Odilbert und Niope - Ringen auf Ingen
Burg Ingen, Mark Ferdok, im Praios 1042 BF
"Natürlich werde ich nach Garetien reisen ... das bin ich Ermst schuldig!" Gero vom Kargen Land war fest entschlossen. "Es war schließlich sein Wille, sie dorthin zu verheiraten." Die Nachricht von der geplanten Hochzeit zwischen Niope vom See und Odilbert von Hartsteen hatte ihn erreicht, als er noch in Angbar weilte, und in Unruhe versetzt. Daher hatte er es kaum erwarten können, wieder zu Hause bei seiner Frau Niam zu sein. Mit ihr konnte er sich immer gut besprechen! Endlich war er mit ihr im Studierzimmer, in dem sie sich ungestört unterhalten konnten. Und ein Ort, der alte Erinnerungen hervorrief ...
Vor etwas mehr als sechs Jahren hatte es schon einmal Hochzeitspläne für Niope gegeben. Ermst vom See war damals durch den Kosch gereist, um Fürsprecher für seinen Plan zu bekommen, die Schwester Graf Wilburs mit Finnian ui Bennain zu vermählen und sie damit zu einer zukünftigen Fürstin Albernias zu machen. Schon damals hatten es sowohl Gero als auch Niam für eine bessere Idee gehalten, Ermsts Enkelin an einen Grafen aus der Nachbarschaft zu verheiraten. Und den Ratschlag hatten sie ihm hier im Studierzimmer auf Burg Ingen gegeben!
Jetzt würde Niope am Tag der Helden auf Grauensee den Traviabund eingehen – und diesmal nicht nur als Grafenschwester, sondern auch als die letzte Ritterin des guten Fürsten Blasius. Da würden viele Augen auf sie gerichtet sein! Für ein Jahr später war ein Turnier in Hartsteen geplant. Ermst hatte noch die ersten zarten Schritte der Verbindung in die Wege leiten können. Gero sah es als seine Pflicht an, bei beiden Feierlichkeiten anwesend zu sein. Vor ein paar Monden war der alte Freund des Hauses vom Kargen Land zu Boron gegangen – und diesen letzten Wunsch wollte er ehren!
Alles könnte so gut sein, doch eine große Sorge machte Gero das Herz schwer. "Der Grafenthron der Hügellande hat derzeit keinen direkten Erben. Wilbur ist noch immer ohne Kinder, ja ohne Braut, und selten zu Hause. Wer folgt ihm nach, wenn ihm etwas passiert? Niope konnte lange Zeit während seiner Abwesenheit die Fahne des Hauseshochhalten. Als Knappin des Fürsten war sie über jeden Zweifel erhaben. Doch die Hoffnung, dass eines Tages Niopes Kinder würdige Anwärter auf den Grafentitel sein würden, hat sich jetzt wohl zerschlagen! Nach Niope wird nun keiner derer vom See mehr im Kosch sein." "Ist denn ausgemacht, dass jüngere Kinder nicht die Grafschaft Hügellande statt der Grafschaft Hartsteen erben können? Etwa so wie bei Prinz Edelbrechts Kindern?" Gero stutzte. Mit ihrer klugen und ruhigen Art hatte seine Niam schon seit vielen Jahren einen guten Einfluss auf ihn. "Du hast recht. Das ist meines Wissens noch nicht festgelegt. Da gilt es, ein Auge auf den Ehevertrag zu werfen." "Es wäre zumindest sehr kurzsichtig vom Haus vom See, nicht dafür zu sorgen. Selbst wenn Niope aus Liebe heiratet, wird sie als Ritterin verstehen, dass es wichtig ist, das eigene Haus zu ordnen." Jetzt seufzte Gero schwer. "Na, hoffentlich! Es ist ja schon einmal gründlich schiefgegangen!"
Vor fünf Jahren war Ermsts Vorhaben, Wilbur mit einer Grafentochter aus Weiden eine Braut zu verschaffen, dramatisch gescheitert. Gertraut von Wolkenstein hatte stattdessen mit Reto Hlûthar von Bodrin-Hardenfels den Traviabund geschlossen. Ausgerechnet mit dem damaligen Junker von Bodrin und jetzigen Pfalzgrafen zu Koschgau, der aufgrund seiner Abstammung – er war Enkel Helkors, des letzten Grafen des unabhängigen Schetzeneck – Wilbur gefährlich werden konnte.
"Niope ist beliebt und wäre von vielen nur allzu gerne als Ritterin an den eigenen Hof geholt worden", wandte Niam nun ein. "Der Koscher Adel wird ihr beistehen!" "Ein Teil des Adels sicherlich", rieb sich Gero den Bart, "aber es gibt auch einige, die von einem schwachen Haus vom See profitieren würden." "Du meinst ...?" "Ja. Voltan von Falkenhag käme es gerade recht." "Aber dafür hast du doch keinerlei Beweise." "Natürlich nicht! Eine gut eingefädelte Intrige erkennt man daran, dass man sie erst hinterher erkennt – oder gar nicht." "Schön und gut, nehmen wir an, Voltan wolle den Grafen schwächen. Was könntest du dagegen tun?" "Direkt sehr wenig. Ein lang gesponnener Plan entfaltet sich nur langsam Schritt für Schritt. Als Richtgreve bekomme ich natürlich einige Dinge mit – wenn auch meistens erst sehr spät." Gero überlegte. "Ich sollte mich mit Erlan von Sindelsaum absprechen. Wir müssen wachsam sein!" "Dann lass mich mit nach Garetien reisen. Zusammen sehen und hören wir mehr."
Gero riss bei dem Vorschlag seiner Frau erstaunt die Augen auf. "Aber wer soll die Grafenmark verwalten, während ich weg bin?" "Lass das doch Ungolf von Plötzbogen machen." Der Vogt zuckte unwillkürlich zusammen. "Was ist denn los? Er ist ein anständiger Ritter und kommt gut mit Leuten aus." "Er ist aber auch ein von Plötzbogen ...", versuchte Gero anzudeuten. "Na und?" "Er stammt aus der Familie, die früher die Ferdoker Vögte stellte. Was, wenn er seine Sache zu gut macht und die Leute ihren alten Vogt nach dessen Rückkehr gar nicht mehr zurückwollen?" "Ach, das ist doch Unsinn! Das Haus Plötzbogen war immer tüchtig und ist nie als intrigant aufgefallen! Wenn überhaupt, dienen die sich hoch." "Eben das befürchte ich ..." "Holdwin kennt ihn vom Fürstlichen Ritterturnier im letzten Jahr und findet ihn sympathisch. Es wäre doch wenig ritterlich, bei der erstbesten Gelegenheit nach der Macht zu greifen." "Also gut", gab Gero schließlich nach, "dann kann er allerdings nicht selbst am Turnier in Garetien teilnehmen. Wenn er dieses Opfer bringen möchte ..." "Es wird schon gut gehen", sprach Niam ihm Mut zu. "Wir sollten uns stattdessen einer viel wichtigeren Frage widmen." "Und die wäre?" "Wenn wir schon beide in Garetien sind und uns ein Turnier ansehen, sollten wir uns die Männer gut anschauen. Vielleicht ist ja ein passender Kandidat für Yasmina dabei ... und sie weilt schließlich ebenfalls in Garetien."