Perdita, die Verlorene - Auf den Spuren einer Verlorenen
Auf den Spuren einer Verlorenen
Das Rittergut Valpos Horn am Angbarer See im Spätwinter 1046 BF
Boromil vom Kargen Land hatte in den letzten Jahren zunehmend genossen, in Gesellschaft zu sein, und war zu einem redefreudigen und fröhlichen Zeitgenossen geworden. Doch heute zeigte er nichts von alledem. Ernst und nachdenklich schritt er an einer Reihe von steinernen Tafeln entlang, die auf dem Boronanger nahe des Wohnsitzes der Familie aufgestellt waren. Er kannte die Inschriften seit seiner Jugend, doch als er sie heute zum ersten Mal seit langer Zeit bewusst las, da überkam ihn eine Beklommenheit.
“Xanne vom Kargen Land” – darunter das Wappen Greifenfurts und des Kosch sowie eine einfache Zahl – 42.
“Fingorn vom Kargen Land, genannt Fingorn der Formende” – dazu ein sechszackiger Stern und ein Wappen – das der Stadt Lowangen.
“Perdita vom Kargen Land“ – und nichts weiter.
“Die Verlorene”, dachte der Ritter, und als er da vor dem letzten Namen stehen blieb, spürte er einen Kloß im Hals. Drei Geschwister, an die die Gedenktafeln erinnerten. Von Grabsteinen zu sprechen wäre unpassend gewesen – denn von keinem der drei Toten gab es sterbliche Überreste, die hier bei ihrer Familie im Kosch ruhten.
Viele noble Worte hätte man noch auf den Steinen hinzufügen können – “der Leib stirbt, die Treue währt ewig”, “ein aufrechter Kämpfer auch ohne Schwert” oder “die alles entscheidende Schlacht sollte ihre letzte sein” – doch wirkte dies wie eitles Geschwätz im Angesicht der Endgültigkeit des Todes. Ihr Großvater Born hatte alle seine Kinder und Enkelkinder überlebt und war schließlich von Gram gebeugt gestorben. Mit ihm war ein Zweig der Familie geendet.
Seit seiner Belehnung war Boromil als kleiner Adeliger bei vielen großen Ereignissen dabei gewesen – wie dem Reichskongress zu Weißenstein, der Vermählung Kaiserin Rohajas, dem Frieden zu Mantrash’Mor, dem Treffen der beiden Boron-Kirchen, den Verhandlungen mit dem Kalifat – doch das Ziel der nächsten langen Reise würde eine persönliche Komponente haben. Denn auf Burg Devendoch und Sancta Boronia galt es, nach Hinweisen auf das Schicksal seiner Verwandten Perdita zu suchen, die vor 25 Jahren nach der Schlacht an der Trollpforte verschollen war. Es wäre symbolisch, dass er, mit dessen Benennung einst ein Versprechen an Boron eingelöst worden war, diese Aufgabe übernehmen würde.
Was es seiner Familie bedeuten würde, endlich Gewissheit zu haben, eine Antwort nach all den Jahren, und Frieden schließen zu können! Mit Tränen in den Augen drehte er sich zu seinem Vater Gero um, der in einigem Abstand mit den Boronis Liaiella und Balinor stand und auf seine Reaktion wartete. Boromil brauchte keine Worte zu verlieren – er nickte nur. Natürlich würde er für seine Familie nach Spuren von Perdita suchen!
Irdischer Hinweis: Dieser Artikel ist im Nachgang des Allaventurischen Konvents 2024 entstanden.