Eine Braut für Albernia - Burg Ingen

Aus KoschWiki
Version vom 24. Dezember 2019, 13:58 Uhr von KunarBot (D | B) (KunarBot - Semantische Links angepasst)
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Ingen, 1035 in der Mark Ferdok,

"Ermst! Na, das nenne ich eine freudige Überraschung!"
Der Majordomus hatte soeben die Ankunft des Junkers vom See verkündet, da stolzierte Gero vom Kargen Land auch schon dem Gast entgegen. Es tat gut, den alten Haudegen wiederzusehen. Seit Gero mit seiner Frau in die Grafschaft Ferdok umgezogen war, traf er die Freunde vom Angbarer See viel zu selten.
Nïam war ebenfalls hocherfreut über Ermsts Besuch auf Burg Ingen. Bei einem gemeinsamen Abendessen – natürlich würde Ermst über Nacht bleiben, das war doch das Mindeste an Gastfreundschaft, wie Gero nicht müde wurde zu betonen – hielt sich der Großvater Graf Wilburs noch zurück, weil er sich nicht sicher sein konnte, ob nicht vielleicht einer der Diener lauschen könnte.
Stattdessen erkundigte er sich über die neuesten Ereignisse der Familie. Wie ging die Moorbrücker Neusiedlung voran? War Geros und Nïams Zweitgeborener Boromil des Lebens im Sumpf bereits überdrüssig? Gab es Nachricht von Halmar, dem herumziehenden Magier? Wie schlug sich Morena bei den Rohalswächtern? Und von der jüngsten, Yasmina, hatte er schon lange nichts mehr gehört. Nun ja, das Leben in der Armee hatte seinen eigenen Rhythmus und sie war in jener Welt zu Hause.
Nur vom Erstgeborenen Holdwin brauchte Ermst keine Neuigkeiten zu wissen. Schließlich hatte er ihn selbst noch vor kurzer Zeit auf Valpos Horn besucht, dem Rittergut der Familie. Dieser Umstand ließ Gero und Nïam aufhorchen und so schlugen sie ihrem Gast nach dem Dessert vor, ins Studierzimmer zu gehen.
"Hier hört keiner mit.", zwinkerte Nïam ihm zu, als sie zu dritt mit einer Flasche Wein an einen Tisch setzten, der erstaunlicherweise völlig frei von Büchern oder Schriftstücken war. Offensichtlich wurde der Raum öfters für geheime Besprechungen benutzt, dachte sich Ermst, zumindest seit Gero Vogt der Mark Ferdok war.
Mit einem wohlwollenden Nicken quittierte er die Vorsicht seiner Gastgeber. Dann kam er direkt zur Sache: Finnian ui Bennain, der noch jugendliche albernische Thronfolger, sollte verheiratet werden, und er, Ermst, kenne keine bessere Braut für ihn als seine Enkelin Niope!
"Natürlich werden auch andere Adelshäuser des Reiches Kandidatinnen ins Rennen schicken," schloss Ermst seinen Vortrag, "und deswegen will ich sicher gehen, dass so viele Koscher wie möglich meinen Vorschlag unterstützen!"
Erwartungsvoll blickte er Gero und Nïam an. Beide warteten einige Sekunden lang und schauten sich dann unangenehm berührt an. Aus ihrer Reaktion las Ermst, dass sie nicht seiner Meinung waren.
Auch sie nicht? Was war denn mit den Koschern los? Er spürte, wie sein Blut vor Zorn in Wallung geriet, und setzte schon zu einer aufbrausenden Antwort auf diese Hasenfüßigkeit an, als Gero vorsichtig das Wort an ihn richtete.
"Nun, das ist ein statthaftes Anliegen; jetzt, da das Haus vom See wieder einen Grafen stellt – und nicht zu vergessen, einen Grafen, der in seiner Herrschaft zwei ehemalige Grafschaften vereint. Es wäre ohne Zweifel ein Gewinn für den Kosch, wenn man starke Bande zu Albernia knüpfen könnte, und es ist auch sehr umsichtig, nicht mit falschem Stolz voranzupreschen, sondern zuerst um Unterstützung für die Heiratskandidatin zu werben."
"Aber?", dröhnte Ermst vom See, der nach all den Ablehnungen und Vertröstungen keine Geduld mehr hatte. Nun wagte Nïam einen Vorstoß.
"Was wird aus Wilbur?"
"Das ist doch offensichtlich: Er wird Schwager des Fürsten von Albernia! Ihr tut gerade so, als ob das etwas Schlechtes wäre! Was ist bloß in Euch gefahren?"
Gero hatte die Stirn in Falten gelegt, als er Ermst antwortete.
"Ich glaube, es wäre segensreicher, Niope zu einem späteren Zeitpunkt zu verheiraten – zum Beispiel an einen Grafen aus den Nachbarprovinzen. Wir mögen die Hinterkoscher für ehrgeizig, die Garetier für intrigant, die Almadaner für verbohrt und die Greifenfurter für orkgeplagt halten, aber am Ende mag sich eine Verbindung mit ihnen als praktischer erweisen, um die Macht des Hauses vom See zu stärken."
"Wie soll das angehen? Eine Fürstenkrone ist doch viel mehr als ein Grafenreif! Ich bin nicht mehr der Jüngste und habe jetzt die Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass es um mein Haus gut bestellt ist. Und Ihr empfehlt mir Zurückhaltung? Wem gilt Eure Treue?"
Gero fühlte sich sichtlich bei seiner Ehre gepackt und musste sich bemühen, bei seiner Erwiderung ruhig zu bleiben.
"Meine Treue gilt in erster Linie Wilbur vom See und erst danach seinem Haus. Ich habe einen Eid geschworen, den Grafen bei meinem Leben zu schützen. Auch wenn ich inzwischen Vogt Graf Growins bin, so bleibt meine Verpflichtung Wilbur gegenüber davon unberührt. Da ich gleichzeitig Wilburs Richtgreve bin, habe ich darüber hinaus guten Grund, meine Augen auf das Geschehen in den Hügellanden zu richten. Mit Sorge blicke ich in die Zukunft. Nach wie vor ist Wilbur unverheiratet."
"Ach, erinnere mich nicht daran!"
Ermst winkte ab. Er war zutiefst getroffen, denn Gero hatte einen wunden Punkt berührt. Bislang waren Ermsts Bemühungen der letzten Jahre, für seinen Enkel endlich eine Braut zu finden, im Sande verlaufen.
Jetzt schaltete sich Nïam wieder ein.
"Das ist jedoch der springende Punkt. Wenn Wilbur stirbt, was die Zwölfe verhüten mögen, bevor er Frau und Kinder hat, erbt Niope den Grafentitel."
"Dass Wilbur vor seiner Zeit zu Boron geht, werden die Zwölfgötter doch hoffentlich wirklich nicht einem Mann wie mir antun, der erst vor wenigen Jahren einen Sohn durch den Alagrimm verloren hat! Doch wenn diese harten Zeiten dennoch kommen und Niope in Albernia Gattin des Fürsten und Mutter dessen Nachfolgers wird, hindert sie das nicht daran, auch noch Gräfin der Hügellande zu werden!"
"Das ist richtig", ließ Nïam nicht locker, "doch sie wird nicht gleichzeitig in Albernia und hier sein können und dass sie eher dort verweilen wird, wo sie Fürstin ist, daran besteht wohl kein Zweifel. Dann aber muss ein Vogt für die gesamte Grafschaft Hügellande her. Das wird höchstwahrscheinlich jemand aus dem Hause Falkenhag sein. Am Angbarer See stellten schließlich die beiden Häuser vom See und Falkenhag manches Mal wechselseitig jeweils Graf oder Vogt. Warum sollte es diesmal anders sein?"
"Wollt Ihr etwa sagen, dass die Falkenhags gegen uns vom See intrigieren werden, um mit der Zeit Grafen statt Vögte zu werden?"
"Ich möchte gar nichts andeuten. Es ist nur ein Gedankengang. Niemand kann vorhersagen, wie sich alles unter diesen Umständen entwickeln würde."
Nïam blickte nun zu ihrem Ehemann, der ihr prompt zustimmte und auf seine Pflicht, auf Graf Wilburs Wohlergehen zu achten, erneut hinwies.
"Nach all dem, was wir eben laut überlegt haben, bildet der Graf der Hügellande daher ein stärkeres Ziel, wenn ihm keiner direkt folgt, der im Kosch verbleibt. Ein Ziel für all jene, die keinen vom See als faktischen Herrscher der Hügellande wollen, weil sie meinen, dass sie von einem Machtwechsel profitieren würden. Wenn Niope wirklich die künftige Fürstin von Albernia wird, gibt es einen Grund mehr, Wilbur zu beseitigen, bevor er legitime Nachkommen hat, wenn man das Haus vom See hier im Kosch schwächen will. Wenn die vergangenen Götterläufe eines gezeigt haben, dann das, dass Wilbur vom See gefährlich lebt."
Diese Ausführungen hatten Ermst sehr nachdenklich gemacht.
"Ja, Ihr habt Recht. Ich hatte es noch nicht in diesem Licht gesehen. Es wird wohl das Beste sein, wenn ich noch eine Nacht über die ganze Sache schlafe. Habt Dank für Euren ehrlichen Rat."
Bevor Ermst jedoch den Raum verlies, fiel ihm noch etwas ein.
"Ach ja, das hatte ich fast vergessen: Welche Kandidatin wird denn Unterstützung von Graf Growin bekommen?"
"Tja, das frage ich mich auch." Gero strich sich durch den Bart. "Der Sohn des Gorbosch hat bei der Bevölkerung den Rufs eines freundlichen Zupackers, nicht den eines Intrigenspinners. Ich weiß nicht, welche Kandidatinnen ihm schon bekannt sind und ob er sich überhaupt für diese Angelegenheit interessiert. Es geht schließlich nicht darum, in den Kampf zu ziehen oder gegen Verräter vorzugehen. Wenn ich so darüber nachdenke, könnte ich aus dem Stegreif gar nicht sagen, in welche Richtung mein Lehnsherr tendieren wird."
"Auch das ist eine wertvolle Information. Hab Dank", verabschiedete sich Ermst, um sich schlafen zu legen.
Als er den Raum verlassen hatte, ermahnte Nïam ihren Mann: "Tatsächlich musst Du aufpassen und Dich gut umhören, um zu erfahren, was Graf Growin will. Du willst Dich doch nicht offen für eine andere Kandidatin aussprechen als Dein Graf und Dich unbeliebt machen?"
"Ja", nickte ein noch nachdenklicherer Gero mit ernster Stimme, "das habe ich mir auch schon gedacht."