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Version vom 24. Dezember 2019, 17:15 Uhr
◅ | Nihil timeatis, sed aliis timendi sitis! |
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Auf dem Damm | ▻ |
Roban bemühte sich, keinen Laut zu verursachen, als er der Fährte durch das düstere Tannicht folgte. Leider konnte er das von den fünf Kämpfern, die sein Vater, Grimwulf Grobhand von Koschtal, ihm mitgegeben hatte, nicht gerade sagen. Wie eine Horde Elefanten schienen sie durch das Unterholz zu stampfen, traten auf kleine Äste, raschelten mit den vom Regen nassen Zweigen der Tannen, Fichten und Föhren, fluchten gelegentlich, wenn ihnen die Nadeln ins Gesicht schlugen, stöhnten und keuchten, das Metall von Waffen und Rüstzeug klapperte, dass man vermutlich noch bis Angbar hörte.
Roban hatte es längst aufgegeben, sie deswegen zu ermahnen, sie zurechtzuweisen, anzubrüllen - die Kämpfer bemühten sich, aber keiner von ihnen schien zu wissen, wie man sich im Gelände lautlos bewegte.
Mit bitterer Miene dachte er an Tobrien zurück, an die Misa-Front, an das, was hinter ihm lag. Keiner von ihnen hätte die ersten vier Wochen überlebt, der Lärm hätte den Feind angelockt, dessen Truppen vielleicht geschwächt, aber keinesfalls besiegt waren. Söldner waren noch das erfreulichste, dem er gegenüber gestanden hatte. An die Ungeheuer, Untoten und gar Dämonen dachte er lieber nicht.
Seine Gedanken wandten sich wieder seiner jetzigen Aufgabe zu: es war erst gestern gewesen, dass ein Haufen Schwarzpelze einen Hirten an dem Weiler
Klein-Hintermberg überfallen und erschlagen, die Herde weggetrieben hatte. Die ängstlichen Bauern hatten sofort Nachricht an seinen Vater geschickt, einen schlotternden, blassen Jungen namens Movert, und Grimwulf hatte sofort beschlossen, seinen im Kriegshandwerk erfahrenen, aber ansonsten reichlich nutzlosen Drittgeborenen mit einer Hand Kämpfer zu entsenden, um die Schwarzpelze zu jagen.
Roban wusste, dass es nicht genügen würde, die Orks nur zu vertreiben. Sie waren wie Unkraut, dass man ausreißen musste, wenn man es loswerden wollte, vertrieb man sie nur aus der Gegend, würden sie schon nächste Woche woanders erneut losschlagen, wenn sich eine günstige Gelegenheit ergab oder sie der Hunger plagte. Eine weitere halbe Stunde arbeiteten sie sich bergauf, immer der Spur der kleinen Ziegenherde folgend, die sich unübersehbar durch den Wald zog. Die Orks schienen sich keine Mühe gemacht zu haben, ihre Fährte zu verwischen, rechneten also nicht mit einem Angriff - oder aber sie wollten, dass man der Spur folgte, um sie in einen Hinterhalt zu locken! Robans Sinne waren gespannt. Die Dämmerung war nicht mehr fern, als er plötzlich stehen blieb und die Hand hob. Die hinter ihm stampfende Lisberta rempelte ihn von hinten an, Metall schepperte. "Tschuljung, Euer Hochgeboren!" murmelte sie hastig. Es war jetzt schon das dritte Mal, dass sie gegen ihn rannte, obwohl sein Zeichen zum Halten eindeutig war (zumindest in Tobrien hätte jeder Kämpfer es sofort verstanden)!
Er würgte die Schimpftirade hinunter, die ihm auf der Zunge lag, und deutete nach vorn, zog hörbar die Luft ein. "Seid Ihr erkältet, Hochgeboren?" fragte
Lisberta sofort und mit sichtlich besorgter Miene. Roban hatte das dringende Bedürfnis, der Frau das Fell zu gerben, bis sie lachte - und dann, weil sie
lachte!
"Riechst du das nicht?" zischte er so wütend, dass Lisberta ein Stück zurück wich. Als sie dann einige Male laut schnüffelte, beruhigte er sich wieder.
"Riecht gut, Hochgeboren!" meinte sie schließlich. Roban nickte finster. "Ja, du Rohal für Arme! Nach gebratenem Hammel!" Lisberta blickte ihn einige Sekunden lang an, dann erhellte sich ihre Miene. "Ach, ihr meint..." Roban verdrehte die Augen und winkte den anderen, ihm zu folgen.
Es dauerte nicht mehr lang, bis sie Feuerschein zwischen den Bäumen ausmachen konnten. Fremdartige Laute drangen an ihre Ohren, Grunzen, Schmatzen und raues Gelächter, das ängstliche Meckern von Ziegen. Bald darauf ließ sich Roban auf den Bauch sinken und glitt durch das dichte Unterholz voran, bis er das Lager der Orks sehen konnte. Er zählte rasch die Schwarzpelze, die um das Feuer saßen, über dem sich die Überreste eines Hammels drehten. Er kam auf acht, möglicherweise mehr, denn das Praiosrund war bereits hinter den Bergen versunken, der flackernde Schein des Feuers konnte Bewegungen vortäuschen, aber genauso gut Wächter verbergen, die außerhalb des Feuerscheins kauerten und die Umgebung im Auge hielten.
Roban kroch weiter, schob sich Spann für Spann dahin, ignorierte Nässe, Kälte und den Schmerz, wenn der Weg durch Brennnesseln, Disteln oder Dornicht führte. Es dauerte lang, bis er das Lager einmal in niedrigster Gangart umrundet hatte, doch zumindest war er sich jetzt sicher, dass keine weiteren Orks in der Nähe waren.
Seine Gefolgschaft war schon ziemlich unruhig, als er endlich zu ihr zurückkehrte, durchnässt, verdreckt, Hände und Antlitz von blutigen Striemen
überzogen. "Endlich, Herr!" seufzte einer der Männer erleichtert, doch sofort schnitt ihm Roban das Wort ab, blickte Lisberta an, hob drei Finger und deutete in einem Halbrund hinter das orkische Lager. Maßloses Unverständnis sprach aus dem Blick der Frau. Roban wiederholte die Gesten, während er mit den Zähnen knirschte. Lisberta blinzelte einige Male, gab aber weder Antwort noch führte sie seinen Befehl aus.
Roban ballte die Fäuste in ohnmächtiger Wut! Er sollte sie ohrfeigen, sie so dermaßen anbrüllen, dass ihr in drei Stunden noch die Ohren klingelten, doch
dann konnte er sein Kommen auch gleich mit der Fanfare ankündigen. Also packte er Lisberta am Kragen und flüsterte "Drei Mann auf die Rückseite des Lagers, Ogerhirn! Du und noch zwei! Wir greifen von zwei Seiten an!"
Lisberta nickte eilfertig, bestimmte zwei ihrer Mitstreiter - was wieder nicht geräuschlos von sich ging - und verschwand in der Dunkelheit. Ruhig, ganz ruhig, mahnte Roban sich in Gedanken. Das almadanische Blut, von dem ein Teil in den Adern der Grobhand von Koschtal floß, kochte vor so viel Unfähigkeit. Strammstehen und gekünstelt reden, dass konnten sie alle, aber kaum, dass sie den Burghof verließen, waren Vaters Mannen kaum mehr die Hälfte wert - eine von vielen Streitfragen seit seiner Rückkehr ins heimische Kosch. Aber was blieb ihm übrig, allein konnte er auch nicht gegen die Orks kämpfen, und diese Kämpfer waren immer noch besser als gar keine.
Er wartete geduldig, bis er sich sicher war, dass Lisberta und ihre Begleiter ihre Position erreicht hatten, dann zog er sein Schwert und gab den zweien, die bei ihm geblieben waren, einen Wink, ihm zu folgen. Erneut ärgerte er sich über ihr trampelhaftes Benehmen, doch die Orks schienen arglos zu sein, redeten noch immer in ihrer Grunzsprache, lachten einmal schallend, daß die noch lebenden Ziegen meckerten, das Schicksal ihres Artgenossen allzu deutlich vor Augen. Roban wartete einen günstigen Moment ab, was nicht besonders lang dauerte.
"Für Rondra! Für Koschtal!" brüllte er lauthals und preschte voran. Die Orks mochten überrascht sein - aber nur für eine Sekunde lang. Schon als er auf die kleine Lichtung sprang, erkannte der Ritter, dass er hier keinen blutigen Anfängern gegenüber stand. Behände waren die Orks aufgesprungen, zwei hielten bereits ihre Waffen - krude Säbel - in den haarigen Fäusten. Robans Klinge beschrieb einen Halbkreis, er täuschte an und schlug dann mit aller Kraft zu. Ein gellender Schrei, der Säbel des Orks flog davon, seine Rechte noch immer am Griff. Der zweite Hieb stieß in die Brust des Schwarzpelzes, dessen Schrei in einem Gurgeln unterging. Und sofort wich Roban wieder zurück. Auch seine fünf Gefolgsleute hatten ihren Angriff gestartet, sogar recht erfolgreich. Die langen Piken, die sie auf dem Marsch so sehr behindert hatten, erwiesen sich jetzt als recht vorteilhaft, zwei weitere Orks waren aufgespießt worden wie der Hammel über dem Feuer.
Die überlebenden Orks wehrten sich verbissen, nutzten es aus, dass sich die Pikeniere nach dem ersten Ansturm gegenseitig mit ihren Stangenwaffen
behinderten, und gingen zum Angriff über, die Koschtaler Kämpfer wichen zurück, versuchten, sich gegenseitig zu decken, um die Pike gegen das am Gürtel
getragene Kurzschwert tauschen zu können.
Roban duckte sich unter dem Axthieb eines Orks hinweg, der ihn wohl als Anführer ausgemacht hatte, und rammte ihm den Kopf in die Magengrube, richtete sich ruckartig auf und traf den Zurücktaumelndem mit der Stirn am Kinn. Der Ork machte einige unbeholfene Schritte rückwärts, stolperte über einen Holzscheit und fiel rücklings in das Lagerfeuer.
Roban hatte keine Zeit zum Nachsetzen, ein weiterer Ork schlug mit dem Säbel nach ihm. Zweimal parierte der Ritter, dann konnte er den Schwertarm des Orks packen und einen Kopfstoß gegen dessen breite Nase anbringen, die mit trockenem Knacken brach. Jaulend wie ein geprügelter Hund wich der Ork zurück, Roban stieß das Schwert vor, trieb es ihm in den Leib, versetzte dem tödlich Getroffenen einen Fußtritt, um die Klinge zu befreien, machte einen kurzen Rundblick, um sich zu orientieren.
Gerade eben gab einer der Pikeniere dem brennenden Ork, der sich am Boden gewälzt hatte, den Gnadenstoß. Es war der letzte Gegner gewesen, alle anderen
lagen bereits in ihrem Blut. Keine eigenen Verluste, abgesehen von einigen leichteren Blessuren. Die Koschtaler grinsten vorsichtig und nickten sich
anerkennend zu, nur Roban beteiligte sich nicht an der allgemeinen Erleichterung.
Trotz des leicht errungenen Sieges war er nicht zufrieden. Die Orks hatten ihr Leben verloren, weil sie unvorsichtig waren. Wäre es nicht gelungen, sie zu überraschen – und wachsame Orks hätte er mit diesem Haufen niemals überraschen können -, hätte die Bilanz des Kampfes wohl anders ausgesehen.
So aber verbanden sie ihre wenigen Schnittverletzungen, nahmen die Stricke, mit denen die Ziegen an den Bäumen fest gebunden waren, nahmen für alle Fälle die Waffen der Orks an sich und machten sich daran, ein Lager für die Nacht zu suchen.
Neben den Kadavern der Orks wollte niemand nächtigen, und Roban kämpfte lange Zeit mit dem Drang, sie auch noch zu verbrennen, damit sie sich nicht nächtens zu einem untoten Dasein erheben konnten. Aber der Kosch war nicht Tobrien, diese Leichen würden liegen bleiben, ein Schmaus für allerlei Wildgetier.
Nachdem sie das Lager aufgeschlagen und ein Feuer entzündet hatten, sprach Roban ein kurzes Dankgebet an Rondra. Einer der Pikeniere zog eine Tonflasche hervor, randvoll mit Kornbrannt, und ließ sie kreisen.
Als sie sich Klein-Hintermberg näherten, kam ihnen ein Reiter entgegen. Roban erkannte Ingalf, einen der Pagen des heimischen Gutes. Die Flanken des Tieres glänzten feucht, als sei es den ganzen Weg scharf angetrieben worden.
Ingalf sprang unbeholfen aus dem Sattel, als er die kleine Gruppe erreicht hatte, die mit den „befreiten" Ziegen im Schlepp in Richtung des Dorfes zog.
„Ihr...Ihr sollt sofort nach... Haus kommen, Euer...Hochgeboren!" keuchte Ingalf, als er sich vor Roban verneigte. Offenbar hatte der Ritt nicht nur das
Pferd ins Schwitzen gebracht.
„Wieso? Wartet da schon wieder so ein heiratswütiges Adelstöchterchen auf mich?" schnappte Roban ungehalten. Wäre ja nicht das erste Mal, dass er, der ja
keinerlei Erbe zu erwarten hatte, mit einer „hoffnungsvollen Jungfer" vermählt werden sollte. Leider – oder götterlob – hatten seine höfischen Manieren die Zeit in Tobrien nicht besonders gut überstanden, und der Ritter hegte nicht die Absicht, sich das „sinnlose Gehabe" wieder anzugewöhnen, und genau das hatte bislang jede Kandidatin binnen kürzester Zeit verprellt.
„Nein, Euer Hochgeboren!" versicherte Ingalf rasch. „Ihr sollt ein Lehen übernehmen!"
„Ein Lehen!" wiederholte Roban und lächelte schief. „Ein Lehen! Hast du dich volllaufen lassen, Bursche, oder wie kommst du auf einen derartigen Bullenmist?"
„Bitte, Euer Hochgeboren!" Ingalf wagte nicht, ihm in die Augen zu blicken, als er einen Brief aus dem Wams zog.
Roban zog die Stirn kraus – das Wappen des Grafen von Ferdok prangte im zerbrochenen Siegel, noch immer gut erkennbar. Er zog das Pergament heraus,
überflog die Zeilen.
Das Haus Grobhand von Koschtal wurde aufgefordert, einen Vertreter in den Ort Moorbrück zu entsenden, auf Geheiß des Fürsten sollten neue Siedlungen am Rand des verfluchten Sumpfes entstehen, um diesen Schandfleck auf Sumus Leib endgültig zu beseitigen.
Für einen Moment fragte sich Roban, warum er und nicht sein älterer Bruder Rondrolf mit dieser Aufgabe betraut wurde, aber wirklich nur einen Moment lang. Rondrolf war ein wahrer Höfling, der mit der Zunge besser umgehen konnte als mit dem Schwert. Sicher, er war ein passabler Kämpfer, zog aber die Beschaulichkeit des Gutes den Widrigkeiten des Kämpferlebens vor – und vermutlich wäre ihm der Sumpf ohnehin viel zu schmutzig gewesen!
Robans Mundwinkel verzogen sich zu einem bitteren Lächeln – fürwahr, der Alte war nicht dumm! Er wurde Roban los, dessen loses Mundwerk und pöbelhaftes
Benehmen ihm schon lange genug ein Dorn im Auge waren, und er schickte zugleich jenen Sprössling, der die meiste Erfahrung in Sachen Kämpfen, Schmutz und Morast hatte.
„Wenn das so ist...", brummte Roban und wusste nicht, ob er sich freuen oder ärgern sollte.
„Dann lass uns mal heimwärts ziehen!"
inhaltliche Fortsetzung im Briefspiel Ankunft in Moorbrück