Die erste Nacht Teil 5
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:Fürstenhort, 1030
Viridian musterte neugierig die anwesenden Pagen und Knappen – vor allem die Knappen, denn mit ihnen würde er vermutlich in nächster Zeit sehr viel zu tun haben. Wie unterschiedlich sie doch alle auf den ersten Blick wirkten. Er lächelte Praiostan zu, der irgendwie ein ganzes Stück verlorener hier wirkte als die meisten anderen. Das Gespräch mit Geron war abrupt beendet worden, als sich der Raum zu füllen begann und um dieses komische, innere Gefühl zu verdrängen, war es wohl am besten, sich wie Calderine in ein Gespräch zu verwickeln. Zu den drei Mädchen wollte er sich nicht gesellen, also blickte er wieder zu Praiostan.
„Hallo! Ich bin Viridian! Du.. bist auch aus den Nordmarken, nicht?“
Schüchtern nickte der braune Wuschelkopf, doch sein zaghaftes Lächeln zeigte, dass er sich über die Zuwendung Viridians freute.
„Ich … ich komme nicht weit von hier her … wie meine Schwester. Fast genau hinter den Bergen, da wohnt meine Familie.“
Ein Fünkchen Sehnsucht, Heimweh flackerte in den Augen des fürstlichen Knappen auf.
„Meine Schwester ist auch hier, weißt du. Ich bin Praiostan von Leihenhof.“
Eine Spur zu ruckartig schnellte die für einen Zwölfjährigen recht große Hand hervor, bereit ein entsprechendes Gegenstück zu drücken.
„Wo kommst du denn her?“
Viridian musste grinsen, als er die Hand des anderen ergriff.
„Ist ein Stückchen weiter noch, aber gar nicht mal so weit entfernt von dir. In Kaldenberg ist mein zu Hause, auf Gut Lichtenhof.“
Auch in Viridians Augen trat ein Funken Heimweh und an seinem abwesenden Blick konnte man erahnen, dass vor seinem inneren Auge seine Heimat vorbei zog. Er räusperte sich.
„Sag, wer ist denn deine Schwester?“
Neugierig sah er sich um und versuchte, ein Abbild Praiostans zu finden. Die Gesichter waren Viridian mittlerweile bekannt, bei manchen fiel ihm sogar ein Name ein. Das blasse schweigsame Mädchen war Kunigelda, erinnerte sich der Bursche aus Kaldenberg – doch sie hieß nicht nur anders, sondern war Praiostan auch nicht ähnlich. Die fröhliche Elida war auch bestimmt nicht Praiostans Schwester. Nein, keines der hier anwesenden Mädchen wirkte irgendwie, als sei sie mit dem hageren Nordmärker an Viridians Seite verwandt. Er drehte sich um, als er ein Geräusch hörte. Praiostan räusperte sich, lächelte scheu.
„Meine … Schwester ist nicht hier“, antwortete er leise und senkte den Blick. „Sie ist keine Knappin des Fürsten, so wie wir.“
Unverkennbar schwang unter der Sehnsucht nach seiner Heimat und seiner Familie doch ein stolzer Beiklang mit. Knappe eines Fürsten, ja das waren sie!
„Ach so!“, entfuhr es dem anderen, ohne dass er dabei jedoch wissender aussah als zuvor. „Wo ist sie denn dann?“
Während er auf die Antwort Praiostans wartete, ließ er erneut den Blick über die anwesenden Knappen schweifen und fühlte den selben Stolz ins ich aufkeimen. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht und einen kurzen Moment genoss er die Vorstellung, wie es sein würde, ein Ritter des Fürsten zu sein. Aber der Weg dahin war noch so lang. Der Junge Viridian gegenüber schien einen Moment zu strahlen. Er lächelte gar.
„Sie soll der Prinzessin dienen“, erklärte er. „Da freue ich mich, denn so bin ich nicht so allein hier.“
Er wuschelte sich einmal kurz durch sein Haar. Schien es nur so oder hatte die Blässe des jungen Galebquellers ein wenig nachgelassen.
„Sag mal, Viridian, wie ist es denn so in Kaldenberg? Kaldenberg liegt doch auch an der Galebra, aber doch in Albenhus, nicht wahr?“
„Ja! Ja, das stimmt!“, nickte dieser eifrig. „Und es ist schön, sehr schön, wir..“
Er sah grüne Wiesen vor sich, seine Familie, seine kleine Schwester, die lachend vor ihm davon lief und quietschend vor Freude einem aufgescheuchten Fuchs folgte, ihr goldblondes Jahr im Licht schimmernd. Und das goldblonde Haar verdreckt und von Blut verkrustet, das süße Gesicht bleich, mager, dreckig. Tot.
Er wandte sich schnell ab, als ihm die Tränen in die Augen stiegen und das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen. Seine Schultern hoben und senkten sich hektisch, als er versuchte, sich unter Kontrolle zu bringen. Er hätte schreien können. Vor Trauer, vor Zorn.
Praiostan musste es bemerkt haben, aber er hoffte, dass die anderen zu sehr ins Gespräch vertieft waren. Er konnte nicht darüber reden. Und niemand sollte seine Tränen sehen.
Siehe: Die Knappen des Fürsten