Ritter Boromils Gespür für das Moor - Die Diener Borons

Aus KoschWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Die Baronie Zwischenwasser im Frühling 1032 nach Bosparans Fall

Valpurg, ein Ort von etwa 50 Seelen am Südufer des Angbarer Sees, machte wie immer nachts einen äußerst friedlichen Eindruck. Die Bewohner lagen in tiefem Schlaf. Nur ein Nachtwächter zog einsam seine Runden. Dieser hatte gerade eine der größeren Straßen erreicht, als er plötzlich Hufgetrappel hörte. Zu dieser Zeit! Das war sehr ungewöhnlich. Um diese Stunde herum dürfte keiner, der ein praiosgefälliges Gewerbe seinen Beruf nannte, unterwegs sein. Hoffentlich würde es nicht hart auf hart kommen! Er festigte den Griff um die Hellebarde, als er auch schon erblickte, wer ihm da entgegenkam: Es war ein einzelner Reiter, der einfache Reisekleidung trug. "Heda! Wer seid Ihr und was reitet Ihr um diese Zeit durch unser Dorf?" Der Reisende hielt sein Pferd an. Dennoch gelang es dem Nachtwächter nicht auf Anhieb, einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Der Unbekannte hatte einen großen Schlapphut übergezogen, welcher einen Schatten warf, der vorerst nicht vom Licht der Laterne des Wächters vertrieben wurde. Jedoch blinkte ein metallischer Gegenstand an der Seite des Reiters auf. Der war bewaffnet! Der Fremde streckte die Hand aus, zog jedoch nicht wie vom Nachtwächter befürchtet sein Eisen, sondern nahm langsam seine Kopfbedeckung ab. Im Schein der Laterne sah der Nachtwächter einen Burschen wohl in den Zwanzigern, dunkelblondes Haar und eher weiche Züge, doch seit mehreren Tagen nicht beim Barbier gewesen. Irgendwie kam er ihm bekannt vor. Da plötzlich dämmerte es ihm: Das war doch Boromil, der Sohn des Ritters vom Kargen Land! Phex hilf! Unterwürfig senkte der Wächter den Kopf und rief: "Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Euer Wohlgeboren! Ich bin untröstlich, dass ich Euch nicht gleich erkannt habe!" Boromil winkte ab, doch die Bewegung wirkte eher müde als gnädig. "Lass mal gut sein." Die desinteressierte Stimme bestätigte den Eindruck, den die Geste gemacht hatte. "Die Reise von Moorbrück dauerte leider etwas länger als gedacht." Kurz überlegte Boromil, dann sagte er einfach: "Weitermachen!" "Zu Befehl!", rief der Wächter und nahm Haltung an, doch der Spross des Herrn über Valpurg interessierte sich schon nicht mehr dafür, sondern ließ sein Pferd gemächlich weiter durch die Gassen trotten. Allerdings war nicht das elterliche Gut, sondern der Borontempel sein Ziel. Hier band er sein Pferd an einem Pfosten fest und nahm aus der Satteltasche eine Dokumentenrolle.

Der junge Balinor hatte Dienst, als die Scharniere der schweren Tür knarrten. Das riss ihn aus seinen Gedanken. Es kam hin und wieder vor, dass jemand schlecht schlief oder einen bösen Traum hatte und dann Trost im Tempel suchte. Seltener kam des nachts ein verzweifelter Mensch, der mit seiner Trauer nicht zurechtkam und sich nur dann traute, sie zum Ausdruck zu bringen, wenn ihn niemand bei Tageslicht beobachtete. Nun, vor Boron waren alle gleich, und wer auch immer in das Haus seines Gottes kam, sollte Beachtung finden, egal welches Anliegen er hatte. Gemäßigten Schrittes bewegte sich der Borondiener Richtung Eingang. Es war die große Gerechtigkeit des Totengottes, die Balinor eine innere Ruhe schenkte, welche unzeitgemäß für jemanden seines Alters war.

Er kannte den Mann nicht, der sich zum Gebet niedergekniet hatte, doch er konnte eines erkennen: Das war kein einfacher Bürger, sondern jemand von edlem Geblüt. Das verriet die Körperhaltung, welche die einfachen Kleider Lügen strafte. Es brachte große Vorteile mit sich, auf eitles Geschwätz und unnützen Tand zu verzichten: Man bekam ein Gespür fürs Wesentliche und konnte Menschen besser einschätzen. So manch ein Händler hätte gutes Geld dafür gezahlt, dahingehend geschult zu werden, doch lag es in der Natur des Dienstes an einem der Zwölfgötter, dass eben diese Geschenke nicht einfach durch blanke Münze gekauft werden konnten. Eine weitere Gerechtigkeit, die die Welt in Waage hielt, dachte sich Balinor, während er abwartete, dass der andere sein Gebet beendete.

Als Boromil seine stummen Bitten an Boron gerichtet hatte und wieder die Augen öffnete, stand in seiner Nähe ein Boroni. Diesen hätte er rein äußerlich auf Mitte zwanzig geschätzt, doch das mochte nichts heißen. Borongeweihte hatten keinerlei Interesse daran, besonders oft ins Sonnenlicht zu treten, und fürchteten die Nacht nicht. Daher blieb ihre Haut weiß, aber auch straff. Selbst dieser Schwarzhaarige war recht blass, wirkte jedoch angenehm und vertrauensselig. Er hätte sicherlich gute Chancen beim anderen Geschlecht gehabt, wenn er sein Streben nicht Boron unterstellt hätte. Ja, die Diener der Zwölfgötter waren alle auf ihre Weise recht beeindruckend. Doch genug von diesen Grübeleien! Es war Zeit, endlich das Wesentliche zu erledigen. Nur deswegen war er noch durch die Nacht gereist. Er reichte dem Boroni eine Schriftrolle. Der Borondiener sagte nichts, sondern zog nur eine Augenbraue hoch. Faszinierend, wie die Boronis sich mit so wenig so gut ausdrücken konnten! Boromil nickte rasch, um dem Borondiener anzuzeigen, dass dieser selbst und sofort das Schriftstück lesen konnte. Es war nichts, was einem Tempelvorsteher vorbehalten war.

"Geschätzte Diener des Borontempels zu Valpurg,

durch die Gnade der Zwölfe und die Weisheit seiner Durchlaucht ist es mir vergönnt, einen Flecken Land in der Baronie Moorbrück besiedeln zu dürfen. Doch kann nichts Neues entstehen, wenn das Alte nicht ordentlich beendet wird. Mein Rittergut soll dort gegründet werden, wo einst die Einwohner Klippbrühls von feigen Räubern erschlagen wurden. Ich bitte Euch daher inständig um Hilfe in den folgenden Angelegenheiten:

Weiht den Boden, an dem die Körper der bedauernswerten Klippbrühler ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, auf dass inmitten des Moores ein neuer Boronsacker entstehe. Dann sind die Gräber geschützt.

Segnet die Erde des zukünftigen Rittergutes, damit keine unheiligen Kräfte mehr dort wirken. So weiß jeder Siedler, dass er sich nicht wieder erhebt, wenn Boron ihn zu sich rufen wird.

Tiefer im Sumpf ist ein alter Boronsacker gefunden worden, der noch aus den Zeiten Farnhains stammen muss. Nun, wo ganz in der Nähe eine andere Siedlung entstehen soll, ist es nur göttergefällig, wenn dieser Acker erneut Borons Segen erhält. So kann man sicher gehen, dass niemand, der einst dort zu Grabe getragen wurde, als Untoter diejenigen quält, die im Einklang mit den Gesetzen der Zwölfe ihre Frist auf Dere verbringen wollen.

Gezeichnet

Boromil vom Kargen Land"

Balinor nickte wohlwollend. Kein langes Geschwätz, sondern konkrete Anliegen. Und dabei noch von jemandem, der einen so gottgefälligen Namen trug! Das würde er in wenigen Stunden gleich dem Tempelvorsteher selbst vorlegen. Nun wandte er sich an den Autoren der Zeilen. Ein Lächeln oder gar eitle Worte wollte er nicht verschwenden. Stattdessen sah er ihm in die Augen und vollführte ein langgezogenes Nicken, bei dem er die Augen schloss. Die Borondiener von Valpurg waren Meister darin, mit solchen wortlosen Gesten ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Ein schnelles, mechanisches Nicken hätte Anteillosigkeit bedeutet, ein abgehacktes hingegen innere Ablehnung. Als sich der Diener zum Gehen wandte, erhob sich Boromil, zwar müde, doch innerlich sehr erleichtert: Offensichtlich hatte er seine Pflicht erfüllt. Nun galt es, eine Antwort abzuwarten. Aber das konnte er bei seiner Familie tun.