Der Dachs und seine Jungen - Ein neuer Verwalter
Erlan von Sindelsaum warf entnervt die Feder fort.
Nun saß er schon seit
einer Woche über den Steuerabrechnungen und ein Ende war nicht in Sicht.
Seine Schreiber waren zwar fähige Leute, aber er musste sie natürlich
kontrollieren und da er über keinen Vogt verfügte, musste er das selber
machen. Politische Verwicklungen zwangen ihn sich viel auf Reisen zu
befinden und wenn er dann zurückkehrte, musste er sich an die
Pachtbücher setzen anstatt sich anderen Dingen zu widmen.
Gerade ging er
die Pachtzahlungen des Wirthofes durch und ärgerte sich darüber, dass
der Hof dieses Jahr weniger Ertrag abgeworfen hatte, als sonst, als sein
getreuer Leibdiener Lechdan in der Tür auftauchte. Der Diener wartete
ab, bis Erlan ihm zunickte.
„Herr, dort ist ein Ritter, der sich
Grimwulf von Borking nennt und euch um Gastung bittet. Er kommt aus
Galebquell und soll Grüße seiner Hochgeboren Roklan von Leihenhof überbringen.“
Erfreut über diese Ablenkung grinste Erlan.
„Dann lass ihn nicht warten.
Weise ihm eine Gästekammer zu und lass es an nichts mangeln. Ich werde
das hier noch beenden und unseren Gast dann beim Essen begrüßen.“
Lechdan nickte und machte sich daran die Befehle seines Herrn auszuführen.
Zwei Stunden später betrat Erlan die „große Halle“ seines Hügelhauses
und begrüßte seinen Gast erfreut.
„Ich hoffe ihr hattet eine angenehme
Reise, Edelgeboren. Es freut mich stets Nachrichten aus Galebquell zu
hören und so seid ihr ein willkommener Gast. Aber setzt euch doch
wieder.“
Dann nahm Erlan Platz und nickte der Köchin zu, das Essen
aufzutragen. Während sie auf das Essen warteten betrachtete Erlan seinen
Gast.
Grimwulf von Borking war ein Mann von etwa fünfzig Götterläufen, dessen
borstiger Haarschopf schon deutlich ergraut war. Unter buschigen Brauen
lugten zwei eisblaue Augen hervor, die ihrerseits den Baron musterten.
Das schmale Gesicht wurde von einem ebenfalls grauen wohl gepflegten
Vollbart eingerahmt. Der stämmige hoch gewachsene und leicht untersetzte
Mann war trotz seines Standes in schlichtes Leder gekleidet. Auch war
Erlan beim Betreten der Halle aufgefallen, dass von Borking sein linkes
Bein stark nachzog, als er Anstalten machte, auf den Gastgeber zuzueilen.
Mit wohltönender tiefer Stimme hob er nun an, zu sprechen: „Habt Dank für
eure traviagefällige Gastfreundschaft, Hochgeboren. In der Tat sind es
keine bedeutenden Nachrichten, die ich euch aus Galebquell hinterbringe.
Allein die ob eures langen Schweigens hervorgerufene Sorge meines Herrn
Roklan um euer Wohlergehen ist neben den innigsten Grüßen meines Herrn
die Ursache für meine Ankunft zu einer derart ungewöhnlichen Zeit. Ich
hoffe, dass Euch mein Erscheinen nicht von wichtigeren Dingen abhält.
Hochgeboren Roklan wurde nicht müde, mir gegenüber stets euren überaus
großen Fleiß zu betonen, mit dem ihr die Verwaltung der Baronie in
Angriff nehmt, so dass es mir fast unangenehm ist, euch bei euren
wichtigen Amtsgeschäften zu stören.“
Erlan winkte lächelnd ab. „Nicht doch es ist mir immer eine Freude einen
Gast zu begrüßen und das gilt ganz besonders, wenn er gerade aus
Galebquell angereist ist.“
Nach der kurzen Begrüßung deutete Erlan auf
den Platz zu seiner Rechten.
„Seid doch so gut und nehmt Platz. Unsere
Köchin wird schnell ungeduldig, wenn nicht alles am Schnürchen läuft.“
Kaum dass die beiden Männer und die übrigen Familienmitglieder und
Gefolgsleute saßen wurde auch schon das Essen aufgetragen. Aus
dampfenden Töpfen wurde heiße Fleischsuppe aufgetragen. Große
Fleischstücke schwappten in der roten Sauce und die Anwesenden machten
sich mit Heißhunger über die Mahlzeit her. Zum Essen gab es, wie im
Kosch üblich, Bier, wenngleich Erlan es nicht versäumte seinem Gast auch
Wein anzubieten, doch dieser blieb dann doch beim Angbarer Zwergenbock.
Nachdem Erlan seinen ersten Teller bezwungen hatte, lehnte er sich zufrieden zurück und lächelte seinen Gast an.
„Es ist doch erstaunlich,
dass einen der endlose Papierkrieg derart hungrig macht und derart viel
Zeit frisst. Die Verwaltungsaufgaben sind ohne Frage wichtig, aber
durchzugehen welcher Hof diesen Monat wie viele Eier geliefert hat und
wo noch Pacht, oder Steuern ausstehen ist doch meist eine langweilige
Aufgabe.“
“Mit Verlaub Hochgeboren“, entgegnete Grimwulf „doch ich muss euch
energisch widersprechen. Sicherlich mag es reizvoller sein, auszuziehen
mit dem Schwert in der Hand und gegen das Unrecht in der Welt zu
fechten, auch winkt hier mehr Ruhm als im heimischen Gutshof hinter dem
Schreibtisch, dennoch scheint mir auch gerade letzteres äußerst spannend
zu sein. Bedenkt doch einmal, wie häufig so mancher Vasall seinen Grips
darauf verwendet, seinen Lehnsherrn um Abgaben zu betrügen. Ich finde es
geradezu spaßig und ungeheuer befriedigend eben diesem Gefolge seine
Winkelzüge nachzuweisen und ihm zu beweisen, dass sein Herr eben noch
mehr Grips besitzt. Das schürt den Respekt.“
Grimwulf nahm einen großen
Schluck aus seinem Humpen, um die Kehle zu befeuchten – jetzt kam er in
Fahrt. „Sicher – die Ergebnisse jeden Mondes vereinzelt für sich zu
betrachten, klingt nicht wirklich spannend. Vergleicht man aber die
Eintragungen des PRAIos beispielsweise mit denen des PHEx oder BORon, so
lassen sich ungeheuer viele Unterschiede feststellen. Über die Ursachen
dieser Unterschiede nachzudenken und sie – sofern es gewünscht ist – zu
beheben, kann eine abendfüllende Aufgabe sein, das garantiere ich euch.
Ohne hier arrogant auftreten zu wollen, Hochgeboren, aber ich glaube,
wenn der Adel ein größeres Gespür für die Reize der Verwaltung besäße,
könnten die Ländereien um ein Vielfaches bessere Ergebnisse erzielen,
sowohl in Ernteerträgen als auch in klingender Münze und…äh…“
Grimwulf
errötete – was nahm er sich hier heraus – er ein einfacher Ritter,
Vetter eines kleinen Junkers?! Und das hier am Hofe eines Barons!
„Entschuldigt“, murmelte er „es war keineswegs meine Absicht, eine
gelehrte Rede zu halten. Mein Temperament ist wohl mit mir
durchgegangen, verzeiht, Hochgeboren.“
Erlan blickte den Borkinger etwas verdutzt an. Nur wenige wagten so mit
ihm zu sprechen und die meisten waren gerade bei der ersten Begegnung
zurückhaltender. Letztlich störte ihn Grimwulfs Ausbruch nicht im
Geringsten. Erlan achtete zwar auf gewisse Dinge, aber Grimwulf hatte
aus seiner Sicht keinesfalls eine Grenze überschritten.
„Da gibt es
nichts zu verzeihen. Ihr habt durchaus recht und auch ich lasse meine
Vasallen ungern mit irgendwelchen Tricksereien durchkommen, doch
zugleich ist es so, dass mich oft andere Pflichten binden. Da gibt es
diese unsägliche Fehde in Dohlenfelde, die meine Anwesenheit erforderte,
aber da gibt es auch andere Adelstreffen und Anlässe zu denen man
zugegen sein muss, wenn man im Kosch eine Rolle spielen will. Kurz
gesagt befinde ich mich viele Wochen im Jahr auf Reisen und habe darüber
hinaus eine recht zahlreiche Familie. Es ist ja nun nicht so, dass ich
mein Gold bei irgendwelchen liederlichen Anlässen verschleudern würde,
aber meine Zeit ist leider doch begrenzt.
Aber sagt es scheint, als würdet ihr euch in Verwaltungsdingen
auskennen. Habt ihr in dem Metier Bereich Erfahrung gesammelt?“
Interessiert blickte Erlan Grimwulf an. Sollte er hier einen fähigen
Verwalter vor sich haben? Roklan hatte sicherlich von seiner Zeitnot
gehört und Grimwulf einen entsprechenden Hinweis gegeben. Sollte
Grimwulf eine Empfehlung des Galebqueller Barons haben wäre das die
beste Referenz, die er sich wünschen konnte.
Grimwulf nestelte nervös an den Spitzen der weißen Tischdecke herum und
senkte den Blick.
„Nun, nichts Schriftliches, Hochgeboren. Ich kann Euch
allerdings in aller Bescheidenheit versichern, dass mein Dienstherr nach
eigener Auskunft bislang sehr zufrieden mit mir gewesen ist. Nachdem ich
einen Teil der Verwaltung Hornisbergs übernommen habe, ist der Ertrag an den örtlichen Erzeugnissen um einiges angewachsen; es scheint fast so,
als ginge den Bauern und Arbeitern ihr Handwerk leichter von der Hand.
So habe ich das Gefühl zumindest zu etwas zunutze zu sein. Ich könnte
mir nichts Schlimmeres vorstellen, als in Borking am Hofe meines Vetters
Damian dem Müßiggang zu frönen. Allerdings scheint es so, dass seine
Wohlgeboren Bodar nunmehr die Amtsgeschäfte doch in zunehmenden Maße
wieder selbst in die Hand nehmen möchte. Meine Zukunft ist also eher
ungewiss, aber na ja, was scheren euch die Sorgen eines einfachen
Ritters, verzeiht Hochgeboren, dass ich abschweife…“
Erneut setzte
Grimwulf seinen Humpen an und leerte ihn bis auf den Grund, so als wolle
er seine vorschnellen Worte im Dunklen Angbarer (wir sind hier ja nicht
in Ferdok ;-) ) ertränken.
Erlan hatte den Ausführungen Grimwulf gespannt gelauscht. Die Junker von
Hornisberg galten als reich und irgendwoher musste dieser Reichtum ja
wohl kommen. Kurz entschlossen sprach er aus was er dachte.
„Eine
Empfehlung aus Galebquell ist schon einmal viel wert. Ihr werdet bemerkt
haben, dass ich einen Verwalter gut gebrauchen könnte. So ihr denn
Interesse habt können wir es einmal versuchen. Sollte ich mit eurer
Leistung nach dem ersten Götterlauf zufrieden sein werde ich euch auch
fürderhin in Lohn und Brot halten. Euer Amtssitz wird aber nicht hier in
Sindelsaum sein, sondern in meiner Burg in Barabein. Dort sitzen auch
die Schreiberlinge und von hier aus ist es nur ein Ritt von einer guten
Stunde Entfernung.“
Erlan stand auf und streckte dem Borkinger die Hand hin.
„Was sagt ihr?“
Ein Lächeln huschte über Grimwulfs Gesicht, als er sich ebenfalls
langsam von seinem Sitz erhob.
„Hochgeboren, so weit ich weiß, sagt man
euch für gewöhnlich nicht nach überstürzte Entscheidungen zu treffen.
Wohlan, so ihr wirklich einen Platz für einen gealterten Sturkopf in
euren Diensten habt und ein aufrichtiges Wort und eine ehrliche Meinung
zu schätzen wisst, so will ich mich euch ganz unterstellen und mich
bemühen, meine Kräfte nach bestem Wissen und Gewissen für euch
einzusetzen“, sprach’s und gab dem Baron die Hand, noch ehe dieser zu
einer Entgegnung ansetzen konnte.