feststellen, dass der Weg zu unsicher werden würde. Nachdem man zum dritten Mal umgekehrt war um einen neuen gangbaren Pfad zu suchen, und die Wanderung mehr und mehr einem Herumirren im Sumpf zu gleichen drohte, drehte sich der vor Nässe triefende Torfstecher zu seinen Begleitern um.
„Hohe Herrschaften, es hat kein’ Sinn. Der Sumpf wird ungastlich. Dieser direkte Wech zum Standort Vier mag für Mensch und Zwerch zu nutzen sein, aber die schweren Gäu ... ähm ... Rösser trächt er nich’! Der einzige Wech, der mit Rössern zu belaufen wär’ führt hinten über Hammerschlach ... und dadurch würden wir ’nen guten Tach verlier’n.“
„Schöne Sch....“
Roban räusperte sich und verschluckte den Rest des Wortes. Auch von den anderen sah man betretene Gesichter, hörte leise Verwünschungen, die sich gegen das Wetter und vor allen Dingen den götterverdammten Sumpf richteten.
„Dann sollten wir den Weg über Hammerschlag nehmen, ehe wir doch noch eines der Pferde - oder gar einen zweibeinigen Mitreisenden - verlieren! Was mich angeht, genügt mir die Bergungsaktion gestern Nacht vollauf. Was denkt Ihr?“
„Man könnte die Pferde hier zurücklassen“, schlug Vogt Gerling sofort vor, offenbar darauf bedacht, keine Minute länger im Sumpf zu verbringen als unbedingt notwendig.
„Nur meine Person, Bolzer und die Herren Ritter besichtigen den Standort, während die anderen Herrschaften hier ein Lager aufschlagen und auf die Pferde aufpassen. Wir werden ja bestimmt bis zum Anbruch der Dunkelheit zurück sein, nicht wahr, Bolzer?“
Der Torfstecher nickte eilfertig, denn Gerlings Blick zeigte nur zu deutlich, welche Antwort er erwartete.
„Eine Stunde vor Sonnenuntergang sin´ wir zurüch!“ versprach Bolzer. „Sofern uns nix in die Quere kommen tut!“
„Ich denke auch, dass es in unser aller Interesse ist, möglichst schnell alle Standorte gesehen zu haben, um den Aufbau unserer Siedlungen nicht noch länger unnötig zu verzögern. Also, ich bin dafür die Pferde und unsere Begleiter hier zurückzulassen und uns auf unsere Beine und den werten Bolzer zu verlassen.“ ließ sich Edelbrecht vernehmen, noch ehe er bemerkte, dass er damit zum ersten Mal einem Vorschlag des Vogtes zustimmte, ohne einen Hintergedanken dabei verfolgt zu haben. Sollten die Worte Boromils etwa schon Wirkung entfalten?
"Verzeiht mir, werter Vogt, wenn ich in dieser Sache dem Vorschlag des Ritters Grobhand von Koschtal folge und nicht Euch.", setzte Boromil an.
"Ich werde nicht die beiden Damen und unsere Pferde mitten im Sumpf zurücklassen, selbst wenn sich Erborn bereit erklärt, hier ebenfalls zu warten. Wir wissen, dass das Gelände gefährlich ist. Sollten wir erneut aufgehalten werden und ihnen währenddessen etwas zustoßen, so könnte ich mir das niemals verzeihen. Es zeugt von Eurem Pflichtbewusstsein als Verwalter der Baronie, wenn Ihr so schnell wie möglich die Besichtigung hinter Euch bringen wollt. Doch ich gebe zu bedenken, dass wir als Edelleute auch unseren Schutzbefohlenen gegenüber eine Verpflichtung haben."
"Und was ist schon ein weiterer Tag mehr im Vergleich zu einem Verlust, der nie aufzuwiegen ist?"
Rainfrieds Standpunkt war eindeutig.
"Ich würde sagen, wir gehen über Hammerschlag. Und sollte es sich einrichten lassen, dass wir heute Nacht dort eine Herberge finden können, wäre ich darüber nicht allzu traurig. Ein durch Geisterwesen durchgehendes Pferd reicht mir für die nächste Zeit. Und des Weiteren würde das Verweilen ihrer Gnaden Madalein mich hier binden, da ich ihr meinen Schutz zugesichert habe. Deshalb würde ich mich nur mit Widerwillen der Mehrheit fügen, sollten die anderen der Meinung sein, zu Fuß weiterzugehen."
„Auch ich bin für den Umweg und zwar weil wir dann an Standort IV auch die Zeit haben werden uns entsprechend umzuschauen. Was würde es nützen nur einen kurzen Blick darauf werfen zu können, weil wir hierher zurück eilen wollen. Außerdem wollen wir ja auch wieder zu Standort V. Dieser scheint aber von IV besser erreichbar als aus diesem Sumpfloch heraus. Verzeiht, Vogt Gerling, nicht, dass ich gerne meinem Lehnsherrn wiederspreche, aber ich denke, die Argumente für den Umweg sprechen nun doch für sich, doch liegt die Entscheidung natürlich bei euch.“
Reto senkte anerkennend das Haupt und wartete auf Vogt Gerlings Entscheidung.
Vogt Gerling nickte dem Tarnelfurter mit einem Lächeln zu. Trotz aller Zeitnot behagte ihm der Gedanke an eine weitere Nacht im Moor nicht besonders - wie viel einladender erschien da ein Herbergszimmer, und mochte es auch noch so schlicht sein.
„Auch ein Lehnsherr tut gut daran, den Worten seiner Ritter Gehör zu schenken“, erwiderte er freundlich. Überrascht zog Edelbrecht die Augenbrauen hoch und senkte schnell den Kopf, damit niemand seine Zweifel bemerkte. Das wäre ja einmal etwas ganz Neues, dass der Vogt auf seine Ritter hörte!
„Und auch ich komme wohl nicht umhin, mich Euren vernünftigen Argumenten anzuschließen. Besser, wir verlieren einen weiteren Tag und können den nächsten dann umso besser nutzen, als dass wir doch noch die Pferde oder gar einen Mitreisenden einbüßen!“
Er wartete kurz die Wirkung seiner Worte ab. Einhelliges Nicken in der Ritterschaft, die Situation hatte er zu seinen Gunsten klären können, ohne dass es wieder zu harschen Worten gekommen war.
„Gut, Bolzer, du hast es gehört“, wandte er sich an den Torfstecher, „bring uns auf dem kürzesten, nein, besser auf dem sichersten Weg nach Hammerschlag!“
Der Torfstecher nickte eifrig, prüfte einige mögliche Wege und ging dann voran. Sein Schritt wurde zügig und immer wieder lugte er auf die düstergrauen Wolken über ihren Köpfen. Dicke, nasse Strähnen seines halblangen, fettigen Haares fielen ihm dabei ins Gesicht.
„Dunkle Wolken, dunkle Nacht ... ham’ rasch den Tod ins Moor gebracht“, murmelte er nach einer Weile und weiteren Umwegen in seinen stoppeligen Bart, der eine beträchtliche Fläche seines Gesichts und seinen Hals bedeckte.
„Was sprecht Ihr da?“, wollte Perainfried wissen. Spatenschwingh zuckte zusammen, er hatte nicht bemerkt, dass ihm jemand zuhörte.
„Och nix weiter, nur ’n altes Sprichwort meines Vatters. Wir sollt’n züchich weitergeh’n und den Sumpf hinter uns lass’n ... der Boden wird nich’ besser. Der Sumpf gewinnt bei Regen an Macht. Wir könn’n froh sein, wenn’s nich’ gewittert. Jedes Donnergroll’n nimmt eine Seele mit... und nich’ unbedingt zu Herrn Boron.“
„Wie meint Ihr das?“, wollte nun Madalein wissen. Doch Bolzer ging nicht so recht darauf ein, zu sehr war er damit beschäftigt den Weg vor ihnen abzusuchen. Erneut stocherte er mit grummeliger Miene in dem Matsch, machte dann ein Zeichen zur Umkehr und vermied es
den Blick des Vogts zu kreuzen, so als würde er sich Vorwürfe machen, dass es ihm so schwer fiel den rechten Weg zu finden.
Als er sich außer Hörweite glaubte murmelte er erneut, nun etwas leiser: „Blöde Mähren, müssen ja unbedingt mit ins Moor.“
Bolzer hat nicht Unrecht, dachte sich Reto. Ohne Pferde würde man besser vorankommen, doch konnte Bolzer dies dem Vogt nicht an den Kopf werfen, oder er traute sich nicht. Reto setze sich aufrecht auf sein Pferd und erhob die Stimme, so dass alle sie hören konnten.
„Verzeiht, werte Gefährten, aber mir scheint, wir haben nicht das rechte Transportmittel gewählt. Ich denke, wir hätten dieses Hammerschlag schon erreicht, wenn wir wie Bolzer zu Fuß unterwegs wären. Wir sollten dies für die nächsten Tage in Erwägung ziehen. Bolzer, sagt, würde es denn etwas bringen, wenn wir von den Pferden steigen würden und das Gepäck gleichmäßig auf den Tieren verteilen?“
Bolzer zuckte ein wenig zusammen, als er so direkt angesprochen wurde, blieb aber nach einem kurzen Blick zu Reto, der ihn ermutigend ansah, keine Antwort schuldig.
„A weng helfe könnts schon, aber sicher is nix im Moor.“
„Nun, dann würde ich sagen, steigen wir doch ab und erleichtern es Bolzer damit, einen Weg für uns zu finden.“
Dabei wandte sich Retos Blick leicht unterstützungssuchend an Erborn, Perainfried und Roban. Die beiden erstgenannten stiegen daraufhin auch sofort von ihren Pferden und stand daraufhin knöcheltief im Dreck.
„Stimmt wohl“, pflichtete auch Roban bei.
„Die Pferde haben auch ohne uns auf dem Rücken genug Mühe, überhaupt die Hufe aus dem Matsch zu bekommen.“
Er glitt vom Rücken seiner Girte und trat mit vernehmlichem Platsch und einem unflätigen Fluch in eine Pfütze aus Brackwasser.
„Aber anstandshalber sollte man Ihro Gnaden Madalein auf dem Pferderücken belassen. Unsere Beinkleider sind wie wir für einen Marsch durch Dreck und Nässe gewappnet, aber das Gewand einer Dienerin der Holden Göttin sollte man nicht leichtfertig beschmutzen!“
Die so Privilegierte lächelte leicht, während jetzt Vogt Gerling einen hilfesuchenden Blick auf den Koschtaler richtete, offenbar in der Hoffnung, ebenfalls nicht die eigenen Füße benutzen zu dürfen, doch dieser nahm ungerührt die Zügel seines Pferdes und schloss zu Reto, Erborn und Perainfried auf.
Rainfried war ebenfalls abgestiegen, staksend, um nicht tiefer als bis zu den Knöcheln einzusinken, und nickte bei Robans Äußerung zustimmend.
"Solange ich ein warmes Bad für meine Füße bekomme, sobald wir in Hammerschlag sind, sollten diese Beine auch etwas Kälte und Nässe aushalten."
Madalein hielt dem neben ihr stehenden Rainfried den Arm entgegen. Widerwillig half er ihr beim Absteigen vom Pferd. Der Gesichtsausdruck der Geweihten, als ihre Füße in den kurzschaftigen Schuhen den sumpfigen Boden berührten, ließ eine Andeutung des Bedauerns erkennen, nicht doch auf dem Pferd sitzen geblieben zu sein.
"Nun gut, Spatenschwingh, führe er uns in sichere Gefilde."
Der Aufforderung des Grimsauers folgte ein Blick Bolzers zum Vogt, der sich, ganz Vorbild, auch vom Pferd herabließ. Als sein Fuß den glitschigen, sumpfigen Boden berührte, rutschte er mit dem stützenden Fuß nach vorne, das andere Bein noch im Steigbügel. Gerling wäre wohl rittlings in den Sumpf geplatscht, hätte ihn nicht der dahinter stehende Edelbrecht aufgefangen.
"Es sieht so aus, als hättet ihr eine stützende Hand notwendig, Hochgeboren."
Der Ritter von Borking konnte ein Zucken seiner Mundwinkel nicht vollständig verbergen. Der Vogt auf dem sumpfigen Boden, alle Viere von sich gestreckt und wild damit rudernd, diese Vorstellung wäre auch zu amüsant gewesen. Alma war bereits herbeigeeilt, und hielt das Pferd des Vogtes, damit dieser sein Bein aus dem Steigbügel lösen konnte.
"Wie ich schon sagte, auch ein Lehnsherr tut gut daran, sich auf seine Ritter zu verlassen. Und ich bin guter Dinge, dass ich mich auf die Anwesenden verlassen kann."
Sollte der Vogt das zufriedene Feixen des von Borking bemerkt haben, ließ er es sich nicht anmerken, und gab Bolzer die Anweisung weiterzugehen.
Dieser nickte dienstfertig und stapfte voran in die Richtung, aus der sie im Morgengrauen von Standort III in den Sumpf gestiegen waren - der einzige Weg, der sich als sicher erwiesen hatte. Dort am Hügel des dritten Siedlungsplatzes lag die letzte Stelle, an welcher der Boden fest genug war, um sie nicht als Morast zu bezeichnen, und von dort würde man gute Chancen haben, einen Pfad nach Hammerschlag zu finden.
Doch erst müsste man wieder dorthin zurückkehren. Noch war man nicht zu tief im Moor - wohl zwei Stunden waren sie erst gegangen. Er spürte schnell, dass auch dieser dünne Damm, der sie hergeführt hatte, mittlerweile unter dem stetigen Prasseln des Regens deutlich aufgeweicht war. Mit jedem Schritt sank der Torfstecher mehr als knöcheltief in den dunkelbraunen Matsch, der vorhin noch fest wie Moos war und nun eher weich wie Sahne zu werden drohte.
Mal steckten die leise fluchenden Ritter fest und hatten Mühe die Stiefel aus dem erdigen Brei zu ziehen, mal hatten sie es schwer den Halt auf dem rutschigen Untergrund zu finden. Bolzer stapfte mit aller Kraft beharrlich voran, der Regen rann ihm von der Stirn und verbarg so den Schweiß. Immer wieder stach er mit seinem Stock auf den Pfad, der seit dem Herweg zu einem noch schmaleren Grat geworden war und an manchen Stellen schon von Wasser überspült wurde. Keuchend versuchte er dem Weg zu folgen und mit jedem Mal sank sein Stab tiefer ein.
Irgendwo musste der Pfad doch geblieben sein, auf dem sie hierher gekommen waren ... der Hügel war nirgends zu sehen, aber Bolzer hatte sich bislang immer auf sein Gespür und seinen feinen Blick verlassen können. Diese Schilfgruppe dort drüben, dieser Fels, der aussah wie der Kopf eines versunkenen Esels, genau hier waren sie noch vor etwa einer Stunde vorbeigekommen. Doch wohin er auch stach, sein Stab glitt über einen Schritt in die Tiefe, ohne einen Pfad zu weisen.
Mit zunehmender Verzweiflung rammte Bolzer den Stab in das Moor ... die Stimme seines Vaters, die Warnungen seiner Großmutter, sie klangen in seinen Ohren. Warnungen davor bei Regen in den Sumpf zu gehen, Geschichten von leichtfertigen Menschen, die nie wiedergekehrt waren, weil sie nicht rechtzeitig umgekehrt waren. Er hatte diese Stimmen verdrängt, um nicht den Mut aufbringen zu müssen, die Ritter und den Vogt in ihrer Eile ins Wort zu fahren und bei den ersten Regentropfen zur Rückkehr zu ermahnen. Hätten die hohen Herrschaften überhaupt auf ihn gehört?
Doch jetzt klangen ihre Worte in seinen Ohren, als stünden sie neben ihm - sein Vater und die Großmutter mit dem mahnenden Zeigefinger, Bilder seiner Kindheit.
Sein Blick flog fiebrig in alle Richtungen - in der Hoffnung einen schmalen Pfad aus dem Wasser ragen zu sehen. Doch alles, was er erkennen konnte, war der glitzernd graue Spiegel des Sumpfes, der unter den Regentropfen schäumte und Blasen warf wie kochende Suppe. Und doch war er kalt wie Eis. Bolzer spürte das Blut in seinen Schläfen pochen, hörte das Rauschen in den Ohren - ein Rauschen wie von Golgaris Schwingen.
Er hatte versagt ... er hatte sich selbst und die Ritter von Moorbrück, die Hoffnung seiner Heimat, in den Tod geführt. Die Erkenntnis ließ ihn erstarren. Er spürte wie der kalte Regen an seinem Nacken entlang rann. Langsam drehte er sich um, wusste nicht wie er es in Worte fassen konnte - doch seine verzweifelten Augen sprachen für ihn.
Der Regen verdeckte die Sicht auf die Landschaft und tauchte sie in ein fades Grau, doch das Gesicht des Torfstechers konnte Boromil noch gut erkennen. Der Mann war offensichtlich am Ende seiner geistigen Kräfte. Jetzt galt es schnell zu handeln!
Auch wenn es wohl jedem der Ritter klar sein durfte, dass Bolzer den Weg nicht mehr fand, so sollte man es nicht offen oder gar vorwurfsvoll aussprechen. Wenn mit ihrem bisherigen Führer durchs Moor die Nerven durchgingen, waren sie verloren! Um bei ihm neues Selbstvertrauen zu wecken, musste man ihm gut zureden und demonstrieren, dass man zusammenhielt. Boromil stapfte bis an die Spitze der Gruppe, ungeachtet dessen, dass seine Stiefel laut schmatzend in Sumpf und Wasser einsanken.
Dabei rief er: "Alma, komm doch mal nach vorne! Sechs Augen sehen mehr als zwei!"
Die so Angesprochene folgte dem Aufruf, unsicher zuerst zum Vogt und dann zu den Rittern guckend.
Der Ritter vom Kargen Land legte dem Torfstecher, der sich nur mühsam beherrschen konnte, die Hand auf die Schulter. Dann sprach er leise zu ihm.
"Der Weg scheint verschwunden zu sein, was? Na, dann schauen wir eben gemeinsam!"
Unsicher blickte Spatenschwingh den jungen Ritter an.
„Scheint so, als hätte der gute Bolzer sich verlaufen“, raunte Roban in Richtung Reto, gerade laut genug, dass dieser die Worte durch das Prasseln des Regens verstehen konnte. Der Angesprochene nickte mit düsterer Miene.
„Dann sieht es nicht gut für uns aus. Der Boden weicht immer mehr auf, bald wird man versinken, ganz gleich wo man steht! Hoffentlich findet Bolzer einen Weg hier heraus!“
„Das wird er schon!“
Roban steckte sich die erkaltete Pfeife zwischen die Lippen und kaute auf dem Stiel herum.
„Was macht dich so sicher?“ fragte Reto, der offenbar nicht so überzeugt war, dass Bolzer einen sicheren Pfad finden würde.
„Bolzer lebt noch“, knurrte Roban düster.
„Und ich glaube nicht, dass ein schlechter Ortskundiger in diesem zwölfmal verfluchten Sumpf besonders alt wird!“
Wie zur Bestätigung seiner Worte stießen Bolzer und Alma ihre Stäbe erneut in den Boden, dann wieder und wieder - das Holz schien auf einigermaßen festen Grund zu stoßen. Bolzer winkte mit einem befreit wirkenden Lächeln durch den Regen.
„Na siehste“, brummte Roban.
„Bitte in mein´ Fußtapfen gehen, die hoh´n Herrschaften“, rief der Torfstecher. „Der Pfad is´ nich´ breiter als eineinhalb Schritte!“
Langsam und vorsichtig setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Nach Bolzer und Alma, die bei jedem Schritt Mühe hatten ihre wadentief versunkenen Füße wieder aus dem Moor zu ziehen, folgte der Vogt mit seinem am Zügel geführten Ross. Man sah ihm an, dass er nur zu gerne den Sumpf möglichst schnell hinter sich lassen würde.
Doch weit kam er nicht, bis sein Pferd unruhig den Kopf nach hinten warf und sich nicht mehr bewegte. Zornig blickte sich Gerling um ... was sollte diese Verzögerung?
"Bist du ein Esel oder ein Streitross?"
Doch dann sah er wie die Beine des schweren Tieres tief in den Matsch eingesunken waren ... und immer weiter einsanken ... ebenso, wie die wimmernde Alma und der erstarrte Bolzer ... und, wie Gerling mit zunehmendem Entsetzen feststellte, wie er selbst.
Leider lief es nicht so gut, wie Roban erhofft hatte. Nun war schnelles, bedachtes Vorgehen gefragt.
„Erborn, die Seile, schnell, ganz ruhig bleiben, Vogt, Jolande wird euch gleich aus der Misere befreit haben.“
Erborn kam mit den Seilen, Reto wandte sich ihm mit halblauter Stimme zu.
„Gut, wirf jedem ein Ende zu, ich befestige derweil die anderen Enden an Jolandes Sattel. Ich werde sie rückwärts führen, aber du musst mir sagen, wohin ich sie lenken kann.“
Laut wandte sich Reto den Einsinkenden zu.
„So, es geht schon los, Erborn wird euch ein Seil zuwerfen, am besten bindet ihr es euch um die Hüfte. Wenn wir euch draußen haben, kümmern wir uns um das Pferd.“
Erborn warf die Seile zielgenau den Personen zu, allein Gerling hatte etwas Probleme, das Seil um seine Hüften zu bekommen. Dann wurden die Seile gespannt und Jolande ging vorsichtig rückwärts. Erborn wählte den richtigen Weg, Jolande sank kaum ein und schien mit beeindruckender Leichtigkeit alle drei aus dem Moor befreien zu können. Der Vogt fluchte, einer seiner Stiefel war im Morast steckengeblieben, so stand er nun mit nur einem Stiefel bekleidet und bis zum Poansatz mit Morast besudelt wieder auf festem Grund.
Gerlings Pferd war derweil bis zum Bauch im Morast eingesunken. Dieses heraus zu bekommen würde weit schwieriger werden. Bolzer fluchte unverständliches vor sich hin.
Kreidebleich blickte Edelbrecht auf das Geschehen, das sich vor seinen Augen abspielte. Als der Vogt mit den beiden Ortskundigen und seinem Pferd im Morast versank, hatte er schon den sanften Flügelschlag Golgaris zu hören vermeint. So nahe an der Schwelle zu BORONS Reich sollte in der Tat jede Zwietracht und jeder Streit ruhen - Agent der Nadorets hin oder her, einen derartigen Tod hatte selbst ein Morwald Gerling nicht verdient, dessen war sich Edelbrecht sicher.
Während die Gefährten sich anschickten, auch das Ross des Vogts aus den Sumpf herauszuziehen, das immer schneller versank und ängstlich wieherte, schnaubten auch die Pferde der anderen nervös. Dies veranlasste Borking, sich umzudrehen. Im dämmrigen Licht vermeinte er mehrere rote Punkte in den Schatten, die sich auf die Gruppe herabsenkten, zu erkennen.
Erst waren es nur vier, doch als er genauer hinsah, erkannte er sechs, zwölf, nein, sogar achtzehn rote Punkte und wenn ihn nicht alles täuschte, begannen sich diese Punkte auf ihn und seine Gefährten zuzubewegen.
Konnte es sein, dass … noch ehe Edelbrecht weitere Überlegungen anstellen konnte, sprang ihn von rechts etwas Pelziges widerwärtig Stinkendes an. Gerade noch gelang es ihm, sein Langschwert zu ziehen, und so laut es nur ging eine kurze Warnung auszustoßen -„Rrraaaaanzen!“ - als eine weitere Kreatur sich zähnefletschend auf ihn stürzte und er sich seiner Haut erwehren musste…
Roban hörte Edelbrechts Warnruf gerade noch rechtzeitig, um einem der Raubaffen auszuweichen, der in seine Richtung sprang. Sofort zog er Schwert und Hammer, schlug nach der Kreatur, die mit einem erschrockenen Kreischen zurück sprang.
„Versucht einen Kreis zu bilden“, brüllte Roban durch das ängstliche Wiehern der Pferde, das stetige Prasseln des Regens und das Fauchen der Ranzen, „schirmt die Pferde ab!“
„Haltet sie uns vom Hals“, rief Reto zurück, der mit Erborn und Perainfried noch immer das Pferd des Vogtes aus dem Sumpf zu retten suchte.
Die Ritter bildeten eine dünne Linie zwischen den Ranzen auf der einen und den Pferden und ihren unbewaffneten Gefährten auf der anderen Seite.
„Sumpfranzen haben häufig ein Leittier“, erklärte Boromil, während die geifernden Affen versuchten, die waffenstarrende Barriere zu umgehen.
„Erschlägt man dieses, vertreibt man auch das restliche Rudel!“
„Hoffentlich wissen die Ranzen das auch“, versuchte Roban sich an einem müden Scherz. Sein Blick huschte hin und her - welche Ranze würde als erste angreifen?
„Aufpassen!“
Der Ruf Rainfrieds kam keine Sekunde zu früh. Wie auf ein unhörbares Signal griffen die Sumpfranzen auf breiter Front an. Schwerter pfiffen durch die Luft, in das aggressive Fauchen mischte sich schmerzerfülltes Kreischen.
Roban ließ den Hammer kreisen und dann auf den Schädel einer Ranze krachen, die Edelbrecht von der Seite attackieren wollte. Der leblose Körper platschte zu Boden. Gerade noch rechtzeitig bekam der Koschtaler das Schwert hoch, um einen zweiten Affen abzuwehren, der rasch wieder aus der Reichweite der tödlichen Klinge sprang. Die Ranzen gingen wieder auf Abstand, aber drei von ihnen lagen reglos im Schlamm.
„Jemand verletzt?“ fragte Roban außer Atem. Er riskierte einen kurzen Rundblick. Reto und Erborn hatten mühte sich noch immer das Pferd des Vogtes aus dem Schlamm zu ziehen, sämtliche Ritter standen noch.
„Ihr selbst!“ sagte Boromil. „Euer Arm blutet!“
Roban blickte kurz an sich hinab. Die zweite Ranze hatte ihn wohl doch erwischt, das Hemd war aufgerissen, aus flachen Kratzern rann Blut.
„Hab gerade keine Zeit zum Bluten“, meinte Roban.
Erneut versuchten die Ranzen sich an einem Angriff, sprangen vor und wieder zurück, suchten nach einer schwachen Stelle in der Abwehr. Jetzt war es beinahe ein Glück, dass ringsum unsicherer Grund war, denn sonst hätten die Ranzen einfach um die Gruppe herumlaufen können, um sie von allen Seiten zugleich anzugreifen.
Boromil schwitzte Blut und Wasser. Vier gegen sechs auf fremdem Boden, dazu noch Unbewaffnete, die es zu schützen galt. Er hasste solche Situationen!
Es war wohl eine unbegreifliche Laune des Phex, dass sie einerseits fast im Sumpf versunken wären, andererseits bisher keine schweren Verwundungen von der Überzahl der Angreifer davongetragen hatten. Es wäre besser gewesen, wenn er Reto oder Erborn beim Herausziehen des Pferd ersetzt hätte, dann hätten sie nun einen guten Kämpfer mehr!
Zumal Reto keuchend mitansah, wie auch Jolande mit in den Sumpf gezogen zu werden drohte. Vom Ross des Vogts war mittlerweile nur noch der Kopf zu sehen, seine Augen quollen weiß vor Panik aus ihren Höhlen, die Nüstern weit aufgebläht, das Maul voll Schaum. Vogt Gerling versuchte verzweifelt seine Stute anzuspornen, weiterzukämpfen, wollte gar sein Gewicht in die Waagschale werfen und zog mit all seiner Kraft am Seil - doch vergeblich.
Reto sah die Hoffnungslosigkeit und musste erkennen, dass er nur noch sein eigenes Ross retten konnte. Mit einem Hieb durchtrennte er das gespannte Tau und übergab die Stute des Vogts ihrem Schicksal. Vogt Gerling sank auf seine kurzen Knie, als er mit ansah, wie sein Pferd vollends im Moor versank - er vergaß sogar das Kampfgeschrei, das um ihn herum tobte. Vater Perainfried spendete dem sterbenden Tier einen letzten Segen, voll innerem Leid, dass er nicht mehr zu tun vermochte.
Reto indes nutzte seine bereits gezogene Klinge um sich nun anderen Zielen zu widmen - die hoffentlich erfolgreicher erreicht werden würden. Angestachelt von der eben erlittenen Niederlage stapfte er zornig auf eine Sumpfranze zu, die gerade Boromil bedrohte.
"Noch eine dieser Sumpfbestias weniger!"
Rainfried zog sein Schwert aus der Seite der Ranze, die Boromil beinahe mit einem Biss unsanft aus den Gedanken gerissen hätte. Unkontrolliert im Todeskampf zuckend blieb sie vor ihnen liegen.
Die fünf übrigen Rotaugen hielten sich nun etwas zurück, gerade außerhalb der Reichweite der Waffen, so als würden sie warten.
Alma, die etwas hinterhalb der Ritter stand, die sie, den Vogt, den leise Gebete vor sich hinmurmenden Perainfried, Madalein und Bolzer so gut als möglich abzuschirmen versuchten, konnte ein weiteres Augenpaar aus dem Dunkel des Sumpfes aufblitzen sehen, das sich langsam näherte.
"Hat irchendjemand dran gedacht, 'nen Bochen oder 'ne A'mbrust mitzunehm', bevor wir losgegang'n sind?"
Die Stimme Almas war etwas zu schrill, um ihre Angst und Aufregung verbergen zu können.
"Ich glaub', wir könnt'n die jetzt ganz gut brauch'n."
Jetzt konnten alle das weitere Tier sehen, dass sich genähert hatte, und in gut 20 Schritt Entfernung stehen geblieben war. Es war ohne Zweifel das Leittier. Deutlich größer als die anderen, schien sich in den Augen dieser Bestie eine Intelligenz widerzuspiegeln, die weit über die animalische Schläue eines Tieres hinausging. Jeder einzelne Mensch wurde von diesen Augen gemustert.
"Hinter meinem Sattel ist mein Bogen, in eine Decke gewickelt."
Roban fixierte die Rantze.
"Doch will ich nicht die Reihe unterbrechen. Könnt ihr mit Pfeil und Bogen umgehen, Vogt?"
Der Angesprochene verneinte mit tränenschwerer Stimme.
"Ich muss euch enttäuschen, aber das zählt eindeutig nicht zu meinen Qualitäten."
"Ich treffe mein Ziel auf etwa 100 Schritt."
Erborn hatte ebenfalls seine Waffe gezogen und wollte sich gerade zwischen Boromil und Rainfried stellen.
"Dann nehmt euch den Bogen und helft!"
Gerlings Stimme überschlug sich fast vor Zorn, während er einen Dolch aus seiner Weste zog und kampfbereit in eine der vorderen Reihen stapfte. Die neben ihm stehenden Ritter Roban und Edelbrecht blickten überrascht zu ihm herab. Erborn nickte Reto zu, der das Nicken erwiderte, und ging vorsichtigen Schrittes auf Girte zu.
Die Ranzen wurden immer unruhiger, doch griffen sie noch immer nicht an. Mit zittrigen Händen griff Erborn hinter den Sattel auf dem Pferd des Koschtalers, das unruhig schnaubte, und löste den Bogen aus der Decke.
"Sehnen und Pfeile sind im Köcher."
Ohne sich umzudrehen hatte Roban durch Girtes Laut erkannt, dass Erborn am Pferd angekommen war. Erborn befestigte eine Sehne am unteren Ende des Bogens, und begann, ihn aufgestützt durchzubiegen, um die obere Schlaufe einzuhaken.
Die Leitranze erhob sich auf die hinteren Beine, schnupperte kurz in der Luft und gab einen heulenden Laut von sich. Der Laut wurde von den anderen Tieren kreischend erwidert, und just in dem Moment, als Erborn den Bogen vollends gespannt hatte, und den ersten Pfeil auflegte, griffen die Biester wieder an. Weniger ungestüm als vorher, vielmehr durchdacht, so als würde sie etwas leiten. Wo immer auch eine Waffe hinschlug, die Rantze, der der Angriff gegolten hatte, wich immer rechtzeitig aus.
Ein pfeifender Ton durchbrach das Gekreische der Rantzen und ein Schmerzenslaut des Leittieres, als der Pfeil Erborns sich in seine Schulter bohrte, klang durch die Dunkelheit. Aus Schmerz wurde Zorn, und mit rücksichtsloser Gewalt griffen nun alle Tiere die Reihe der Kämpfer an.
Rainfried ging unter der Wucht eines Angriffes zu Boden und nur Edelbrecht von Borking war es zu verdanken, dass die scharfen Klauen des Wesens nicht den Hals des Grimsauers zerfetzen, sondern leblos zu Boden sackten, als dessen Waffe den Kopf vom Körper der Ranze trennte.
Erneut zogen sich die verbliebenen Tiere etwas zurück, so als würden sie den nächsten Angriff planen.
Plötzlich erstarrten die Rantzen, das Leittier gab ein ängstliches Fiepen von sich, und so überraschend, wie sie gekommen waren, verschwanden sie wieder.
"Ich glaube, die haben genug!"
Boromils Erleichterung war deutlich zu hören.
"Wusste ich doch, dass es ein Leittier gibt!"
Roban drehte sich zu ihm um.
"Recht hattet ihr, und gut, dass ihr uns darauf aufmerksam gemacht habt. Hätte Erborn nicht so zielsicher getroffen, ich glaube wir wären zerfleischt worden. Ein guter Schuss."
Erborn gab das Lob zurück.
"Ein sehr gut gefertigter Bogen."
Langsam löste sich die größte Anspannung von den Anwesenden. Edelbrecht half dem sich bedankenden Rainfried wieder auf die Beine.
"Wir sollten sehen, dass wir hier wegkommen. Es ist genug, dass wir ein Pferd verloren haben. Ich möchte nicht, dass Boron sich heute noch mehr holt. Bolzer, Alma, sucht einen Weg, und macht hin. Ich glaube, die Viecher sind nicht wegen uns davongelaufen."
Wie um seine Worte zu bestätigen hallte ein unmenschlicher Schrei durch den Regen, der durch Mark und Bein ging.
"Weh uns! Bei meine Ahn'n! Wir wer'n alle sterb'n. Das is' das Ding! Es kommt uns zu hol'n!"
Almas Wehklagen ließ jeden der Ritter erschaudern.
Robans Blicke irrten durch den Regen, aber in keine Richtung konnte man weiter als fünf Schritt weit sehen. Was auch immer da geschrien hatte, die Todespein war unüberhörbar gewesen. War eine der Ranzen in ihr Verderben gelaufen, oder hatte tatsächlich ein Mensch diesen qualvollen Laut ausgestoßen?
„Wir sind verloren! Verdammt und verloren!“ wimmerte Bolzer.
Mit dem Satz war Roban neben ihm, eine schallende Ohrfeige warf den Torfstecher zu Boden, und noch ehe er ganz unten war, zerrte der Ritter ihn am Kragen wieder auf die Beine.
„Reiß dich zusammen, Torfstecher!“ herrschte er ihn an.
„Du bist der einzige, der uns hier heraus bringen kann, also musst du bei klarem Verstand sein!“
Bolzer blickte den Ritter ängstlich an.
„Kannst du einen gangbaren Weg finden?“ fragte der Ritter eindringlich. Bolzer leckte sich unsicher über die rissigen Lippen.
„KANNST DU ES?“ brüllte Roban und zerrte der Torfstecher noch näher an sich heran.
„Ja, Herr“, erwiderte dieser kleinlaut. Die Angst vor dem Ding schien jetzt der Angst vor dem tobenden Koschtaler gewichen zu sein. Aus ihm sprach eher die Furcht als wahre Zuversicht.
„Dann los! Bleibt dicht zusammen! Haltet die Umgebung im Auge und bewegt euch vorsichtig. Und bleibt nicht stehen - wer hier stehen bleibt, sinkt sofort tiefer!“
Boromil blickte Roban verärgert an. "Grobhand" war wohl der richtige Familienname für ihn! Allerdings hatte er keine Lust, ihn hier auf der Stelle deswegen anzufahren - zwei Hitzköpfe in der Gruppe reichten schon. Aus seiner Satteltasche zauberte Roban eine kleine, bronzene Flasche, zog den Wachspropfen und reichte sie Bolzer.
„Hier, nimm nen Schluck für die Nerven - einen, Bolzer! Und gib Alma auch einen!“
Der Torfstecher schnupperte kurz, dann nahm er einen ordentlichen Schluck, hustete kurz, schüttelte sich und reichte die Flasche an Alma, die es ihm gleich tat. Beide wurden sofort etwas ruhiger, fassten ihre Stecken fester und begannen, im Umkreis den Boden abzutasten, bis sie sich einig waren, in welche Richtung sie ziehen wollten.
Die nächsten Stunden wurden für alle zur Tortur. Bei jedem Schritt sanken ihre Füße tief in den Morast, als wolle der Sumpf selbst sie packen und niemals mehr freigeben, als greife er mit matschigen Fingern nach den dreisten Sterblichen, die es gewagt hatten, auf ihm herum zu laufen.
Der Regen fiel fingerdick, jede Pfütze, jedes Rinnsal war ein neues Hindernis. Eisiges Wasser lief unter die Kleidung, die Körper kühlten aus. Immer wieder stürzte einer von ihnen, wenn er an einer Wurzel oder einer Rankenpflanze hängen blieb, die in Wasser und Schlamm verborgen gewesen war, kämpfte sich wieder auf die Beine und trottete weiter. Trotz der Kälte lief ihnen der Schweiß über die Gesichter, die Beine und Lungen schmerzten, jeder Schritt kostete neue Kraft, und niemand konnte sagen, wie lang der Marsch noch dauern würde.
Keiner konnte sagen, wie lange es gedauert hatte, bis der Boden allmählich an Festigkeit gewann, erst unmerklich, dann immer mehr, bis sie schließlich auf einer feuchten Wiese standen.
„Gelobt seiest du, oh Travien, die du uns zu sicherer Zuflucht geleitet hast!“
Bolzer sank in die Knie, Tränen der Erleichterung in den Augen. Auch die anderen fühlten, wie ihnen eine gewaltige Last von den Schultern fiel. Niemand lachte, kaum einer frohlockte, sie alle waren zu erschöpft, um mehr als ein Lächeln zustande zu bringen.
„Wo sind wir, Bolzer?“ fragte Vogt Gerling nach einigen Minuten.
„Ich weiß nich‘ genau, Herr“, gestand Bolzer, immer noch lächelnd.
„Aber ersma auf einigermaß´n trock´nem Boden, das allein zählt! Vielleicht isses der Rand des Sumpfes, vielleicht nur so was wie ne´ Insel mitten im Matsch. Aber halt trocken!“
Reto blickte betreten in die Runde und dann zu Perainfried, auch dessen Gesichtsausdruck verriet ihm, dass eine Übernachtung hier alles andere als gut für die Gruppe war. Reto ging zu einer Provianttasche, nahm zwei Kanten Brot, zwei Rauchwürste und den Bierschlauch heraus, ging auf Bolzer und Alma zu und reichte ihnen das Essen.
„Gut gemacht Bolzer und Alma, wirklich gut gemacht. Hier nehmt und stärkt euch. Euer Lehnherr wird davon erfahren und stolz auf euch sein. Jetzt sind wir endlich aus dem Moor und ein paar Stunden Tageslicht bleiben uns noch, dann schaffen wir doch sicher auch noch den Weg zu einem Weiler oder zumindest einem Gehöft? Wir sollten nicht zu lange hier verweilen und die Kälte noch mehr in unsere Kleider fahren lassen. Wie sieht es aus, Gefährten“, wandte er sich laut an alle Anwesenden und bedachte auch die beiden Führer mit anerkennendem Blick, „lasst uns auch noch den Rest des Weges bis zu einer trockenen Unterkunft schaffen!“
„Gut gesprochen, Reto, wir lassen uns nicht unterkriegen, nicht vom Moor, nicht von Ranzen und schon gar nicht von unserer eigenen Erschöpfung.“
Dabei trat Roban aufmunternd auf Bolzer zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte:
„Ich hab’s gewusst das du uns da rausbringst, nichts für ungut für die Backpfeife. Nun zeig uns den Weg.“
Bolzer und Alma rafften sich tatsächlich auf und kurze Zeit später war man bereits wieder unterwegs.
Boromil, der vor Reto ritt, drehte sich zu diesem um und nickte ihm zu.
"Das habt Ihr gut gemacht."
Erborn gesellte sich nach vorne, um die beiden Führer zu unterstützen, und überließ sein Ross dem Vogt. Dieser war nur noch ein Häuflein Elend, wie er da ohne Stiefel und besudelt von Kopf bis Fuß, mit hängendem Kopf auf dem Pferd saß. Es war nicht schwer zu erraten, dass er um seine Stute trauerte und innerlich auf den Sumpf fluchte.
Der Ritter vom Kargen Land versuchte Morwald aufzumuntern.
"Ein neues Pferd wird Euch gutes Geld kosten, das ist sicher. Doch bedenkt, was geschehen wäre, wenn wir uns tatsächlich aufgeteilt hätten. Vielleicht wären einige von uns dann nicht mehr am Leben."
Gerling nickte nachdenklich und antwortete:
„Bewiesen ist vor allem, dass der Sumpf schnell tödlich sein kann. Ich halte nicht viel vom Aberglauben der hiesigen Bewohner, aber in manchem steckt wohl doch ein Funken Wahrheit. Bei Regen droht man schnell zu versinken, bei Nebel die Orientierung zu verlieren und die Nacht birgt auch Gefahren ... wir sollten daraus lernen und entsprechend vorsichtig vorgehen.“
Die Stimmung trübte sich jedoch schon nach kurzem wieder ein, jeder ließ den Kopf hängen ob des Dauerregens. Doch alle rissen den Kopf hoch, als Erborn nach vorne wies und ausrief:
„Da seht doch, eine Rauchfahne, das muss ein Hof oder ähnliches sein.“
Alle reckten die Hälse und spähten in die Richtung, doch viele vermochten keine Rauchfahne zu sehen. Bolzer tat einen Freudensprung und warf seinen Stab zu Boden.
„Der Herr hat Recht, isch seh se auch. Jed wird alles gud.“
Die meisten konnten immer noch nichts erkennen, doch Erborn und Bolzer schritten schon beflügelt voran. Nach und nach erkannte dann jeder die Rauchfahne und alle waren glücklich.
„Kommt, Roban, lasst uns vorreiten und uns ankündigen.“
Gesagt, getan, die beiden Ritter preschten voraus. Dort vorne, auf etwas trockenem Land, lag ein kleines Gehöft. Eigentlich war es nur ein Haus mit Kamin, aus dem die Rauchfahne gekommen war.
„Da werden nicht mehr als ein, zwei Personen wohnen“, meinte Reto.
„Da brauchen wir uns nicht vorher anzukündigen. Komm, reiten wir zurück und überlassen das dem Vogt.“
Gemeinsam ritten die Beiden zurück zu den anderen.
Ein alter Mann fütterte gerade ein paar Ziegen vor der einfachen, offenbar aus alten Holz und den Schätzen des Moors notdürftig errichteten Kate. Mit seinem grauen Bart wirkte er vor dieser Kulisse ein wenig wie ein Einsiedler.
"Heda, wie heißt Du?" rief der Vogt.
Der Angesprochene blickte auf die Gruppe, und sowas wie Unwille und Trotz trat in seine Augen. Doch dann löste er sich aus seiner Erstarrung und nach kurzem Zögern sagte er:
"Die Götter zum Grüße. Rumpel ist mein Name! ...Herr."
"Gut. Rumpel, wir werden heute bei Dir übernachten, denn der Regen hat uns den weiteren Weg durch den Sumpf versperrt."
Der Bauer nickte knapp als Antwort. Dann sagte er:
„Ist nicht viel Platz in meiner Kate, aber es wird reichen! Bindet eure Pferde dort an!“
Dabei zeigte er auf eine Seite des Ziegenstalls. Dann fuhr er fort seine Ziegen zu füttern...
Die Reiter stiegen ab. Boromil war sichtlich erleichtert, einer Menschenseele begegnet zu sein, und auch die anderen waren alles andere als traurig ob der Aussicht, nicht noch eine Nacht im Moor verbringen zu müssen.
Rumpel ging zu seiner Hütte. Ein Bein zog er etwas nach, aber ansonsten schien er ein kräftiger Mann zu sein. An seinen Bewegungen schien den Rittern, als wisse dieser Mann wie man kämpft. Rumpel öffnete die schiefe Tür und brummte:
„Seid willkommen in Travias Namen!“
Die Hütte war klein. Eine Wand war offen zum Ziegenstall hin. Ein Bett aus Stroh, eine große Truhe, ein Kamin, ein Tisch und ein Stuhl waren alles. Im Kamin brannte ein Torffeuer und ein kleiner Kessel stand bereit Wasser zu erhitzen. Rumpel ging schnell zum Bett und legte einen langen Gegenstand in die Kiste, die er schnell verschloß.
"Dann hab er Dank in Travias Namen."
Rainfried musterte den kleinen Raum.
"Aber ich fürchte, wir werden hier nicht alle Platz haben."
Sein Blick verharrte beim Vogt, dem wohl die gleichen Gedanken durch den Kopf gegangen sein mochten.
"Hochgeboren, ihr nehmt das Bett. Wir sollten zu allererst versuchen euch wieder warm zu bekommen."
Er blickte zu Bruder Perainfried.
"Habt ihr vielleicht etwas bei Euch, euer Gnaden, dass eine Unterkühlung und Erkältung verhindern kann? Der Vogt ist stundenlang bei der Kälte ohne sein Schuhwerk unterwegs gewesen. Ich für meinen Teil kann, wenn nötig, auch mit dem Stall vorlieb nehmen. Sofern wir etwas Wärmendes für den Stall finden, dass nicht nach Ziege riecht."
Der Grimsauer blickte in die Runde der Ritter, die sich nun vollständig in die winzige Kate gequetscht hatte, und nickte kurz darauf lächelnd.
„Ich habe etwas getrockneten Gulmond dabei, eine Stärkung für die Nacht wird uns allen gut tun. Vielleicht habe ich morgen Zeit, mit Erborn nach frischem Gulmond zu suchen. Ich kümmere mich um die Zubereitung.“
Bruder Perainfried ging zum Kessel, packte aus seiner Umhängetasche behutsam ein in Leder geschlagenes Bündel aus, zerrieb einige getrocknete Blätter mit der Hand über dem Kessel und ließ sie hineinfallen. Dabei betete er halblaut zu seiner Göttin.
Die Hütte enthielt nichts, was Roban besonders überrascht hätte. Die Einrichtung schlicht, aber zweckmäßig, und der Geruch - na ja, in der Not fraß der Gehörnte Fliegen!
Immerhin war das Dach dicht und es war warm. In den tauben Gliedern kribbelte es, während sich unter den Rittern allmählich Pfützen aus herab tropfendem Regenwasser bildeten.
„Mir soll es gleich sein, ob ich im Stall oder meinethalben auch unter dem Tisch schlafe, solange es trocken und warm ist. Und wir haben schlimmeres erlebt als Ziegengeruch, so dass wir auch diesen überleben werden!“
„Wir sollten vor allen Dingen aus den nassen Kleidern raus!“ schlug Edelbrecht vor, der sich im Inneren der niedrigen Hütte nicht einmal voll aufrichten konnte, ohne gegen die Deckenbalken zu stoßen.
„Sagt, Rumpel, könnten wir die Kleider irgendwo zum Trocknen aufhängen?“
Der Bauer nickte zur Decke empor.
„Werft die Dinger einfach über die Dachbalken, bis morgen früh sollte alles trocken sein. Ein paar Decken werde ich aus der Dachkammer holen - sogar solche, die nicht nach Ziege riechen!“
Er humpelte in eine Ecke, aus der er eine schmale, ziemlich wacklig aussehende Leiter holt und dann an eine schmale Öffnung in der Decke stellte.
„Falls es beliebt, hoher Herr“, wandte er sich an Roban, „haltet bitte die Leiter für einen Moment fest. Ich möchte auf meine alten Tage nicht sterben, indem ich von diesem uralten Stück Holz stürze!“
Roban nickte, auch wenn er eigentlich kein Freund von Handlangerdiensten war - aber jede Widerrede würde die Zeit, bis er die nassen Kleider gegen eine warme Decke tauschen konnte, nur verlängern, also biss er in den sauren Apfel.
Die kleine Leiter ächzte unter dem Alten, als er die Leiter herauf eilte. Das Dach war niedrig, also kroch er in die Kammer und noch nicht mal seine Füße verschwanden. Er reichte einige Decken herab und kam auch schnell wieder die Leiter herab.
„Seid bedankt!“ nickte er dem Ritter Roban zu. Dann trat er an den Kessel und schwenkte ihn über das Feuer. Auf dem Sims des Kamins standen einige Tiegel, davon nahm er einen und schüttet leise seufzend den gesamten Inhalt in den Kessel.
„Gleich gibt es einen guten Tee, der euch gegen die Kälte helfen sollte!“
Dann wandte er sich an Alma und Bolzer.
„Kommt mal mit, wir wollen mal ein paar Sitzgelegenheiten hereinholen.“
Nach ein paar Augenblicken standen breite Holzblöcke in der Stube, so dass jeder sitzen könnte.
Derweil war der Vogt, aus den nassen, dick mit Moor verkrusteten Sachen geschält worden und saß nun in die dickste Decke gehüllt am Feuer. Der Kessel summte und Bruder Perainfried schenkte den Tee aus.
Reto richtete das Wort an Bolzer, nachdem alle Becher die man hier hatte auftreiben können mit Tee gefüllt waren.
„Bolzer, sagt, wisst ihr nun wieder, wo wir uns befinden? Wart ihr schon einmal an Standort IV? Glaubt ihr, wir werden ihn morgen aufsuchen können, auch wenn es regnet?“
Bolzer war ob der vielen Fragen, welche aus Reto heraussprudelten etwas überfordert. Reto schalt sich leise einen Narren, ihm gleich so viele Fragen gestellt zu haben, doch er antwortete.
„Standort vier lieschd nit so dief im Sumpf, wenns nit rechnet, sollten wir hinkommen können.“
„Schön das ihr bereits schon wieder den Aufbruch plant, Ritter Reto, doch zuerst möchte ich mir noch die Verwundungen einiger Eurer Streiter ansehen“, meldete sich Perainfried.
„Ich war sehr verwundert, in diesem Moor Sumpfranzen angetroffen zu haben, die Schriften, die ich gelesen habe, erzählten nur von Bornländischen Sümpfen, wo diese heimisch sein sollen. Zwar sollen auch in den Misa-Auen schon Ranzen gesehen worden sein, doch ist dies ja nicht so weit entfernt. Doch wie diese Biester bis in den Kosch gelangen konnten? Eine peraine- und hesindegefällige Queste, dies herauszufinden. Doch zuerst möchte ich mir eure Verletzungen anschauen. Ritter Roban, macht ihr den Anfang?“
„Ist nur ein Kratzer“, meinte Roban, nachdem er die Verletzung am Arm kurz angesehen hatte.
„Nicht tief und nicht besonders lang. Einmal gründlich auswaschen, zunähen, fertig.“
„Bei allem Respekt - das entscheide ich! Zieht bitte das Hemd aus!“, bestimmte Perainfried, der offenbar schon seine schlechten Erfahrungen mit falschem Stolz gemacht hatte. Roban legte den Kopf schief, folgte der Aufforderung aber.
Tatsächlich schienen die Klauen der Rantze keinen größeren Schaden angerichtet zu haben, und der Regen hatte das Blut größtenteils abgewaschen, so dass Perainfried direkt mit der Reinigung der Wunden selbst beginnen konnte. Mit heißem Wasser wusch er sie aus, wobei es im Gesicht des Koschtalers nur einige Male zuckte, denn besonders zaghaft war der Geweihte nicht bei seiner Arbeit.
„Ich lege Euch einen Verband an“, sagte dieser, als er das Tuch schließlich sinken ließ.
„Die Pein von gleich drei Nähten an der gleichen Stelle will ich Euch nicht zumuten - auch wenn ich weiß, dass Euch drei ansehnliche Narben vermutlich gefallen würden!“
Roban blickte an die Deckenbalken wie ein auf frischer Tat ertappter Lausbube, antwortete aber nichts. Mit dem strengen Geweihten zu diskutieren würde ohnehin nichts bringen, also hielt er weiterhin still, bis ein straffer Verband den Arm umschloß.
Perainfried besah sich von allen Reisenden die Verletzungen an, doch mehr als ein paar blaue Flecken hatte niemand erlitten.
Als er jeden, so gut es ging und soweit es nötig war, versorgt hatte, drang aus der Ecke das Schnarchen des Vogts, der nach dem Genuss des Gulmondtees vor dem Kamin eingeschlafen war. Das Bett war damit frei für einen anderen geworden.
"Ich glaube, so schlecht habe ich es nicht mit dem Stall getroffen", äußerte der Grimsauer mit einem etwas gequälten Lächeln in die Richtung des schnarchenden Vogtes.
"Ich gebe Reto im Übrigen Recht, dass wir morgen beizeiten aufbrechen sollten, wenn wir die weiteren zukünftigen Güter begutachten wollen. Noch eine Nacht im Sumpf ohne ein Dach über dem Kopf brauche ich nicht."
Er stand auf.
"Und wenn Bruder Perainfried morgen seine Heilmittel auffrischen will, sollten wir eine etwas längere Reise einplanen. Alma, Bolzer, ihr habt mein volles Vertrauen nach diesem Tag, dass ihr uns sicher durch den Sumpf dirigieren werdet. Und Alma, meine Offerta sei hier nochmals wiederholt. Ihr wärt jederzeit auf meinem Lehen willkommen."
Er hielt Madalein den Arm aus der um sich gewickelten Decke entgegen, in den sie sich einhakte.
"Wir werden uns für die Nacht zurückziehen. Eine angenehme Nachtruhe, die Herrschaften. Möge Bishdariel dafür sorgen, dass wir alle morgen gestärkt wieder aufbrechen können."
Mit diesen Worten nickte er noch jedem Anwesenden zu, öffnete die Tür und verließ das Zimmer in Richtung Stall.
"Es ist lange her, seit wir das letzte Mal im Heu gelegen sind."
Die leise Stimme Madaleins, gefolgt von ihrem Lachen, war zu hören, als die Tür wieder verschlossen war.
Leider währte die traute Zweisamkeit nicht lang, denn kaum, dass die Tür zur Wohnstube wieder geschlossen war, stieß Roban sie erneut auf. Ebenfalls in eine grobe Decke gehüllt, den Waffengürtel mit Schwert und Hammer über der Schulter und die unvermeidliche Pfeife im Mundwinkel wirkte er mehr wie ein ungehobelter Strolch denn wie ein koscher Ritter.
Er steuerte auch ohne Umweg jene Ecke an, in der sich Rumpels Ziegen zusammen drängten und die Fremden misstrauisch beäugten, und schob die Tiere mit sanfter Gewalt und leisen Verwünschungen zur Seite.
„Darf man fragen, was Ihr vorhabt, Herr Grobhand von Koschtal?“, fragte Rainfried, der das Treiben mit gerunzelter Stirn beobachtete. Der Angesprochene blickte auf, als überrasche ihn diese Frage.
„Was schon? Mich zwischen die Ziegen legen! Ist der wärmste Platz im Stall, und der Geruch... na ja, die Viecher werden sich dran gewöhnen müssen! Mir kommt es nur darauf an, morgen wieder bei Kräften zu sein, und stinken werde ich nach zwei Stunden im Sumpf sowieso wieder!“
Madalein schüttelte sich, als der Koschtaler sich zwischen die Tiere legte.
„Caballero von Koschtal, Ihr seid ein ungehobelter Klotz!“ kritisierte sie, amüsiert über das Auftreten des Koschtalers, auch wenn sie sicher war, bei Roban damit auf taube Ohren zu stoßen.
„Ich weiß, Euer Gnaden“, gab der so Getadelte ungerührt zurück, zog das Schwert aus der Scheide und fing an, die Klinge an seiner Decke zu polieren.
„Und Ihr wollt nichts daran ändern?“ bohrte die Geweihte nach.
Rainfried unterdrückte seinen Seufzer - natürlich würde Madalein versuchen, dem Koschtaler Rahjas Glauben näher zu bringen, denn außer einem finsteren Humor schien dieser keine einzige rahjaische Tugend zu pflegen.
„Nein, vorläufig nicht“, brummte Roban aber nur, immer noch auf seine Klinge konzentriert.
Madalein brummte unwillig. Offenbar war Roban nicht nur ungehobelt, sondern auch noch stur wie ein Zwerg, gleich zwei Eigenschaften, die sie an Menschen nicht besonders schätzte. Vermutlich war sie aber zu müde, um mit der ihr üblichen Leidenschaft diesen besonders schweren Fall von Trübsinn zu bearbeiten.
"Dann sehen wir zu, dass wir Schlaf finden. Ich befürchte, dass die Wege zu den nächsten Orten nicht weniger beschwerlich sein werden, als die bisherigen."
Rainfried hatte während des kurzen Disputs etwas Heu zu einer provisorischen Schlafstatt zusammengehäuft, und sich bereits darauf niedergelegt. Madalein legte sich neben ihn, sein Arm über ihre Schulter gelegt. Kurz darauf hörte man das ruhige, gleichmäßige Atmen zweier schlafender Menschen, die sich gegenseitig Wärme spendeten.
"Tja, Edelbrecht, Reto und Erborn, da scheint es an uns zu liegen, heute nacht zu wachen.", meinte Boromil zu den Gefährten, die noch um das Feuer herum saßen und sich noch nicht zum schlafen zurückgezogen hatten.
"Das ist kein Problem", brummte Erborn, "ich übernehme die erste."
Damit erhob er sich, nahm noch eine Tasse Tee und begab sich dann nach draußen. Edelbrecht und Boromil saßen noch eine Weile da, keiner von ihnen wollte sofort einschlafen. Die Ereignisse des vergangenen Tages gingen beiden durch den Kopf.
"Du hast gut gekämpft heute", versuchte der Ritter vom Kargen Land ein Gespräch zu beginnen. Von Borking schmunzelte.
"Danke."
Nach einer Weile fügte er hinzu: "Hast Du den Vogt gesehen? Mit einem Dolch in die vorderste Reihe! Das nenne ich Mumm!"
"Ja, für einen eitlen Stutzer sehr beeindruckend!"
Dann senkte sich wieder Schweigen über die Hütte. Die beiden beschlossen, auf den Holzklötzen nahe am Feuer zu übernachten. Hier würde es warm sein und man wäre nicht so ungalant wie der Koschtaler. Der würde noch eine Lektion über Anstand und rahjagefälliges Verhalten lernen müssen!, lachte Boromil innerlich, bevor ihm schließlich die Augen zufielen.
Nach einigen Stunden weckte Erborn Edelbrecht und sie tauschten die Plätze.
Gespannt starrte Edelbrecht in die Dunkelheit, während er seine Runden um das Gehöft zog. Grausam und irgendwie verzerrt klang der Schrei in seiner Erinnerung, der Bolzer so sehr in Panik versetzt hatte und der ihnen allen durch Mark und Bein gegangen war. Nur gemeinsam würden sie gegen dieses „Ding“ eine Chance haben, dessen war er sich nach den Erfahrungen des heutigen Tages sicher.
Aber konnte es überhaupt eine Möglichkeit geben, gegen diese widernatürliche Kreatur zu bestehen? Würden sie sich mit ihren Neusiedlungen nicht wie auf dem Präsentierteller dem unheiligen Wesen ausliefern?! Würde es einem nach den anderem einen qualvollen Tod bereiten?!
Edelbrecht rief sich zur Ordnung. Die Existenz dieses Rumpelschen „Anwesens“ am Rande des Sumpfes war doch der beste Beweis, dass es den Menschen gelingen konnte, dem fauligen Moorbrück einige wenige Schritt Land abzutrotzen, auf denen es sich halbwegs zivilisiert leben ließ, solange man nur auf die Götter und seine eigene Kraft vertraute.
Beruhigt lehnte sich der junge Mann an die Hauswand und blickte in den Himmel, an dem vereinzelt einige Sterne zwischen Wolken hervorleuchteten. Er dachte an seinen Vater und seine Brüder, die es sich im heimischen Borking gemütlich machten, wie das Kaminfeuer die große Halle des Landguts wärmte und malte sich jenen Tag aus, an dem er als Ritter von … von … - noch immer war ihm kein passender Name eingefallen - mit stolzgeschwellter Brust und zu voller Größe aufgerichtet vor die Seinen treten würde.
An seiner Seite würde er Devota führen, die nunmehr festlich gekleidet und mit silbernen Geschmeide geschmückt, nicht mehr wie eine Bürgerliche, sondern wie eine geborene „von und zu und auf und davon“ wirken würde. So würde er sie seinem Vater als die Tochter vorstellen, die dieser nie besessen hatte, und kurz darauf den ewigen Traviabund eingehen.
Edelbrecht seufzte und schloss verträumt die Augen. Bis dahin war es noch ein langer Weg - er wusste es und manchmal gab es Momente, in denen überwogen die Zweifel an der Unternehmung deutlich der Zuversicht. Doch was saß er hier rum, schließlich hatten sich seine Gefährten auf ihn verlassen, dass er gewissenhaft ihren Schlaf behüten würde und er stand hier und hing seinen Träumereien nach. Er streckte sich und nahm erneut seine Runden um das Haus auf.
Als er um die Ecke der kleine Kate bog, stand vor ihm eine Gestalt, doch noch ehe Edelbrecht seine Waffe heben konnte, vernahm er den knurrigen Baß ihres Gastgebers.
„Laßt gut sein, Herr Ritter! Ich bin es! Ha...Rumpel!“
Dann trat er näher und Edelbrecht erkannte die grünen Augen und den grauen Bart!
„Wie seid ihr vom Dach gekommen?“ fragte von Borking.
„Man sorgt vor für den Notfall!“ erwiderte der Alte und zwinkerte.
„Aber sagt: Was sucht eure Gesellschaft eigentlich im Sumpf?“
Doch Edelbrecht schien die Frage des Hirten nicht gehört zu haben und starrte auf den Kelch des Madamals. Rumpel brummte etwas in seinen Bart und verschwand wieder.
Einige Stunden vor Morgengrauen war dann Boromil an der Reihe Wache zu schieben, doch nichts wollte sich in dieser Nacht in die Nähe der Kate begeben.