Die Spur des Greifen - Im Plunderhaus

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Fir 1041 BF am Abend
Im Plunderhaus
Der Fürst ist tot


Kapitel 5

Eine Tasse Tee
Autor: Nale

Baronie Greifenpass, Trottweiher, Plunderhaus, Anfang Firun 1041

Das Plunderhaus war, wie nicht anders zu erwarten, brechend voll. Es war immer brechend voll, ganz gleich zu welcher Stunde man es aufsuchte. Dafür sorgten nicht nur die Händler, die allerlei Tand – das ein oder andere Mal war sogar etwas Nützliche darunter – dort zu veräußern versuchten, sondern vor allem die Wirtin, die man nur Goschrieke nannte.

Als sie eintraten schlug ihnen warme, aber stickige Luft entgegen, sowie der Geruch von verschwitzten Körpern gemischt mit wohlriechendem Essen. Nales Magen knurrte nur noch lauter. Eilig entledigten sie sich ihrer dicken Umhänge und warfen sie zu den anderen auf einen großen Haufen neben der Tür, weil sonst im Gastraum überhaupt kein Durchkommen mehr möglich gewesen wäre. War es auch so nicht. Der Braniborier musste vorausgehen um den Weg für die Baronin freizumachen, die aufgrund ihrer Leibesfülle auch so schon kaum durchkam.

„Bei allen Zwölfen, Kindchen!“, rief die Wirtin über den Lärm der Gäste hinweg, die sich nicht davon stören ließen, dass ihre Baronin gerade eben die Gaststube betreten hatte. Das Plunderhaus war eben das Plunderhaus – es hatte seine eigenen Regeln. Regeln, die Goschrieke allein bestimmte. Diese bahnte sich unter Zuhilfenahme ihrer Ellenbogen und mit einem lauten „Macht gefälligst Platz, ihr Halunken“ einen Weg zu den beiden Neuankömmlingen.

„Wie dürr Ihr geworden seid! So schrecklich dürr! Gibt man Euch denn nichts zu Essen auf Libellensee, Kindchen?“, wollte die kleine rundliche Frau wissen.

Nale lächelte, denn es war nicht das erste Mal, dass Goschrieke das zu ihr sagte und es würde gewiss auch nicht das letzte Mal sein. „Deswegen sind wir gekommen. Dein Essen ist einfach das Beste weit und breit!“

Das schmeichelte Goschrieke sichtlich, doch machte sie sogleich wieder ihrem Namen alle Ehre: „Einen Tisch habe ich aber nicht für euch!“

„Aber ein Plätzchen für uns beide wirst Du doch gewiss haben“, mischte sich nun der Braniborier ein und blickte ein wenig hilflos durch die Gaststube.

„Hm“, machte die Wirtin da, schürzte die Lippen und eilte sofort zu einem Tisch davon, an dem genauso wenig noch jemand passte, wie an all die anderen. Doch die Wirtin sah das anders: „Macht euch gefälligst nicht so breit! Da müssen noch zwei Leute hin!“ Die Gäste rückten noch ein Stück zusammen, doch es reichte nicht, da stemmte die Wirtin ihren Hände in die Seite und verlangte: „Du da, hinten auf der Bank: Nimm deine Holde gefälligst auf den Schoß! Ja, ich sage deine Holde; ich hab genau gesehen, wie du ihr die Zunge in den Hals gesteckt hast.“ Und so setzte sich die Holde auf den Schoß ihres Angebeteten und steckte diesem ihre Zunge in den Hals, was durch lautes Grölen der anderen Gäste kommentiert wurde.

Nale wollte sich gerade auf den halben Platz gegenüber auf der Bank setzen, da sah sich Goschrieke noch einmal genötigt einzuschreiten: „Nein, nein, Kindchen, doch nicht da! Ihr werft mir meine ganzen Gäste von der Bank, wenn Ihr aufsteht. Setzt Euch nach hinten.“

Der Braniborier konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen, während sich Nale auf die Bank neben das Liebespaar zwängte und er sich selbst auf die Bank gegenüber setzte, wobei setzen zu viel gesagt wäre, viel mehr als seinen halben Hintern konnte er nicht unterbringen. So saßen die beiden eingeklemmt zwischen Bauer Alrik und Bäuerin Alrike: Die Baronin konnte sich überhaupt nicht bewegen und der Geweihte musste Acht geben, dass er sein Gleichgewicht nicht verlor und von der Bank fiel.

Die Wirtin war zwischendurch in die Küche verschwunden und kam gerade mit einem riesigen Vespertellern wieder, der seinen Namen wahrlich nicht verdient hatte, denn Vesperplatte hätte es besser getroffen. Es lag so viel auf dem Teller, dass der aufgeschichtete Turm aus Wurst, Käse und Brot bedrohlich schwankte, als Goschrieke es an den Tisch brachte und mit einer geübten Bewegung dort platzierte.

„Aber nicht, dass Ihr der Baronin wieder alles wegfresst!“, stellte sie gegenüber dem Geweihten in ihrer gewohnt mürrischen, aber direkten Art klar, dabei wären die Baronin und ihr zweiter Hofkaplan von dem Vesperteller gewiss zweimal satt geworden.

„Ich werde mich zügeln“, versprach dieser nur verschmitzt und mühte sich redlich keine Miene zu verziehen.

„Das will ich hoffen“, erwiderte sie Wirtin da nur und bedachte den Braniborier mit einem strengen Blick, „Heute gibt‘s Albuminer Allerlei, wenn‘s denn Recht ist.“

„Ist es“, bestätigte Nale nickend.

„Außerdem gibt‘s Angbarer, Ferdoker oder Rohalssteger“, fuhr Goschrieke fort.

„Tee. Bitte.“

Da guckte die Wirtin einen Augenblick verdutzt: „Na, was wollt Ihr denn nun, Kindchen? Angbarer, Ferdoker oder Rohalssteger?“

„Tee, bitte?“, wiederholte die Baronin da.

„Mit so was fangen wir hier gar nicht erst an. Wir sind doch keine Teestube! Wo kommen wir denn da hin!“, erwiderte die Wirtin resolut und machte ihrem Namen alle Ehre, „Wir haben Bier. Ferdoker, Angbarer oder Rohalssteger.“

„Hm“, machte Nale da resignierend. Sie hatte Fernando vor einiger Zeit Tee hierher bringen lassen und ihr Page war äußerst zuverlässig. „Gut, dann bring mir doch einen Becher heißes Wasser.“

„Heißes Wasser?“, entfuhr es der Wirtin sichtlich entsetzt, „In so was badet man doch höchstens! Aber mit einem Becher werdet Ihr da nicht weit kommen, Kindchen, dass kann ich Euch sagen. Möchtet Ihr nicht lieber doch ein Bier?“

„Nein. Ich möchte trotzdem einen Becher heißes Wasser“, beharrte Nale.

„Hm“, machte die Wirtin da und stürzte die Lippen, „Also so was hat hier noch nie jemand bestellt! Ist Euch nicht ganz wohl, Kindchen? Was haben die mit Euch denn auf Libellensee gemacht? Ich wusst‘s schon immer, aufrechte Koscher sind die Libellensees nicht! Heißes Wasser! Pah! Wo kommen wir denn da hin! Demnächst verlangt Ihr von mir auch noch, dass ich Wein ausschenke!“

„Elenviner Zuspätlese“, witzelte der Geweihte.

Goschrieke gab jedoch keine Ruhe: „Ist Euch das Koscher Bier denn etwa nicht mehr gut genug?“

Nale schnaubte. Mit Goschrieke legte man sich besser nicht an. „Na, dann bringt mir doch einen Becher heißes Wasser UND ein Rohalssteger.“

„Na, wusst ich‘s“, erwiderte die Wirtin sichtlich zufrieden, „Ihr seid halt doch eine aufrechte Koscherin!“

„Mir ein Ferdoker“, orderte der Braniborier.

Kurze Zeit später saßen die beiden bei Eintopf, Bier und heißem Wasser, wobei Nale ihr Rohalssteger an die Holde und ihren Angebeteten abgetreten hatte. Ihre Schale Abluminer Allerlei auf ihrem Bauch balancierend fragte die Baronin, nachdem sie alle am Tisch aufgefordert hatte sich reichlich von dem Vesperteller zu nehmen, weil die Wirtin es überhaupt nicht leiden konnte, wenn man nicht aufaß: „Goschrieke heißt doch nicht... wirklich Goschrieke, oder?“

„Heißt eigentlich Koschrieke“, hob die Holde an und nahm einen Schluck Rohalssteger, „Erzählt man sich.“

„Daraus wurde dann Goschrieke“, führte deren Angebeteter weiter aus, „Weil, naja... Ihr wisst schon.“

Nale schmunzelte.

„Keine weiß wie sie wirklich heißt“, erklärte der Geweihte, „Selbst ich weiß es nicht.“

Da lachte Nale: „Und das soll was heißen!“

„Ihr wollt doch nicht andeuten, ich sei neugierig?“

Darauf antwortete sie ihm nicht, schob sich stattdessen einen Löffel Eintopf in den Mund und lächelte ihn an.

„Ihr solltet ihm schreiben!“, wechselte Branibor eilige das Thema.

„Wem?“, fragt die Baronin mit vollem Mund.

„Dem kleinen Wengel. Wem denn sonst!“

„Wengel kann aber doch gar nicht lesen“, schalt sie ihn wie ein kleines Kind und genauso klang sie auch.

„Ach, Euer Hochgeboren“, Branibor seufzte hörbar, „Er wird doch gewiss jemanden haben, der ihm vorlesen und der – so lange er auch des Schreibens nicht mächtig ist – Euch auch zurückschreiben kann.“

Da schien die Baronin erst einmal sprachlos.

„Meint Ihr...“, hob sie dann aber zaghaft an und ließ ihren Löffel in ihre Schale gleiten, „... er kann sich denn überhaupt an mich erinnern?“

„Gewiss doch!“, versicherte er ihr, „Gewiss doch! So wie ihr ihn mit Naschwerk verwöhnt haben werdet.“

„Ich?“, entfuhr es ihr da entsetzt, „Wieso ich? Ihr hättet mal den Grafen von Ferdok sehen so...“

In diesem Moment betrat der Rhodensteiner die Gastube und verkündete verschmitzt: „Da lässt man Dich einmal alleine, Liebes, und Du hast nichts Besseres zu tun als mit unserem Ungeborenen einen vierarmigen menschen- und zwergenfressenden Oger zu erlegen!“

„Bei den Eltern würde es mich nicht wundern", rief jemand mit lauter Stimme, „wenn das Kind noch vor seinem ersten Tsatag einen Drachen erlegt."