Neuankömmlinge auf Rabenhorst: VII. Klosterbesichtigung
VII. Klosterbesichtigung
Kloster Rabenhorst, Mark Greifenfurt, Anfang Ingerimm 1031 n.B.F.
Beteiligte:
- Timokles Hydidon von Mylamas (Knappe Golgaris) (SC)
- Tauterfirn (Knappe Golgaris) (SC)
- Bogumil Spadaduro (Deuter Golgaris) (SC)
- Firnjana 'Finja' Rotenzenn (Bogumils Mündel) (SC)
- Marbian von Mersingen ä. H. (Knappe Golgaris) (SC)
Die Miene des jungen Golgariten Timokles hellte sich wieder auf und
mit einem sichtbaren Grinsen auf den Lippen bemerkte er zu Marbian
gewandt:
"Ihr sprecht wahr, Bruder. Die Ordensoberen sind momentan noch sehr
beschäftigt, schließlich gibt es in einem Kloster sehr viel zu tun.
Es handelt sich nämlich bei Rabenhorst nicht um einen einfachen
Tempel, bei dem man sich nur den geistlichen Aufgaben widmen könnte.
Sondern wir sind hier auch eine Art Lehensherr in der
praiosgefälligen Ordnung und haben auch säkulare Pflichten zu
erledigen, und auch die Leitung der restlichen Bauarbeiten muss
überwacht werden. Alles sehr viel Arbeit. Demnach werde ich mich auch
Eurer annehmen, Bruder. Ich will Euch aber zuerst die Örtlichkeiten
hier zeigen und dann Eure Zellen zuweisen. Kurz vor der Abendandacht
werdet Ihr vielleicht Gelegenheit haben, bei dem Abt oder seiner
rechten Hand Lyeria vorzusprechen."
Dann hob er den Brief, den ihm Marbian gegeben hatte, hoch, und fuhr
fort:
"Diesen hier werde ich persönlich meiner Mentorin Lyeria
übergeben."
Er schien förmlich von seinem Redestrom fortgerissen zu werden und
jeder Staudamm seiner Lippen wie gebrochen. So sprach er ohne längere
Pause zu allen drei Neuankömmlingen weiter:
"Ich will euch also die wichtigsten Institutionen und Orte des
Klosters zeigen, damit ihr euch hier auch zurechtfindet. - Wir wollen
mit dem Haupthaus dort hinter uns beginnen. Hier befinden sich sowohl
die Waschstuben, als auch Küche und Speisesaal im ersten Stock.
Dieser Stock ist sowohl über den Treppenturm dort linker Hand, als
auch über diese schmale Holzstiege zu erreichen. Jetzt wollen wir
aber erst einmal eure Zellen aufsuchen. Die Zellen für Gäste befinden
sich dort hinter euch am Hauptgebäude, welches sich an den Hauptturm
dort anlehnt. Also folgt mir."
Mit diesen Worten ging er in Richtung der schmalen Holzstiege, welche
in das obere Stockwerk des Hauptgebäudes führte.
Bogumil besah sich die genannten Gebäude in aller Ruhe; er schien sie sich wirklich einzuprägen. Mit seinen langen Schritten holte er die anderen, die Timokles hinterhereilten, rasch wieder ein.
Dem Mädchen dagegen merkte man an, daß es bestenfalls noch 'Haupthaus' und 'Treppenturm' verstanden hatte, mehr jedoch sicher nicht. Auf der steilen Stiege stolperte es und wäre wahrscheinlich böse gestürzt, hätte Marbian es nicht aufgefangen.
"Sachte, sachte, junges Fräulein", sagte er mit ruhige, sanfter Stimme. 'Armes Ding', dachte er sich, 'alles so neu, und wahrscheinlich ist sie weit weg von ihrer Familie und der Heimat.'
Marbian konnte Timokles wohl formulierten Ausführungen gut folgen und war von der Feste beeindruckt, vor allen Dingen von dem Kräutergarten. Doch dem Mädchen war ihr Unverständnis anzusehen.
Marbian lächelte schelmisch. Er deutete eine galante Verbeugung an. "Ich bin Marbian, junge Dame", flüsterte er. "Wie ist dein Name?"
"Finja", antwortete das Mädchen prompt und präzisierte: "Firnjana Rotenzenn."
Rotenzenn, der Name sagte Marbian vage etwas. Eine Baronie im südlichen Zoller Land, derzeit 'Warunkei'; außerdem der Name des ursprünglichen Baronsgeschlechts dort. Aber 'von Rotenzenn' hatte sich das Mädchen ja nicht genannt.
"Angenehm, dich kennenzulernen. Beeindruckend nicht wahr?" Marbian machte eine ausholende Bewegung mit seinem rechten Arm, bevor er seine Arme wieder hinter dem Rücken verschränkte. Er schaute das Mädchen einfühlsam an. "Nun, auch ich werde mich hier erst mal einfinden müssen, aber das wird nicht lange dauern. Ich habe schon so viele Gemeinsamkeiten mit meiner Heimat festgestellt. So einen Kräutergarten wie dort vorn haben wir auch immer in meiner Heimatkaserne gehabt. Hast du auch schon Gemeinsamkeiten zu deiner Heimat gefunden?"
"Die Berggegend", erwiderte Finja ruhig, und erstmals lächelte sie ein wenig. Dann überlegte sie. "Ja, der Garten auch." Sie sah sich um, dann forschend in Marbians Gesicht. "Gibt es bei Kasernen Gärten? Ich dachte, nur einen Marschierplatz?"
Marbian lächelte leicht. "Natürlich gibt es einen Garten in einer Kaserne. Die Exerzierplätze mögen zwar größer und eindrucksvoller sein, aber Soldaten ohne Obst und Gemüse können nun mal nicht marschieren. Einerseits werden Heilkräuter gebraucht, andererseits aber auch Würzkräuter und Gemüse für das Essen. In meiner Heimatkaserne gab es einen schönen Kräuter- und Gemüsegarten. Da konnte ich viele Zutaten für meine Gerichte anbauen. Außerdem hatte Perina hier auch ihre Heilkräuter angebaut ..." Er stockte und fügte leise hinzu: "Boron habe sie selig."
"Congrazi'e'clemente", murmelte Finja gewohnheitsmäßig, offenbar eine Antwortformel, die sie vom Almadaner Bogumil übernommen hatte.
Marbians Lächeln machte nun einen etwas wehmütigen Eindruck, als ob er gerade einer schönen Erinnerung nachhänge, aber schnell fasste er sich wieder. "Da hast du ja schon viele Gemeinsamkeiten gefunden, werte Finja. Dann wird es dir ja noch leichter fallen, hier heimisch zu werden, als mir." Der Knappe lächelte freundlich und warm.
Hinter ihnen war inzwischen Bogumil die Stiege heraufgekommen. Auch er schien die kurze Pause zu genießen und ließ seinen Blick über das Kloster und seine Umgebung schweifen.
Der Burghof war weitgehend von den dunklen Schatten, die das hohe Bergmassiv im Rücken des Klosters warf, beschattet. Doch die Praiosscheibe bewegte sich weiter, und schon blitzten wenige Sonnenstrahlen hinter dem schwarzen Bergrücken hervor und tauchten die beiden höchsten Türme aus dunklem Stein in helles Licht. Der eine von ihnen war der schon erwähnte Hauptturm, doch was mochte es mit dem anderen, noch um ein Stück höheren Turm gen Efferd dort für eine Bewandtnis haben? Doch da fiel auch schon ein Sonnenstrahl direkt in Bogumils Augen und zwang ihn, seinen Blick abzuwenden.
Marbian blickte kurz den Geweihten und dann wieder Finja an. "Dürfte ich denn fragen, wo deine Heimat war, wertes Fräulein?"
"Trollzacken", antwortete das junge Mädchen, lächelte Marbian kurz an. "Trollingsvenn." Auch in ihren Blick trat Wehmut und sie sah zu den Bergen und Wäldern jenseits der Klostermauern hinüber.
Der Knappe Timokles war währenddessen schon vorangegangen, hatte das Gebäude erreicht und war durch die Tür verschwunden.
Um den Führer nicht zu verlieren, trieb Bogumil die beiden vor sich mit einer sachten Geste an, weiter zu gehen.
Bald erreichten sie über eine schmale Galerie den Speisesaal, den Bogumil und Finja bereits vom Mittagsmahl kannten. Doch hatten sie nun erstmals die Gelegenheit, einen genaueren Blick auf die Ausgestaltung des Raumes zu werfen. Die Wände waren reich verziert mit Schnitzereien aus dunklem Holz und zeigten Raben, Heilige, Boronräder und andere Symbole des dunklen Gottes. Ebenso der in die Wandvertäfelung integrierte Ambo für die Tischlesungen. Die langen Tische bestanden ebenfalls aus einem dunklen Holz, doch waren sie schlichter gehalten, ganz im Gegensatz zu dem aufwendig geschnitzten und verzierten Tisch an der Stirnseite des Saales - dem Platz des Abtes und der höchsten Würdenträger des Klosters.
Timokles wartete bereits und begann, sobald alle den Raum betreten hatten: "Dies hier ist nun das Refektorium. Hier werdet ihr während eures Aufenthalts das Mahl einnehmen, in traviagefälliger Gemeinschaft. Essen wird stets eingenommen zur Zeit der aufgehenden Praiosscheibe, nach dem Morgengebet also. Dann gibt es die größte Mahlzeit, wenn Praios am höchsten steht, und ein leichtes Abendmahl vor der Abendmesse, kurz bevor die Scheibe gen Efferd verschwindet und die borongesegnete Nacht beginnt. Diese Zeiten sind strikt einzuhalten." Etwas leiser fuhr er fort, einen Schritt zu den anderen hintretend: "Falls jedoch einer von euch einen überaus starken Hunger verspüren sollte und fürchtet, nicht mehr klar denken zu können, dann kann er einfach einmal in der Küche vorbeischauen. Diese befindet sich genau unter uns." Bei den letzten Worten hatte er vor allem Marbian angesehen, und diesem kam es vor, als hätte er ihm sogar etwas zugezwinkert. "Doch nun will ich euch eure Zellen zeigen." Geraden Schrittes schritt Timokles durch den Saal auf eine niedrige Tür zu.
Da Tauterfirn nach seiner Arbeit noch einige Augenblicke blieben, bis die nächste Gebetszeit begann, longierte er noch eine Weile den flintgrauen Hengst, den er aus seiner Heimat mitgebracht hatte. Als Knappe stand ihm zwar kein eigenes Pferd zu, doch da dieses Tier nicht jeden Menschen an sich heran ließ, war es Tauterfirn zur Pflege und zum Beritt überlassen worden. Schade nur, dass es niemals ein Golgaritenpferd werden würde, dafür stimmte die Farbe nicht. Tauterfirn und "der Graue", wie er von den übrigen Rabenhorstern genannt wurde, waren ein tolles Gespann.
Marbian schaute sich interessiert um und nickte Bruder Timokles während dessen Erklärungen stets freundlich zu. Sichtlich erleichtert folgte er dann dem Bruder in Richtung der Unterkünfte. Er freute sich bereits auf ein warmes und weiches Bett. Seine Reise war lang gewesen und mittlerweile machte sich Müdigkeit bei ihm breit.
Auch Finja atmete unwillkürlich auf. Endlich erfuhr sie, wohin sie Bogumils und ihre Habe bringen konnte, die immer noch unten bei den Ställen lag.
Auch der Deuter Golgaris atmete tief durch, bei ihm klang es allerdings eher wie ein Seufzer. Hoffentlich fand er noch Zeit, sich umzuziehen, bevor ihn seine erste Pflicht rief.
Timokles warf noch einen Blick auf die Gäste und prüfte, ob sie ihm noch folgten. "Ihr werdet noch genug Zeit haben, diesen Saal zu bewundern. Hier finden ja die meisten Mahlzeiten statt." Dann ging er mit langen Schritten weiter durch die niedrige Tür, die er zwar ohne Mühe passieren konnte, bei der höher Gewachsene aber durchaus ihren Kopf einziehen mussten.
Rasch folgten ihm die anderen nach, und sie erreichten einen dunklen, unbeleuchteten, engen Gang. Die Wände waren weitestgehend noch unverputzt und man musste aufpassen, dass man sich nicht an der rohen Wand die Kutte aufriss. Dies war wirklich ein extremer Kontrast zu dem reich geschmückten Speisesaal!
Hier blieb Timokles kurz stehen und bemerkte: "Dieser Trakt des Klosters ist leider noch nicht vollständig ausgebaut, aber wir bekommen eher selten Gäste hier ins Kloster."
'Was ja auch durchaus verständlich ist', ergänzte Finja in Gedanken.
Weiter sprach der Knappe: "Und hier sind wir auch schon bei euren Zellen angekommen."
Er wies mit einer ausholenden Geste auf einige einfache Holztüren, welche in den Rohbau eingelassen waren.
Dann öffnete er eine Tür und er gab die Sicht auf einen kleinen Raum frei. Er war nur etwa zwei auf drei Schritt groß und äußerst karg eingerichtet. Es gab genau ein schmales Bett und einen Schreibtisch, welcher nicht größer war als ein Brett an der Wand. In die gegenüberliegende Wand war eine Nische eingelassen, welche auch mit einem Strohsack und einer Decke ausgelegt war.
"Dies ist die Zelle von Euch, Bruder Bogumil, und von Eurem Mündel. Ihr könnt Euch gerne ein wenig häuslich hier einrichten", sagte der Knappe mit einem Lächeln auf den Lippen. "In etwa einer Stunde komme ich wieder vorbei und zeige Euch die restlichen wichtigen Örtlichkeiten des Klosters und bringe Euch dann auch zur Unterrichtsstunde. - Auch Ihr seid natürlich aufgerufen, die theologischen Unterweisungen der Knappen zu besuchen", ergänzte er zu Marbian gewandt. "Ich wünsche eine angenehme Zeit. Bis bald. Oder gibt es noch Fragen?"
"Waschen?". sprudelte es aus Finja heraus. "Wo kann man sich waschen?" Dann fiel ihr ein, etwas von 'Waschraum' gehört zu haben, und rasch fügte sie hinzu: "und ... und ... wenn man mal muß?" Ihre Wangen röteten sich leicht. Auch der Ausdruck, mit dem sie ihren Blick rasch durch die kleine, karge Zelle huschen ließ, um ihn dann wieder auf Marbian, Timokles und den Ausgang zu richten, sprach Bände.
Ihr Mentor mußte schmunzeln, hütete sich aber, Timokles die Gelegenheit zu einer weiteren Erklärung zu nehmen.
"Gerne werde ich dem Unterricht beiwohnen, Bruder", sagte Marbian etwas abwesend.
Mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck schaute er sich seine karge Zelle an. 'Neue Seiten an sich entdecken', dachte er sich. Solche neuen Seiten wollte er eigentlich nicht entdecken. Die harten Worte seines Onkels fielen ihm wieder ein: 'Wenn du dem Orden beitrittst, verlierst du deinen Besitz und deine Vergangenheit. Ein neues Leben wirst du führen und du wirst ein anderer werden.' Marbian nickte leicht vor sich hin. Jetzt wusste er, was der Kriegsherr gemeint hatte, und nun gefielen ihm diese Worte noch weniger als vorher bereits. 'Die nächste Zeit wird wohl nicht leicht werden', dachte er bei sich.
Timokles drehte sich zu Finja um und konnte sein breites Grinsen nur mit viel Mühe unterdrücken. "Also, du wirst Gelegenheit haben, dich von deiner langen Reise zu säubern, junge Dame. Dir steht natürlich der Waschraum zur Verfügung. Dieser befindet sich im Erdgeschoss", sagte er. "Ich werde ihn euch noch weisen, wenn ich euch zum Unterricht geleiten werde", ergänzte er, an alle gewandt. "Natürlich könnt ihr auch den Brunnen zur Reinigung benützen. Das Wetter ist ohnehin so herrlich, dass man vermeinen könnte, man befinde sind in einem Land gen Praios. Wenn nicht dieser märkische Dialekt hier vorherrschen würde. Nun ja, Ich will euch nun aber kurz alleine lassen, denn auch auf mich warten noch dringende Pflichten. Ich werde im Scriptorium gebraucht. - Gut ...", er schien zu überlegen, dann ergänzte er noch: "Der Abort befindet sich gen Efferd im Schatten des hohen Turmes. Ich werde euch hier abholen." Er zwinkerte noch kaum merklich dem jungen Mädchen zu und wandte sich dann, die Hände in den Ärmeln seiner schwarzen Kutte vergraben, zum Gehen.
Finjas Wangen röteten sich noch etwas mehr, und sie beugte sich zur Bettstatt hinunter, um den Strohsack zurechtzuzupfen.
Bogumil hörte so vergnügt wie aufmerksam zu. Seine Miene verriet Beifall darüber, wie Timokles elegant die Abortfrage geklärt hatte. Zur Antwort auf Timokles' Ankündigung, ihn zum Unterricht abzuholen, nickte er.
Marbian schaute Bruder Timokles ernst hinterher und schüttelte leicht den Kopf. Für einen kurzen Moment nahm er eine strenge Offiziershaltung ein und verschränkte erneut die Arme hinter seinem Rücken. In diesem Moment glaubte man dem Knappen durchaus, dass er es früher gewohnt gewesen war zu befehlen, und daß diese Befehle auch umgesetzt wurden. Sein Missfallen war ihm nun deutlich anzusehen, doch schnell fasste er sich wieder und lächelte Finja warm und sanft zu.
Das junge Fräulein tat ihm sehr leid. In neuer, ungewohnter Umgebung, ohne dass jemand ihre Sorgen ernst nahm und sie warmherzig willkommen hieß. Seine Gnaden schien auch nicht gerade die Herzlichkeit in Person zu sein. Auch wenn es ihm nicht zustand, wollte Marbian ein paar aufmunternde Worte sagen.
Er hob an zu sprechen, doch er stockte, bevor er auch nur einen Satz heraus bekam. Er hörte plötzlich ein leises Flattern. Waren das Flügelschläge? Seine Augen zuckten nun nach links und rechts und er horchte in die Stille hinein. Sein Gesicht verhärtete sich. Marbian erkannte die Flügelschläge. Sie waren nicht regelmäßig und harmonisch, sondern eher flatternd und hektisch. Unruhe bereite sich in ihm aus.
Verdammt, ER hatte ihn gefunden. Schweiß rann Marbian über die Stirn. Er versuchte seine Beunruhigung zu verbergen. Er wusste, die anderen hörten die Flügelschläge nicht näher kommen, und sie würden auch die Stimme von IHM nicht hören.
"Ich, ähm, tja, ich ziehe mich dann nun, ähm, zu einer kleinen Ruhe zurück", stammelte er. "Ähm, ja, bis gleich dann auch ... Ähm. Ich gehe dann auch jetzt."
Marbian machte ein paar schnelle Schritte in seine Stube und verriegelte panisch hinter sich die Tür. Sein Herz raste. Er lehnte sich verkrampft mit dem Rücken gegen die Tür, seine Augen weit aufgerissen, schwer atmend.
Doch dies half alles nichts. Aus einer dunklen Ecke hörte er die dunkle krächzende Stimme, die ihn seit langem verfolgte: "Sei gegrüßt, Schlächter Marbian. Meintest du, du könntest mir entkommen?" Ein krächzendes Lachen folgte, und Marbian schluckte schwer vor Angst. Die Dunkelheit hatte ihn gefunden ... Hektisch griff er wie ein Kleinkind nach einer Zuckerstange.
In ihrer eigenen Zelle sahen der Boroni und sein Mündel einander erschrocken an. Sacht legte Bogumil eine Hand auf Finjas Arm und sah sie fragend an. Sie nickte, und hastig lief er zu Marbians Zelle hinüber, fand deren Tür aber verschlossen. Behutsam klopfte er. "Marbian?" fragte er. "Wie geht es Euch?"
"Mmmir geht es gggut", brachte Marbian stotternd hervor. "Ddanke der Nachfrage."
Der Knappe schaute in die Dunkelheit. Er versuchte eine Gestalt oder einen Schemen auszumachen. Doch es war nichts zu sehen. Seine rechte Hand tastete zitternd zu seinem Rabenschnabel. Der klobige Kopf der Waffe beruhigte ihn. 'Ganz ruhig, ganz ruhig', dachte er sich, 'er ist nicht echt!' "Nicht echt?", hörte er. "Hahahaha! Ich bin so echt wie deine Taten! Kannst du die Schreie noch hören? Die Knochen noch knacken hören? Schmeckst du noch das Blut deiner Opfer auf deinen Lippen? Und dieser Geruch ... Die Krähen hatten ihre Freude an deinem Blutbad! Ich lasse dich nun allein in dieser Dunkelheit, aber ich komme wieder ... Hahaha!" Das unharmonische Flattern entfernte sich.
Marbians Herz kam langsam wieder zur Ruhe. Er fiel auf die Knie, Tränen in den Augen. Er schluchzte leise vor sich hin in der Dunkelheit seiner Zelle. Er war allein. Ganz allein. Selbst die Zuckerstange schmeckte bitter.
Noch einen Moment lang stand Bogumil vor der Tür des Mersingers. Ihn fröstelte. Endlich kehrte er in die eigene Zelle und zu seinem Mündel zurück.
Erschrocken und fragend blickte Finja ihn an.
"Ich weiß nicht", sagte er leise.
Dann legte er dem Mädchen den Arm um die Schultern und trat mit ihm ans schmale Fenster; ein Rahmen, bespannt mit geöltem Pergament, ließ gelbliches Licht herein. Bogumil nahm den Rahmen aus seiner Halterung, und eine Weile lang sahen die beiden schweigend hinaus.
"Kein schlechter Ort", sagte Bogumil endlich.
"Nein ...", erwiderte Finja und seufzte.
"Gönne einem fremden Menschen fünf Blicke ...", sagte Bogumil.
"... und einem fremden Ort fünf Tage", ergänzte Finja, "dann verabschiede dich oder bleib. Könnten wir denn gehen?"
Bogumil wiegte den Kopf.
"Oder nur ich?"
"Du allemal", sagte Bogumil ernst, "notfalls wir beide."
Wieder sahen sie zum Fenster hinaus.
"Packen wir aus?" fragte der Geweihte endlich.
Finja nickte. Gemeinsam richteten sie ihre Betten her, holten ihre Habseligkeiten vom Stall und verteilten sie erst einmal auf ihren Schlafplätzen und auf dem Boden.
"Und jetzt die Thermen des Kalifen?" fragte Bogumil schmunzelnd.
Wieder nickte Finja nur, diesmal lächelte jedoch auch sie. "Und nachher Karpfen und Wein?" führte sie den Scherz unsicher fort.
"Gebratenes Hähnchen", entgegnete Bogumil.
Sie seufzten beide zugleich, sahen einander an und grinsten. Dann gingen sie gemeinsam zum Waschraum, denn der Geweihte sehnte sich danach, sich den Reisestaub und -schweiß herunterzuwaschen, und zwar bevor es zum Unterricht ging.
Unten auf dem Platz waren beide, Hengst und Mensch, ins Schwitzen gekommen, obwohl ein harscher, kalter Wind um die Gebäude des Klosters wehte. Die Arbeit hatte gut getan, doch jetzt war es an der Zeit, sie zu beenden. Ein kurzes, knappes "Komm!" ließ den Hengst die Ohren spitzen und zu Tauterfirn traben. Schnaubend legte er dem Manne die Nüstern in die bereitgehaltenen Hände, eine Geste des Vertrauens und der Freundschaft. Einen Moment lang standen sie so, als wären sie allein auf der Welt, dann drehte sich der hochgewachsene Mann um und ging auf den Stall zu, der Hengst folgte ihm auf dem Fuße, ohne Führstrick, Longe oder Kandare. Vor dem Stall wurde der Hengst noch mit einer Handvoll Heu trockengerieben und danach mit einer Distel gestriegelt, bis das Fell gesund glänzte. Anschließend verschwanden sie im Stall.
Wenig später kehrte der Nordische allein wieder aus dem Gebäude zurück und ging in Richtung Gebetsraum, um dort die Ruhe vor der Gebetszeit zu genießen.
Es war ruhig geworden in Marbians Zelle. Ein Lichtschein erhellte durch die kleine Schießscharte mittlerweile den kleinen Raum ganz leicht.
Marbian saß auf seinem Bett und atmete tief ein. Das Zwielicht in seiner Zelle war nun nicht mehr bedrückend. Die Stille gab der Dunkelheit etwas Beruhigendes, etwas Positives. 'Was werden jetzt die anderen von mir denken?', dachte sich der Knappe. 'Ich habe beide bestimmt total erschreckt.'
Seufzend stand er auf, legte die Rüstung und seine Waffen ab. Danach holte er sein Gepäck aus dem Hof und verstaute es, so gut es ging, in seiner Kammer. Viele der Sachen würde er sicher bald mit hinunter in die Küche nehmen, aber solange er nicht weiter für die Essenszubereitung angefordert wurde, würde er sein Kochwerkzeug hier verstauen.
'A propos Küche, die werde ich mir jetzt erst mal anschauen', dachte sich der ehemalige Offizier. 'Wollen wir doch mal sehen, wie der Orden hier ausgestattet ist.' Langsam machte er sich auf dem Weg Richtung Küche. Jeder Schritt verlieh ihm dabei wieder Kraft. Als er die Küche erreichte, hatte er die Krähe schon wieder vergessen.
Doch sie hatte ihn nicht vergessen.
Text: Friederike Stein, Philipp Reich, Fabian Schlums, Stefan Flüchter