Ein überraschender Bote 2
Am nächsten Morgen war Lechdan früh auf, schlug draußen sein Wasser ab und schaute als erstes nach Schlehdorn und lernte auch Robans Pferd kennen. Dann ging er zum Brunnen, holte Wasser für alle und weckte das Feuer aus seiner behüteten Glut der Nacht. Auch die anderen Hohentrutzer wurden früh wach und er fügte sich nahtlos mit ein und packte an, wo eine Hand gebraucht wurde. Er war harte Arbeit und frühes Aufstehen gewohnt, das wurde allen sofort deutlich.
Beim Frühstück von Ritter Roban angesprochen, beantwortete er die Fragen, die am Abend unbeantwortet geblieben waren.
"Ich beglückwünsche Euch zu Eurem Heim, Hoher Herr. Ich mag es hier, es ist gemütlich und es gibt gute Arbeit bei einem Herrn, der sich um seine Leute sorgt. Dies macht es in meinen Augen zu einem standesgemäßen Heim. Dem Hohen Herrn Ladislaus geht es, soweit ich das beurteilen kann, gut. Er ist mit einer größeren Reisegruppe über Weiden aus dem Tobrischen gekommen und seine Reisegruppe wird sich in Greifenfurt auflösen. Einige kleinere Gruppen werden dann in die umliegenden Ländereien, Andergast, Nostria und tiefer ins Mittelreich reisen, doch andere werden bei den tobrischen Flüchtlingen in Greifenfurt bleiben, ihnen von daheim erzählen und sie aufmuntern. Der Hohe Herr Ladislaus wollte mit seinen Weggefährten noch ein paar Götterdienste feiern und sich dann auf den Weg in den Kosch machen. Vermutlich ist er bereits mit seinem Gefolge unterwegs. Er hat einen Waffenknecht, einen Knaben, zwei Pferde, einen Esel und zwei große Hunde bei sich. Ein Geweihter ist er nicht, doch ich hatte den Eindruck,dass er recht fromm ist."
Er nahm einen weiteren Löffel Haferschleim, lächelte schief, zuckte dann mit den Schultern und fuhr dann fort:
"Allerdings nicht nur auf Praios bezogen. Auch die Herrinnen Travia und Peraine scheinen ihm sehr wichtig zu sein, denn er fragte im Tempel nach den Heiligtümern der Hohen Damen. Verzeiht, dass ich einen Mann Eures Standes so genau beobachtet habe, aber er stach mir unter all den Leuten ins Auge.
Er sprach im Tempel viel über einen älteren Geweihten namens Praiothin, der offensichtlich sehr bedeutend für ihn gewesen war und der nun heimgekehrt ist zum Götterfürsten. Von Praiothin hatte ich nie zuvor gehört. Ansonsten sprach er viel mit Rittersleuten, die die Farben des Dreischwesternordens trugen, jedoch für einen Veteranen aus dem Krieg gegen die Schwarzen Lande erstaunlich wenig mit den Rondrianern. Mir fiel trotz aller Herzlichkeit eine gewisse Distanz auf."
Er senkte den Kopf, schaufelte ein paar Löffel Haferschleim in sich hinein, bevor er zaghaft den Kopf hob.
"Ich hoffe sehr, ich habe nicht zuviel gesagt."
"Nö, das war schon ganz erschöpfend", schmunzelte Roban, während er ziemlich umständlich eine recht abgegriffen wirkende Holzpfeife stopfte.
"Schadet ja auch keinem, den Göttern anständig zu dienen. Und Rondra haben die meisten in Tobrien ohnehin gedient – ließ sich schwerlich vermeiden bei dem ganzen Pack, dass einem ans Fell wollte. Aber sag mal: in welche Ecke des Kosch will er denn überhaupt? Vielleicht kann ich ihm entgegen reiten. Hab den alten Ladislaus ewig nicht mehr gesehen. Sind ohnehin viel zu viele, die gar nicht mehr nach Hause kommen, da sollte man für jeden dankbar sein."
Für eine Sekunde schien ein Schatten über das Gesicht des Ritters zu huschen, und er knirschte vernehmlich mit den Zähnen, als habe er manch bittere Erinnerung an gefallene Kameraden zu bewältigen, dann kehrte das ihm eigene schiefe Lächeln zurück.
Der Bursche kratzte sich am Kopf und legte nachdenklich den Kopf schief.
„Soweit ich mich entsinnen kann, hat er nicht davon gesprochen. Er hat zwei Boten losgeschickt. Das weiß ich. Der eine ging an seine... ich weiß nicht, ob sie seine Mutter, Tante oder dergleichen ist... jedenfalls an das Oberhaupt seines Hauses, die Edle Selissa von Wildreigen – und der andere bin ich. Mir gab er den Auftrag, mich zu eilen, der andere Bote erhielt diesen Auftrag nicht. Meine persönliche Vermutung ist, dass er zuerst Euch, Hoher Herr, einen Besuch abstatten will, denn Ihr wart wie er in den Schwarzen Landen und versteht, was ihn bewegt.“
'Junge, Lechdan, du redest dich noch um Kopf und Kragen!' schalt er sich in Gedanken, während er abrupt verstummte und sich verbiss, was er noch sagen wollte. Er konnte sich einfach zu gut in andere Menschen hineinfühlen und seine Liebe zu Praios verbot ihm, zu lügen und er hatte nicht genug Erfahrungen mit Etikette, um mit Andeutungen nicht zu lügen und doch nicht alles zu sagen. Er war fast noch ein Kind und war es bisher gewohnt, sein Herz auf der Zunge zu tragen. Dies hatte ihn in der kurzen Zeit bei den Bannstrahlern oft genug den Rohrstock spüren und somit vorsichtiger werden lassen.Er war ein intelligenter Bursche und seinen Altersgenossen auf dem Land und bei den Bannstrahlern oft um etliche Gedankengänge voraus, was nicht immer von Vorteil war. Auch jetzt ertappte er sich dabei, dass er begann, in den Zügen des Ritters vor ihm zu lesen wie in einem Buch. Verschämt senkte er den Kopf und nagelte seinen Blick auf das Essen vor ihm.
„Verzeiht, Hoher Herr.“
„Was soll ich verzeihen?“ fragte Roban schulterzuckend. „Ich habe gefragt, du weißt nichts genaues und hast gemutmasst. Ob das dem Herrn Praios gefällt, weiß ich nicht, aber ich finde nichts daran. Wer in den Schwarzen Landen war, trägt verdammt viele böse Erinnerungen mit sich herum, und vielleicht verstehe ich das besser als du oder seine Tantenmutter. Vielleicht will sich Ladislaus was von der Seele reden, sich auskotzen oder einfach mit mir einen auf die Lampe gießen! Was auch immer, wenn du wieder in Greifenfurt bist, sag ihm einfach...ach, quatsch, ich kritzel dir ein paar Zeilen. Er kann ruhig mal reinschneien, soll aber bloß nicht zu viel erwarten. Dammich, wo hab ich nur den elenden Griffel gelassen...“
Es dauerte ein paar Minuten, ehe der Ritter sein Schreibzeug griffbereit hatte und einige hastige Zeilen auf ein mehrfach abgeschabtes Stück Pergament krakelte. Lechdan, der eher die gestochen scharfe Handschrift der Diener des Götterfürsten gewohnt war, verbiss sich jegliche Bemerkung, obschon er ziemlich sicher war, dass ein solches Geschmiere ihm einen weiteren Besuch des Rohrstocks eingebracht hätte.
Der Bursche nahm das Pergamentstück mit der Nachricht und verstaute es in seiner Gürteltasche, dann sammelte er seine wenigen Sachen zusammen, verneigte sich tief vor Roban und sprach:
„Habt Dank für Eure Gastfreundschaft, Hoher Herr. Mögen die Götter mit Euch sein. Ich werde nun zusehen, dass ich Eure Botschaft so schnell wie möglich an den Hohen Herren von Wildreigen überbringe.“
Mit diesen Worten verneigte er sich noch einmal tief und ging zu seinem Pferd, sattelte es und machte sich auf den beschwerlichen Rückweg.