Odilbert und Niope - Die Madablume

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'Schloss Grauensee, 4. Travia 1042 BF

Der gebührende Applaus für das soeben von Herrn Wolfhardt vorgetragene Lied ebbte ab. Der Baron von Oberangbar hatte diesen mit würdevollen Verneigungen nach allen Seiten quittiert und verließ den Platz in der Mitte des Saales. Erneut klopfte der Haushofmeister mit dem Stab auf den Boden, während ein Diener einen gepolsterten Stuhl an die Stelle trug, wo zuvor der Koscher gestanden hatte.

„Und nun die hohen Herren, die Gebrüder Steinfelde, mit demselben Ansinnen!“

„Na los, Brüderchen!“, Praioswin von Steinfelde klopfte seinem Zwillingsbruder Praioswald kurz auf die Schulter, als der Haushofmeister in ihre Richtung wies und ihnen dabei auffordernd zunickte. Auf seine Krücken gestützt bewegte sich Praioswald geschwind zum bereitstehenden Stuhl, setzte sich und nahm die Laute entgegen, die ihm sein Bruder reichte. Dann ergriff er lächelnd das Wort an die versammelte Gesellschaft: „Verzeiht, dass wir es wagen, es Herrn Wolfhardt nachzutun. Obgleich unsere Verse im Vergleich zu seiner hohen Kunst gering erscheinen mögen, so können wir doch nicht schweigen, sind es doch Worte zu Ehren unseres Herrn – und vor allem seiner Braut.“

Kräftig schlug er ein paar Akkorde wie Fanfarenstöße an, doch dann griffen seine Finger routiniert in die Saiten und eine silbern schwebende Melodie ertönte.

„Bruderherz!“, zwinkerte er Praioswin zu und die beiden begannen ihr Lied im Duett zu singen:

Am Wasser spross ein Pflänzelein / gehegt von kund’ger Hand.
Aus edler Wurzel kommt es her / ein Stolz dem Hügelland,

Sein Stamm gerad’, die Glieder stark / gleich frischem Ing’rimms Grün.
Es wuchs und seine Blätter sind / Anmut und hoher Sinn.

Aus Tugend reich und Sittsamkeit / trägt’s eine volle Kron’,
Der Ehre stets zum Dienst bereit, / nicht für Gewinn und Lohn,

Den Zwölfen treu zu jeder Zeit, / fest Alveran im Blick,
Sein Schatten Labung jedem schenkt, / weist keinen arg zurück.

Nur Hummeln brummendes Gesumm / im hellen Praioslicht
Übt sich vergebens aller Kunst, / konnt’ Gunst erwerben nicht.

Denn Tags kaum zu erahnen war, / umhüllt nach Knospenart,
Sein größter Schatz. Sein’ feinste Zier / sich keinem offenbart.

Doch als bei Nacht der Mada Schein / im Kelche nur sich zeiget,
So blüht es auf und voller Huld / gen Schimmer es sich neiget.

Zum allerschönsten Kleide wohl / entfaltet’s seine Pracht,
Erleuchtet hell die Madablum’ / gleich wie der Mond die Nacht.