Ritterin Rondralieb und die Liebe - Der Schwarze Ritter

Der Schwarze Ritter
Rakulbruck in der Mark Ferdok, Travia 1038 BF
Am nächsten Morgen strahlte Rondralieb bis über beide Ohren. Wer hätte gedacht, dass sich das Leben innerhalb weniger Tage so verändern könnte? Sie konnte es kaum erwarten, ihrem Vater die Neuigkeiten zu erzählen! Doch zuvor ging die Tjoste in die nächste Runde.
Einen Raunen ging durch das Publikum, als sie vom Schwarzen Ritter gefordert wurde. Sie hatte keine Angst. Ohne zu zögern machte sie sich bereit. Kurz vor dem Anreiten rief sie sich in Erinnerung, dass ihr Gegner aus Fleisch und Blut war. Wenn sie es richtig anstellte, konnte sie jeden bezwingen!
In der ersten Runde brachen beider Kämpfer Lanzen. Rondralieb spürte, mit welcher Kraft der unbekannte Ritter ihren Schild getroffen hatte. Er war ohne Zweifel ein ernstzunehmender Gegner und mit Sicherheit ein erfahrener Turnierkämpfer! In der zweiten Runde ritt sie etwas schneller, um seiner größeren Kraft etwas entgegenzusetzen. Allerdings verfehlte sie ihn dadurch, während er sie traf. Die Runde ging an ihn.
Nun kam der dritte Versuch. Jetzt kam es darauf an! Mutig zielte Rondralieb auf ihren Gegner, als sie beide aufeinander zuritten – und wurde von ihm aus dem Sattel gehoben. Als sie auf dem Boden landete, presste die Wucht des Aufschlags ihr die Luft aus ihren Lungen. Sie blieb einige Momente liegen, bevor sie sich wieder bewegen konnte. Sie spürte Druck auf ihren Ohren und hatte Probleme, ihre Umgebung wahrzunehmen. Jemand half ihr hoch. Ihr war schwindelig. Jetzt sah sie, dass ihr jemand die Hand reichte. Der Schwarze Ritter! Er war abgestiegen und erbot ihr den ritterlichen Gruß. Etwas kraftlos schlug sie ein. Sie war geschlagen.
Die Dienerin Wina geleitete Rondralieb zu ihrem Quartier. Sie würde sich eine Weile ausruhen müssen. Im schlechtesten Fall würde sie bis morgen früh in ihrer Unterkunft bleiben und den Rest des Tages verpassen. Einzig eine Frage ging ihr durch den Kopf, bevor sie sich hinlegte: Wo war Boronar?
Rondraliebs Hochstimmung war jäh in Enttäuschung verwandelt worden. Sie dachte darüber nach, was sie falsch gemacht hatte in der Tjoste. Im Eifer des Gefechts war sie zu leichtsinnig geworden. Ihre alte Schwäche, in schwierigen Situationen mit dem Kopf voranzugehen, war wieder hervorgekommen! Endlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
"Hohe Dame, Ihr habt Besuch!" Rondralieb wurde wach. Sie merkte, wie ihr die Glieder wehtaten. Ihr Dienerin stand angesichts der Ereignisse des heutigen Tages viel zu gutgelaunt vor ihr. Aber gut, sie wollte nicht unhöflich sein, und so stand sie auf.
Als Rondralieb sah, wer da vor der Tür stand, verflogen all ihre Müdigkeit und schlechte Laune. "Boronar!" Er strahlte sie an, als sei nichts passiert. Sie rannte auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. Dabei spürte sie die blauen Flecken, welche sie sich zugezogen hatte, und zuckte unwillkürlich zusammen. "Heiliger Argelion, hast Du mir vielleicht einen Schrecken eingejagt! Ich war schon besorgt, dass Dir etwas passiert sei." Rondralieb ärgerte sich ein wenig über ihren Leichtsinn und schaute kurz auf den Boden. "Keine Angst, am meisten verletzt ist mein Stolz." Boronar musste schmunzeln und unterdrückte ein Lachen, als er das hörte. "Du hast Dich wacker geschlagen. Meine Familie erkundigt sich nach Deinem Wohlbefinden, allen voran mein Vetter Holdwin." Rondralieb freute sich, verstand aber die Bemerkung über Holdwin nicht. Doch das war ihr jetzt egal, denn Boronar war da! Jetzt erst sah sie den großen Korb, den er neben sich abgestellt hatte. "Naja, und da dachte ich, komme ich am besten persönlich vorbei, und wenn ich schon dabei bin, kann ich wenigstens eine kleine Stärkung mitbringen." Sie gingen hinein und zum Tisch, auf dem Boronar den Inhalt des Korbes ausbreitete: Brot, Ferdoker Röstwürste, Ferdoker Räucherschinken sowie einige Flaschen nebst zwei Bechern. "Eine Kleinigkeit", kommentierte Rondralieb und zog die Augenbrauen hoch. Dann mussten sie beide lachen. "Was ist denn in den Flaschen?", fragte sie neugierig. "In der einen Wallaheim Dunkel. In der anderen ist Apfelsaft aus Tallon." Jetzt legte Rondralieb den Kopf schief. Boronar verteidigte sich. "Das gibt zumindest beides keine Kopfschmerzen. Ich wusste ja nicht, wie es Dir geht." Rondralieb schüttelte den Kopf. "Keine Sorge, ich kann ein ganz schöner Dickschädel sein." Gemeinsam machten sie sich ans Essen. Die Ritterin spürte, wie gut ihr die Mahlzeit tat. Boronar erzählte ihr derweil ein paar Einzelheiten vom Turnier. Es war Boromil gewesen, der ihr hochgeholfen hatte. Der Angroscho Bengram Sohn des Borgrim hatte das Armbrustschießen gewonnen. "Hmmm... der Saft schmeckt ja wirklich ausgezeichnet", unterbach sie ihn. "Ja", erklärte Boronar ein wenig stolz. "Den habe ich vor ein paar Jahren für mich entdeckt, als ich in Tallon gewesen bin. Der Talloner Apfelwein ist ja weithin bekannt, aber die perainegesegneten Äpfel sind auch für andere Dinge gut." Rondralieb erinnerte sich daran, was ihr Wina erzählt hatte: Dass Boronar seinerzeit um eine andere geworben hatte. Plötzlich wurde sie ganz schwach bei dem Gedanken, ihn verlieren zu können. "Ist alles in Ordnung? Du bist so ernst geworden...", erkundigte sich Boronar. Sie ergriff seine Hand und hielt sie fest. "Ach, Boronar..." Er zog ihre Hand zu sich und küsste sie. Dann schaute er ihr tief in die Augen. "Ich weiß. Wir kennen uns erst ein paar Tage. Und Du fragst Dich vielleicht, was aus uns werden soll." Er führte ihre Hand zu seiner Brust, und sie spürte sein Herz schlagen. "Du brauchst keine Angst zu haben. Ich habe ernsthafte Absichten. Ich werde noch heute mit meinen Eltern sprechen. Sie haben aus Liebe geheiratet. Mein Vater hat damals meine Mutter aus Almada geholt, weil ihre Familie etwas gegen die Verbindung hatte. Ich bin sicher, sie werden sich über die Neuigkeiten freuen." Rondralieb schloss die Augen und schmolz dahin. Mit Boronar konnte selbst aus einem schlechten Tag noch ein guter werden!