Bewährungsprobe am Trolleck - Der Zug zum Trolleck 02
Der Rittersteig im Ingerimm 1033 nach Bosparans Fall
"Angriff auf einen Edlen mit einer tödlichen Waffe. Ich würde sagen, ihm droht der Strick. Beantwortest du uns aber unsere Fragen praiosgefällig, lege ich beim Grafen im Namen Tsa's ein gutes Wort für dich ein, dann kommst du vielleicht mit ein paar Jahren Steinbruch davon. Nun kommen wir zu den Fragen: wie heißt du und wer führt euren Haufen an?", dabei packte ihn Reto etwas fester am verletzen Arm so dass der Festgesetzte schmerzerfüllt aufstöhnte. Reto hatte bis jetzt den Bolzen, der an seinem Kettenhemd hing, noch gar nicht entfernt. Nun sah ihn auch Roban, und auch, dass Retos grün-weißer Überwurf einen hellergroßen, blutroten Fleck zeigte, der sich langsam vergrößerte.
"Äh, Reto, du hast da was!"
Roban zeigte auf den Bolzen. "Falls du nichts dagegen hast...", er wandte sich kurz um.
"HEILER! WENN DU MIT DER HOHEN DAME FERTIG BIST, SCHIEB DEINEN HINTERN HIER RÜBER! DU HAST KUNDSCHAFT!" brüllte er so laut, dass man es wohl noch in Fürstenhort hören konnte. Reto schmunzelte leise, ohne dabei den Griff um den Arm des Gefangenen zu lockern, der aber immer noch verstockt schwieg. Dann zog etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich, und er rief Roban zurück.
"Die anderen! Sie kommen schon zurück!" Er deutete den Pfad entlang, wo man schemenhaft die vorausgerittene Gruppe erkennen konnte.
Roban kniff die Augen zusammen, dann rannte er wie von der Ranze gebissen zu seinem Pferd.
"Die kommen nicht zurück – die flüchten! Und Answein ist nicht mehr dabei!"
Ehe Reto noch etwas sagen konnte, donnerte Roban schon an ihm vorbei, trieb seine Girte an wie ein Wahnsinniger. Tatsächlich konnte der Tarnelfurter das weiße Ornat des Geweihten nicht mehr unter den Reitern ausmachen.
"Peraine steh uns bei!" murmelte er leise. Hoffentlich hatten sie nicht den ersten schweren Verlust zu beklagen.
Doch dann schlich sich ein Gedanke in Retos Kopf der ihm gar nicht gefiel.
"Gehörten die drei fürstlichen Reiter, welche ihr verfolgt habt, zu eurer Bande?" herrschte Reto seinen Gefangenen an? Er bekam keine Antwort, doch er sah keine Häme oder Schadenfreude im Gesicht des Mannes. Aber er musste wissen, was mit den drei fürstlichen Reitern war.
Er pfiff kurz und Jolande trottete heran, er riss einen Lederriemen vom Sattel und band dem Gefangen so fest die Hände auf den Rücken, das diesem die Tränen in die Augen schossen und er aufstöhnte. Dann stieß er ihn zu Boden und schwang sich auf sein Pferd.
"Versuch ja nicht auszubüxen, sonst werde ich richtig ungemütlich!" rief er dem am Boden Liegenden zu. Dann ritt er auf die kleine Anhöhe, hinter der die fürstlichen Reiter und der Rest der Vorhut sein mussten; bereit, erneut gegen ein paar falsche fürstliche Reiter in den Kampf zu reiten.
Die drei fürstlichen Reiter hatten ihre Position kaum gewechselt. Reto musste anerkennend feststellen, dass es sich bei den beiden Begleitern des Herolds um sehr disziplinierte Kämpfer handeln musste. Während der ganze Rest der Vorhut über die Kuppe geeilt war, waren sie hier geblieben und bewachten Etilian von Lindholz-Hohenried. Derwart von Garnelhaun, des Fürsten Herold, war sichtlich keine Kämpfernatur, aber immerhin hatte er einen ruhigen Kopf behalten und dafür gesorgt, dass Etilian nicht ganz ohne Schutz war.
Reto hatte sich im Gesichtsausdruck des Gefangenen also nicht getäuscht. Doch was sollte er nun tun? Immer mehr Streiter der Vorhut kamen über den Hügel zurück, so wie es aussah, würde Roban sich allein dem Gegner entgegenwerfen. Rondragefällig, aber nicht eben zielführend, wie so oft, dachte Reto und entschuldigte sich gleich darauf kleinlaut bei der Leuin.
Möge Rondra mit Roban sein, sein Weg war ein anderer, er suchte Klarheit über ihren Gegner und dieser Gefangene dort unten würde ihm jetzt seine Fragen beantworten oder am nächsten Baum hängen.
Roban trieb Girte den Weg entlang, als säße ihm der Namenlose im Genick.
Die flüchtenden Mitstreiter ignorierte er völlig, auch ihren Warnrufen schenkte er keine Beachtung. Der Abstand zur Brücke schmolz zusammen, dennoch kamen ihm die Sekunden wie eine Ewigkeit vor. Unbewusst registrierte er die Situation, die Übermacht des Feindes, sein gezieltes Vorgehen gegen den jetzt auf verlorenem Posten stehenden Answein, der mit mächtigen Rundumschlägen die Spießträger auf Distanz zu halten suchte.
Schon trommelten Girtes Hufe über die Holzbohlen der Brücke, flog das schwere Tiere wie ein Geschoss auf die Kämpfenden zu.
"RECHTS!" brüllte Roban in letzter Sekunde, der Geweihte machte einen Satz zur Seite, Roban riss am Zügel und ließ Girte steigen. Die Stute wieherte ärgerlich und schlug mit den Vorderhufen aus.
Die Spießträger wichen reflexartig zurück, auch wenn keiner von ihnen so nahe war, dass ein Huftritt ihn hätte treffen können. Roban wendete das Tier, kaum dass es wieder auf allen Vieren stand, Answein griff an den Sattelgurt, lief einige Schritte weit neben ihm her und machte dann einen Satz in die Höhe.
"Schießt! Bei allen Dämonen, schießt!" hörte Roban eine energische Frauenstimme hinter sich.
Answeins Körper zuckte zusammen, als hätte er einen Krampf, und etwas flog an seinem Kopf vorbei, hinterließ eine brennende Spur auf der Haut. Roban zerrte den Geweihten quer über Girtes Rücken, während die Bolzen ihn umschwirrten wie wütende Hornissen. Sein Blick blieb an dem Geschoss hängen, dass aus Answeins Rücken ragte, inmitten eines rasch größer werdenden Blutflecks.
Reto hatte den Gefangenen gerade bäuchlings über dessen Pferd geworfen, als Roban über die Anhöhe ritt, als wenn Dämonen hinter ihm wären. Der Rondrageweihte saß hinter ihm und schien verletzt zu sein. Nun hieß es sich sputen, wenn er nicht noch seinen Gefangenen wieder verlieren wollte. Mit je einem Pferd in der Hand lief er Roban hinterher, zurück zu dem fürstlichen Herold und dem Rest ihrer Vorhut. Der Graf würde nicht glücklich über die Vorkommnisse sein.
Der Weg zurück kam Roban vor, wie ein Rennen gegen Golgari selbst.
Schon von weitem brüllte er nach dem Heiler, verdrängte alle Erfahrungen, die er selbst mit Wunden dieser Art gemacht hatte. Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, als er Answein endlich im Gras neben dem Weg ablegen konnte. Ein dünner Blutfaden lief aus seinem Mundwinkel, doch er war wach und wirkte merkwürdig ruhig.
Etilian betrachtete die Wunde nur wenige Augenblicke lang und lauschte nach dem Atemgeräusch des Verwundeten, dann blickte er mit blasser Miene Roban an und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Der Ritter biss sich auf die Lippe. Schuß in die Lunge, die sich jetzt mit Blut füllte.
Selbst wenn man den Bolzen herausschnitt, würde das Answein nicht retten. Ein heilendes Elixier oder gar einen Magus hatten sie nicht, und vermutlich würde der Geweihte weder das eine noch das andere annehmen.
"Wir flicken dich wieder zusammen!" versprach er dennoch und versuchte sich an so etwas wie einem zuversichtlichen Lächeln, die einzige Hilfe, die er seinem Verwandten noch bieten konnte.
"Einen alten Rock flickt man nicht mehr!" Answein grinste leicht überheblich, wie meistens, wenn er mit ihm sprach. "Und ein guter Lügner warst du noch nie!"
Der Geweihte stemmte sich etwas in die Höhe, hob die Rechte und strich einige Linien in das Blut, dass Roban aus seiner Kopfwunde über das Gesicht lief.
"Lasst und bitte allein!" bat er anschließend Etilian, der mit betretener Miene nickte und sich entfernte.
"Hör jetzt gut zu, Roban", flüsterte Answein und hustete blutige Klumpen. "Mythrael harrt meiner bereits, und der Wallkür wartet nicht gern."
Es dauerte noch mehrere Minuten, bis Answeins Körper wieder in das Gras sank.
Die anderen hatten respektvollen Abstand gehalten, so dass niemand wusste, welche letzten Worte Answein an seinen ehemaligen Schüler gerichtet hatte. Nach einigen Sekunden schloß Roban dem Geweihten die Augen und erhob sich. Seine Gestalt wirkte merkwürdig zusammen gesunken, seine Schritte waren unsicher, als er zum Waldrand tappte, sich auf einen Baumstumpf fallen ließ und damit begann, seine Pfeife zu stopfen...