Nihil timeatis, sed aliis timendi sitis!

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Almada, 1032 BF

Rainfried Moritat von Grimsau sah sich in dem kleinen Haus um. Zum letzten Mal, wie er hoffte, musste er einen Ort verlassen, der ihm ans Herz gewachsen war, wie die Weinstöcke an die sanften Hänge Almadas.
Wer hätte geahnt, dass der Endzwanziger, der bis vor einigen Monden nicht mehr besaß, als ein bisschen Kleidung am Körper und in der Kommode, den Notgroschen seiner Familie in der Geldkatze, das Schwert des Vaters am Gurt, und den alten Namen, der ihm zumindest die Ausbildung zum Weinbauern ermöglichte, dereinst vom Fürsten des Kosch in den Ritterstand erhoben und mit einem Gut belehnt würde?
Am wenigsten Rainfried selbst. Seine Gedanken verloren sich in einer Zeit, die so weit entfernt schien, und die doch erst ein paar Götterläufe entfernt war...
Er wollte eigentlich nach dem Ende seiner Lehrzeit in Almada nur seine Base im Angbarer Land besuchen, um dort nachzufragen, ob sein Können im Weinanbau benötigt und erwünscht wäre, und so verabschiedete er sich von seiner Großmutter Brodlind, und Madalein, einer Novizin der schönen Göttin, die stets zur Hilfe bereit war, wenn ihm in der Ausbildung einmal nichts zu gelingen schien, und brach zuversichtlich, und doch ängstlich, zum Landgut seiner Base auf. Irgendwoher musste das Geld schließlich kommen, um weiterhin für sich und seine wahrlich nicht mehr junge Großmutter zu sorgen, nach dem viel zu frühen Tod der Eltern. Der Eltern, wie Großmutter stets zu sagen pflegte, die noch den wahren Funken der Familie in sich trugen, und nicht so verweichlicht waren wie Rainfried!
"Nihil timeatis, sed aliis timendi sitis!" Fürchtet nichts, aber seid gefürchtet! Stolz schwang stets in ihrer Stimme mit, wenn sie den Leitspruch der Familie zitierte, ebenso wie eine Geringschätzung dem ängstlichen Enkel gegenüber, der sich der Familie nicht als würdig erwies.
Diese Gedanken beschäftigten ihn auch in der Nacht in einer Herberge in Angbar, die Zuversicht weggewischt von der Ablehnung seiner Base, die den Weinanbau als sinnlos in einem Land des Bieres betrachtete. Wie recht Großmutter doch hatte, ihn als unwürdig anzusehen.
Die Anspannung in Angbar entging ihm nicht, aber wer wäre nicht angespannt gewesen nach den Gerüchten, die aus dem Osten durchdrangen? Wehrheim sei gefallen, und Gareth gleich mit.
All die weiteren Ereignisse der Nacht sind für Rainfried nur noch bruchstückhafte Erinnerung, zusammenhangslose Szenen. Das brennende Dach der Herberge. Die mit gezogenen Waffen in die Schänke stürmenden Schergen. Die Bürger, die sich an seiner Seite ihres Lebens erwehrten, einfache Handwerker, Tagelöhner. Die grell lodernde, gigantische Gestalt, die über Angbar ihre Kreise zog. Die Verletzten, die er aus dem brennenden Haus zog. Das Krachen der stützenden Balken der Herberge, als diese unter den Flammen in sich zusammenbrach. Die ihn umringenden Bürger sagten, er hätte sie gerettet. Er selbst konnte sich nicht daran erinnern. Nur daran, dass er in den rot flackernden Himmel starrte, aus vielen kleinen Wunden blutend, den Rest des geborstenen Familienschwertes in der Hand, und einem Gebet gleich stets die selben Worte auf den Lippen: "Nihil timeatis."
Die nächsten Götterläufe vergingen wie im Flug. Ein geretteter Schmied ließ Rainfrieds gebrochene Klinge wieder in neuem Glanz aus der Esse erstehen. Er wurde in der Schwertkunst ausgebildet, als Zeichen der Dankbarkeit des Fürsten für die Rettung seiner Bürger. Letztendlich wurde ihm sogar die Ehre des Ritterschlages zuteil. Rainfried kehrte die ganze Zeit nicht nach Almada zurück, ließ seiner Großmutter jedoch alles in Briefen zukommen, und sorgte aus der Ferne für sie. Auch Madalein schrieb er regelmäßig. Von der Sturköpfigkeit der Koscher, die das Bier über den Wein stellten. Von den Zwergen, die hier so zahlreich waren, wie in Almada die Peluraspieler, und die ebenfalls das Bier über den Wein stellten. Und er erfuhr von Madaleins Weihe zu einer Dienerin Rahjas.
Als Fürst Blasius ihm anbot, ein Lehen neu zu besiedeln, zögerte Rainfried nicht lange. Es galt, die Koscher zu bekehren! Nicht Bier allein macht glücklich, nein, auch der Wein sollte in Ehren gehalten werden. So schrieb er einen letzten Brief an seine Großmutter, mit der Bitte, von dem Rest des Notgroschens junge Weinstöcke zu kaufen, je vier weiße und rote, und sich zur baldigen Abreise in das eigene Rittergut vorzubereiten...
Seine Gedanken drifteten wieder in die Gegenwart zurück, als er bereits vor dem Haus stand, das sein Zuhause in der Jugend war, und das er nun für immer hinter sich lassen würde. Und ein letztes Mal ergriffen ihn Zweifel. Würde er überfordert sein von all der neuen Verantwortung, die auf ihn wartete? Würde er sein Versprechen halten können, aus dem Schrein der Rahja, den er in der neuen Siedlung errichten lassen würde, einen kleinen Tempel zu errichten, sobald der erste genießbar süße Wein aus den Reben gekeltert würde?
Sein ganzes Hab und Gut und die acht Weinstöcke sorgfältig auf dem Wagen platziert, wandte Rainfried sich seinen zwei Begleiterinnen auf ihren Pferden zu. Im erwartungsvollen Blick Madaleins sah er Zuversicht. Im Blick seiner Großmutter etwas ihm bisher Unbekanntes. War das Achtung in ihren Augen, Stolz auf den Enkel?
Ein eigenes Lehen also. In einer Baronie namens Moorbrück. Ein Name, der eine dunkle Stimmung in sich trug.
Nihil timeatis! Nein, er würde nichts mehr fürchten. Mit sanftem Druck gab er dem Pferd das Zeichen, aufzubrechen. In eine ungewisse, aber stolze Zukunft.

inhaltliche Fortsetzung im Briefspiel Ankunft in Moorbrück