„In Goldene Zeiten sollst du uns wieder führen“

Aus KoschWiki
Version vom 7. Oktober 2023, 17:54 Uhr von Kunar (D | B)
(Unterschiede) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschiede) | Nächstjüngere Version → (Unterschiede)
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Kosch-Kurier36-.gif

Ausgabe Nummer 37 - Ingerimm 1027 BF

„In Goldene Zeiten sollst du uns wieder führen“

Angbar feiert die Geburt des Prinzen Holduin Hal

ANGBAR. Geschäftiges Treiben herrschte in den Gassen von Angbar an diesem 28. Tag im Tsamond 1027 BF. Doch immer wieder blickten die Bürger von ihrer Arbeit auf und schauten hinüber zu den Dächern der Thalessia, denn es ging die Kunde durch die Stadt, dass Prinzessin Nadyana in den Wehen liege. Und dann, kurz vor der Mittagsstunde, war es so weit: Fanfarenstöße erschollen, und über dem Fürstenschloss wurde die Regenbogenfahne aufgezogen zum Zeichen, dass dem Hause Eberstamm ein neuer Spross geboren war.

Freudig dürfen wir berichten: Wohlauf und glücklich ist die Mutter, gesund und kräftig das Kind, ein Bub mit Pausbacken und einer guten Lunge, wie uns eine der Zofen stolz erzählte. Die Niederkunft sei leicht und gut verlaufen, von der freundlichen Göttin gesegnet, in deren Mond sie stattfand. Der erste Schrei des Kindes war es, den die Fanfaren weitertrugen, und er wurde aufgenommen vom Tempel der Tsa, dem Fürstenschloss benachbart, dann von den anderen Hallen der Zwölfe, die ein Freudengeläut anstimmten, wie man’s in diesen dunklen Zeiten lange nicht gehört hat. Wohin der Schall nicht reichte, dahin sandte man Läufer, Reiter oder Brieftauben aus — denn nicht nur den Vasallen und Nachbarn galt es die frohe Kunde zu bringen, sondern auch dem Vater und dem Großvater, denn sowohl Prinz Anshold als auch Fürst Blasius weilten noch im Außerkosch.

Alsbald erschien in einem prächtigen Zug vom Platz der Ewigen Flamme her der Erhabene Meister der Ingerimmskirche, Hilperton Asgareol, auf der Thalessia, um dem Neugeborenen den ersten Segen zu spenden. Mit einem Lächeln auf den sonst so ernsten Zügen soll sich der Ehrwürdige über die Wiege gebeugt und seine mächtige Hand auf das so junge Haupt gelegt haben. „In eine Zeit des Stahls bist du geboren worden, in Goldene Zeiten sollst du uns wieder führen“, waren seine Worte, und damit sprach er vielen aus der Seele. Auch andere Vertreter der Geweihtenschaft, zudem zahlreiche Edelleute und namhafte Kaufherren fanden sich auf dem Schlosse ein, um den Fürstenenkel zu sehen und der Mutter ihre besten Wünsche auszusprechen. Schließlich aber bestand Mütterchen Brimoscha, die Amme des Prinzen, darauf, dass die beiden nun der Ruhe bedürften.

Währenddessen aber hatte sich auf dem Ufer gegenüber der Thalessia und auf dem Weg bis an die Tore allerlei Volk versammelt, so dass Prinzessin Nadyana schließlich mit dem Kind auf dem Arm auf den Balkon trat. Noch etwas blass und müde, doch stolz und schön stand sie dort über dem See und zeigte den Koschern glücklich den jüngsten Spross des Hauses Eberstamm. Da flogen Hochrufe und Jubel ihr entgegen, Mützen und Hüte wurden in die Luft geworfen — denn wenn Angbar auch freie Reichsstadt ist, so fühlen sich die Bürger doch als gute Koscher dem Hause Eberstamm verbunden. Der kleine Prinz aber streckte seine Händchen nach der bunten Menge aus und gluckste vergnügt, was mancher als gutes Vorzeichen früher Liebe zum Koscher Volk deutete.

Am Abend wurde aus den fürstlichen Kellern Bier und Beerenwein geholt und auf den Plätzen ausgeschenkt, auch briet man Ferkel, Hammel und gar einige Ochsen am Spieß und verteilte sie freigiebig unter das Volk — denn ein guter Fürst hält Unglück von seinen Untertanen fern, sein Glück jedoch teilt er mit ihnen.

Auf dem Neumarkt sorgte eine Gauklergruppe aus Garetien für großen Zulauf — aber auch für Unruhe; denn der Tanzbär, der sich zur Musik dort tapsig drehte, wurde Waldemar genannt, was einige durchreisende Weidener als Verunglimpfung ihres seligen Herzogs ansahen. Als sie jedoch erfuhren, dass der Bärenführer selbst ein Trallopper war, tranken sie Verbrüderung, so dass die schon herbeigeeilte Stadtwache wieder abrücken konnte.

Ein anderes Vergnügen für Jung und Alt fand auf dem „Derenrund“ statt. Hier hatte die Angbarer Puppenbühne trotz der abendlichen Kühle ihr Theater aufgebaut und gab die Erstaufführung eines neuen Stückes, das sie eigens für diesen Freudentag vorbereitet hatte. Zwar kam das Tsatagskind selbst nicht in den Genuss der neuen Abenteuer rund um den Angbarer Wengel, dafür aber viele andere Jungen und Mädchen der Stadt.

Am übernächsten Tag, dem letzten im Tsamond, an dem das Erneuerungsfest begangen wird, fand die Namensgebung statt. Zwar war man etwas betrübt, dass weder der Vater noch der fürstliche Großvater der Zeremonie beiwohnen konnten, doch wollte man das heilige Ritual gerade in diesen Zeiten nicht allzu lange aufschieben, auch schien das Datum besonders passend für dieses hoffnungsvolle Fest.

Der starke Regen, der in den Morgenstunden unablässig auf die Dächer geprasselt war, ließ allmählich nach, als die Prinzessin mit der Fürstinmutter und zahlreichen Hofleuten feierlich den Tempel der Tsa betrat. Gerne würden wir berichten, dass just in diesem Augenblick der Regen ganz aufhörte und ein Regenbogen am Himmel erschien, doch dieses schöne Zeichen wollten uns die Alveranischen leider nicht gewähren.

Auf den Stufen des Tempels empfing Seine Gnaden Salvestro die Prozession und geleitete sie in das Innere des Heiligtums, wo die Blühende Wiege steht, geflochten aus gelben und silbrigen Weidenruten und überdacht von einem Baldachin in Regenbogenfarben. Hier empfangen die Neugeborenen den Segen Tsas, hier erhalten sie ihren Namen — so nun auch der Enkelsohn des Fürsten.

„Euch wurde ein Geschenk gemacht, wertvoller als Silber, Gold und alle Edelsteine“, begann der Geweihte, zu Frau Nadyana gewandt. „Ein Kind ist Euch geboren worden durch die Gnade der Frau Tsa, die neues Leben schenkt und neue Hoffnung.“ Und er sprach vom Glück der Elternschaft sowie vom reichen Füllhorn der Möglichkeiten, die einem Kind am Anfang seines Lebens offen stehen. Dann schloss er seine Predigt mit den Worten: „So tritt denn diese junge Seele unter uns, noch rein und unbefleckt, noch nackt und bloß, mit leeren Händen. Und das Erste, was wir ihr geben wollen, ist ein Name. Denn es steht geschrieben: Bei deinem Namen wollen wir dich rufen und dich geleiten auf dem rechten Pfad dein Leben lang bis in eines unsrer Paradiese. Welchen Namen also habt Ihr für das Kind erwählt ?“ — „Holduin Hal“, erwiderte die Mutter, „im Gedenken an Holdwin den Erneuerer und an den guten Kaiser Hal, zu dessen Zeiten Frieden herrschte.“ Darauf nickte der Geweihte und hob das Kind aus der Wiege. „So sei zum ersten Mal in deinem Leben gegrüßt, Holduin Hal vom Eberstamm“, sagte er feierlich und küsste dem Prinzen die Stirn.

Nun traten die Vertreter der übrigen Kirchen vor, und jeder spendete seinen Segen und sprach einen frommen Wunsch für die Zukunft des Kindes aus. Als jedoch der Schatten des Geweihten des Herrn Boron auf die Wiege fiel, soll Frau Nadyana für einen Augenblick blass geworden und erschreckt zurückgewichen sein. Doch die weiße Hand des Boroni strich sanft über Klein-Holduins Stirn und spendete stummen, friedlichen Segen.

Anschließend wurde im Tempelgarten, wie es Brauch ist, ein Kirschbaum für das Neugeborene in die gute Erde gepflanzt, neben die beiden Bäume, die an die schwere Geburt der Zwillingsbrüder Edelbrecht und Idamil erinnern. Um diese Zeit des Jahres schmückten freilich weder weiße Blüten noch rote Früchte die Zweige, doch in seiner Predigt schmückten Seine Gnaden Salvestro sie auf das Prächtigste: „Von uns Menschen, die wir hier versammelt sind, wird keiner mehr es sehen; doch ihr vom Volk der Angroschim“, so sprach er zu den anwesenden Zwergen um Meister Nirwulf, „werdet in hundert oder in zweihundert Götterläufen noch immer hierher kommen und dann einen Hain aus Kirschbäumen vorfinden, im Frühling leuchtend weiß, im Sommer prangend rot. Und es wird ein Fürst vom Eberstamm darunter wandeln und sich der Früchte freuen und seiner Ahnen gedenken.“ Bei diesen Worten war ein Leuchten in die Augen des Geweihten getreten, und die Umstehenden murmelten bewegt „So sei es!“ und schlugen heilige Zeichen.

Nach der Zeremonie ging es zurück auf die Thalessia, wohin die Fürstenfamilie allerlei edle Gäste geladen hatte. Groß war die Gesellschaft freilich nicht, waren doch viele Adlige des Koscherlandes im Gefolge ihres Fürsten auf dem Reichskongress in Elenvina oder in der Kaiserstadt — oder ganz ferne im Osten des Reiches, im Kriege... Doch an das Geklirre der Waffen wollte an diesem Tage keiner denken, und so drangen bis spät in die Nacht Licht, Musik und frohes Lachen aus den Fenstern des Schlosses. Auch in der Stadt wurde abermals munter gefeiert und mancher Krug auf das Wohl des Prinzen Holduin Hal sowie des Hauses Eberstamm geleert. Nur einer war nicht müßig in dieser Stunde, und das war Meister Himrig, Xorigs Sohn, der Fürstlich-Koscher Registrargreve. Er nämlich setzte den schaumgekrönten Humpen erst an die Lippen, nachdem er auf der Ahnentafel dem Stammbaum der Fürstenfamilie einen neuen Zweig hinzugefügt hatte.

Karolus Linneger