Drifter Fehde - Die Faust aus dem Dunkelwald

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Über den kahlen Ästen spannte sich ein Himmel aus Blei, und in den Ritzen der Erde lagen gefrorene Pfützen, die im Abendlicht stumpf glitzerten. Der Wind fuhr durch das kahle Geäst des Dunkelwaldes und ließ die toten Zweige aneinander schlagen – ein klapperndes, gespenstisches Flüstern. Zwischen den Stämmen, in einer morastigen Senke, hatte sich der Drifter Haufen ein notdürftiges Lager errichtet. Unterstände aus Zweigen, Ästen und Moos, in die sie sich wie Tiere verkrochen, um dem kalten Wind zu entgehen. Rauch stieg in dünnen Schwaden auf, schwer vom feuchten Holz, und blieb unter den Bäumen hängen. Die Männer und Frauen waren Schatten ihrer selbst. Ausgezehrt vom wochenlangen Lagern im Freien, die Gesichter rußgeschwärzt, die Bärte verfilzt, die Kleidung durchnässt. Sie hatten die Farbe des Waldes angenommen – braun, schwarz, grün. Manche lagen unter Decken, fiebrig und matt, andere saßen stumm am Feuer, tranken dünne Suppe und starrten in die Glut. Unter den gewaltigen Wurzeln eines uralten Baumes hatte Rigund die Faust ihr Lager aufgeschlagen. Feuchtigkeit tropfte von den Wänden, und der Boden war kalt und modrig, aber sie hatte schon schlechter geschlafen.

Draußen klirrte es leise. Rigund trat hinaus und blickte auf die Feuerstellen. Glatzen-Alrik kniete bei den Kranken, legte feuchte Tücher auf Stirne und fluchte leise vor sich hin. „Wie steht’s um sie?“ fragte Rigund. „Wie um uns alle“, brummte Glatzen-Alrik. „Zäh, aber nicht unsterblich.“ Er wischte sich über die Stirn. „Wenn ich weiter so friere, holt’s mich als nächsten. Seit ich meine Mütze verloren hab, zieht mir der Wind direkt durch den Schädel. Wird wohl nicht lang dauern, bis ich fieber.“ Er grinste dabei schief, aber in seinen Augen lag Müdigkeit. Rigund antwortete nicht. Sie legte ihm nur eine Hand auf die Schulter und nickte. Zwischen den kahlen Bäumen heulte der Wind, und irgendwo bellte ein Fuchs, einsam und fern. Da ertönte ein Ruf von der Wache. „Bewegung im Westen!“

Rigund drehte sich zu den Wachen, zwei Gestalten am Rand des Lagers, die Armbrüste erhoben und in das Zwielicht starrend. Zwischen den Stämmen bewegte sich etwas – ein Schatten der sich duckte und wieder aufrichtete. „Zeig dich!“, rief einer der Wächter.

Ein heiseres Keuchen antwortete: „Nicht schießen! Ich bin ein Bote! Von der Baronin!“ Rigund trat vor, der Mann kam näher, die Hände erhoben, der Atem sichtbar in der kalten Luft. Sein Mantel war zerfetzt, die Stiefel voller Schlamm. „Bleib, wo du bist“, befahl Rigund. Der Mann blieb stehen. Sein Blick huschte nervös über die Gestalten zwischen den Stämmen. „Ich bring Nachricht aus Drift. Von der Baronin Gascha.“ Rigund musterte ihn lange. „Wie hast du uns gefunden?“, fragte sie. „Euer Rauch“, antwortete er knapp. „Und die Spuren eurer Pferde.

Rigunds Augen verengten sich. „Sprich.“ „Licon ist gefallen. Drift auch. Die Alttreuen halten beide Orte. Die Baronin ist nach Mirkagarten geflohen – sie wird belagert.“ Ein dumpfes Schweigen legte sich über das Lager. „Das sind schlechte Nachrichten“, sagte sie leise. Der Bote nickte unsicher. Rigund winkte ihn herbei. „Setzt dich ans Feuer und berichte genau, was geschehen ist“. Der Bote setzte sich zögernd auf einen umgestürzten Stamm, nahm den hölzernen Napf entgegen, den man ihm reichte, und begann die dünne Suppe zu löffeln. Nach und nach drängten sich Männer und Frauen näher ans knackende Feuer. Schweigend hockten sie da – ein zerlumpter Haufen mit eingefallenen Wangen, aufgeschürften Händen und misstrauischen Augen.

Da war der Ackerknecht Harnulf, ein drahtiger Kerl mit einem verbogenem Pflugnagel als Ohrring, und die schmale Runja, die ihr Messer nie aus der Hand legte. Daneben hockte der einfältige Bosper, der in jedem Windstoß eine Vordeutung sah und unentwegt ein Flussvater-Armulett in seiner Faust rieb. Rigund stand hinter ihnen, die Arme verschränkt, das Gesicht schwarz von Ruß und von Müdigkeit gezeichnet. Der Bote blickte zu ihr auf, dann sprach er: „Die Baronin lässt ausrichten, dass sie auf euch zählt. Sie hält Mirkagarten noch, doch die Alttreuen haben den Ring um das Schloss geschlossen. Auch die Brücke über die Unwyn haben sie genommen. Sie befielt euch eine Ablenkung – einen Schlag, der sie zwingt, Truppen von der Belagerung abzuziehen.“ Ein leises Murmeln ging durch die Versammelten. Rigund trat einen Schritt näher. „Und was meint sie mit Schlag?“ „Nicht bloß Räuberei“, erwiderte der Bote und legte den Löffel beiseite. „Die Überfälle auf Händler und Nachschubwagen der letzten Wochen waren zu wenig. Ein Angriff, entschlossen und sichtbar, soll es sein. Damit sie drüben glauben, der Krieg verlagert sich.“ „Ein Angriff?“ entfuhr es Harnulf entgeistert, und seine Stimme klang wie eine geplatzte Sackpfeife. „Auf wen? Die Stadt Nadoret selbst?“ „Oder Burg Nadoret,“ warf Runja ein. Ihre Augen funkelten. „Wenn wir’s wagen, dann richtig.“ Ein paar der Männer lachten heiser, einer hustete so stark, dass er sich über das Knie beugte. „Mit zehn Kranken und dreimal so vielen Hungrigen?“ fauchte Rigund. „Das wär Selbstmord.“ „Ein Dorf vielleicht,“ schlug Bosper vor, während er nervös sein Armulett drehte. „Ziegenhain liegt nah und ist leicht zu nehmen.“ „Ein Dorf macht ihnen keine Angst,“ erwiderte Rigund. „Den Nadoretern sind ihre Bauern egal.“ Sie blickte zu Boden, als suche sie etwas, und schwieg für einige Zeit. Dann richtete sie sich ruckartig auf „Das Jagdschloss Kemlar! Dort jagen die Nadoreter im Sommer. Es ist nicht stark befestigt, nur ein Dutzend Wachen vielleicht.“ Einen Moment lang war nur das Prasseln des Feuers zu hören. Dann stieß Glatzen-Alrik ein kehliges Lachen aus. „Ein Jagdschloss! Da gibt’s sicher Betten, Wein und was zu essen. Vielleicht auch eine neue Mütze für mich, beim heiligen Schweinepriester von Eberstett!“ Einige grinsten schief, andere blickten finster. „Kemlar soll’s sein! Wir ziehen vor Morgengrauen los.“ sagte Rigund schließlich, griff nach ihrer schweren Keule und legte sie sich quer über ihre breiten Schultern.

Blasse Sterne leuchteten über dem Dunkelwald, als der Drifter Haufen sich in Bewegung setzte. Die Grünberger Rösser schnaubten, ihre dampfenden Nüstern zeichneten weiße Gespenster in die Luft. Rigund ritt an der Spitze, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Hinter ihr zog der Haufen wie ein dunkles Band durch das Unterholz. Niemand sprach. Das Knarren der Sättel und das Schmatzen der Hufe im Morast war das einzige Geräusch. Nach wenigen Stunden flotten Ritts sahen sie in der Ferne die Dächer von Kemlar, und über dem Dorf erhob sich das Jagdschloss auf einem Hügel. Im Osten kündigte ein Silberschweif am Horizont vom baldigen Tagesanbruch. Rigund hob die Hand. „Leise rein“, flüsterte sie. „Erst wenn sie uns sehen, dürfen sie uns hören.“ Sie teilten sich in Rotten, jede führte ein Dutzend Reiter. Lautlos ritten sie die Anhöhe hinab, zwischen kahlen Obstbäumen und schiefen Zäunen hindurch. Über den Dächern des Dorfes hing erster Rauch. Ein Huhn flatterte gackernd davon, als sie durch das Dorf trabten. Niemand wagte einen Laut. Nur irgendwo schlug eine Tür zu. Das Schloss lag nun vor ihnen. Ein stolzer Bau aus hellem Stein. „Vorwärts“, befahl Rigund. Hufe hämmerten über den Boden. Ein müder Nachtwächter trat vor die Tür, sah die Reiter – und erstarrte. Dann krachte der erste Bolzen. Der Mann fiel, ohne einen Laut von sich zu geben.

Sie waren am Schloss. Rigund und ihre Leute fächerten sich auf, stürmten die Wirtschaftsgebäude. Holz splitterte, Türen brachen, Schreie hallten. Jemand sprengte mit der Axt das Schloss des Weinkellers, ein anderer riss die Vorratskammer auf. Rigund ritt in den Hof. Über ihr wurde ein Fenster aufgerissen, der alte Kastellan beugte sich heraus, die Haare wirr, das Hemd offen. „Wer wagt—“ begann er, doch ein Bolzen zischte vorbei und bohrte sich in das Holz neben seinem Kopf. Der Mann verschwand so schnell wie er gekommen war. „Gebt auf!“ rief Rigund, aber ihre Stimme ging im Tosen unter.

Sie führte ihre Gruppe durch die große Halle, wo Jagdtrophäen, Wandteppiche und allerlei Protz an den Wänden hingen. Ihre Leute zerschlugen Truhen, stachen Polster auf, rissen Wandteppiche herab. Gold, Silber, Stoffe – alles wanderte in Säcke und Satteltaschen. Diener flohen kreischend über die Treppen oder versteckten sich in dunkle Winkel. Einige wurden an den Ohren hervorgezerrt und nach den Schlüsseln gefragt. Der Bote, der sie begleitete, schüttelte stumm den Kopf. Glatzen-Alrik fand schließlich, was er suchte: In einer Kleiderkammer neben einem prächtigen Schlafgemach hing eine Pelzmütze mit rotem Federbusch. Er setzte sie auf und grinste breit. „Steht dir“, rief Runja. „Fast wie ein Hauptmann!“ Alrik lachte und richtete den Federbusch stolz auf. Als sie abzogen, hing Rauch über dem Schloss. Der Dachstuhl hatte Feuer gefangen und Funken tanzten im Wind. Über dem Dorf hallten Schreie, Hunde bellten, Hähne krähten. In einiger Entfernung hielt Rigund an, das Pferd unruhig unter sich. Sie sah hinauf zum brennenden Schloss. Mit kaltem Lächeln setzte sie zum Marschlied des Drifter Haufens an: „Wir sind der Drifter Bauernhaufen - Heyah Heyoh“ wie mit einer Stimme setzten die anderen ein: „und wollen mit Tyrannen raufen - Heyah Heyoh“

Dann verschwanden sie, so schnell wie sie gekommen waren, in Richtung aufgehender Sonne.