Wengenholmer Geister - Des Ebers Stamm zur Ehre

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Borrewald, Ende Firun 1041

Nachdem alle an einem Fleck angelangt waren, vereinbarten die Fürstentreuen und die Raubritter, die Waffen bis auf weiteres ruhen zu lassen, um sich um die Verletzten zu kümmern und aufzuräumen. So wurde die noch brennende Hütte gelöscht, Tharnax‘ Armbrust geborgen und der niedergeschlagene Andergaster ebenso wie Gilborn Bocklings Hund herangeschafft.

Als Storko Semmelbrot sicher wahr, dass die Kämpfe einige Zeit vorüber waren und keine Gefahr mehr drohte, führte er die Bauern aus dem Wald heraus zu den Hütten. Wo sollten sie auch hin in der Dunkelheit und Kälte? Beide Seiten boten ihnen die Hütten für die Nacht an, damit sie bei Tageslicht zurück nach Ilmenheide ziehen konnten. „Wir sind doch nicht so ehrlos, das einfache Volk so auszubeuten“, war Eberhelms knappe Bemerkung. „Doch wir“, und damit deutete er auf die Adeligen und die Angroschim, „haben noch etwas zu besprechen.“

Während der Peraine-Geweihte die Verwundeten verarztete, gingen Eberhelm und Alphak mit den unverletzten Gesandten des Fürsten in eine der anderen Hütten. Draußen wurden ringsherum Wachen aufgestellt. Der Treublatter eröffnete sehr selbstsicher das Gespräch. „So wie Eure Gefährten aussehen, werdet Ihr wohl kaum Lust auf einen weiteren Kampf haben, sondern Euch auf eine lange Runde Schlaf freuen. Daher sparen wir uns die Formalitäten und kommen gleich zur Sache: Was habt Ihr hier zu suchen?“ „Einen Adeligen und seine Begleitung, die auf dem Weg von Greifenfurt im Wengenholm verschwunden waren.“, antwortete Boromil knapp. „Nun, wir haben sie gefunden. Sie waren von diesen Söldnern entführt worden.“ „Und Ihr wisst, was die hier suchten?“ „Ja, den Brocken von dem Stern, der in den See gefallen sein soll. Der ist natürlich eine Menge wert – aber dafür muss man ihn erst bergen, und das ist im Winter nicht gerade einfach.“ „Tja, dann kommen wir zur interessantesten Frage für uns alle: Ihr wisst, wer wir sind. Wenn wir Euch ziehen lassen, was hält Euch davon ab, uns einfach die Obrigkeit auf den Hals zu hetzen?“ „Bis Graf oder Fürst ihre Truppen gerufen hätten, wärt Ihr längst über alle Berge. Warum sie also überhaupt aussenden – im tiefsten Winter?“ „Das gefällt mir gar nicht schlecht, was Ihr mir sagt“, stimmte Alphak zu. „Aber als kleine Rückversicherung sollten wir einen von Euch hier behalten. Am besten den Heiler – den können wir gut gebrauchen.“ „Nein, das können wir nicht machen!“, entgegnete Viburn. „Ihr scheint nicht zu verstehen, in welcher Lage Ihr Euch befindet.“, schüttelte Eberhelm den Kopf. „Wir sind in der Überzahl und werden unseren Willen zur Not schon durchsetzen, falls wir uns nicht einig werden. Ihr könnt hier keinerlei Bedingungen stellen.“ „Für einen Mann von edlem Geblüt könnten wir natürlich Lösegeld fordern“, fügte Alphak hinzu. „Aber wir müssen praktisch denken – mit so einer Geisel würde es sich vielleicht doch lohnen, uns Truppen im Winter hinterherzuschicken.“

Der „Heiler“ konnte sich bei der letzten Bemerkung das Lachen nicht mehr verkneifen. „Ich bitte Euch...“, versuchte ihn Viburn zu beruhigen, doch Harrad winkte ab. „Lassen wir das Versteckspiel, es hat doch keinen Zweck. Also, werte Herren“, er wandte sich an Eberhelm und Alphak, „Ihr wisst wirklich nicht, wen Ihr vor Euch habt. Gestatten, Harrad von Eberstamm-Weidenhag, Vetter ersten Grades seiner Durchlaucht Fürst Ansholds.“ Diese Eröffnung brachte die beiden völlig aus der Fassung. „Ja, ja, ich weiß, ich sehe nicht gerade so aus, wie man sich einen Eberstamm weitläufig vorstellt. Fatas hat manchen grausamen Scherz mit mir getrieben. Ich war ein uneheliches Kind und meine Mutter weigert sich bis heute, den Namen meines wahren Vaters preiszugeben – sonst wäre ich vielleicht auf dem Fürstenthron...“ Harrad seufzte. „Ich wurde stattdessen Medicus in der Armee. Doch in der entscheidenden Stunde, als meine geliebte Schwester Firuna schwer verwundet wurde, da konnte ich sie nicht heilen, sondern nur ihr Leiden verkürzen. Ich hatte Menschenleben retten wollen, nicht beenden!“ Er verzog das Gesicht schmerzverzerrt. „Das nagt seit zwanzig Götterläufen an mir. Ich führte ein Leben, wie es einem Mitglied des Fürstenhauses nicht besonders gut zu Gesicht steht, verlor schließlich meine Stelle… aber es war ja letzten Endes alles egal. Dann zog ich gen Osten – auf, zur letzten Schlacht, wie ich dachte, auf dass ich am Ende mit einer ehrenvollen Mission in Verbindung gebracht würde – aber ich überlebte jeden Kampf.“ Harrad schüttelte bitter lächelnd den Kopf. „Ja, Fatas zeigt so manches Mal seltsame Launen! Auch nach dem Sieg über Haffax befand ich mich noch hinter feindlichen Linien. Arngrimm von Ehrenstein hatte erkannt, wer ich war, und versuchte mich auf seine Seite zu ziehen, doch ich widerstand seinen Einflüsterungen. Aber nicht jeder vertraute mir… Rondrigan Paligan schickte eine Gruppe Adeliger, die mich festsetzten und nach Beilunk brachten. Von dort ging es nach Greifenfurt in ein Praios-Kloster. Und nun habe ich auf Wunsch meines fürstlichen Vetters zum ersten Mal seit Jahren heimischen Boden betreten, werde gefangengenommen und soll als Geisel dienen, damit mein Bewacher und einer der Häscher von damals freikommen...“ Harrad lachte laut auf. „Das ist doch wirklich eine herrliche Ironie, meint Ihr nicht auch? Aber der beste Witz kommt noch...“ Eberhelm und Alphak hatte die Geschichte sichtlich ergriffen, fühlten sie sich doch ebenfalls beide vom Schicksal zu Unrecht bestraft. „Wenn ich hier auf unwürdige Weise als Gefangener im tiefsten Wengenholmer Winter zu Boron gehe, dann wird mein Name reingewaschen. Niemand wird von meiner Vergangenheit sprechen, alle werden um den Vetter des Fürsten weinen, der von grausamen Schurken hingerichtet wurde, und phantasieren, was ich noch alles für Taten unter Anshold hätte verbingen können! Für Euch wird jedoch nicht zählen, wer den Pfeil schoss, den Schwertstreich führte oder ob ich schlicht erfroren oder verhungert bin… als Mörder eines von Eberstamms werdet Ihr in die Koscher Chroniken eingehen, Eure Namen in einem Atemzug genannt werden mit Charissia von Salmingen und Porquid von Ferdok.“ „Schluss! Das reicht!“, beendete Eberhelm die Erzählung Harrads. „Ihr legt Euch jetzt besser schlafen. Wir werden morgen früh entscheiden, was wir mit Euch zu tun gedenken.“ Mit diesen Worten ließen die Raubritter die Gruppe allein.

„War es denn schlau, so mit ihnen zu reden? Sie sind ganz wütend geworden am Ende...“ Ingramosch flüsterte beinahe. „Glaubt mir, das ist die einzige Art, wie man mit solchen Leuten reden kann.“, beschwichtigte Harrad, nun deutlich besser gelaunt. „Der Zweifel in ihnen ist gesät.“