Grafenhorn
Im Besitz des Hauses Falkenhag befand sich seit vielen Götterläufen ein kunstvoll verziertes Trinkhorn, um das sich manche Mären ranken.
Herr Jörch von Falkenhag, der Großvater des einstigen Grafen Orsino von Falkenhag, herrschte einst über die Lande am See, seit er dem kindlichen Prinzen Holdwin vom Eberstamm die Flucht vor den Schergen des finsteren Porquid von Ferdok ermöglicht hatte und ihm eine treuer Lehrer, Gefolgsmann und Freund gewesen war in all den Jahren, die ins Land gingen, bis der junge Fürstensohn sein Erbe wiedergewann, und Jörch diesem mit dem Lehen Angbarer See belohnt worden war.
Wie sein Nachfahre Orsino, so war auch Graf Jörch ein leidenschaftlicher Jäger und Firunsjünger. An einem schönen Tage zog er mit stattlichem Gefolge und seinen scheckigen Winden aus in den Falkenhag, um dort die roten Hirsche und schwarzen Eber zu jagen. Als der Graf nun selbst zu Ross eine Hindin hetzte und dem Tier bis an den Rand des Forstes und darüber hinaus folgte, geschah es, daß er von seinem ganzen Jagdgefolge getrennt ward und in die Nähe jener Stelle am Angbarer See kam, die man nach einer anderen Märe den Mädchenstieg nennt.
So saß er auf seinem Apfelschimmel und konnte weder das frohe Schmettern der Hörner noch das Kläffen der Meute mehr vernehmen. Und weil das Praiosmal heiß und golden vom Himmel brannte, suchte er Schatten unter einem Lindenbaume und sagte er zu sich selbst: „Wenn ich jetzt nur einen frischen Trunk hätte!“
Er hatte diese Worte aber kaum gesprochen, da trat zu ihm eine schöne Maid mit meerblauen Augen, und sie hielt in den Händen ein gewaltig geschwungenes Ochsenhorn, das war mit Silber und Gold beschlagen, daß es im Sonnenlichte glänzte und funkelte wie der ganze Zwergenschatz von Egrâzim. Dieses Horn nun reichte sie dem Grafen und bat, er möge daraus trinken, um sich zu erfrischen.
Der Graf entnahm ihr das Horn, doch als er den Deckel desselben angehoben und hineingesehen hatte, da erschien ihm der Trunk im Innern sonderbar und nicht geheuer, und so verweigerte er der Maid, daraus zu trinken. Sie aber sprach: „Hoher Herr, trinkt nur im guten Glauben! Euch soll kein Schaden entstehen. Trinkt nur im guten Glauben, so soll es dem Hause Falkenag fürder wohl ergehen und das Land erblühen und gedeihen.“
Als sich der Graf aber noch immer weigerte, da rief sie aus, es solle keine Einigkeit und keinen Frieden mehr geben in seinen Landen. Darauf gab der Recke jedoch wenig, sondern hob das Horn und ergoß dessen Inhalt weit von sich. Dabei kam es aber, daß der Tropfen einige auf das weiße Fell seines Pferdes spritzten, welches sich sogleich an dieser Stelle schwarz verfärbte und jegliches Haar verlor. Da die Maid dies sah, forderte sie ihr Horn zurück; der Graf vom See aber schwang sich aufs Pferd mit dem Horne und gab seinem Tier die Sporen, daß er schnell davonflog.
Das Horn war bis vor kurzem im Rittersaale des Schlosses Grauensee zu bewundern, wo es neben Wehr und Waffen des Herren Joerk hing und von allen in hohen Ehren gehalten wurde. Der Grafen Hoftrouvere, Herr Jacopo von Bleichenwang, trug sich mit dem Gedanken einer Ballade zu dieser Mär, dieses aber wird nach seinem Schlachtentode nun einem anderen zukommen müssen.
Im Efferd 1038 BF verlor das Haus Falkenhag das Horn unter bislang unbekannten Umständen. Ob dies mit den merkwürdigen Nebelerscheinungen Anfang Efferd 1038 rund um Gut Falkenhag zu tun hat, kann niemand genau sagen, ist aber wahrscheinlich. Der Kosch-Kurier versucht, in einer der nächsten Ausgaben dazu Aufklärung zu bringen.
Briefspieltexte
1021 BF
Das Grafenhorn Aus Koscher Sagenwelt Kosch-Kurier 23, Rah 1021 BF |