Dohlenfelder Thronfolgestreit - Sieg
Teil der Briefspielgeschichte "Dohlenfelder Thronfolgestreit"
Der Tag danach | Ende des dritten Teils |
Die Verhandlungen zwischen den Belagerern stellten sich als überraschend einfach dar – die Belagerer wollten nach dem blutigen Angriff am Abend des 12. Hesinde die Sache zu Ende bringen. Keiner drängte dazu mehr als der Baron zu Sindelsaum. Und die Belagerten ahnten zumindest, dass sie ohnehin irgendwann im Winter kapitulieren müssten, war mit Entsatz doch frühestens im Frühling zu rechnen. Offenbar galt das Motto: Wozu dann noch warten?<br.>Das Hauptproblem und der wichtigste Streitpunkt war der Umgang mit Baronet Roderich von Quakenbrück. Dieser hatte für seinen Schwiegersohn Angrond die Verteidigung der Burg Dohlenhorst übernommen, nachdem der Baron und seine Gattin mit ihren Kindern die Flucht ergriffen hatten.<br.>Der Baron zu Eisenstein forderte Roderich – nachdem er eigentlich dessen Tochter Isida bevorzugt hätte – als Geisel und drohte gar, aus dem Bündnis mit Hagen auszuscheren. Frylinde führte ein langes Gespräch unter vier Augen mit Baron Rajodan, schließlich lenkte dieser ein: Welche Zugeständnisse Frylinde ihm auch immer gemacht hat, er bestand nicht auf Roderich als Geisel und blieb im Bündnis mit Hagen.<br.>Frylinde stellte nun jedoch klar, dass sie keinen freien Abzug des Anführers der Verteidiger akzeptieren würde – dies war nun einmal laut seiner eigenen Aussage Roderich. Dem Baronet zu Eisenhuett wurde aber freigestellt sich zu entscheiden, bei wem er seine ritterliche Geiselhaft anzutreten gedenke. Roderich akzeptierte unter der Bedingung, dass allen anderen Belagerten, zumindest den Adligen, freier Abzug zu gewähren sei – aber auch keinem Gemeinen ein Unbill geschehen solle, weil er Angronds, Itubergas oder seinen Befehlen folgend gegen Hagen und die übrigen Angreifer gefochten hätte.<br.>Hagen akzeptierte diese Forderung, die ihm sehr ritterlich erschien, sofort – später verpflichtete sich Ihre Hochwürden Leuengunde, nach einer Bitte der Burghauptfrau Ituberga von Liepenstein, die trotz allem um ihre Gardisten besorgt war, für die Umsetzung zu garantieren.<br.>Daraufhin war es an dem Baronet zu Eisenhuett, seine Wahl zu treffen. Es war klar, dass er sich niemals freiwillig in die Hände des Eisensteiners oder Tandoschers begeben würde. Hagen wollte er den Triumph nicht gönnen, ihn zur Geisel zu haben.<br.>So wählte er die ihm im Praiosglauben verbundene Baronin zu Wolfsstein, um ihre Geisel zu sein. Wobei Roderich darauf bestand, einen schriftlichen Vertrag darüber aufzusetzen, und aus diesem ging hervor, dass er Praiodaras persönliche Geisel sei, und keinesfalls Geisel ihrer Familie Föhrenstieg.<br.>Cordovan von Sturmfels, dem aus der Familie ausgestoßenen Onkel Hagens, wurde explizit zugesichert, nach Twergenhausen, dessen Bürger er war, reiten zu dürfen. Kaum war er jedoch in der Stadt, wurde er auch schon von der Stadtgarde widerstandslos in seinem Haus verhaftet und auf die Wache gebracht – der Magistrat hatte ihn in Abwesenheit des schweren Geheimnisverrats und des Handels gegen die Interessen Twergenhausens angeklagt. Cordovan musste dies gewusst haben, er war jedoch bereit, sich seiner Verantwortung zu stellen.<br.>Die Burghauptfrau Ituberga wiederum ritt mit allen Dohlenfelder Gardisten, die den Kampf um Dohlenhorst überlebt hatten, aus der Burg. Hagen von Salmingen-Sturmfels bot allen Gardisten an, in seine Dienste zu treten – doch nur einer der Waffenknechte, der aus Erzweiler stammte, nahm das Angebot an.<br.>Danach ritt Ituberga mit ihren Leuten weiter nach Nilsitz – mit dem erklärten Ziel, sich dort dem „wahren Baron“ Angrond anzuschließen. Die Alternative – der Ritt über die Via Ferra nach Liepenstein, in Itubergas Heimat – verbot sich nach den starken Schneefällen, die Pässe waren bis zum Frühling unpassierbar.<br.>So war ganz Dohlenfelde in der Hand Baron Hagens, der mit seinen adligen Verbündeten auf Burg Dohlenhorst einzog, wo die Salminger Rondrahochgeweihte Leuengunde vom Berg in der Burgkapelle einen feierlichen Rondradienst zelebrierte. Das wunderbare bunte Fenster mit der Löwin, das dereinst Baron Bernhelm ein Vermögen gekostet hatte, war von mindestens drei Armbrustbolzen durchschlagen worden – nicht einmal vor dem geweihten Ort hatte der Kampf der Brüder halt gemacht.<br.>Nach dem Rondradienst bot Burgvogt Muragosch, seit über einem Jahrhundert der Verwalter der Baronie Dohlenfelde, Baron Hagen auf Rogolan seine Dienste an. Dieser akzeptierte – und Muragosch konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass Hagens Rogolan noch fürchterlicher klang als der Dialekt der verräterischen Tjorlmarsch. Frylinde wollte gerade etwas erwidern, aber da bemerkte sie, dass vermutlich niemand außer ihr und dem Baron zu Sindelsaum die Anspielung verstanden hatte – entweder mangels ausreichender Kenntnisse des Rogolan, oder aber aufgrund mangelnder Geschichtskenntnisse, schließlich war der Fall Tjolmars nun auch schon 22 Jahre her. Hagen war damals drei Jahre alt!<br.>Die Burgübergabe ging reibungslos vonstatten, Hagen musste jedoch feststellen, dass Angrond nicht nur den Siegelring der Baronie, sondern sogar die Baronskrone mit sich genommen hatte, zudem zahlreiche wichtige Urkunden. Frylinde merkte seufzend an, dass Angrond nicht nur fast alle seine persönlichen Aufzeichnungen mitgenommen hatte, sondern auch diejenigen ihres verstorbenen Gatten Bernhelm.<br.>Hagens Knappe Lucan Firunius von Wolfsstein wurde zwei Tage nach der Kapitulation Dohlenhorsts eher zufällig gefunden: Als der junge Baron im Therbûnitenspital außerhalb Twergenhausens Versehrte besuchen wollte, wurde er aus einem der Krankenbetten von einem fast vollständig in Leinentücher gehüllten Jugendlichen angesprochen. Es war Lucan.<br.>Er gestand mit schluchzender, kaum verständlicher, ganz leiser, eigenartig verzerrter Stimme sein Davonstehlen aus dem Lager, erzählte von allen Geschehnissen vor der Burg. Jedes Wort fiel Lucan ungeheuerlich schwer. Nichts Heroisches war zu hören, er schämte sich bitterst für seine Taten. Lucan sprach, dass er die Götter gebeten hätte, seinem erbärmlichen Leben ein Ende zu bereiten. Aber sie hätten ihn nicht erhört. Er fragte, wie es Kunisbrand ergangen war. Als Hagen ihm berichtete, dass Kunisbrand tot sei, brach Lucan in Tränen aus und war für Stunden nicht mehr ansprechbar.<br.>Lucans Mutter Praiodara, überglücklich über die Nachricht, dass ihr Sohn am Leben war, eilte zu ihm. Doch ihr war bei seinem Anblick in seinen Verbänden mit seinen verkrümmten Gliedmaßen sogleich klar, dass Lucan vielleicht irgendwann noch einmal mit einer Krücke gehen könnte, aber niemals mehr würde er alleine reiten oder gar Kämpfen können. Ein Ritter würde niemals aus ihm werden.<br.>Sein Gesicht wollte sie unbedingt sehen. Lucan wollte erst nicht, dann wickelte sie selbst, ganz vorsichtig die Leinen ab. Lucan war zu schwach, Widerstand zu leisten. Selbst wenn er gewollt hätte. Praiodara wollte ihrem geliebten Sohn unbedingt ins Gesicht schauen. Er war fürchterlich entstellt, sein Antlitz war kaum mehr menschlich zu nennen. Sie erschrak beim Anblick ihres eigenen Sohnes, zuckte unbewusst zurück – und verachtete sogleich ihre Willensschwäche, die sich darin offenbart hatte.<br.>Die Baronin zu Wolfsstein wusste nun: Nein, nicht nur kein Ritter würde Lucan werden können. Nein, ein normales Leben würde ihrem Sohn in jeder Hinsicht verwehrt bleiben. Die Lakaien würden bei seinem Anblick in Furcht erstarren, seine Standesgenossen ihn verachten oder sich über ihn lustig machen, im besten Falle geheucheltes Mitleid für ihn empfinden. Lucan würde wohl schon dankbar sein müssen, ohne Hilfe essen zu können und seine Notdurft zu verrichten. Sie dankte den Göttern für die Gnade, ihrem Sohn sein derisches Leben gelassen zu haben – und fragte sich zugleich, für welche Sünden der gestrenge Herr Praios Lucan bloß so schwer gestraft hatte!<br.>In den nächsten Tagen unternahm Hagen Reisen in seiner Baronie, wobei sich diese Inspektion aber auf das Darlintal und den Markt Erzweiler beschränkte: Bis er hinauf nach Moxarosch oder gar Grambosch reiten konnte, musste der Frühling kommen. Die einfache Bevölkerung und auch die Geweihtenschaft stellte die neue Herrschaft nicht in Frage, jubelnd empfangen wurde er jedoch nur im Junkergut Erzweiler, besonders auch im Rittergut Maringen, hatte sich Ritter Rondrian von und zu Maringen doch als sein zuverlässigster Verbündeter in Dohlenfelde erwiesen.<br.>Die Ritterin zu Freyen hatte sich ihm unterworfen, auch der Ritter zu Darlinstein hatte sich besonnen und dem neuen Baron den Eid geleistet. Die Ritterin zu Perainshof war auf der Flucht.<br.>Ritter Ardor zu Schwarzfels wiederum hatte Hagen den Treueeid geleistet, jedoch war dessen Burg – die alte Baronsburg Schwarzfels im Darlin – der Herzogenstadt Twergenhausen versprochen worden. Hagen war sichtlich in seinen diplomatischen Fähigkeiten überfordert, hier zu vermitteln. Zumal ihn ohnehin von Anfang an das durch den Baron zu Tandosch in die Wege geleitete Bündnis mit Twergenhausen ärgerte und in seinem Standesbewusstsein kränkte. Um so bitterer war es für ihn sich einzugestehen, dass die Stadt eine Schlüsselrolle bei der Eroberung Dohlenfeldes gespielt hatte.<br.>Die Verbündeten Hagens, die aus dem Kosch und auch den Nordmarken kamen, reisten einer nach dem anderen ab, um vor dem schwersten Wintereinbruch noch in ihre Heimat zu gelangen. Jedem einzelnen dankte Hagen herzlichst für die geleistete Unterstützung – wusste er doch nur zu gut, dass er alleine niemals in der Lage gewesen wäre, sich seine Baronie zu erobern.<br.>Seine größte Sorge war Angrond. Seinem Halbbruder war mit Hilfe Cordovans und Roderichs die Flucht aus Dohlenfelde gelungen. Er war nun im Exil in der Baronie der Familie seiner Gattin, in Eisenhuett. Was mochte er dort planen?<br.>In einem war sich Hagen mit seinen Verbündeten sicher: Angrond würde es nicht auf sich sitzen lassen, dass Hagen ihm diese demütigende Niederlage in Dohlenfelde zugefügt hatte. Womöglich würde Hagen schon in einigen Monaten wieder auf die Hilfe seiner Verbündeten angewiesen sein – eine Aussicht, die ihm nicht gefiel, denn er stand nicht gerne in der Schuld anderer Leute.<br.>Aber Hagen von Salmingen-Sturmfels, Erbe der stolzen Traditionen zweier uralter Adelshäuser, war erst einmal am Ziel. Er war mit Dunkelforst, Baruns Pappel und Dohlenfelde nun der Herr gleich dreier Baronien – als einziger seines Standes im ganzen Raulschen Reich!<br.>Doch er hörte schon die Einwände seiner Mutter Frylinde: Herr Dohlenfeldes wäre Hagen erst, wenn Graf Ghambir ihn als Baron der Lande beiderseits des Darlin anerkannte. Und darauf bestand keinerlei Aussicht, solange Angrond nicht auf seine Ansprüche verzichten würde. Und letzerem hatte die Eroberung der Baronie Dohlenfelde Hagen kaum näher gebracht.<br.>Sogar im Gegenteil: Angrond würde nun erbitterter auf sein vermeintliches Recht pochen als je zuvor.<br.>So gut kannte er seinen älteren Bruder.