Neuankömmlinge auf Rabenhorst: III. Ankunft auf Rabenhorst

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III. Ankunft auf Rabenhorst

Kloster Rabenhorst, Mark Greifenfurt — Ende Peraine / Anfang Ingerimm 1031 n.B.F.

Beteiligte:

  • Bogumil Spadaduro (Deuter Golgaris) (SC)
  • Finja Rotenzenn (SC)
  • Timokles Hydidon von Mylamas (Knappe Golgaris) (SC)
  • Tauterfirn (Knappe Golgaris) (SC)
  • Lyeria (Ritterin Golgaris, Adjutantin des Abts) (NSC)
  • (ein Golgarit im Garten)
  • (ein Stallknecht)
  • (ein vollbärtiger Golgarit)


Endlich tauchten die Türme und Mauern von Rabenhorst vor ihnen auf. Der Geweihte zügelte sein Maultier, und eine Weile lang hielten die beiden Reisenden mitten auf der Straße und betrachteten den Wald, die Felswände und die trutzige Feste, die sie umschlossen.

„Was wollen wir hier?“ fragte das Mädchen endlich.

„Sehen, was uns beschieden ist.“

Sie trieben ihre müden Tiere wieder an, und kurz darauf standen sie vorm Tor. Auf seine Frage, wer sie seien, bekam der Wachhabende laut und freundlich zur Antwort:

„Bogumil Spadaduro, Deuter Golgaris. - Finja vom Trollingsvenn. - Behüt' euch der Rabe.“

Die beiden bekamen keine Antwort und auch die schweren Türflügel aus massivem Steineichenholz wurden keinen Spann bewegt. Doch nach wenigen Augenblicken öffnete sich das Mannloch und sie blickten in das Gesicht eines jungen Mannes, der in die Tracht eines Knappen gehüllt war. Doch war er braungebrannt und sein dunkelbraunes Haar fiel gelockt auf seine Stirn.

Mit einem dezenten Lächeln auf dem Gesicht bat er die beiden Reisenden in das Kloster. Ein Anblick, wie sie ihn nicht in dem Kloster hier, so hoch im Norden erwartet hatten.

„Boron zum Gruße. Mein Name ist übrigens Timokles Hydidon von Mylamas. Das ist eine Insel in der Zyklopensee“, wusste er den Neuankömmlingen zu berichten, als sie den Innenhof noch nicht einmal richtig betreten hatten.

Bogumil betrachtete den jungen Golgariten aufmerksam, dann nickte er zum Gruß.

Das Mädchen an seiner Seite starrte den schwarzgelockten jungen Golgariten bloß mit aufgerissenen Augen an.


Als sie einen Blick auf das Kloster hatten, eröffnete sich ihnen der ganze Blick über die Anlage. Sie konnten einige andere Mönche sehen, wie sie den Kräutergarten pflegten, der schon erste blühende Pflanzen enthielt, die ihre Blüten gen Praiosscheibe streckten, welche angenehm warm herabschien. Wärmer als hier üblich. Auf dem Innenhof jedoch sahen sie, wie sich fünf eindeutig als Knappen kenntliche Knaben und Maiden im Kampfe mit dem Rabenschnabel an Holzpuppen und untereinander übten. Dabei standen sie im Schatten der beiden mächtigen Türme, die sich am anderen Ende des Klosters in den Himmel hoben.

Einer der Knappen stach besonders hervor, ohne sich dessen bewusst zu ein.

Er war hochgewachsen, fast zwei Schritt, hatte einen kahl rasierten Schädel, trug einen Norbardenbart, und seine mandelförmigen, bernsteinfarbenen Augen schienen alles um ihn her mitzubekommen, obwohl er sich genauestens auf den Knappen vor sich konzentrierte. Seine Bewegungen waren nahezu lautlos und flossen ästhetisch wie der Flug Golgaris über das Nirgendmeer.

Immer wieder schaffte Tauterfirn es, sein Gegenüber zu entwaffnen, doch anstatt seine Überlegenheit auszunutzen, wiederholte er seine erfolgreichen Züge in Zeitlupe, um dem anderen Knappen die Gelegenheit zum Lernen zu geben. Nicht jeder Knappe hatte den Vorteil, als ausgebildeter Krieger den Weg eines Knappen einzuschlagen - und Tauterfirn war sich dieser seiner besonderen Situation bewusst. Bereitwillig gab er sein Wissen weiter und nutzte jede Gelegenheit des Übungskampfes mit seinen Mitbrüdern, um selbst dazuzulernen; für ihn war der Waffengang mit dem Rabenschnabel Gebet, und so strebte er nach höchster Präzision. Er wollte die Waffe perfekt beherrschen - nicht für sich, sondern aus tiefer Frömmigkeit.

Eine Bewegung am Rande seines Blickfeldes erregte für einen Moment seine Aufmerksamkeit. Rabenhorst bekam Besuch. Besuch von einem Priester und einer Zofe. Für einen Moment hörte er das Krächzen eines Raben - und hätte sich beinahe einen Treffer mit dem Rabenschnabel seines Gegenübers eingefangen. 'Konzentration, Tauterfirn!' schalt er sich selbst im Stillen.


„Was ist überhaupt Euer Begehr“, riß Timokles die beiden Ankömmlinge wieder aus ihren Gedanken. „Wollt Ihr mit Schwester Lyeria sprechen. Sie ist die rechte Hand des Abtes, müsst ihr wissen.“

Zustimmend nickte Bogumil. Kurz wandte er sich seiner jungen Begleiterin zu, die seine stumme Anweisung mit einem Senken des Kopfes erwiderte.

Während der Boroni Timokles folgte, blieb Finja im Hof stehen, Maultier und Packpferd am Zügel, und sah sich unsicher um. Offenbar suchte sie nach einem Stall, in dem sie die Tiere versorgen konnte.


Der Knappe brachte den Boroni schnellen Schrittes weg, wobei er sich nicht nach dem Verbleib der beiden Gäste umsah, und so gingen sie an den Kämpfern vorbei in den Schatten des Bergsmassivs, in welches ein mächtiges Tor eingelassen war, welches mit einem prachtvollen Tympanon und ausladender Wimperge aus schwarzem Gestein geschmückt war. Jedoch war Bogumil nicht in der Lage, das Fries zu begutachten, ohne den Knappen aus den Augen zu verlieren. Er würde dies auf einen späteren Zeitpunkt verschieben müssen.

Da blieb der Knappe plötzlich wie von Uthars Pfeil getroffen stehen, fasste sich an den Kopf und wandte sich irritiert über den Verbleib der Frau um und bemerkte, ohne auf eine Antwort zu hoffen:

„Entschuldigt, Hochwürden, aber ich habe etwas vergessen. Ich darf nicht schon wieder meinen Dienst als Pförtner vernachlässigen.“

Dann drehte er sich um, blieb auf halbem Weg zum Tor stehen, sprach mit einem der Mönche, welche die Kräuterbeete pflegten, woraufhin er wieder zu Bogumil trat und der andere Mönch seine Schürze ablegte und gemessenen Schrittes zum Tor ging.

Bogumil hatte währenddessen die Gelegenheit, einen Blick über die Anlage zu werfen, und sah an einigen Orten, wie Laien Handwerksdienste ausführten. So wurde ein Gebäude soeben gedeckt und einige Steinmetzarbeiten am Wohnturm vorgenommen.

Angekommen meinte Timokles mit dem Hauch eines Grinsens: „Bitte folgt mir wieder“, und sie schritten wieder geraden Schrittes auf den selben Wohnturm zu.

Die Türe stand offen und der Knappe wies wies Bogumil einen Stuhl zu: „Wenn Ihr warten möget.“

Dann durchquerte er die Tür zur Zelle mit Arbeitszimmer der Adjutantin des Abts und seiner Mentorin Lyeria.

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Währenddessen war der andere Mönch zu der wartenden Finja getreten und hatte ihr schweigend ein Gebäude rechter Hand gewiesen, welches halb von einem niedrigen Turm verdeckt war. Dort traf sie auch auf einen in ein graues Arbeitsgewand gehüllten Knecht, welcher ihr anbot, die Versorgung der Pferde zu übernehmen.

Sie zögerte, dann meinte sie leise: „Wenn Ihr mir beim Abladen helfen könntet ...?“ und versuchte die beiden Tiere an einen freien Platz zu führen.

Das Packpony setzte sich auch willig in Bewegung, das weiße Maultier dagegen blähte die rosa Nüstern und drehte den hochgereckten Kopf mit den rötlichen Augen hin und her, als wollte es sich erst vergewissern, daß seine Unterkunft auch angemessen sei.

„Blanka, bitte!“ sagte das Mädchen in leicht gequältem Ton.

Einen Moment lang zierte sich das Maultier noch, dann folgte es dem Mädchen mit staksigen Trippelschritten. Als der Knecht hinzutrat, um die Satteltaschen herunterzunehmen, wich es ihm aus und beäugte auch ihn, weit skeptischer noch als vorher den Stall.

„Blanka!“ fuhr Finja das Tier an.

Ebensogut hätte sie mit der Stallwand reden können. Erst als das Maultier weit genug vor dem Knecht zurückgewichen war, um deutlich gemacht zu haben, daß es so nicht mit sich umspringen lasse, blieb es stehen, schnupperte demonstrativ unbeteiligt an einem herumhängenden Strohseil und ließ sich Gepäck und Sattel anstandslos abnehmen.

Der Knecht blieb weiterhin völlig ruhig und beobachtete mit rethonischer Ruhe die Bemühungen des Mädchens, bis diese das Tier endlich besänftigt hatte. Dann wandte er sich ohne eine weitere Geste um und ging in Richtung des Tores.

Finja blieb alleine zwischen den Boxen stehen, denen der strenge Geruch von Pferden entströmte. Da vernahm sie, während sie noch so in Gedanken war, ein lautes Krachen. Sie zuckte erschrocken zusammen, ihr Herzschlag vervielfachte sich und nur mit Mühe konnte sie an diesem Ort der Ruhe ein Aufschreien vermeiden. Schnell hastete sie zu dem Ort des Geräuschs und erblickte zu ihrem Erstaunen in einer der Boxen ein junges Füllen, welches sich gegen die Enge der Box wehrte und wohl mit den Hufen gegen den Verschlag gehämmert haben musste.

Behutsam näherte sie sich und sprach beruhigend auf das Tier ein. Als es neugierig näherkam, kraulte sie es an Ohren und Hals. Sie fragte sich, zu welcher Stute das Fohlen gehörte, und ob das Kloster auch eine Weide für die Tiere hatte.

Nach einiger Zeit meldete sich knurrend ihr Magen, und da sich niemand weiter um sie kümmerte, auch Bogumil nicht wiederkam, machte sie sich auf die Suche nach der Küche des Klosters.

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Derweil wartete Bogumil, wie der junge Pförtner ihn gebeten hatte. Nur seine etwas verkrampft ineinander verschränkten Finger und das hastige Uneinanderdrehen seiner Daumen verrieten, wie gespannt er innerlich war.

Einige Zeit war Timokles fort gewesen, als der Knappe wieder in der Tür erschien, diese hinter sich offen stehen ließ und Bogumil mit einer deutlichen Geste darauf verwies, nun einzutreten.

Der Raum zeigte sich als ein karges Zimmer, welches des Schmuckes entbehrte, wie er sogar in den Borontempeln in den südlichen Regionen, wie Almada, allerorts zugegen war. Stattdessen war das Zimmer von zahlreichen Regalen geprägt, die voller vergriffener Bücher, Rollen und loser Blätter waren. Ebenso sah auch der Schreibtisch aus, der am anderen Ende des Raumes stand. Auch auf diesem erblickte Bogumil zahlreiche Pläne von Gebäuden, Skizzen von Mauern und Kunstwerken und darüber endlose Stapel mit Blättern voller Zahlen und Namen.

Auf der anderen Seite des Pultes saß eine Frau, die vielleicht 30 Götterläufe zählen mochte. Sie trug die Kutte eines Mönchs, jedoch mit dem Gebrochenen Rad auf Weiß mit dem Flügelpaar darüber, was sie eindeutig als eine Ritterin auszeichnete.

Sie steckte die Feder, mit der sie soeben noch Bilanzierungen geschrieben hatte, in eine Halterung und stand auf, um dem Gast seinen Platz, einen einfachen Holzstuhl auf der gegenüberliegenden Seite des Pultes, zu weisen. Als Bogumil jedoch näher herantrat und die Frau aus der Nähe betrachtete, fiel ihm die nicht zu betreitende Schönheit der Adjutantin auf. Lange hellblonde Haare fielen lose über ihre Schultern und umrahmten ihr feines, schmales Gesicht mit der kecken Stupsnase. Doch was gar nicht zu ihrem doch betörenden Äußeren passen mochte, waren ihre gräulich-grünen Augen. Denn diese strahlten eine solche Strenge und Kühle aus, wie man es eher bei einer strengen Privatlehrerin erwartet hätte.

Hinter dem Boroni schloß Timokles leise die Tür und postierte sich vor einem der Bücherregale.

Lyeria aber sprach direkt und mit einer festen Stimme:

„Boron zum Gruße, Bruder im Geiste. Ich heiße Euch voller Wohlwollen hier im Kloster Rabenhorst am Kürenstein willkommen. Doch was führt Euch an das andere Ende des Mittelreichs? Was macht Ihr im Greifenfurter Land?“

„Boron auch mit Euch und Dank für Euer Willkomm“, erwiderte Bogumil sanft und neigte den Kopf.

Dann reichte er Lyeria einen versiegelten Brief, der an den Abt des Klosters adressiert war; nicht persönlich allerdings, der Form nach war es ein offizielles Kirchenschreiben. Siegel und Schrift reflektierten so wenig Licht, daß sie wie Löcher im Papier wirkten. Siegellack und Tinte solcher Art standen nur hohen Borontempeln zur Verfügung. Siegel und Anschrift wiesen als Absender des Schreibens den Tempel des Raben zu Punin aus.

Lyeria erbrach das Siegel und las das Schreiben durch.

Bogumil Spadaduro, Deuter Golgaris, hieß es da mit knappen Worten, habe seit 12 Jahren treue Wacht über Gruft und Haus der Barone Gluckenhang am südlichen Darpat gehalten. Die Lage in der Baronie erfordere nun aber kampfkundigere Fürsorge.

Schon länger sei daran gedacht, zur Pflege der Verbindung zwischen der Kirche des Raben und dem Orden seines Dieners Golgari einen kirchlichen Vertreter zu entsenden. Hierfür scheine nun Ehrw. Spadaduro durchaus geeignet. Insbesondere könne er die Schwinge seelsorgerisch unterstützen und die klerikale Ausbildung der Knappen leiten. Ehrw. Spadaduro sei in einem parallelen Schreiben nahegelegt worden, sich gleich persönlich zum Kloster Rabenhorst zu begeben.

Unwillkürlich fragte sich Lyeria, ob der Tempel des Raben zu Punin diese Versetzung als Strafe oder als Beförderung verstanden haben mochte. Oder hatte man diesen Deuter Golgaris wegen der Ähnlichkeit seines Namens mit dem des Gründers und Schutzheiligen des Klosters ausgewählt? Oder wegen seiner Verbindung zu Darpatien, dem Rabenmund-Land? Der Entsandte selbst schien jedenfalls noch nicht zu wissen, weshalb er nach Rabenhorst geschickt worden war.

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Finja verließ die Stallungen und trat hinaus auf den kiesigen Innenhof.

Die Sonne stand schon nahezu im Zenit und sandte ihre intensiven Strahlen herab.

Fünf der Krieger, die vorher noch im Schaukampf beschäftigt waren, hatten nun nebeneinander Stellung bezogen und übten eine Art Schattenkampf. Nebeneinander führten sie in völliger Synchronität ihre weichen Bewegungen und Schläge aus. Ihre schwarzen Kutten flatteterten etwas in der Sommerbrise und unterschrichen die beeindruckenden Bewegungen, die sie mit ihren Rabenschnäbeln ausführten.

Finja lief ein Schauder über den Rücken. Noch nie hatte sie eine solche Choreographie des Kampfes gesehen. Doch, einmal. Aber da war es ein einzelner Geweihter der Rondra gewesen, der so einen Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner geführt hatte, Ravenor von Rotenzenn, nach dem Willen der Götter ihr Onkel.

Sie beobachtete längere Zeit die Kämpfer, als ein Mann von hinten an sie herangetreten kam und mit krächziger Stimme sagte:

„Es ist eine Zeremonie. Dieser Schattenkampf wird zur Ehre des Unergründlichen und seines Bruders Praios exakt zu der Stunde durchgeführt, in der die Sonne im Zenit steht. Dabei preisen die fünf fähigsten Ritter des Klosters die Zwölfe für ihre Gunst und Gnade durch diese eleganten, wie auch tödlich exakten Bewegungsabläufe. Die Fünfzahl ist natürlich ebenso sehr wichtig. Doch was macht Ihr denn hier, Maid? Habt Ihr Euch verlaufen?“

Als sich Finja umwandte, sah sie in das Gesicht eines Mannes, der schon viele Sommer hinter sich haben mochte. Seine Augen waren tiefschwarz umrandet und seine hohe Stirn faltig. Doch so wenige Haare er auf dem Kopf trug, so viele im Gesicht. Doch war sein Vollbart wirr und zerzaust.

„Es ist ein wahrer Tanz des Todes, kleines Mädchen!“, ergänzte er und ein hintergründiges Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.

Finja nickte. 'Er ist schön', wollte sie schon sagen, hielt die Worte aber zurück. 'Schön' war nicht der passende Ausdruck, und Seine Gnaden Spadaduro hatte ihr eingeschärft, stets auf ihre Worte zu achten. Statt dessen musterte sie den Mann aufmerksam. Erst hatte er sie 'Ihr' und 'Maid' genannt, als sei sie in Samt und Seide gekleidet, dann 'kleines Mädchen', als sei sie noch ein kleines Kind. Vielleicht hatte ihm das Alter die Sinne verwirrt, das kam vor.

„Ich bin Firnjana Rotenzenn“, antwortete sie artig. „Ich bin mit Ehrwürden Spadaduro gekommen. Ich habe gerade die Pferde versorgt und wollte ...“

Sie stockte. Sicher war es unhöflich, gleich nach der Küche zu fragen oder danach, wo man etwas zu essen bekam. Ihr Magen nahm ihr weitere Ausführungen ab, indem er deutlich knurrte.

„Ja, ein Ritual, eine Art Ritual“, der alte Mann schien in Gedanken versunken zu sein und gar nicht auf das zu achten, was Finja sagte. Glücklicherweise hörte er deshalb auch nicht, wie ihr Magen knurrte.

Doch wurde auch er aus seinen Gedanken gerissen, als auf einmal der dumpfe Ton eines Gongs vom Torturm her ertönte.

Da blickte der Alte wieder ins Gesicht Finjas und sagte: „Es bedeutet, dass das Essen gerichtet ist. Das Mittagsmahl ist aber das wichtigste und ausgiebigste Essen hier im Kloster, Mädchen. Denn am Morgen darf man den Körper nicht über das Maß vor der Arbeit befüllen, da man sonst sehr beeinträchtigt ist, und ebenso darf man den borongefälligen Schlaf nicht mit einer fettigen Abendmahlzeit belasten. Doch nun lasst uns ins Refektorium gehen. Ihr seht so aus, als hättet Ihr gehörigen Hunger, Mädchen. Folgt mir.“

Hunger hatte sie aber tatsächlich und so folgte sie dem sonderbaren Fremden sofort.

Auch die anderen Golgariten gingen in Richtung des Hauptgebäudes, und so bildete sich bald ein stummer Zug von schwarzgekleideten Kuttenträgern die schmale Stiege am Haupthaus empor.

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Lyeria verharrte einige Zeit über dem Dokument, und völlige Ruhe war in dem Zimmer, eine Ruhe, die nur von dem gelegentlichen Brummen, welches aus dem Magen des Knappen Timokles zu kommen schien, gestört wurde.

Bogumil wartete, ohne irgendwelche Anzeichen des Nervosität oder des Unbehagens zu zeigen, auch als Lyeria den Brief weggelegt hatte und den Boroni einige Zeit in Gedanken anstarrte.

Der Neuankömmling war groß und hager. Sein schon leicht gelichtetes Haupthaar und das sorgfältig getrimmte almadanische Bärtchen waren noch schwarz, aber bereits von etlichen Silbersträhnen durchzogen. Lyeria erkannte lang verheilte Pockennarben in seinem Gesicht, die dem freundlichen Ausdruck seiner braunen Augen jedoch keinen Abbruch taten.

Endlich durchbrach sie die Stille: „Bruder Bogumil, der Du den Namen unseres großen Schutzpatronen Bogomil, des Büßers, als den Deinen zugeteilt bekamst. Du hast Dich für die Gemeinschaft des Raben sehr verdient gemacht und so will ich Dich einladen, nun auch im Orden des heiligen Golgari zu dienen, mit vollstem Geiste und voller Kraft, und viel Kraft wird nötig sein, denn wir befinden uns hier nicht in der goldenen Au oder dem Yaquirtal, und jede Mahlzeit muss dem felsigen Boden erst abgerungen werden, wofür wir der Schwester des Herrn Boron, Peraine, stets danken wollen.“

Hier neigte der Neuankömmling sacht den Kopf.

„Sei Dir im Klaren, Bruder“, fuhr Lyeria fort, „dies wird Arbeit. Doch lasse Dich nicht beirren. Denn wenn du den Geboten unseres Ordens folgst, ist es mir eine Freude, dich unter uns willkommen zu heißen.“

Bei den Worten stand sie auf und nickte Bogumil zu, als auch schon ein dumpfer Gong von draußen zu hören war.

„Unsere Hauptmahlzeit wurde gerichtet. Hast du noch dringende Fragen? Andernfalls wollen wir zu Tische gehen.“

„Gern“, erwiderte Bogumil und erhob sich ebenfalls. „Fragen habe ich, aber jetzt ist Travias Zeit. - Eine Bitte: Ich kam mit meinem Mündel Firnjana. Sie ist unten auf dem Hof. Kann sich jemand um sie kümmern?“

„Auch für sie wird gesorgt werden“, antwortete Lyeria.

Bogumil nickte dankend. Dann ließ er Lyeria vorausgehen und schloß sich ihr an.

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Text: Friederike Stein, Philipp Reich, Fabian Schlums