Der Ruf des Friedwanger Raben 1032 BF: Teil 23
Briefspielgeschichte der Golgariten
Die Wildermark, Anfang Praios 1032 BF
Wabernd und durchscheinend war neben dem Ei die Spukgestalt des Bauern Garvin erschienen. Der Schwarzmagier lachte auf. „Tochter Satuarias…Urururenkelin wäre wohl der passendere Ausdruck!“ „Meister“, wisperte der Geist.. „Ich habe meinen Teil der Abmachung eingehalten. Haltet Euer Versprechen - und erlöst mich!“ „Gerne, Garvin, gerne!“ Der Schwarze wies mit dunkler Klinge auf den Boden. Das Phantom kniete ohne zu Zögern nieder, neigte das fahle Haupt. „Sagt, wird das Flammende Ei meine Seele ins Licht schicken?“ flüsterte Garvin hoffnungfroh. „Ins Reich der Holden?“ Der gekrümmte Stahl zischte durch die Luft und trennte den halbverbrannten Kopf vom Leib der Spukgestalt – so schien es zumindest, denn der Schemen löste sich sofort in einer Art kaltem Rauch auf. „Natürlich nicht, dummer Hinterwäldler! Deine Seele gehört der ewigen Verdammnis!“ Mit Totenschädelgrinsen ließ der Schwarze den Schnitter um die Hand wirbeln. „Nun zu Euch, Ludwina. Mir scheint, Ihr weilt bereits länger auf dem schönen Derenrund, als Euch der Schweigsame an Götterläufen zugedacht hat. Ein irgendwie unhaltbarer Zustand…“ Der Dunkelberobte stellte den Zauberstab in die Luft – tatsächlich blieb er dort stehen – und hob den Schnitter mit beiden Händen, als schritte er zur Heumahd. Sensenmann: in diesem Augenblick passte der Name perfekt. Durch die flirrende Luft über dem Feuerei hindurch sah der Unhold wahrlich aus wie dem Chaos der Niederhöllen entsprungen.
Ein einzelner Stein klackerte gegen die Mauer, prallte zurück und gegen den schwarzen Mantel des Warunkers. Der blickte um sich, mit Empörung im Blick.
Bishdarielon war enttäuscht, eigentlich hatte er seinen Gegner am Hinterkopf treffen wollen.
Er trat aus seinem Versteck – was hätte er auch anders tun sollen, um den Mord zu verhindern? „Gemach, Gemach. Ich dulde es nicht, wenn Wehrlose geschlachtet werden!“
Der Schwarzberobte grinste, schulterte den Schnitter wie ein Henker das Richtbeil.
„Haben Dir deine Eltern nicht beigebracht, zu schweigen, wenn sich Erwachsene unterhalten, Knirps? Ich dulde es nicht, wenn Wehrlose mich bei meinem Strafgericht stören.“ Er runzelte die Augenbrauen. „Nanu, irgendwoher kennen wir uns doch? Bishdarielon von Suunkdal, wie ich vermute. Wart Ihr bei unserer letzten Begegnung… nicht ein paar Spann größer?“
„Redet Ihr vom Eulenkuhl – oder Al´Anfa?“
Beredsames Schweigen.
„Ihr täuscht mich nicht mehr mit Eurem Mummenschanz“, fuhr der Ordenskrieger fort. „Ich weiß, dass ich den Dämonenknecht damals in die Heulende Finsternis geschickt habe. Mit einem geweihten Rabenschnabel. Ich habe es immer geahnt: Ihr seid nicht Leichen-Ludeger. Dann gibt es noch das hier…“
Bishdarielon griff breitbeinig und lässig wie ein Svelltländer Kuhjunge in die Hosentasche, warf die Phiole mit der bläulichen Flüssigkeit darin auf den Boden.
„Bei meiner Seel: Ich kenne das Zeug noch zu gut. Es gehört zur Grundausrüstung von Schläfern, wie man sie in der Schwarzen Perle nennt. Spione des Patriarchen, die im Feindesland versteckt auf ihren Einsatz warten, oft viele Jahre lang. Tarquinios Lügenelixier, so nennt man es doch, oder?“
Ludegers Gesicht wurde maskenhaft. „Sprecht weiter…“
„Nun. Jeder, der an dieser Droge nippt, ist für die Dauer ihrer Wirkung davon überzeugt, dass seine Lügen die lautere, praiosgefällige Wahrheit darstellen. Hesindial, denn dadurch könnte er nicht einmal durch Hellsicht oder eine magische Befragung enttarnt werden. Womöglich nicht einmal durch einen Inquisitionsrat der Praioskirche. Aber wenn ich etwas in meiner unseligen Zeit als Rabengardist gelernt habe, damals auf dem Silberberg…. Nun, dann ist es, Lügen nicht zu glauben. Am allerwenigsten die eigenen. Die sind nämlich am gefährlichsten. “
Bishdarielon trat einen Schritt vor, zerbrach die Phiole unter seinem Fuß.
„Kompliment, Magistra Esteforia Mirhamdez, Meisterspionin Seiner Unheiligkeit, des Ehrlosen Patriarchen Amir Honak von Al´Anfa. Ihr ward es doch, der dieses Lügenelixier als Erste zusammengepanscht hat, oder erinnere ich mich da selbst falsch?“
„Zuviel dääär Ährrrä.“ Urplötzlich veränderte sich die Stimme des Magiers, wurde weiblicher, bekam einen südländischen Klang. „Äs war alläs nur ain alchämistischäääs Mißgäschiiick, aigäntlich wolltä ich ain Wahrheitsälixier brauän…ain Räspondaaarum…für Värhörä in där Stadt däs Schwaigäns. Ihr värschtääht?“ Das Wabern im bleichen Gesicht des Paktierers wurde stärker - und diesmal lag es nicht an der Hitze des Dracheneis in seiner Kuhle. Die ganze Gestalt änderte sich, schien zu schrumpfen, die Taille wurde weiter, zwei eindeutige Rundungen sprossen auf Brusthöhe. Auch Ludegers Gesichtszüge flossen regelrecht auseinander, wichen dem Antlitz einer gutaussehenden, wenn auch nicht mehr ganz jugendfrischen Frau mit wallenden rabenschwarzen Haaren. Bishdarielon starrte fasziniert auf seine Gegenüber. Die berüchtigte Madame Esteforia... Es war ohne Zweifel die rauchige Brabacco-Stimme der Al´Anfaner Matrone, aber sie wirkte sogar noch jünger als damals auf dem Silberberg, hätte als Nahemas kleine Schwester durchgehen können. Allerdings waren Schönheitszauber eine ihrer Spezialitäten. Mit dem Ziel, die zerknitterten Gesichter und feisten Leiber eines langen, ausschweifenden Grandenlebens „zu lüften“, wie man es in der Stadt des Roten Goldes nannte. „Typisch Pestbeule des Südens. Man glaubt eine Täuschung beseitigt zu haben, aber dahinter kommt immer nur neue Arglist zum Vorschein.“ „Die Täuschng liegt gaaanz im Augä däs Betrachtärs. Wächselt ab und zu ainmal äurän Staaandpunkt, dann wärdät Ihr vielleicht värschtähän, was ich mainä.“ Ein geringschätziges Lächeln. „Oder andars gäsagt, wärdä ärst ainmal erwaaachsän, main Kiiind.“ Mit raschelnder Robe trat der „Sensemann“ näher. Bishdarielon wollte ausweichen, vielleicht sogar fliehen, stattdessen blieb er stehen, reglos und gebannt wie das Kaninchen vor der Schlange. Zart, fast liebevoll legte die Dame den Schnitter auf seine Stirn, murmelte etwas auf Bosparano.
Ein eisiges Grauen durchflutete Bishdarielons Geist. Fast so erbarmunglos wie damals, im Wüstenzelt vor Unau, als Tar Honak ihn mit dem Stab des Vergessens berührt hatte. Schreiend fiel er zu Boden, spürte, wie etwas Grässliches mit seinem Leib geschah: etwas, was er nicht mehr aufhalten konnte. Als schlüge in diesem Moment Satinavs unerbittliche Bestie, die Zeit selbst, ihre Hauer in seinen Leib. Dieser schien wieder zu wachsen, aber nicht in vielen Jahren jugendlicher Blüte zu gedeihen, sondern schlagartig in seine alte Form zurück gezwungen zu werden. Die lächerlichen Gewänder zerrissen entlang der Nähte, er wurde wieder ein Mann: auf peinliche, schmerzhafte Weise. Wie aus weiter Ferne drang Esteforias Stimme an seine Ohren. „Ansonstäään habt Ihr Rächt, jaaa. Ich war ainä Spioonin des Patriarchän, am Hofä däs Näkromantänratäs in Waruunk. Auf där Suche nach däm sagänhaftän Ai des Chol´iaaadrim, das im Jahr däs Fäuärs dorthin gäbracht wordän sein soll. Durch Märwan däm Schwarzän hochstälbst, unseräm altän, viel zu altän Bekanntän. Im Alptraumschloß erfuhr ich, dass das Ei noch immär in där Baronie Friedwang verstäckt wird, von einäm kleinän Zirkel anmaßändär Häääxän. Mein Plan entwickelte sich fast von sälbst, aufgrund där bäsondärän Affinitäät däs Ais zum Älämänt Feuär. Wie Ihr wisst, sind wir Al´Anfanär seit jehär Meistäär där Seelenkundä – es ist uns ein leichtäs, unsärä Gägnär sälbst die Waffän schmiedän zu lassän, die wir anschließänd gägän sie zu värwändän gädänkän. Ich sälbst war äs, die Ludwina die Idää eingab, einän Feuerälämäntar in das Ai zu bannän. Indäm ich Ihrän Götzän, die Steinärnä Äulä, zu Ihr sprächän ließ. “ Der Schatten der Mirhamdez fiel auf Bishdarielons nackten Leib, an dem er wieder jede einzelne Narbe, jedes seiner fast vierzig Lebensjahre bis hinauf zu den beginnenden Reichsgeheimratsecken spürte. „Ihr said Golgariiit, Bischdarieeelon. Wir sitzän allä im gleichän Boot: Ihr Puninär an dän Riemän, der einzig wahrä Patriarch von Al´Aaanfa am Steuääär. Auch wänn Ihr davon die meistä Zeit gar nichts bämäärkt. Sicher habt Ihr nichts dagegän, wenn Ich jetzt das Todäsfeuär befreiän und diesä frävlärische Kultstättä dort auslöschän wärdä. Das heißt vor alläm diesän värflüchtän See verdaaampfän, der schon zu langä die Gäsätzä unsäres gemeinsamän Gottäs Boron värhööhnt. Oder habt Ihr etwas dagägän einzuwendän - Golgarit?“ Das letzte Wort war selbst reiner Hohn. Akribisch, als seziere die Esteforia irgendeinen Kadaver, zerschnitt sie mit ihrer Waffe die Reste von Bishdarielons Gewandung, legte seinen Körper frei. Der Golgarit wollte hochrucken, spürte aber bereits die kalte Klinge des Schnitters an seinem Hals. „Wir sitzen verdammtnochmal nicht im gleichen Boot, Esteforia“, keuchte er. „Bei meiner Seel: Eure Fahrt geht schon lange Richtung Verdammnis. Wenn nicht geradewegs in die Niederhöllen. Ihr habt versucht, die Sokramorier gegen mich und den Orden des Heiligen Golgari aufzuhetzen, mich mit dem Tode bedroht. Hekata wolltet Ihr ebenfalls ermorden. Ihr haltet Dämonengezücht in euren Diensten – gilt das in der Stadt des Schweigens mittlerweile schon als borongefällig?“ „Bischdarieelon, ich bittä Äuch.“ Wie aus dem Nichts tauchte eine Mohacca zwischen den Fingern der Mirhamdez auf. Von dort flog der Cigarillo pfeilgerade in Richtung des Feuereis, entflammte und eilte auf gleichem Weg wieder zurück. Die Maga klemmte sich das glimmende Tabakröllchen zwischen die Zähne und begann ebenso gelassen wie lasziv zu paffen. “Soll ich Äuch die zwai Dutzäänd Urkundän zeigän, mit dänän mir Seinä Hochwürdigstä Ärhabänhait Dispäns ärteilt hat? Ich dürftä sogar ungästraft dän Namän där Boronfaindin aussprächän, um meinä Rollä glaubwürdigär zu spielän.“ Die Zauberin blies ihrem Opfer blauen, süß riechenden Tabakrauch ins Gesicht. „Warum, Esteforia? Warum wollt Ihr mich töten?“ Bishdarielon schloss die Augen, nicht nur ob der Schneide an seiner Kehle. Der Qualm roch nicht einmal unangenehm, dennoch rang er nach Luft. Schweratmend erinnerte er sich wieder an damals, die Nacht im Kerker des Vampirmagiers Merwan. Auf der Plantage, wohin man ihn, den gestürzten Rabengardisten, und seinen Bruder Francesco gebracht hatte, als Sklaven. Dort hatte der Schreckliche eine grausames Experiment mit ihnen, den Zwillingen geplant. Die Seele hatte er ihnen vertauschen wollen, als Teil seines verrückten Plans, perfekte Doppelgänger seiner selbst zu erschaffen. Um künftig wie ein finsterer Gott an mehreren Stellen gleichzeitig anwesend sein, nein, Unheil stiften zu können. Grundlagenforschung nannte man so was wohl bei verderbten Schwarzmagiern. Auch wenn Bisch sich nicht mehr an die Vorfälle in der Casa erinnern konnte (oder wollte): Es war letzlich Magistra Esteforia gewesen, die den abscheulichen Borons-Frevel verhindert hatte.
„Ihr habt uns in Guan Tapamo gerettet“, sagte er. „Im Loch, das die Seele verschlingt. So haben die Wilden die Casa Merwania genannt. Ich und mein Bruder verdanken Euch mein Leben. Warum wollt Ihr mich jetzt vernichten?“ „Naiiin. In der Casa habä ich äurä Säälän gärättät – das ist ain Untärschied. Aber wär sagt, das ich, Magistra Esteforia Mirhamdez, Äuch tötään will? Ich habä gästärn Nacht ainä Rollä gespielt, das ist alläs. Das Älixier treibt einän dazu, Ihr värschtäht? Und ist unsärä Äxistenz nicht genau das: Ein Spiel…ein übäraus fantasievolläs Rollänspiel?“ Ein mit Qualm verhülltes Lächeln. „Abär saagt: Wie värfährt man im Ordän des Heiligän Goolgari mit Värrätärn? Dankt Ihr äs so Seinär Hochwürdigstän Ärhaabenhait, dass är Äuch damals nicht nur die Ärinnärung zurückgegäbän, sondärn Äuch außärdäm gnäädig am Läbän gelassän hat? In dem Ihr Äuch bei ärstbästär Gälägänheit seinän Feindän anschließt? Sainän Tod-Feindän? Diesäs Värgähän allain hättä dän Feuärtood värdient, findät Ihr nicht? Abgäsähan davon: Eurä Brüdär und Schwästärn haltän Euch ohnähin für einän Spion, trauän euch keinä Fädärbreitä weit. Als ob unsärä Spionä so laicht zu entarnän wärän. Schönä Freundä habt Ihr. Wär andärän nicht traut, däm ist meist sälbst nicht zu trauän…“ Die qualmende, glühende Mohacca wippte bei diesen Worten neckisch zwischen Esteforias Vorderzähnen. „Verschont meine Ohren mit Euren Sterbensweisheiten, Esteforia. Lebensweisheiten kann man so was ja schwerlich nennen. Wenn man Euch anhört, müsste es eigentlich Stadt des Schwatzens heißen und nicht Stadt des Schweigens…“ Esteforias Blick glitt über den Leib des Kriegers – sehr weit hinunter. Spielerisch legte sie ihm die Waffe zwischen die Beine. Bishdarielon schluckte. Die Klinge wanderte wieder hinauf. Kalt lächelnd, scheinbar gedankenverloren ritzte sie ihm die Brust. Der Adelige biss die Zähne zusammen, spürte, wie warm und klebrig Blut hervor rann. „Nännt äs wie Ihr wollt. Ihr habt däm Patriarchän ainän hailigän Aid geschworän. Däm Häärrn Äuräs Läbäns und Stärbäns auch dann noch gähorsam zu sain, nachdäm är Äuch die Ärinnerung zurückgegäbän hat. Geradä dann. Nein. Ihr habt dies Boron geschworän. Däm Göttärfürsstän. Diesäs Gelüübdä ist immär noch güültig.“ Esteforia aschte ab, ohne sonderlich darauf zu achten, wohin die glühenden Tabaskreste fielen. Bishdarielion zuckte schmerzerfüllt zusammen, als er etwas Glut auf seiner Haut spürte. Die Klinge wanderte wieder zwischen die Beine. „Ihr seid verrückt…Ihr seid völlig verrückt…Dankbar soll ich Amir sein? Die Peitsche hat mir dieser Schinder schmecken lassen, in der Sklaverei. Das war sein Dank für viele Jahre treue Dienste in der Garde. Zuletzt wollte er mich für immer in den Minen von Sukkuvelani verschwinden lassen, als lästigen Mitwisser. Vielen Dank dafür! Treue funktioniert nicht wie der Al´Anfaner Aufzug, der immer nur in eine Richtung fährt. Nein, die Pestbeule kann mir gestohlen bleiben. Niemals werde ich meine Gefährten verraten oder sie ausspionieren, falls Ihr das von mir verlangt. Es gibt nur einen wahren Patriarchen, und das ist der Rabe von Punin. In seinem Namen wurde ich von dem Eid befreit. Es gibt gar keinen Götterfürsten Boron, dem man einen solchen unbilligen Schwur leisten könnte. Für Bahram Nazir und die einzig wahre Kirche bin ich bereit, dereinst vor den wahren Herren Boron zu treten.“ „Bei Booron, däm Härrn där Göttär und dän übrigän Älfän…so lautätä meinäs Wissäns die Formäl. Nun dänn, Nazir mag Wankälmut, Aidbruch und Treulosigkeit belohnän, mit einem Läbän in Schandä. In där Goldänän Stadt ist där Tod ain Gäschänk für einän aufrächtän, treuän Dienär Boorons. Ihr habt einä solchä Ährä gar nicht värdient. Darum soll äurä Strafä das Läbän sain: das Läbän einäs für immär und äwig Ausgästossänän. Was glaubt Ihr, wird gäschähän, wänn wir dän Värdächt Eurär Brüdär und Schwästärn bästätigän? Ihnän äinän Wink gäbän, dass Ihr tatsächlich ainär unsärär Spitzäl seid?“ Ein eisiges Lachen. Mit der Rechten deutete die Magistra den Wink an, nahm die Cigarillo aus dem Mundwinkel und paffte genüsslich eine Rauchwolke aus: ein Fehler, wie sie im nächsten Herzschlag bemerkte, den jetzt hielt sie die Waffe nur noch mit der Linken. Esteforia zuckte zusammen, als sich beide Hände ihres Gefangenen ruckartig um die Schneide des Boronschnitters schlossen. Fast gleichzeitig schoss Blut aus dessen Fäusten hervor. Es war daher Bishdarielon, der aufschrie, als er der unachtsamen Maga den Schaft gegen den Sonnenpunkt stieß. Die Mohacca fiel ihr aus dem Mund, prallte von Bischs Schulter ab. Der stieß erneut zu. Keuchend wich die Al´Anfanerin zurück, ließ die Waffe endgültig los. Den Schnitter mit bluttriefen Händen umklammert, sprang Bishdarielon auf, drehte die Waffe. „Rauchen schadet der Gesundheit, Magistra.“ Der Golgarit verzog das Gesicht, als er seine Brand- und Schnittwunden spürte. „Das solltet Ihr bei Eurer besonderen Nähe zu Boron doch wissen!“ Erstaunt sammelte sich Esteforia wieder, griff nach ihrem in der Luft schwebenden Stab. „Ein nacktär Mann, der gegen ainä Magierin kämpfen will? D a s ist Wahnsinn…“ Der Golgarit ging in Kampfstellung. „Nein, das ist der Orden des Heiligen Golgari!“ Verächtliches Schnauben, aber auch ein anzüglicher Blick über Bishdarielons Körper. „Wieviele seid Ihr übärhaupt? Keinä 300, möchtä ich wättän?“ Statt zu antworten, griff Bishdarielon an. Die Mirhamdez pariert klackend über Kopf, wich aus, schlug selbst zu. Tock. Der Hieb prallte am Schnitter ab. Ihr höhnischer Blick ließ keinen Zweifel zu, dass sie den ungleichen Kampf genoss. Sie hätte ihn leicht mit einem Zauber beenden können, aber in diesem Moment war sie eine Samtpfote – eine Al´Anfaner Katze, die mit einem Mäuslein spielte. Oder eine grausame Herrin, die ihren Sklaven, nein, ihr menschliches Spielzeug peinigte.
Ein wilder Tanz hub an, Schnitter und Stab schienen sich abzutasten, suchten in immer neuen wirbelnden Attacken die Schwäche des Gegners. Sie landeten im Wehrheimer Block, pressten ihre Waffen (und erhitzten Körper) gegeneinander. Ohne Vorwarnung drückten Esteforias Lippen einen leidenschaftlichen Kuss auf die seinigen. Ein Überfall, der nach Tabakrauch schmeckte. Und nach Al´Anfanischer Grandezza. Die Mirhamdez strahlte ihn an, als wären sie tatsächlich ein frischverliebtes Paar. Lachte wild. Verrückt, die Al´Anfanerin war völlig verrückt…er stieß sie zurück, nicht ganz so heftig, wie er beabsichtigt hatte. Bishdarielon spuckte aus, griff wieder an. Erst nach einer Weile merkte er, dass Esteforias Stab selbst dann parierte und zurück schlug, wenn die Maga ihn überhaupt nicht in Händen hielt. Für einen Moment unachtsam, kassierte Bisch einen üblen Treffer gegen den Oberarm, verzog schmerzerfüllt das Gesicht. Erneut stieß der Stab zu, zischend wie ein Speer, zielte auf den Bauch oder tiefer. Bishdarielon wich zurück, hieb das verzauberte Holz beiseite, das für einen Moment ins Trudeln geriet. Sie umrundeten das rubinrot glühende Ei, ein ungleiches Gefecht. Esteforia schien der Reigen selbst langweilig zu werden, sie sprang in die Höhe, lief regelrecht einige Schritt mit raschelnder Robe durch die Luft, balancierte die Steinmauer entlang, sprang erneut, landete in Bishdarielons Rücken. Einen Moment hatte sie einen unsicheren Stand. Sie schrie, als der Schnitter über ihre Wange fauchte. Der nächste Schlag fetzte ihre Robe auf, sie zeigte nacktes Bein. Esteforia langte an ihre Wange – Blut rann heraus. Frivoles Amüsement wechselte sich in ihren Gesichtszügen ab mit Erschrecken und Zorn. Sie blickte auf die rotglänzende Waffe in Bishdarielons Fäusten, der mit flackerndem Flick seine Angriffslust zähmte. Blut tropfte zwischen seinen aufgeschnittenen Fingern zu Boden, wie Wasser aus einem lecken Eimer. „Gratuulaation. Euär Blut hat sich mit däm meinigän vermischt. Nun sind wir Blutsgäschwistär, ob Ihr wollt odär nicht…“ „Hört zu, Esteforia, ich möchte Euch kein Leid antun. Ihr habt mich und meinen Bruder gerettet. Das habe ich nicht vergessen, und trotz aller… Unterschiede beten wir zu dem gleichen Gott. Lasst uns dieses Ei gemeinsam untersuchen. Ich verstehe nicht viel von Magie, aber Euch muss klar sein, dass, sobald der Feuerelementar schlüpft, dieses Artefakt zerstört wird. Bedenkt: Womöglich ist es wirklich das Ei, aus dem einst der Seelenvogel Golgari geschlüpft ist…“ „Ja, gewiss. Ihr würdät äs dann in die Kammär der Gabän schläppän, ins Gebrochänä Rad von Punin, auf Nimmärwiedersähän. Nein, äs muss rästlos zärstört wärdän, äbänso wie diesär verfluchtä Eulänteich.“ „Es muss zerstört werden? Aber warum denn?“ „Habt Ihr noch nie von däm Näst aus Karnäol gähort? Von altän Lägändän, dass Golgari, Bishdariel und där Säälendieb Nirravän Gäschwistär warän, aus einäm Gälägä? Geborän aus drei Aiärn, mit Schalän aus lautäräm Enduurium. Und einär von Ihnän flog zu hoch… Dieses Ei dort würde all diesän frävlärischen Gerüchtän neuä Nahrung gäbän – auch wenn ich sichär bin, dass es sich bei diesäm Gebildä dort nur um ein värzaubärtäs Drachänai handält. Ein Kuckuuucksei im Näst der Drei Brüüdär, gewissärrrmaßän.“ „Aber Ihr seid Euch verdammt noch mal nicht sicher, beim Glanz von Tarnûr´shin!“ Bishdarielon presste abwechselnd die Fäuste zusammen, um den Blutfluss ebenso wie den Schmerz zu mindern. „Was, wenn es das Ei Golgaris ist?“ Esteforia präsentierte ein malizöses Lächeln, das einer bösen Fee zur Ehre gereicht hätte. „Glaubän heißt nicht wissään, mein ungästümär Golgarit. Wollt Ihr dän Mänschän den Glaubän an das Wichtigste nähmen, nicht im Läbän, sondern im Dasein übärhaupt – das Heil ihrär unstärblichän Sälä? Wänn zwischen einem göttlichen Seelenvogäl und ainäm dämonischän Säälendieb kein Unterschied mehr bästäht - wievielä Stärblichä würdät Ihr allein mit diesär Ärkänntnis in die Armä där Niederhöllän treibän? Bedänkt, in alläm was Ihr tut, die Konsequänzen. Die Glaubigän müssän sichär sein könnän, dass nach ihräm Abläbän die Säälen Eingang in Alväran findän. Värschtäht Ihr das nicht? Gäbt Ihrän Sälän wahrän Friedän. Alles andäre wäre nur eine neuä Reliquiä, irgendein neuär Tand!“ Esteforia senkte für einen Moment die Augen, während ihre Wange blutete. „Ihr predigt wieder einmal nur die Lüge, den Betrug!“ keuchte Bishdarielon, fühlte sich für einen Moment aber seiner Sache gar nicht mehr so sicher. „Typisch für Euch Al´Anfaner Ketzer! Euer wahrer Glaube, das ist der Egoismus!“ „Wisst Ihr dänn um Wahrheit und Lüga, und all die lätztän Dingä - Puniner?“ hörte er wie aus weiter Ferne. Es klang matt, aber auch freundlich, ja, beinahe gütig. Sie hob die Hand, beiläufig. Nicht einmal die Geste wirkte machtvoll, da flog der Schnitter auch schon mit Urgewalt aus Bishdarielons Faust. Die Waffe bohrte sich in einen uralten, verwachsenen Baumstamm jenseits der Mauer. „Kein Glaubä ohnä Vääärnunft – und Ägoismus ist värnunftig. Sich um sein Seelenheil und die Gunst där unstärblichän Zwöölfä zu kümmärn, sei äs durch das Opfärn von Dublonän oder gutä Tatän, gibt äs ätwas ägoistischäräs? Wahrheit, Glaubä und Värährung um ihrär sälbst willän, wie Ihr sie aansträäbt, ist duum. Boron will starkä, freiä Sälän als Ärntä. Machtvollä, ägoistische, den Gottärn aus Aigennutz värbundäna Sälän, die auf där Waagä Räthon Gäwicht habän….“ „Mag sogar sein, bei meiner Treu. Aber eine belogene Seele ist niemals stark! Glaube ist mehr als Vernunft, heißt tiefe Leidenschaft und echte Hingabe. Doch dazu müssen wir Menschen das Wesen der Götter erst verstehen lernen! Dafür brauchen wir greifbare Dinge wie dieses Ei dort. Ihr gebt Euren Gläubigen nur Rauschkraut und Lügengeschichten, benebelt damit ihre Sinne und behauptet dann, sie wären frei!! Wenn nicht sie nicht von vorneherein Sklaven sind…“ „Sind wir nicht allä Sklavän von irgändätwas – und am Ändä vielleicht sogar glücklich dabei? Fraihaiiit ist nur ain Wort, das noch dazu seine Bädäutung ständig värändärt, wie das Wörtchän Wahrheit. Glaubt mir, die meistän Mänschän auf Därä wollän gar nicht frai sain, wie Ihr äs värschtäht – und auch die lätztä Wahrheit nicht wissän! Sie wärdän dadurch vor däm Wahnsinn däs Namänlosän wie där Niedärhöllän bäschützt, stärkär im Glaubän an die Zwölfä und am Ändä belohnt. Während Ihr nach jädär ärstbästän Wahrheit hascht, wie ein kleinäs Kind, das jedäm värlockändän Schmätterling hinterhär taumält. Nur um am Ende wiedär värwirrt und mit lärän Händän dazustähän. Ihr seid vollär kleinlichär Zweifäl und Ängstä, Bishdarielon, ist Euch das aigentlich schon ainmal aufgäfallän?“ „Gewiss, bei meiner Seel. Derzeit hege ich Zweifel, ob es richtig ist, dieses Relikt hier zu zerstören! Wenn wir nicht wissen, um was es sich dabei handelt. Womöglich ist der Seelenvogel Golgari wirklich aus den Schalen dort geschlüpft…“ „Was wollt Ihrrr aigäntlich noch alläs findän und anbätän? Die Wiege oder die Windäln Borons?“ Esteforia verwedelte die lästerlichen Worte vor ihrem Mund. „Gänug. Ich bräuchtä keinä Wortä, um Euch zu überzeugän. Ihr wisst, das Widärstand zwäcklos ist! Fessle ihn!“ Die Maga schnippte herrisch mit den langen Fingern. Kraaah! Kraaah! Kraah! Kreischend, wie ein schwarzes Verhängnis, schwebte die Dämonenkrähe heran, in zackigem, völlig unnatürlichem Flug. Der Friedwanger fluchte. Das Mistvieh hatte er beinahe schon vergessen. Ihre Spinnenbeine zuckten, eklige, weißliche Spinnenfäden schossen daraus hervor. Bishdarielon duckte sich, rollte sich über den Boden, hörte die Magierin fluchen. Herr Praios hilf! Dann griff der Krack ihn direkt an, mit weit geöffnetem Schnabel. „Elendes Ungeziefer! Hör auf hier rumzuspinnen!“ Bishdarielon schlug zu, mit der Praiostatuette, die er zwischen den Fetzen seiner Kleider aufgehoben hatte. Klatschend traf der Adlerkopf des Götterfürsten die niederhöllische Kreatur, fegte sie taumelnd aus der Flugbahn – geradewegs auf das Flammende Ei zu. Der Unglücksvogel prallte dagegen, öffnete wehklagend seinen Schnabel, flatterte hektisch mit den riesigen schwarzen Flügeln, die Spinnenbeine zuckten grotesk, während Feuer den schwarzen Leib einhüllte. Die „Risse“ in dem glühenden Ei schienen sich wieder ein Stück weit zu öffnen. Glühende Federn wirbelten umher, die Fangarme standen in Flammen wie Schwefelhölzer, ebenso die Flügel. Irgendwie gelang es dem Untier in seiner Qual, sich zu drehen, mit glühendem Schnabel auf die Feuerkugel einzuhacken. Dann verging der Dämon in der flirrenden Luft über dem Artefakt, zerplatzte in einer eitergelben Wolke. Der rasch verwehende Rauch stank bestialisch nach Schwefel.