Was eine Ritterin werden will - Ein neuer Schwertvater

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Texte der Hauptreihe:
28. Phe 1041 BF am Mittag
Ein neuer Schwertvater


Kapitel 1

Autor: Korkron, Nale

Burg Zwietrutz, 28. Phex 1041, am Mittag

Irgendwie war alles wie früher. Wie damals. Es schien sich nichts verändert zu haben. Es war ihr als wäre auf Burg Zwietrutz die Zeit einfach stehen geblieben. Als hätte Satinav diesen Ort schlichtweg vergessen.

Tara von Darbonia jedoch hatte Burg Zwietrutz und auch ihren Schwertvater nicht vergessen. Fast ihr ganzes Leben hatte sie hier verbracht und Angwart zu Zwietrutz gedient. Niemals würde sie vergessen, wie er sie damals als Pagin aufnahm und wie sie später zu seiner Knappin wurde. Und niemals würde sie vergessen, wie sie mit ihm gen Rahja aufgebrochen war. Wie sie zusammen gegen den Reichsverräter Haffax gezogen waren. Zurückgekommen waren sie beide - sie lebendig, er tot.

Seit diesem Tag verharrte ihr Leben. Niemand hatte so recht gewusst, was nun mit ihr geschehen sollte. Man hatte sie dem neuen Baron überstellt, Erzbart von Drabenburg, den alten Baron hatte dasselbe Schicksal ereilt wie ihren Schwertvater. Aber auch der hatte nicht so recht gewusst, was nun zu tun sei, schließlich hatte sie weder Mutter noch Vater. So war sie bei ihm auf Burg Drabenburg geblieben und hatte dort verharrt. Für Tara war das in Ordnung, denn wie hätte ihr Leben auch weitergehen sollen? Der Mann, dem sie so lange treu gedient hatte, hatte innerhalb eines Wimpernschlages sein Leben gegeben. Seine Existenz einfach ausgelöscht. Einfach so.

Doch nun sollte ihr Leben weitergehen. Es sollte einfach so weitergehen. Gestern Abend war der Stillstand durchbrochen worden. Der Baron von Bärenfang und sein frisch bestallter Ritter zu Zwietrutz hatten einen Becher nach dem anderen geleert und die Stimmung unter den beiden Männer hatte im selben Maße an Heiterkeit zugenommen, wie ihre Sprachkenntnisse abgenommen hatten. Und dann war zwischen einem Schnaps und einem Bier ganz unvermittelt ihr Name gefallen...

„Ah, Tara, hier bist Du“, holte sie eine Stimme aus ihren Gedanken. Sie gehörte zu Wolfor von Roder, dem Burgmann ihres neuen Schwertvaters.

Genau wie den neuen Burgherrn kannte sie ihn gar nicht. Er war dem Schwestersohn Angwarts in die Burg gefolgt und gehörte nicht zu ihren Erinnerungen.

„Was macht Dein Schädel, Knappin?“ Wolfor sah sie verschmitzt an.

„Dein Schwertvater hat wohl so seine Probleme am heutigen Tag.“ Der große und untersetzte Ritter grinste und sprach sie in sehr vertraulichem und humorigen Ton an. Trotz seiner großen Narbe machte er einen sympathischen Eindruck auf sie.

„Der Burgherr bat mich, den Stand Deiner Ausbildung zu bewerten und ihm zu berichten!“

Mit zusammengekniffenen Augen starrte sie Wolfor an. Ihr Kopf war tatsächlich besonders schwer am heutigen Morgen. Außerordentlich schwer. Die Welt um sie herum schien heute zudem besonder laut und aufdringlich zu sein, viel zu laut und viel zu aufdringlich, sodass sie bei jedem kleinen Geräusch zusammenzuckte und ein unangenehmes Stechen in ihrer rechten Schläfe verspürte.

„Nun, hoher Herr“, räusperte sich Tara mit leiser Stimme, „Es scheint mir, als wäre mein werter Schwertvater nicht der Einzige, der die Schlacht gegen den Brand verloren hat...“ Dann schwieg sie einen Augenblick. „So prüft mich, auf das Ihr meinem Herrn Bericht erstatten könnt. Eine Lanze werde ich heute allerdings gewiss nicht ins Ziel führen können. Womit wollt Ihr beginnen?“

Laut dröhnte das Lachen des Burgmanns in Taras Ohren: „Angesichts des gestrigen, harten Kampfes gegen den Brand, würde ich vorschlagen, dass wir mit Reden anfangen.“ Im Gesicht des Ritters war eine Art Mitgefühl zu lesen.

„Und dann sollte eine kleine Übung mit dem Schwert folgen.“ „Wir können den Befehl des Wohlgeboren ja nicht gänzlich ignorieren.“ Er setzte sich.

„Erzähl mir von Deiner Ausbildung und mit voller Offenheit von dringend notwendigen Lektionen.“

„Hm“, machte Tara da nur und war froh, sich auch setzen zu können, „Da muss ich kurz nachdenken.“ Sie dachte nach. Sie dachte sehr intensiv nach. Das war gar nicht so leicht, mit so einem schweren Kopf, deswegen dauert es alles ein wenig. Irgendwann hob sie dann aber doch an zu antworten. Nicht das der Ritter noch dachte, sie wäre nicht ganz richtig im Kopf...

„Also ich glaube in Heraldik könnte ich schon noch etwas besser sein. Die umliegenden Adelshäuser und Wappen kenne ich natürlich, aber...“, sie zuckte etwas hilflos mit den Schultern, „... die von weiter weg oder aus dem Hinter- und Außerkosch? Na ja.“ Sie seufzte. „Benehmen kann ich mich denke ich ganz gut.“ Über ihre Lippen legte sich ein verschmitztes Lächeln. „Oder meint Ihr nicht? Aber so richtig höfisch ist es hier ja nicht. Tanzen kann ich nicht wirklich, aber ich glaube, dass das vielen Rittern so geht.“ Wieder überlegte sie einen Moment. „Mit dem Langschwert kann ich ganz gut umgehen, das war meinem Schwertvater - Angwart zu Zwietrutz - auch immer außerordentlich wichtig, vermutlich bin ich aber mittlerweile etwas aus der Übung...“ Sie kratzte sich etwas verlegen am Kopf. „Und dann wäre da ja noch das Lanzenreiten. Also...“ Sie seufzte schwer. Unglaublich schwer. „Wie das gehen soll, das ist mir immer noch nicht so recht klar. Man sitzt auf dem Pferd. Alles wackelt. Man muss irgendwie die Lanze halten. Man muss irgendwie den Schild halten. Und das Pferd kann man ja auch nicht einfach so laufen lassen. Und dann, ja dann muss man auch noch ins Ziel treffen? Wie soll das denn gehen?“ Sie zuckte etwas verzweifelt mit ihren Schultern. „Na ja, immerhin falle ich mittlerweile schon nicht mehr vom Pferd, vor lauter Lanze, Schild, Pferd, Ziel und so...“ Sie schwieg einen Augenblick.

„Ach ja, Rüstung und Stiefel putzen oder Pferde striegeln, das kann ich so gut, dass brauche ich bestimmt nie wieder zu üben!“, fügte sie übertrieben nickend hinzu, „Ganz bestimmt!“

Wolfor hörte zunächst gebannt zu. Dann grinste er und schließlich lachte er laut auf.

„Und auf dem Mund gefallen bist Du sicher auch nicht“, sagte er in freundlichem Ton. Tara grinste.

„Allen Zwietrutzern“, begann er dann erklärend, „sind die ritterlichen Kampftechniken besonders wichtig.“ „Grimm auch!“

„Das Lanzenstechen, Tjosten und den Schwertkampf wirst Du wohl so lange üben müssen, bis Du mindestens mich und später den Burgherrn schlagen kannst.“

„Heraldik und Etikette - da wird Dich Edelbrecht bis zur Besinnungslosigkeit lehren. Garantiert.“

Wolfor hielt eine Sekunde inne und sagte dann mit unterdrücktem Lachen: „Und das Tanzen? Da könnte ich Dir eine sehr lustige Geschichte unseres Herrn erzählen.“ „Ich denke, in dieser Disziplin könnt Ihr gemeinsam üben.“

Wolfor stand auf und reichte der offensichtlich stark an Kopfschmerzen leidenden Tara seinen Unterarm, die daraufhin ebenfalls aufstand.

„Ich denke, Du bist nun auf Herz und Nieren geprüft. Du solltest den Nachmittag ausruhen.” “Morgen früh wird Grimm mit uns ausreiten wollen und danach wird er sicher mit dem Schwert üben wollen.“

Er zwinkerte der Knappin zu und wand sich zum Gehen.

Als Tara ein wenig in sich zusammen sackte und anfing, sich den Kopf zu massieren, hörte sie ein lachendes und leiser werdendes: „Und im Stiefel, Schwert - und Rüstungspolieren wirst Du schon bald eine Meisterin sein!“

Tara atmete schwer. Ihr blieb aber auch nichts erspart.