Tsatag - Ein fahler Morgen

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16. Tra 1041 BF
Ein fahler Morgen
Ein letztes Mahl


Kapitel 6

Autor: Kunar

Ein fahler Morgen

Angbar, 16. Travia 1041 BF

Der Morgen war ein wenig kühl, und es dauerte eine Zeit, bis der Morgennebel dem Praiosmal Platz machte. Charissia von Salmingen hatte nicht besonders gut geschlafen, weil sie zu aufgeregt war. Sie konnte es kaum erwarten, zu erfahren, wie ein Großteil des Fürstenhauses und seiner Berater auf einen Schlag ausgelöscht worden war.

Doch zuerst galt es, ihre Sachen zu packen und wieder in ihre Rolle zu schlüpfen. Manchmal war sich des Verkleidens überdrüssig. Während sie ihre Kleidung zurechtzupfte, schaute sie in den Spiegel. Sie war jetzt 58 Jahre alt. Die Falten wurden tiefer. Die Spuren des Alters waren nicht zu übersehen. Manchmal fühlte sie sich müde.

Aber sie war noch am Leben, und viele ihrer Feinde waren tot! Und heute würde ein weiterer Festtag werden!

Bevor sie in den Schankraum der Gastwirtschaft ging, riss sie sich zusammen. Das Jauchzen und Lachen musste sie auf später verschieben.

An der Theke standen bereits einige Leute, und es herrschte wie erwartet gedrückte Stimmung. "Ach, Frau Winterkalt, es ist ja so schrecklich!", stammelte der Wirt, als sie näherkam, "stellt Euch nur vor, der Fürst ist tot!"

"Was?", gaukelte sie Überraschung vor, "aber er hat doch gestern noch seinen Tsatag gefeiert!" "Ja, es ist kaum zu glauben", schüttelte der Wirt den Kopf, "aber der Hofherold Hernobert hat es eben verkündet: Unser guter Fürst Blasius ist gestern im Kreise seiner Familie beim Bier friedlich eingeschlafen." "Boron habe ihn selig", sagte ein niedergeschlagener Gast.

"Wie? Friedlich eingeschlafen?" Charissia wollte ihren Ohren nicht trauen. "Naja, er war ja nicht mehr der jüngste und in letzter Zeit etwas kränklich", erklärte der Wirt. "Aber, bei Travia, umgeben von all jenen, die ihm lieb und teuer waren, und an der Festtagstafel... und nicht etwa wie viele der Eberstamms gewaltsam oder fern der Heimat... das hat er wohl verdient!", kommentierte ein anderer Gast.

"Ja, aber... und die Familie und Freunde?" Charissia war sprachlos. "Die sind natürlich jetzt in tiefer Trauer. Kronprinz Anshold wird die Amtsgeschäfte übernehmen. Aber das hat ein paar Tage Zeit. Erst einmal geht es darum, dass sich alle von ihm verabschieden." "Ich hoffe, das dürfen wir auch!", sagte ein Mann, der der Kleidung nach ein Handwerker war. "Ich habe nämlich in meinen Lehrjahren von ihm Freibier bekommen zu Fürstlich Gnaden."

Charissia starrte den Mann fassungslos an. "Ja, es klingt vielleicht seltsam", verstand dieser ihre Reaktion falsch, "schließlich sind wir als Bürger einer Reichsstadt nur der Kaiserin Untertan und nicht etwa dem Fürsten. Aber er hatte immer ein gutes Herz. Wer würde da nicht an ihn denken?" "Meiner Schwester hat er mal eine Fürstenbirne geschenkt!", fuhr ein anderer Gast dazwischen. "Also, das nenne ich einen anständigen Adeligen." "Meine Familie ist aus Tobrien geflohen", hob nun ein dritter Gast zu sprechen an, "und als wir in Angbar ankamen, fuhr gerade seine Kutsche vorbei. Da hat er anhalten lassen und uns eine Fürstenwurst in die Hand gedrückt! Das habe ich nie vergessen!"

Charissia schäumte vor Wut und rannte auf ihr Zimmer. Sie wollte nichts mehr von diesen Tölpeln hören! Das Gespräch im Schankraum ging derweil munter weiter. "Mir hat er einmal persönlich die Hand geschüttelt!", rief der nächste Gast. "Auf der Angbarer Warenschau gefielen ihm die Gürtelschnallen, die mein Meister präsentierte, und da hat er dem gesamten Stand gratuliert. Was waren wir stolz, dass der Fürst sich über unsere Arbeit freute!" "Und nicht zu vergessen", klopfte der Wirt nun auf den Tresen", dieses Holz würde vom Fürsten gespendet. Als nach dem Zug des Alagrimm das Fürstenschloss Thalessia wieder aufgebaut werden musste, da dachte er an all die Arbeiter und ließ die Theke wieder herrichten, auf dass die fleißigen Handwerker nach getaner Arbeit ein gutes Bier trinken könnten." "Großartig!" "Fabelhaft!" "Ein Beispiel!", erklang es nun aus zahlreichen Kehlen. "Und wisst Ihr was?", setzte der Wirt hinzu. "Auch wenn es ein trauriger Tag ist, so wollen wir ein Bier in Gedenken an den guten Fürsten Blasius trinken, da wir doch so viele gute Erinnerungen an ihn haben Diese Runde gebe ich aus!" "Hurra!" "Ja, so machen wir es!" "Lang lebe das Haus Eberstamm!" In all dem Trubel bemerkte keiner die Frau Winterkalt, die ihre Sachen gepackt hatte und die Wirtschaft eiligst verließ. Nur gut für den Wirt, dass sie ihr Zimmer im voraus bezahlt hatte...

Charissia von Salmingen kochte vor Wut. Es hatte ein schwarzer Tag für den ganzen Kosch werden sollen, und jetzt prosteten sich die Angbarer zu! Wie hatte ihr Vorhaben vereitelt werden können? Es war doch so gut geplant! Doch während sie sich zornig die Zähne zusammenbiss, dachte sie an ihren nächstes Attentat: Auf der Beerdigung des Fürsten wollte sie erneut zuschlagen! Es war schon fast alles vorbereitet. Und diesmal würde ihr niemand entkommen...

Als die Runde Bier langsam zuende ging, da wurden der Wirt und die Gäste wieder schweigsam und so mancher hatte feuchte Augen, als er in glücklichen Erinnerungen an frühere Jahre schwelgte. "Also gut, ich habe auch etwas zu erzählen", durchbrach eine Frau in edler Kleidung die Stille. Die anderen schauten sie an. "Ich rede nicht häufig darüber, aber ich stamme aus einfachen Verhältnissen. Ich habe mich damals am 2. Praios immer satt gegessen, wenn es das Festmahl für die Kinder hier in der Stadt gab. Meine Eltern haben sich währenddessen in den Wäldern geholt, was sie brauchten. Dass es mir hier und heute an nichts mangelt – wer weiß, ob es so gekommen wäre, wenn es nicht Blasius gegeben hätte? In diesem Sinne: Trinken wir auch ein Zwischenwasser Fürsten-Schlückchen zu seinem Gedenken. Die Runde geht auf mich." So tranken sie nach dem Bier noch einen Schnaps, und auch wenn alle traurig waren über die Nachricht vom Tod des Fürsten, so hatten seine vergangenen Taten noch einmal ihre Herzen bewegt.