Innenansicht eines frischgebackenen Kastellans
◅ | Von altem Schrot und Korn |
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Ankunft auf Nispe | ▻ |
Der Angbarer See, 1032 BF
Bardo von Bardostein stand am Bug seiner Jacht und betrachtete die leichten Wellen des Angbarer Sees, die von der allmählich untergehenden Sonne in ein goldenes Licht getaucht wurden, während die schnittige Jacht Bardos mit guter Fahrt auf die Kaiserliche Insel Pervalia zuhielt.
Es war ein wunderschöner Anblick. Er hatte in seinem vergleichsweise kurzen Leben schon recht viele Gegenden Aventuriens gesehen - mehr zumindest als viele andere Koscher - doch je mehr er von der Welt sah, umso mehr hatte er seine Heimat schätzen gelernt.
Gerade sandte Praios' Antlitz die letzten Strahlen auf die Türme von Schloss Grauensee und ließ sie zauberhaft funkeln. In diesem Schloss hatte Bardo seine Pagenzeit verbracht und er dachte gern an die Jahre im Dienste des Geschlechtes Falkenhag zurück.
Rauschende Feste im Schloss hatte er miterlebt und als aufmerksamer Beobachter manche Adelsintrige mitverfolgen können. So hatte sich sein Vater, Alrik von Bardostein, der als ruhmreicher Streiter zahlreiche Erfolge für Kaiser Reto und später Hal errungen hatte, die Ausbildung seines Stammhalters sicher nicht vorgestellt. Ein tapferer Ritter sollte aus Bardo werden, und Alrik hatte schnell festgestellt, dass der Dienst im Hause Falkenhag nicht die optimale Vorbereitung war - gleichwohl, ein vorzeitiges Ende des Pagendienstes des jungen Bardo hätte einen offenen Affront gegen das einflussreiche Grafenhaus dargestellt und das konnte man sich als einfacher Reichsedler nicht erlauben.
Für die Knappschaft aber sollte ein anderer Schwertvater gefunden werden. Bardo jedoch wehrte sich mit Händen und Füßen, vor allem aber mit seinem geschickten Mundwerk, gegen die geplante Laufbahn als Knappe. Schon von kleinauf war er begeistert von Booten, Schiffen und der Seefahrt - zumindest insofern, wie man sich auf dem beschaulichen Angbarer See ein Bild davon machen konnte und sein großer Traum war es, einmal Kapitän eines großen Schiffes zu sein und nicht in einer rostigen Metallrüstung vom Pferd zu fallen ...
Nach vielen Tränen, Gezeter, öffentlichen Eklats, tagelangen Suchen nach einem ausgebüchsten Sohn und letztlich dem behutsamen Vermitteln seiner Mutter, die ihm noch nie etwas abschlagen konnte, einigte man sich darauf, dass er die Seekadettenanstalt in Perricum besuchen sollte. Alrik war überzeugt, dass eine Ausbildung im wichtigsten Brückenkopf gegen die Schwarzen Lande in ebensolcher Weise einen Mann aus Bardo machen würde, wie es die Knappschaft getan hätte. Bezüglich einer ritterlichen Ausbildung hingegen setzte er nun seine ganze Hoffnung auf Bardos Schwester Larona, die nun in die Fußstapfen des Vaters treten sollte - die von Plattenstiefel hinterlassen worden waren. So kam es, dass Bardo 1022 BF sechzehnjährig seine Familie verließ und ins ferne Perricum zog.
Pervalia war nun nahe, doch Praios' Antlitz war noch nicht gänzlich versunken, wenn es auch schon hinter den Koschbergen verborgen war, daher beschloss Bardo noch einmal eine Wende zu fahren und die Kaiserlichen Inseln vollends zu umrunden. Er ging ins Heck, griff nach dem Ruder und hatte schnell den Kurs der "Lutisana" - ein Geschenk Kaiser Retos an seinen Vater - angepasst.
Tatsächlich hatte er in Perricum viel über die Schifffahrt gelernt und wichtige nautische Handgriffe gelernt, doch nach dem ersten, theoretischen Ausbildungsjahr begann die Zeit auf dem Schulschiff und die harte Knochenarbeit und die Schrecken der Blutigen See zeigten Bardo schnell, dass dies nichts für ihn war, und so brach er die Ausbildung ab. Sein Vater jedoch sollte davon nichts erfahren, zu groß wäre die Enttäuschung über das Versagen seines Sohnes gewesen, also schrieb Bardo brav weiter Briefe, in denen er die Strapazen und gemeisterten Herausforderungen seiner Ausbildung in den buntesten Farben schilderte.
In Wirklichkeit jedoch hatte er sich einem Kreis junger Perricumer Adliger angeschlossen, die keine Vergnügung ausließen und in der ganzen Stadt berüchtigt waren - insbesondere bei den Tavernenwirten. Das Geld, das ihm die Eltern für die Ausbildung sandten, half Bardo sich dem kostspieligen Lebensstil der Gruppe, zu der auch der junge Rondrigan Paligan gehörte, anzupassen, doch meist ließ er sich von jungen Damen aushalten, die gefallen an dem charmanten Adelsspross gefunden hatten.
Eines Tages jedoch hatte er es in dieser Hinsicht zu bunt getrieben und aufgrund komplizierter Verwicklungen - ein gehörnter Verlobter, ein aufgebrachter Traviageweihter, zwei Schneider und ein aranischer Gewürzhändler waren in die Sache verstrickt: wie gesagt eine komplizierte Sache - war er gezwungen die Stadt zu verlassen und zwar am Besten zu Schiff.
So kam es dazu, dass Bardo tatsächlich zwei Jahre auf einem Perricumer Handelssegler unterwegs war und zu einem rechten Seefahrer heranreifte. Doch dann erreichte ihn bei einem Landgang im Heimathafen eine schicksalshafte Nachricht: sein Vater Alrik war in den Wirren der Schlacht von Angbar gefallen und er solle zurück nach Bardostein kommen und sein Erbe antreten ...
Gerade bevor die Sonne vollends untergegangen war, hatte Bardo am Anleger vor dem alten Turm seiner Familie festgemacht. Hier war er als kleines Kind aufgewachsen und nun sollte das alte Gemäuer wieder seine Wohnstatt werden. Glücklicherweise hatte er bereits in seiner Zeit in Angbar das zugige Gebäude herrichten und erneuern lassen, zu dieser Zeit noch in der Absicht höchstens ab und an mal für einige Nächte hier Quartier nehmen zu können. Denn nach seiner Rückkehr in den Kosch hatte Bardo, der Seefahrer, wie er von vielen Freunden aus Kindertagen nun genannt wurde, nicht vorgehabt jemals wieder in den alten Turm auf der verlassenen Insel einzuziehen.
Stattdessen war er dauerhafter Gast im Angbarer Geritterhaus gewesen. Zunächst hatte er es nur als Zwischenstation nutzen wollen, um die Erbschaftsangelegenheiten zu regeln, doch irgendwie hatte er sich schnell mit dem Quartier angefreundet und sich hier gut eingerichtet. Sein Vater hatte ihm eine erkleckliche Menge Gold hinterlassen - zu diesem Zeitpunkt regte sich nicht zum letzten Mal Bardos schlechtes Gewissen, seinem Vater bis zu dessen Tod nie die Wahrheit über seine 'Ausbildung' in Perricum erzählt zu haben - doch der Adelstitel des Reichsedlen war nicht erblich und er musste sich schleunigst etwas einfallen lassen, um das traditionelle Gut der Familie auch wieder an sich binden zu können.
Glücklicherweise war Rondrigan Paligan zu einem der wichtigsten Berater der Kaiserin aufgestiegen und als Bardo die Erinnerungen an gemeinsam durchgezechte Nächte in Perricum auffrischte - natürlich nur als Gemahnung an die alten Freundschaft und ohne Andeutung kleinere und größere Peinlichkeiten der Vergangenheit wieder hervorzukramen - konnte er sich recht schnell wieder "Reichsedler zu Bardostein" nennen.
Doch auf lange Frist reichte das nicht. Die Erträge des Gutes waren verschwindend, die ererbten Reichtümer bald aufgebraucht und sein Lebensstil nach wie vor kostspielig. Eine Lösung musste her, wie er seine finanzielle Lage und seinen Status verbessern könnte. Just zu dieser Zeit kamen Gerüchte auf, dass der reisende Kaiserhof Rohajas einen gesteigerten Bedarf an Kaiserpfalzen hätte und die eine Koscher Pfalz zu Koschgau nicht mehr ausreichte.
Hier sah Bardo nun seine Chance: er zog geschickt Strippen und knüpfte Verbindungen in der Bürgerschaft Angbars und machte es sich zu Nutze, dass die Ratsherren der altehrwürdigen Reichsstadt die junge Kaiserin gerne häufiger nahe
bei sich sähen und sich als kaisertreu erweisen wollten, einen kostspieligen Neubau jedoch aus Sparsamkeit scheuten. Schließlich gelang es ihm so den Ausbau des alten Lustschlosses auf Pervalia zu einer Kaiserlichen Pfalz durch finanzstarke Geldgeber aus Angbar in die Wege zu leiten - dem Angbarer Phextempel schuldete er nun jedoch einige größere Gefallen.
Ein paar aufmerksame Präsente und ein Höflichkeitsbesuch beim Reichsgroßgeheimrat Rondrigan Paligan sorgten dafür, dass sein Name zur
richtigen Zeit fiel, als nach einem Verwalter für die Pfalz gesucht wurde, der auch in Kaiserlichen Diensten die Bauarbeiten überwachen sollte, und so wurde Bardo von Bardostein im Tsa 1032 BF tatsächlich zum Kastellan der Kaiserlichen Pfalz Pervalia ernannt.
Es waren verschlungene Wege gewesen, die ihn (wieder) hierher geführt hatten und Bardo hatte sie auf dem Weg von seiner Ernennungsaudienz bei der Kaiserin bis zu seiner neuen und alten Heimat wiederholt ausführlich Revue passieren lassen.
Nun stand er vor der Türe des Turms Bardostein und dachte darüber nach, dass die Herausforderungen nun gerade erst begannen: überraschend hatte er erfahren, dass Perval von Nadoret, der Kastellan des Kaiserlichen Gutes Brinstreuen, eifrig Stimmung gegen den Ausbau Pervalias und auch gegen Bardo selbst machte. Außerdem hatte er noch in Angbar eine Nachricht des alten Ermst vom See erhalten, der zu einer Unterredung bat. Es hieße sich also im Machtgeflecht des Koscher Adels zu positionieren, denn er bräuchte Unterstützer und Verbündete um sich gegen die Anfeindungen des Brinstreuers zu verteidigen. Es verhießen spannende Zeiten zu werden, aber wo sollte man besser darüber nachsinnen als am heimischen Feuer?
Und im wohnlich eingerichteten Turm Bardostein prasselte bereits behaglich ein solches im Kamin, wie Bardo gerade zufrieden feststellte. Lächelnd zog der Kastellan die Tür hinter sich zu.
inhaltliche Fortsetzung im Briefspiel Nisper Gewisper