Kriegszug gen Albernia - Des Herzogs Marschall
Albernia, 1032, kaiserliches Heerlager bei Crumold
Gegen Mitte Praios, unmittelbar vor der Heerschau
Im blaugrünen Zelt mit den Insignien des nordmärkischen Marschalls brannte zu später Stunde noch Licht. Turam Sohn des Fahderasch betrachtete die vor im ausgerollte Karte im trüben Schein der Kerzen. Das helle Pergament zeigte die westlichen Nordmarken, die Markgrafschaft Windhag und daran anschließend das Königreich Albernia mit seinen Küsten. Die Grenzverläufe in dunkelbrauner Tusch entsprachen der Pronvinzgrenzen, wie sie einst während der Reichsgrundreform festgesetzt wurden. Änderungen zu Zeiten des Reichsbhüters Brin waren jedoch noch berücksichtigt. Mit farbiger Tusche waren etliche Anpassungen und Ergänzungen vorgenommen worden. Hier und da in unterschiedlichen Farben und Bedeutungen. Die aktuellen Grenzverläufe, so wie sie die Heerschaften der Frauen Isora und Invher, unabhängig ihrer rechtlichen und persönlichen Ansprüche tatsächlichen ergaben waren nachgetragen worden. Offensichtlich hatte es einige Korrekturen gegeben, denn an einigen Stellen waren die Linien abgekratzt und dafür an anderer Stelle neugezogen worden. Kleine Anmerkungen über strategisch relevante Gegebenheiten waren zudem hinzugefügt worden. Auf einer Seite der Karte stand eine Schatulle aus rotbraunem Holz. Sie war geöffnet. In ihr lagen verschiedene Zinnfigürchen, die einzelne Banner und Kriegshaufen der Nordmarken, des Kaiserreiches aber auch deren Feinde darstellen konnten. Der Marschall hatte für diese in dieser Nacht jedoch keine Verwendung. Die Nacht war jedoch nicht mehr jung, der Morgen nicht mehr fern.
Der Angroscho nahm einen Steckzirkel zur Hand und legte ihn auf der Karte an. Genaue Angaben erhielt er auf diese Art nicht, aber doch genau genug um sich eine ungefähre Vorstellung der Distanzen machen zu können. Zunächst schätzte er die Entfernung zwischen Crumold den großen Fluss entlang bis Havena. Eine kurze Pause legte er in Hanufer bei Niriansee ein. Bis dahin führte eine halbwegs befestigte Landstraße. In schlechtem Zustand war sie jedoch, wie ein kürzlich am herzoglichen Hof berichtet wurde. Ab dort müsste es der Fluss sein, oder Straßen, die kaum noch als solches zu bezeichnen waren. Es wäre ein gewagtes Unternehmen, das mehr Schiffe benötigte, als dem Herzog zur Verfügung standen, denn der größte Teil des Heeres würde über den Fluss reisen müssen. Die Kaiserin hatte weitere Gefährte zugesichert, doch auch dies würde ein solches Manöver nicht erleichtern. Es hatte den Marschall der Nordmarken jedoch sehr beruhigt, dass sich eine andere Möglichkeit durchgesetzt hatte. Er war zwar nordmärkischer Marschall und trug den Flusskönig auf dem Wappenrock, doch letztlich blieb er ein Erzzweg.
Erneut legte er den Steckzirkel an. Diesmal entschied er sich für die Reichstraße gen Abilacht. Der Weg führte ihn zunächst deutlich gen Rahja zurück. Über Traviarim und Lyngwyn, beides Baroninen in denen manch eine Räuber und Freischärlerband noch ihr Unwesen trieben aber doch fest in der Hand des Reiches waren. Abilacht, die Reichstadt stand lange Zeit unter der Heerschaft des Obristen Wyndors von Firunslicht. Beim ersten Feldzug in Albernia hatte er die Tore der Stadt dem Reichsregenten, dem Herzog der Nordmarken verschlossen. Auch gegen die Fürstin hatte er sich in den folgenden Jahren verwehrt. Er war im letzten Götterlauf jedoch gefallen. Gefallen bei dem verzweifelten Versuch seine eigenen Ziele und Vorstellungen gegen die Versammlung auf Burg Feargardh durchzusetzen. Hätte der Oberst geahnt, dass die Waffenruhe nur wenige Monde statt den vereinbarten drei Götterläufen bestand haben sollte, womöglich hätte er eine andere Wahl für sich und das Schicksal seiner Gefolgsleute gewählt.
Glenndun Aldewen, Gefolgsmann Isoras aus altem Adel war von der Kaiserin zum Reichsvogt der Stadt vor gerade einem Götternamen auf dem Hoftag zu Weidleht bestimmt worden. Bereits währen des albernischen Bürgerkrieges hatten die Aldewen hinter Isora gestanden. Ganz sicher, Wyndor hätte eine andere Wahl getroffen. Doch wer mochte schon wissen, was Fatas für einen bereits hielt. Turam hielt sich jedoch nicht länger mit der Politik und den Tragödien Abilachts auf, sondern wanderte weiter auf der Karte, nunmehr endlich gen Efferd. An Glydwick vorbei nach Otterntal maß er die Distanzen und zählte die Tage, die ein Heer dieser Größe für die Strecke benötigen würde. Eine kleine Ergänzung war auf der Karte im westlichen Otterntal gemacht worden, kurz vor der Linie, welche den aktuellen Grenzverlauf verzeichnete. Burg Turaca, Rückzug der Baronin Melinde Neidenstein von der Graufurt zu Otterntal. Der vormalige und invhertreue Baron hatte sie aus dem Ort Otterntal vertrieben. Turam machte sich eine kleine Markierung. Ab hier würde es zu den ersten Gefechten kommen. Mehr als kleinere Scharmützel mit Freischärlern erwartete er jedoch nicht. Der Ort würde sich dem Kaiserlichen Heer ergeben, wie er sich einst bereits dem Reichsregenten ergeben hatte. Jannendoch wiederum war in der Hand der Getreuen des Grafen von Bredenhag. Einst war Jannendoch vor allem für Seife selbst über die Grenzen Albernias bekannt. Er beschaute sich die Gegend etwas genauer. Hier lag auch Burg Jannendoch, im Firunwärtigen Teil der Baronie. Seit Jahren harte auf dieser der abtrünnige und thorwalstämmige Baron Kjasfgar Knallfaust gegen seine Gegner aus. Auch hier war es abermals ein Aldewen, ein Bran Aldewen, der das Banner der Fürstin hochhielt. Für den aktuellen Feldzug würde die Feste nur eine nebensächliche Bedeutung haben. Der Angroscho maß die Distanz von Jannendoch bis Orbatal. "Ein bis zwei Tage", fuhr er sich durch den Bart. Ab hier mochte es zu den entscheiden Kämpfen kommen. Würde die Abtrünnigen rasch genug ein Heer zusammenstellen, mochten sie sich hier bereits dem kaiserlichen Heer entgegen stellen. Orbatal war im Laufe des Konfliktes weitgehend verschont geblieben, diesmal könnte es anders ausgehen. Der Zwerg wunderte sich jedoch ein wenig. Dieser Konflikt bot doch manche Überraschungen. Otterntal umkämpft, Jannendoch in größten Teilen in der Hand der Fürstlichen, Bredenhag und Niriansee unter kaiserlichem Banner. Erst jüngst war zudem die Baronie Wallersrein nach einer List zur Fürstin übergelaufen. Den Berichten, die dem nordmärkischen Marschall vorlagen, zählte die Fürstin dort etliche Streiter auf ihrer Seite. Obwohl Orbatal damit im Wesentlichen von Lehen umgeben war, die unter der Herrschaft der Fürstin standen und es als wenig wehrhaft galt, hatte es sich über die Jahre halten können.
"Bemerkenswert" , stellte Turam fest, denn es gab dort auch keinen natürlichen Vorteil, wie es zum Beispiel der Eisenwald für die Nordmarken im Süden des Herzogtums bedeute. Sollte die entscheidende Schlacht, so sich die abtrünnige Königin darauf einließ nicht bei Otterntal statt finden, oder ein anderer unvorhergesehener Umstand den Heerzug aufhalten können, würde es weiter nach Yantibair und Altenfaehr gehen. Spätestens hier würde es zum größeren Gefecht kommen, darin war sich der Angroscho sicher. Es mochte sein, dass etliche Gefolgsleute Invhers nach der Aberacht durch die Kaiserin von ihrer Fahne geflohen waren, doch Invher hatte Durchhaltevermö gen und Entschlossenheit im Laufe des Konfliktes unter Beweise gestellt. Er glaubte nicht, dass sie einer Schlacht aus den Weg gehen würde. Der albernische Widerstand hatte stets größere Schlachten nach den Erfahrungen auf Crumolds Aue vermieden, aber nun war lag die Entscheidung nahe.
Turam maß noch den letzten Abschnitt bis Havena ab. Der Weg war beschlossen. So hatte es die Versammlung des Herzogs, der Vertreter der Kaiserin, der Grafen, ihrer Berater und die Regimentsobristen beschlossen. Die Beratungen hatten sich tief in die Nacht gezogen und manch hitzige Diskussion wurde über die verschiedenen Möglichkeiten, dem schlechten Zustand der Wege, der Länge der Distanzen oder auch nur der möglichen Orte und vor allem deren Namen für eine Schlacht geführt. Doch seine Hoheit Wort, hatte letztlich Gewicht gehabt. Dies nicht ohne manchen Rat seiner Berater und seines Marschalls. In Abilacht würde sich das Heer zunächst mit weiteren Bannern vereinen, die aus Gratenfels heranrückten. . Turam legte den Steckzirkel zur Seite. So sollte es also sein, sobald die Heerschau abgehalten war, würde der Marsch gen Abilacht gen. Und dann sollte es weiter bis nach Havena gehen