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Version vom 17. Juli 2017, 19:58 Uhr
Teil 11 der Briefspielgeschichte: Grafenhochzeit
Überraschender Besuch |
Brief eines Knappen aus einem Schetzenecker Junkerhaus, im Ingerimm 1036 BF:
Liebe Mutter, wahrscheinlich hast dus schon gehört: Graf Wilburs Hochzeit ist geplatzt. Lass mich dir schildern, wie es geschah, denn ich war dabei, und glaub mir, es war dramatischer und lustiger als jedes Wengelstück.
Dabei hätte es ein würdiges Fest werden können. Mehr als 200 Gäste drängten sich auf Grauensee, um den Traviabund von Graf Wilbur vom See mit Gertraut zur Sichel zu feiern. Jedes Adelshaus der Hügellande war vertreten, die Grafen Growin und Jallik kamen mit vielen ihrer Lehnsleute, ja selbst der Fürst zeigte sich mit Prinz Anshold und Prinzessin Nadyana. Dazu Vertreter zahlreicher Kirchen, ein Dutzend Angbarer Stadträte und Pfeffersäcke und Gäste aus den umliegenden Provinzen. Auffällig war allerdings, dass aus der Heimat der Braut außer ihrem Vater, Graf Bunsenhold zur Sichel, einzig zwei Ritterinnen als ihre Hofdamen anwesend waren.
Im Innenhof wurde schon das Bankett vorbereitet, als man uns namentlich aufrief, in den großen Festsaal einzutreten. Der Duft von gebratenen Hasen machte das lange Warten fast unerträglich, bis nach all den hohen Herren und Damen endlich auch an unsereiner die Reihe war. Natürlich gabs für mich nur einen Stehplatz unter den Emporen, aber bequem sah es auch nicht aus, wie der Hochadel auf den Stühlen Ellbogen an Ellbogen gepfercht saß. Waren doch alle nur wegen dem Bankett da! Vorne hatte man einen Travia-Altar aufgebaut, wo schon Mutter Berngundis wartete.
Machen wirs kurz, Fanfaren erschallten, der Herold brüllte, herein kamen von rechts der Weidener mit seiner Tochter, von links Graf Wilbur mit Schwesterchen Niope und Junker Ermst. Sah fast aus, als ob der Alte seinen Enkel stützen müsste, damit der nicht zusammensinkt. Jedenfalls leuchtete der Graf so rot im Gesicht, dass es selbst uns in den schattigen hinteren Rängen nicht entgehen konnte. Gezittert hat er auch – das habe ich nicht gesehen, aber gehört, denn als Braut und Bräutigam vor dem Altar aufeinander trafen, sagte der Weidener ganz laut: Ihr braucht nicht so zu zittern, meine Tochter tut euch nichts. Naja, gelacht haben nur ein paar Gäste aus Almada, aber glaub mir, da waren viele im Saal, die plötzlich husten mussten oder verkrampft auf die Stiefel starrten ...
Mutter Berngundis begann also mit der Zeremonie, pries die Herrin Travia und den Bund der Familie, lobte die Häuser der Brautleute und die Frömmigkeit ihrer jeweiligen Heimat, und was dergleichen mehr zum Traviasdienst gehört. Dabei wurde sie immer wieder vom Weidener unterbrochen, der halblaute Fragen an Graf Wilbur stellte – ihren Inhalt konnte ich nicht vernehmen, doch deutlich sah ich die Gesichter, höhnisch der eine und hilflos verwirrt der andere. Als der Brautvater zur vierten oder fünften Nachfrage ansetzte, meldete sich Truchsess Voltan von Falkenhag, der in der ersten Reihe saß. Verzeiht, Graf Bunsenhold, rief er, das haben wir doch alles im Ehevertrag geregelt!
Was, schrie der Weidener, was erdreistet sich der Hexer, mir ins Wort zu fallen? Die Antwort des Falkenhag konnte ich nicht hören, so ruhig und gefasst blieb er, während rundum nun gemurmelt und getuschelt wurde. Der Brautvater aber kam jetzt richtig in Fahrt! Man habe ihm einen Grafen versprochen, nicht die Marionette eines Magiers, einem unselbständigen Kind gebe er seine Tochter nicht zur Gattin, und so weiter. Wilbur selbst rang nach Atem und brachte kein Wort heraus. Wäre nicht seine Schwester hinter ihm gestanden, so müsste er wohl hingesunken sein. Der Weidener wurde etwas ruhiger, doch nur zum Schein: Man habe ihn bei der Brautwerbung hintergangen, seine Tochter sei damit tödlich beleidigt worden, sprach er mit einer Stimme wie eine Klinge vom 21. Ingerimm. Unverzüglich werde er nach Hause reiten, zuvor aber dem Haus vom See die Fehde erklären.
Da trat aus der Mitte der völlig verdatterten Gästeschar Junker Reto von Bodrin hervor. Haltet ein, rief er, lasst diesen Tag nicht in Feindschaft und Bitterkeit enden! Möge der geplante Ehebund zwischen Graf Wilbur und Gertraut auch ein Irrtum gewesen sein, so könne sich doch noch Gutes daraus ergeben. Die Menge hielt den Atem an – worauf wollte der Junker hinaus? Der Weidener aber lächelte süffisant, ich schwörs dir, der wusste schon, was jetzt kam: Reto von Bodrin kniete vor ihm nieder und bat ihn um die Hand seiner Tochter. Er sei zwar kein Graf, doch aus altem Grafenhaus, ein Ritter und Offizier, und bei den Göttern der größte Bewunderer Gertrauts unter Praios' Antlitz. Die Braut rief: Stimm zu, Vater, die Reise soll doch nicht vergebens gewesen sein! - So sei es, donnerte der Weidener. Er fasste den Grafen Wilbur ins Auge, der immer noch nicht wusste, wie ihm geschah. Was die Auflösung unseres Ehevertrages angeht, sagte Bunsenhold, werden wir sicher eine angemessene Lösung finden – nun drehte er sich um – nicht wahr, Falkenhag?
Dann rauschten sie raus, der Weidener, die Braut, der neue Bräutigam und eine Anzahl Schetzenecker, die sich Junker Reto spontan anschlossen. Ich auch, aber nur bis in den Hof, wo ich mich dann um den Hasenbraten kümmerte. Das ganze war köstlichstes Theater, Mutter, und ich will Ritter Falk heißen, wenn darin nicht die Handschrift der Nadoreter durchscheint. Ich frage mich aber, welche Rolle der Truchsess in der Intrige wirklich gespielt hat. Graf Wilbur selbst wirkte später, ein paar Stunden nach dem ersten Schreck, gar nicht mehr so unglücklich über diesen Schicksalsschlag.
Mit den allerherzlichsten und ergebensten Grüßen Dein Sohn