Roterzer Herzklopfen - Auf Bochswies
Teil der Briefspielgeschichte "Roterzer Herzklopfen"
Des Treublatts Ränke | Öl ins Feuer |
Einige Tage später in Bochswies (Ende Praios 1041 BF)
Die beiden schweren Karren rumpelten langsam in den Gutshof hinein. Das bisherige Gesinde hatte Aufstellung genommen und blickte die Neuankömmlinge skeptisch an. Der Sindelsaumer Oberknecht Binsbart, war gemeinsam mit einigen geworbenen Knechten und Mägden, sowie den beiden Wagen mit Arbeitsmaterialien vor einigen Tagen von Sindelsaum aus aufgebrochen und war nun endlich in seiner neuen Heimat eingetroffen. Das alte Hofgesinde warf den Neuankömmlingen skeptische Blicke zu. Glücklicherweise wurde die Gruppe um Binsbart von den beiden barönlichen Waffenknechten Reto und Baduar begleitet, diese sollten verhindern, dass es Ärger zwischen den Alteingesessen und den neuen Herren gab.
Nachdem man sich vorgestellt hatte ließ sich Binsbart auf dem Hof herumführen. Der Baron hatte wirklich nicht untertrieben, hier würde es viel zu tun geben. Während Binsbart die Führung unternommen hatte lud das übrige Gesinde die Wagen ab und spannte die Zugochsen aus. Die Stimmung des alten Gesindes besserte sich deutlich, als bekannt wurde, dass es des Abends einen kleinen Festschmaus geben würde.
Die nächsten Tage brachte man damit zu sich gegenseitig zu beschnuppern und erste Ausbesserungsarbeiten an den Gebäuden vorzunehmen.
Noch ein paar Tage später, am sehr frühen Morgen (Anfang Rondra 1041 BF)
”Hoch, ihr faules Pack! Schiebt die Ärsche aus den Decken! Der Herr Praios marschiert bereits aus Richtung Garetien an, und ihr liegt hier rum!”
Die harschen Worte wurden vom Lärm einer Schöpfkelle begleitet, die den Boden eines Metalltopfes malträtierte. Brummelnd und grunzend rollten sich vier Menschen in der Kleidung der Roterzer Wachmannschaft aus ihren Decken und blinzelten den Mann an, der sie seit dem Aufbruch aus dem heimischen Adlerstein traktierte wie ein Wehrheimer Zuchtmeister.
Roban betrachtete sein Gefolge kopfschüttelnd.
”Ernsthaft – ein Rudel besoffener Goblins könnte euch einkassieren, ausrauben und Brauwin aufessen, ehe einer von euch Schnarchsäcken kapiert, was überhaupt los ist! Es gleicht einem Wunder, dass man euch Adlerstein nicht schon unter dem Hintern weg geklaut hat!”
Murrend machten sich die Adlersteiner wieder reisebereit. Das Roban die Reise nutzte, um sie mit den Freuden des Biwakierens, des frühen Aufstehens und der täglichen Leibesertüchtigung vertraut zu machen, hob die Moral nicht gerade, aber der Ritter kannte so viel Nachsicht wie ein priesterkaiserlicher Inquisitor.
So dauerte es noch bis zum Mittag, bis man die letzten Meilen bis Bockswies hinter sich gebracht hatte. Rauch stieg aus dem Kamin des Gutes, als Roban sein Pferd auf einer nahen Hügelkuppe zum Stehen brachte.
”Scheint so, als würde man bereits das Mittagsmahl bereiten”, schloss Brauwin, ein schmerbäuchiger Wachmann, der unter Robans Drangsalien besonders litt.
”Denk gar nicht erst ans Fressen, Brauwin”, knurrte Roban mit zusammen gekniffenen Augen. ”Viel interessanter ist, dass jemand anscheinend das Dach repariert. Oder die Leute lagern ihr Werkzeug auf den Dachschindeln.”
”Ist doch gut, wenn man mit den Reparaturen schon angefangen hat, Wohlgeboren”, wandte Josmene ein. ”So bleibt weniger für uns!”
”Vielleicht sollte ich die Leute da unten fragen, ob sie nicht auch den Wachdienst auf Adlerstein übernehmen wollen”, schnappte Roban. ”Dann könnte ich euch Tränentiere gleich hinter dem nächsten Busch einsalzen! Jetzt schwingt die Hufe. Will doch mal sehen, ob die wirklich schon angefangen haben!”
Binsbart betrachtete die Reparatur des Daches skeptisch. Ob es wirklich reichen würde, ein paar neue Schindeln anzunageln? Einige der Balken sahen nicht gut aus – zu lange waren sie Wind und Wetter ausgesetzt gewesen. Womöglich würde man das Dach vollständig ab- und wieder aufbauen müssen. Er würde seinem Herren schreiben müssen, falls zusätzliches Geld und Handwerker notwendig würden.
”Das Essen ist bereitet, Herr Binsbart!” Reto, der Waffenknecht, erschien in der Tür des Haupthauses. Binsbart wandte sich von der Baustelle ab. Da bemerkte er, wie Reto zum offenen Tor blickte und die Stirn runzelte. Er folgte dem Blick. Dort näherte sich ein Reiter mit vier Uniformierten. Sie sahen nicht gerade nach Angreifern aus, aber mit Besuch hatte er ebenfalls nicht gerechnet. Also trag Binsbart in das Tor, um den Überraschungs-besuch zu begrüßen.
”Willkommen auf Bochswies, werte Herrschaften. Seid gegrüßt im Namen des Hauses Sindelsaum, dem Eigner dieses bald wieder prächtigen Anwesens!”
Der Reiter sprang aus dem Sattel, und sein Waffengurt klirrte bedrohlich, als er sein Tier am Zügel nahm und Binsbart mit finsterer Miene musterte. Das zerschlissene Wappenhemd unterstrich den Eindruck noch, eine geballte, gepanzerte Faust.
”Sindelsaum? Was für ein Gebräu hast du dir denn in die Figur geschüttet, Meister? Das ist doch Gut Bochswies, oder nicht?”
Binsbart war angesichts der harschen Anrede kurz sprachlos, aber er wäre nicht Oberknecht geworden, wenn er mit den Launen von Höhergestellten nicht umgehen könnte.
”In der Tat, dies ist Gut Bochswies, Herr...”
”Roban Grobhand von Koschtal”, brummte er Fremde und baute sich Binsbart auf. Er war zwar nicht wirklich größer als der Knecht, strahlte aber eine solche Feindseligkeit aus, dass dieser sich sofort zwei Köpfe kleiner fühlte.
”Herr Grobhand von Koschtal. Ich führe das Gut als Bevollmächtiger des Herren Halmar von Sindelsaum, für den das Gut vor kurzem erworben wurde. Sucht Ihr Gastung unter unserem Dach?”
Die Miene Robans wurde finster wie der Himmel kurz vor einem Gewitter.
”Halmar von Sindelsaum? Vor kurzem erworben? Willst du mich eigentlich verarschen, Mann? Das Gut wurde vor kurzem erworben, das stimmt, aber von Baron Grimwulf Grobhand von Koschtal zu Roterz. Ich suche nicht Gastung in diesem Kasten, ich bin hier, um ihn zu übernehmen!”
Binsbart glaubte, sich verhört zu haben. Es beruhigte ihn auch nicht besonders, dass neben Reto jetzt auch Baduar aus dem Haus getreten war – es standen zwei Sindelsaumer Bewaffnete gegen fünf auf der anderen Seite.
”Das...das muss ein Irrtum sein, Herr Grobhand. Das Gut wurde mit Brief und Siegel verkauft, der Vertrag durch einen Geweihten beglaubigt. Ihr könnt ihn in Sindelsaum einsehen, wenn Ihr das wünscht, und...”
Der Ritter machte einen Schritt rückwärts, riss mit einigen Ausdrücken, die Binsbart bislang nur von Stallknechten kannte, seine Satteltasche aus, förderte eine Lederhülle zum Vorschein und schüttelte ein Pergament heraus, dass er Binsbart vor die Nase hielt.
”Kannst du lesen? Das ist ein Kaufvertrag, du Napf! Das Haus Grobhand kauft das Gut Bochswies, gesiegelt und durch einen Geweihten beglaubigt! Also, was ist jetzt? Hat sich das Haus Sindelsaum in der Tür geirrt, oder kassiert man dort einfach mal verwaiste Gutshöfe?”
Binsbart atmete tief durch. Mit derlei Aufgaben war er bis dato noch nicht betraut worden.
”Ich versichere Euch, Wohlgeboren, das Gut wurde durch das Haus Sindelsaum rechtmässig erworben. Reitet gen Sindelsaum, dort wird man Euch...”
Robans Faust schoss nach vorne und packte Binsbart am Kragen.
”Ich weiß was Besseres”, grinste er finster. ”Du gehst nach Sindelsaum und stösst deinen Herrschaften mal Bescheid. Kannst ja mit dem Vertrag wieder anranzen – falls es dort wirklich einen gibt!”
Reto und Baduar wollten Binsbart beistehen, aber es schien, als hätte Roban nur darauf gewartet. Er schleuderte Binsbart gegen Baduar und rammte Reto noch in der gleichen Bewegung den Ellbogen aus den Nasenrücken. Und noch ehe Baduar den Knecht hatte abschütteln können, traf ihn ein Fausthieb auf die linke Braue und schickte ihn ebenfalls in den Staub des Hofes. Das Angriff hatte kaum zwei Lidschläge gedauert, dann lagen die drei Sindelsaumer nebeneinander vor Robans Füssen.
”Ich gebe euch traurigen Figuren fünf Minuten, um euren Krempel zu packen und in den Wind zu schießen. Lungert Ihr dann immer noch hier herum, ramme ich euch den Stiefel dorthin, wo das Praiosauge niemals scheint, und das so fest, dass ihr den halben Weg nach Sindelsaum im freien Flug zurück legt.”
Reto, dem das Blut aus der lädierten Nase lief, wollte aufspringen, aber Binsbart hielt ihn rasch zurück. Der Kerl war gemein und gefährlich – oder sogar gemeingefährlich. Reto und Baduar mochten erfahren sein, aber er zweifelte daran, dass sie einen Zweikampf gegen diesen Wahnsinnigen überleben würden.
”Der Rückzug ist jetzt die weisere Entscheidung”, murmelte er. ”Die Herren von Sindelsaum werden diesen Affront ganz bestimmt nicht auf sich sitzen lassen. Die wissen besser als wir, wie man mit Leuten dieser Art zu verfahren hat!”
Mit wütenden Blicken und unter Robans Aufsicht gingen die Sindelsaumer daran, ihre Habseligkeiten zu sammeln. Die mitgebrachten Knechte und Mägde ließ der Grobhänder ebenso ziehen wie die zwei Wagen – nur das Material ”beschlagnahmte” er mit Verweis auf die ”unrechtmässige Übernahme” des Gutes durch das Haus Sindelsaum.
”Warte nur, du verfluchter Hundsfott”, fluchte Reto leise, als sie jenseits des Tores den Hügel erklommen. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, sich das Blut aus dem Bart zu waschen, und sah aus wie ein tollwütiger thorwaler Pirat. ”Dafür wird man dich noch bezahlen lassen!”
Vier Tage später in Fünfbrunnen
Halmar von Sindelsaum traute seinen Augen und Ohren nicht, als er den Bericht Binsbarts zu Ende angehört hatte. Er hatte überhaupt keinen Zweifel daran, dass sein Vater den Hof rechtmäßig erworben hatte und nun wollte diese, als Raufbold bekannte Wildsau ihm und seinem Vater den Hof streitig machen? Halmars Zorn wurde noch einmal gesteigert, als er sich Baduars Nase besah. Sein Vater hatte ihm eine ruhige Kugel und verwalterische Aufgaben versprochen und nun schien es als müsste man zu aller erst einen Raubritter vom Hof jagen.
Am nächsten Morgen machten sich daher Halmar, sein Reisiger Bodar, der Oberknecht Binsbart und die beiden Waffenknechte Reto und Baduar auf um den Grobhänder zur Rede zu stellen.
Als sie den Weg zum Hof heraufkamen musste sie feststellen, dass Roban nicht untätig geblieben war, denn schon waren die Reparaturen am Dach um einiges fortgeschritten, doch die Arbeiten stoppten sogleich, als die Reitergruppe in Sicht kam. Man war offensichtlich vorsichtig.
Ohne abzusatteln ritt die Reitergruppe in den Innenhof des Gutes. Halmar hatte Roban davor noch nie getroffen, doch es war eindeutig, wer von den fünf Gesellen, die sich zu ihrer Begrüßung eingefunden hatten, er war, hatten alle anderen doch geladene Armbrüste auf die Reiter gerichtet.
”Wohlgeboren Grobhand. Dieses Gut ist Besitz des Hauses Sindelsaum und ihr haltet euch hier unrechtmäßiger Weise auf. Dazu habt ihr meine Leute angegriffen, und Besitz des Hauses Sindelsaums gestohlen.” Halmar wollte gerade fortfahren, als Roban auf ihn zutrat. Der Kerl hatte ein derart unverschämtes Grinsen im Gesicht, dass Halmar nicht wusste, ob er ihn wegen seiner Selbstsicherheit bewundern, oder wegen seiner Dreistigkeit zum Duell fordern sollte. Ehe er noch weiter reden konnte fühlte er eine Hand an seinem Steigbügel und lag im nächsten Moment schon auf dem Boden. Die Luft wich ihm ob des Aufpralls aus den Lungen und bevor er sich aufrappeln konnte kniete Roban schon auf seiner Brust, und eine Hand schloss sich wie ein Schraubstock um Halmars Gurgel.
”Erstens, Jüngelchen, ist dies der Hof der Grobhands. Zweitens seid ihr die Eindringlinge hier, und drittens trollt ihr euch jetzt, oder es setzt ordentlich Prügel. Also Abflug, oder euer Herr beißt ins Gras.” Dabei schaute er zu Halmars Gefolge. Fluchend schauten sich diese an, als das schnappende Geräusch einer Armbrust zu hören war. Baduar schrie auf und fiel rücklings vom Pferd. Auch Roban schien überrascht zu sein, doch bevor er sich fassen konnte, traf ihn am Pferdehuf am Rücken.
Halmar rappelte sich rasch auf und zog sein Schwert aus der Scheide. Das Chaos auf dem Hof war perfekt. Geschrei, Kampfeslärm und das Wiehern der Pferde verursachten einen ohrenbetäubenden Lärm. Bodar war mit seinem Pferd über Halmar hinweggesetzt und hatte Roban dabei von ihm geschleudert. Erneut war das schnappende Geräusch von Armbrüsten zu hören und Bodars Pferd stürzte zu Boden, Bodar selbst verfehlte ein weiterer Bolzen nur um ein Haar. Baduar hatte derweil ebenfalls sein Pferd angetrieben und versetzte dem Grobhander Waffenknecht Brauwin einige kräftige Hiebe auf Gesicht, Schultern und Kopf, sodass dieser blutend zu Boden stürzte. Die Grobhander Waffenknechte waren indes nicht untätig, warfen ihre Armbrüste beiseite und stützten sich, je zu zweit auf die beiden Sindelsaumer Waffenknechte.
Halmar sah sich hastig nach Roban um, doch dieser lag noch immer am Boden. Er hatte nicht viel Zeit um nachzudenken, sah aber, dass Bodar schon nach wenigen Schlägen in die Enge getrieben worden war. Halmar ließ Roban also am Boden liegen und eilte seinem langjährigen Gefährten zur Hilfe. Josmene sah ihn nicht rechtzeitig und so traf sie der Schlag des Sindelsaumers am Nacken. Schreiend und Blut verspritzend stürzte die Waffenmagd zu Boden.
”Jetzt reicht es!” Die Stimme krächzte hinter Halmar, und noch ehe er reagieren konnte, legten sich ihm zwei Arme um den Hals und drückten so fest zu, dass er glaubte, sein Genick knacken zu hören.
”Aufhören! Sofort!” Robans Stimme zitterte ein wenig, und Halmar spürte etwas Warmes seinen Nacken hinunter laufen. Der Grobhander blutete offenbar ebenfalls, nachdem ihn der Pferdetritt zu Boden geworfen hatte, und sein Atem ging rasselnd, als sei eine oder mehrere Rippen gebrochen.
”Broderic, Wendelhardt – aufhören, ihr dämlichen Pfosten!”
Die Roterzer Waffenknechte wichen unsicher zurück, die Waffen noch erhoben und die Sindelsaumer nicht aus den Augen lassend. Auch Roban wich mit Halmar im Griff zurück, bis er eine Wand im Rücken hatte.
”Wenn einer von euch Pfeifen einen falschen Muckser tut, breche ich dem Bürschen das Genick wie einem Hanghasen.” Immer noch war Robans Stimme schwach, aber seine Arme waren es nicht. Halmar hatte alle Mühe, überhaupt Luft zu bekommen, und er zweifelte nicht daran, dass ein entschlossener Ruck genügte, um ihn über das Nirgendmeer zu schicken.
”Wendelhardt, kümmer dich um Josmene. Und Brauwin”, für einen Moment blickte Roban nicht links, ”nein, der braucht keine Hilfe mehr! Großartig, Herr von Sindelsaum. Das haben wir ja fabelhaft hinbekommen!”
”Ihr habt uns zuerst angegriffen und das Haus Sindelsaum hat einen gültigen Kaufvertrag für dieses Gut”, krächzte Halmar mit dem bisschen Atem, dass Roban im ließ.
”Die Grobhands auch! Und jetzt?” Halmar glaubte, dass der Griff etwas lockerer wurde. ”Eure Leute haben einen der unseren umgebracht, möglicherweise zwei. Ist das die Art, wie Sindelsaumer ihre Händel regeln?”
”Zeigt mir...den Vertrag!” stieß Halmar hervor. Er hörte Robans Zähne knirschen, der Griff wurde noch einmal fester – dann löste er sich plötzlich. Statt dessen schob der Grobhander einen Arm unter Halmars Achsel und packte ihn im Genick. In dieser Haltung konnte Halmar sich kaum rühren und allenfalls mit der linken Hand Widerstand leisten, während Roban ihn mitzerren konnte.
”Ihr haltet Ruhe – ihr alle!” krächzte Roban. ”Hör ich einen auch nur zu laut furzen, könnt ihr den Kerl hier in Einzelteilen nach Hause bringen!”
Er zog Halmar mit sich durch eine Tür, zerrte ihn durch einige Räume und drückte ihn schließlich unsanft auf einen Stuhl.
”Keinen Mucks, Freundchen, oder es ist das letzte, was du bereuen kannst!”
Jetzt erst sah Halmar Roban wieder von vorn. Er sah wirklich übel aus. Blut lief aus der aufgeplatzten Braue über das Gesicht wie eine barbarische Kriegsbemalung, färbte den Bart und sein Hemd. Er fragte sich, ob Wille oder Wahnsinn diesen Kerl noch aufrecht hielt – vermutlich eine Mischung aus beidem.
Roban wandte sich kurz ab, warf aber immer wieder sichernde Blicke in Halmars Richtung, während er in einer abgelegten Satteltasche kramte. Dann warf er eine Lederhülle vor Halmar auf den Tisch.
”Lest selbst!”
Halmar öffnete die Hülle und zog das Pergament heraus. Was er sah, war kaum zu glauben. Das Pergament sah ebenso echt aus wie jenes, welches im Dachsbau zu Sindelsaum lag. Unterschriften, Siegel, alles schien original zu sein. Wenn der Grobhander das Haus Sindelsaum betrügen wollte, stellte er es ziemlich geschickt an.
”Aber...wir haben ebenso eine Urkunde!” beteuerte Halmar.
”Die ich noch nicht zu Gesicht bekommen habe”, schnaufte Roban, während er kleine Kugeln aus einem Lederbeutel in seinen Mund schob. Sein Zustand schien sich daraufhin rapide zu verbessern. ”Erzählt hat man mir das, wie man einem Kind vom bösen Troll auf dem Berg erzählt. Wenn Ihr so einen Wisch habt, dann schiebt Euren Hintern nach Sindelsaum und holt den Fetzen, vorher glaube ich Euch nämlich kein Wort. Und wenn Ihr es wagt, noch einmal hier einzufallen”, er holte tief Luft, ”dann, bei Rondra, mache ich Hackfleisch aus Euch! Und wenn Ihr so viel Soldvolk anschleppt, wie Ihr könnt, ich werde Euch kriegen!”
Halmar erwiderte seinen Blick finster. Er sah so einiges in diesen wilden Augen – Entschlossenheit, Wut, Schmerz. Nur Lüge fand er nicht.
Also stand er langsam auf, rollte das Pergament behutsam zusammen und steckte es in die Hülle zurück.
”In acht Tagen werde ich mit dem Sindelsaumer Dokument zurück kehren”, erklärte er fest. ”Wie werden wir dann verfahren?”
Roban versuchte, sich das Blut aus dem Gesicht zu wischen. Jetzt sah er sogar noch schlimmer aus als zuvor.
”Das entscheiden wir, wenn Ihr zurück kehrt. Kommt drauf an, ob und mit wie viel Waffenvolk Ihr zurück kehrt!”
Eine Minute später traten Halmar und Roban wieder vor die Tür. Roban warf seinen Waffenknechten einen Blick zu, die immer noch vor der reglosen Josmene knieten. Wendelhardt schüttelte mit unterdrücktem Schluchzen den Kopf. Der Grobhander schnaufte wütend und gab Halmar einen Stoß zwischen die Schulterblätter.
”Zwei Leben genommen, Sindelsaum. Seid dankbar, wenn Euer Knecht noch atmet!”
Halmar blickte zu Baduar, doch auch der atmete nicht mehr. Er versuchte, so etwas wie ein zuversichtliches Lächeln hinzubekommen, um die übrigen Sindelsaumer zu ermutigen, doch es gelang ihm nicht. Halmar trat vorsichtig an sein Pferd und griff nach den Zügeln, ehe er sich noch einmal umwandte. Roban war bei seinen Leuten zurück geblieben und musterte ihn mit finsterem Blick.
”Acht Tage, Sindelsaum”, knurrte er. ”Also beeilt Euch!”
Roban blickte den abziehenden Sindelsaumern nach, bis sie hinter der Hügelkuppe außer Sicht waren.
”Welcher von Euch Idioten hat geschossen?” fragte er dann leise.
”Brauwin, Herr”, sagte Broderic, ebenso leise. Roban nickte finster.
”Dann war es seine Schuld, dass hier alles aus dem Ruder gelaufen ist. Schöne Scheiße ist das!”
”Jetzt sind wir nur noch zu dritt”, murmelte Wendelhardt unruhig.
”Zu zweit”, korrigierte Roban trocken. ”Denn du, Wendelhardt, wirst noch heute gen Roterz aufbrechen. Vater muss wissen, was hier passiert ist, und sollte vorsichtshalber ein paar Leute herschicken. Ich trau den Sindelsaumern nicht – die sind zu schnell zu mächtig geworden, und ihr Soldvolk hat in jeder Fehde mitgemischt, die sie kriegen konnten!”
”Aber Euer Bruder ist doch verheiratet mit...”
”Das weiß ich selbst, du Ochse! Na und? Nur weil mein Bruder mit einer Sindelsaumern in die Kiste springt, heißt das noch lange nicht, dass ich dem Haufen über den Weg traue! Und disputiert wird nicht! Schickt einen von den Knechten los, einen Geweihten auftreiben, vorzugsweise einen von denen im schwarzen Ornat. Wir brauchen zwei Gräber, zwei halbe Räder...”, er blickte kopfschüttelnd über die Kampfspuren auf den Hof, ”und verdammt viel Glück, wenn die Sindelsaumer sich das Gut wirklich mit Gewalt holen wollen!”
Bei den Sindelsaumern herrschte gedrückte Stimmung, als sie sich auf den Weg zu ihrem Quartier machten. Sie hatten sich im Landgasthof “Zur Praiosblume” einquartiert, dort angekommen wollte die gedrückte Stimmung nicht weichen. Aus ihrer Sicht war klar, dass die Grobhands Schuld hatten, schließlich hatten die sie vom Hof geprügelt und den armen Baduar totgeschoßen, aber dennoch wollte sich kein gerechter Zorn einstellen. Es schien allen, als ob die Toten heute völlig unnötigerweise zu Boron gegangen waren.
Es dauerte eine ganze Weile bis Halmar sich wieder gesammelt hatte. Er hatte schon viele Tote gesehen, aber das war stets in der Wildermark, oder in Tobrien gewesen, hier im Kosch hatte er mit einer solchen Eskalation nicht gerechnet. Endlich rappelte er sich auf. “Binsbart. Ich möchte, dass du nach Fünfbrunnen gehst und einen Priester für Baduar auftreibst. Bodar und Reto, ihr bleibt hier und haltet Wacht. Ich traue den Grobhands nicht. Irgendwas ist hier faul. Roban wirkt nicht gerade wie ein Lügner, aber er ist ein übler Raufbold und wer weiß, was er noch vorhat. Ich selbst reite zu Vater um die Urkunde und Vestärkung zu holen. Ich glaube nicht, dass Roban das Gut räumt, selbst wenn ich hier mit der Urkunde auflaufe.