Im Schein des Alagrimm - Der Turm
Angbar, 1027
Über ihren Köpfen kreiste der Alagrimm und labte sich an den vielen Bränden in der Stadt. Rudegar rief Erlan zu „Runter von dem Platz. Hier sind wir die perfekten Opfer für den Dämon.“ Erlan packte sich noch schnell die geladene Armbrust und machte sich dann daran den anderen zu folgen, die in eine Seitenstraße auswichen. Prinz Anshold eilte derweil mit den Hellebardieren in eine andere Richtung. Überall wüteten Brände. Mittlerweile waren alle Unbewaffneten aus dem Gebiet geflüchtet. Immer wieder hörte man Kampfgeräusche, aber der Feind stellte sich nicht, sondern suchte nach leichten Opfern. Davon kündeten auch zahlreiche erschlagene Bürger, die das Pflaster mit ihrem Blut tränkten.
Eine gewaltige Explosion erschütterte den Boden. Unwillkürlich suchten alle nach Deckung, doch was nun den Himmel erfüllte waren Feuerwerkskörper. Das Alchemistenlabor war ein Opfer des Alagrimm geworden!
Hastig rannte die Gruppe aus der Gasse. Sie war eng genug, um sie vor den Blicken des Alagrimm zu schützen, aber viel zu eng, um sie vor den brennenden Häusern zu bewahren. Gerade als sie auf den Vorplatz zum Fürstentor stürmten hörte Erlan das charakteristische zischen von Pfeilen. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung auf einem der Türme war. Dort standen wohl einige feindliche Bogenschützen, die den Vorplatz mit Pfeilen eindeckten. Auf dem Boden lagen schon zahlreiche Tote, denen Pfeile aus dem Rücken stakten. Rechts und links von sich hörte Erlan Schreie. Walbold von Bärenstieg stürzte zu Boden. Aus seiner Brust ragte ein Pfeil. Eine Magd des Entenstegers hatte mehr Glück. Ihr war ein Pfeil „nur“ in den Oberschenkel eingedrungen. Hastig suchten sich die Leute Deckung. Erlan sprang in einen Hauseingang. Schnell schickte er ein Stoßgebet zu Ingerimm, dann lehnte er sich aus der Deckung vor, visierte ganz kurz an und schoss seine Armbrust auf die feindlichen Bogner ab. Gerade noch rechtzeitig brachte er sich in Deckung. Nur wenige Zentimeter von ihm entfernt klirrte ein Pfeil gegen die Mauer. Routiniert begann er damit die Armbrust wieder zu spannen. Als er damit fertig war fiel ihm zu seinem Entsetzen ein, dass er überhaupt keinen Bolzen hatte. Bestürzt blickte er sich um. Alle anderen hatten es ihm gleich getan und kauerten in Deckung und erwiderten – soweit sie konnten – das Feuer. „Hat jemand einen Bolzen.“ Rief er auf gut Glück. „Hier“ kam ein Ruf von einer Hausecke und zwei Sekunden später flog ein Bolzen herüber. Geschickt fing Erlan das Geschoss auf und legte es auf seine Armbrust, dann kniete er sich hin, beugte sich leicht nach rechts, entdeckte einen Bogner auf dem Turm und schoss. Ein Schrei verkündete, dass er Erfolg gehabt hatte.
Hinter ihm ertönte nun auch ein unartikulierter Schrei. Erlan wandte sich erschreckt um und sah Rudegar. Der alte Haudegen war aus seiner Deckung gesprungen und gestikulierte wild. Das Schauspiel währte kaum eine Sekunde, dann war er wieder verschwunden, doch die Bogner hatten ihre Pfeile abgeschossen. Wieder sprang Rudegar hervor. „Vorwärts. Wir müssen den Turm nehmen, sonst ist das Schloss verloren.“ Überall sprangen Männer und Frauen aus der Deckung und eilten vorwärts. Die Feinde schienen schnell nachgeladen zu haben, denn schon zischten weitere Pfeile heran. Rudegar stürzte nieder, ebenso wie Alvide. Erlan wollte zu ihr eilen, doch Ungolf von Bärenstieg packte ihn an der Schulter und so rannten sie mit den übriggebliebenen Knechten und Mägden zur Tür des Turmes. Die war natürlich nicht offen, doch hier waren sie vor feindlichem Beschuss sicher. Die Türme besaßen nämlich nur nach außen Öffnungen, um Feinde am Fuße des Turmes zu bekämpfen. Während zwei kräftige Knechte auf die massive Tür einschlugen blickte Erlan zurück auf den Vorplatz. Alvide lag dort mit einem Pfeil, der ihr aus der rechten Schulter stakte, während Rudegar einen Pfeil im Unterleib stecken hatte. Beide rührten sich nicht, doch hoffte Erlan, dass das daran lag, dass sie die Schützen im Turm täuschen wollten. Viel Zeit blieb ihnen nicht.
Auf dem Wehrgang wurde die Tür zum Turm aufgestoßen und zwei Bewaffnete traten heraus. Einer warf einen Feuertopf unter die Angreifer, während der andere seinen Bogen abschoss. Der Pfeil ging fehl, doch der Feuertopf traf Ungolf. Schreiend wälzte sich dieser auf dem Boden und versuchte das Feuer zu ersticken. Eine seiner Mägde versuchte das Feuer auszuschlagen.
Erlan rannte die Treppe zum Wehrgang hinauf. Hinter ihm die Übrigen der Gruppe. Schon hatte der Bogner einen weiteren Pfeil aufgelegt und schoss ihn auf Erlan ab. Er fühlte einen stechenden Schmerz am linken Arm, doch keinen Einschlag. Es konnte also nicht so schlimm sein. Der andere Söldner war schon ins Innere des Turmes zurückgewichen und der Schütze wollte ihm folgen, doch er war zu langsam. Erlan rammte ihm das Schwert in den Rücken. Der Getroffene stürzte vorwärts in den Türeingang. Der Weg ins Innere war offen. Erlan voran drang die Gruppe in den Turm ein. Gerade als er durch die Tür getreten war spürte er einen gewaltigen Schmerz im Gesicht. Ein Pfeil war ihm in die Wange eingedrungen. Der Schmerz nahm Erlan völlig gefangen und so sah er den Speer nicht, der sich einen Lidschlag später in seinen Bauch bohrte. Ächzend sackte Erlan zusammen. Nun war wohl sein letztes Stündchen gekommen. Der Speerkämpfer holte erneut zum Stoß aus, doch da sprang ein gewaltiger Schatten dazwischen. Erlans Hintermann war über ihn gesprungen, sprang an dem Speer vorbei und zertrümmerte dem Speerkämpfer mit dem Streitkolben den Schädel.
Dunkelheit umfing Erlan.